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ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
1871.
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ABHANDLUNGEN
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
1871.
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BERLIN.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
(G. VOGT
UNSIVERSITÄTSSTR. 8.
1872.
N COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER S VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
(HARRWITZ UND GOSSMANN.)
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Inhalt.
Elistorische, Binlertung, era er
Verzeichnils der Mitglieder . .
WMELmnontz, Gedächtnifsrede auf Masıins
Physikalische Klasse.
erg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von
der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben.
(Mitn2zRafen) nr 2: £
“Rorn: Über die Lehre vom Metamorphismus na die htsteharg has krystallini-
SCHeDWSChie tere LE: Se a 10,0
VEHRENBERG: Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmorphärlien: (Mit 1 Tafel)
Mathematische Klasse.
“Hasen: Seitendruck der Erde . . . AR SER BR: : 0%
“HAGEN: Über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des strömenden Wasser.
mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert
Philosophisch-historische Klasse.
“Lersivs: Über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwiekelung
vLersıus: Die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. (Mit 2 Tafeln)
Zweite Abtheilung.
SSCHOTT: Altajische Studien ,. ı: n . . na ee. er er,
“KIrcHHoFr: Nachträgliche Bemerkungen zu der Abhandlung über die Abfasgange-
zeit des Herodotischen Geschichtswerkes Or de De
“WEBER: Über ein zum weissen Yajus gehöriges phonetisches Compendium, das
pratijnasütra
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Jahr 1871.
Al 26. Januar feierte die Akademie der Wissenschaften den
Jahrestag des grolsen Königs Friedrichs des Zweiten in einer
öffentlichen Sitzung, welcher Ihre Majestät die Kaiserin und Köni-
gin und Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Kronprinzessin
beizuwohnen geruhten. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar
Herr du Bois-Reymond eröffnete die Sitzung mit einer Fest-
rede, in welcher er ausführte, wie der jetzt von Preulsen über
Frankreich davongetragene Sieg nicht nur durch die Kriegsthaten
Friedrichs des Zweiten, sondern ebensolcehe durch seine Civil-
verwaltung vorbereitet worden sei. Die Rede ist im Monatsbericht
abgedruckt.
Der vorsitzende Sekretar trug hierauf den Bericht über die
seit dem 27. Januar vorigen Jahres, als dem Tage der vorjährigen
öffentlichen Sitzung zur Gedächtnils-Feier Friedrich’s Il., vorge-
kommenen Veränderungen im Personalbestande der Akademie vor.
Sodann las derselbe als Mitglied des Uuratorinms der Hun-
boldt-Stiftung den Jahresbericht über die Wirksamkeit der Stif-
tung, besonders über die Fortsetzung der aus den Mitteln der Stit-
tung wunternommenen, botanischen Reise des Hm. Dr. Georg
Schweinfurth im den südwestlichen Nilländern vor, welcher Be-
richt in dem Monatsberichte abgedruckt ist.
„Zum Beschluss las Herr Haupt eine Abhandlung des
Herrn Droysen über eine Flugschritt von 1743.“
VI
Am 23. März hielt die Akademie eine öffentliche Sitzung
zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät des Kaisers
und Königs.
Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Hr. Haupt, er-
öffnete die Sitzung mit einer Rede.
Hierauf berichtete er über die Arbeiten der Akademie wäh-
rend des abgelaufenen Jahres und trug sodann Folgendes vor.
Wir gedenken noch einer Königlichen Kabinetsordre, datiert
aus Versailles vom 2. März 1871. An dem Tage nach dem Frie-
densschluss unterzeichnet, bekundet sich noch aus dem Hauptquar-
tiere die Fürsorge für die Friedensarbeit der Wissenschaft. Im
‚Jahre 1829 gründete, damals noch Kronprinz, der König Friedrich
Wilhelm der Vierte das archäologische Institut in Rom als einen
Mittelpunkt der Studien für Kunst und Alterthum auf klassischem
Boden, sorgte später als König für die Erweiterung und bessere
Ausstattung der Anstalt und gewährte ihm die Mittel zu archäolo-
gischen Stipendien für junge Philologen. Das archäologische In-
stitut, das zwar unter solcher Unterstützung des Staats heranwuchs
und der deutschen Wissenschaft in Italien einen geachteten Namen
erwarb, blieb bis dahin eine private Gememschaft. Indessen zur
Sicherung dieser Pflanzstätte deutscher Wissenschaft an dem Ufer
der Tiber erschien es unter den wechselnden Ereignissen von Werth,
das archäologische Institut in aller Form zu einer preussischen
Staatsanstalt zu machen. Zu dem Ende wurde es durch ein neues
Statut, nach welchem ein bleibender Bedürfnisszuschuss auf den
Etat des Staatshaushalts übernommen worden, in die nächste Ver-
bindung mit der Akademie der Wissenschaften gesetzt, und zwar
dergestalt, dass die Akademie durch ihre philosophisch-historische
Klasse die Mitglieder der Centraldireetion, die in Berlin ihren Sitz
hat, nach Massgabe des Statuts wählt, auf den Vorschlag der Uen-
IX
traldireetion die beiden Sekretare, welche die wissenschaftlichen
Arbeiten in Rom leiten, zur Allerhöchsten Ernennung präsentiert,
einen Jahresbericht über die Leistungen des Instituts in der öftent-
lichen Sitzung zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers
und Königs erstattet, und sich geeignetes Falles mit der Central-
direction zu gemeinsamen Vorschlägen und Anträgen bei dem vor-
geordneten Königl. Ministerium vereinigt. Dies Statut ist in die-
sen denkwürdigen Tagen durch die K. Kabinetsordre bestätigt
worden. So hat Se. Majestät die wichtige wissenschaftliche Grün-
dung semes königlichen Bruders durch neue Pflege geehrt, ihren
Bestand gesichert und ihre Wirksamkeit durch bereite Mittel ge-
fördert. Die Akademie, die dem archäologischen Institute, nament-
lich in den Arbeiten für das C. I. Lat., zu altem Dank verpflichtet
ist, wird über ein Jahr den ihr durch das Statut übertragenen
Jahresbericht zum ersten Male erstatten.
Zum Beschlufs las Hr. Curtius eine Abhandlung über die
Münzen der griechischen Colonien in ihren Beziehungen zum Mut-
terlande.
Am 6. Juli hielt die Akademie die öffentliche Sitzung zur
Feier des Leibnizischen Jahrestages. Der an diesem Tage vor-
sitzende Sekretar Hr. Kummer eröffnete dieselbe durch eine Rede
in welcher er den national Deutschen Charakter von Leibniz in
dem politischen Leben wie im wissenschaftlichen Denken desselben
hervorhob. Die Rede ist im Monatsbericht abgedruckt.
Hr. Haupt, Sekretar der philosophisch-historischen Klasse,
trug hierauf folgenden Bericht über die Preisfragen dieser Klasse
vor:
Die Akademie hat am 2. Juli 1868 die folgende Preisaut-
gabe, welche am 3. Juli 1862 gestellt und am 6. Juli 1865 wie-
derholt war, von Neuem ausgeschrieben.
„Die Geschichte der neueren Zeiten unterscheidet sich von
der des Alterthums hmsichtlich ihrer Grundlagen zu ihrem wesent-
lichen Vortheile. Die Griechen, die Römer und die übrigen Völ-
ker der früheren Jahrtausende haben so gut als die neueren Cul-
turvölker unter ihren schriftlichen Aufzeichnungen, welche den
mannigfaltigen Geschäftsverkehr ihres Lebens vermittelten, Urkun-
den besessen; aber diese Urkunden sind nur im geringer Anzahl
auf uns gekommen und sie bieten daher für die antike Geschichts-
forschung ein Hilfsmittel von verhältnissmässig beschränkter Be-
deutung. Die Staaten der späteren Zeit hingegen haben von ihrer
Entstehung an eine so grosse Masse von Urkunden aufgesammelt
und grossentheils bis auf unsere Tage erhalten, dass sie nebst den
gleichzeitigen Geschichtsschreibern und den anderen schriftlichen
Denkmälern, den Gesetzen, den Briefen und den Werken der Lit-
teratur, mit Recht als die feste Grundlage der Geschichtsforschung
angesehen werden. Um den umfangreichen in ihnen enthaltenen
Stoff zu übersehen bedurfte es kurzgefasster und nach der Zeit-
folge geordneter Auszüge, sogenannter Regesten, auf deren Ausar-
beitung in unserem Jahrhunderte grosser und erfolgreicher Fleiss
gewendet worden ist. In ‚Deutschland und für die deutsche Ge-
schichte, welche das Leben eines durch einheitliche Reichsgewalt
während eines Jahrtausends verbundenen Volkes zur Aufgabe hat,
waren das erste Bedürfniss die Regesten der Könige und Kaiser.
Ihnen schlossen sich die Regesten der einzelnen grossen Reichs-
lande, der geistlichen und weltlichen Fürsten und Landschaften an.
Es ist allgemeim anerkannt, welche Verdienste sich zuerst Böhmer
und Chmel durch ihre Regesten der deutschen Könige und Kaiser
von Pipin bis Maximilian I. und durch verwandte Arbeiten erwor-
ben haben. War durch sie die Aufgabe gelöst einen Schatz von
fünfundzwanzig tausend von deutschen Königen und Kaisern aus-
XI
gestellten Urkunden in chronologischer Übersicht festzustellen und
der allgemeinen Benutzung der Forscher zugänglich zu machen, so
sollte dann auch ein anderes fühlbares Bedürfniss befriedigt wer-
den als Jaffe’s Regesta pontifieum Romanorum ans Licht traten.
Die Geschichte der Päpste greift so tief in die Geschichte nicht
nur der deutschen, sondern aller christlichen Völker und Staaten
ein, dass diese ohne sie an wesentlicher Unvollständigkrit leiden
würde. Jaffe’s Werk ist von den ältesten Zeiten bis auf Inno-
cenz III. und das Jahr 1198 geführt. Es bricht bei dem Zeit-
punkte ab, mit dem das Jahrhundert der grössten Höhe des Papst-
thums beginnt. Es ist der Wunsch der Akademie, dass dieser
Zeitraum von der Wahl Innocenz des Ill. bis zum Tode Benediets
XI. im Jahre 1304, nach welchem das avignonsche Exil der Päpste
eintritt, in ähnlicher Weise behandelt werde.
Die Akademie stellt demnach aufs Neue als Preisaufgabe
Die Bearbeitung der Regesten der Päpste von Innocenz I.
bis mit Benediect XI.
Es wird dabei verlangt, dass diese Regesten aus sämmtlichen zu-
gänglichen gedruckten Quellen in derselben Weise gewonnen wer-
den, wie dies für die vorhergehende Zeit durch Jaffe’s Regesta pon-
tifieum Romanorum geschehen ist. Als eine besonders dankens-
werthe Vervollständigung würde die Akademie die Benutzung un-
gedruckter Quellen ansehen. Bei jedem Papste ist eine kurze
Nachricht über seinen früheren Lebenslauf voranzuschicken.
Die Arbeit kann in deutscher, lateinischer, französischer oder
italiänischer Sprache abgefalst werden.
Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Aut-
gabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1871. Jede Bewer-
bungsschrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf dem
Aussern des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Vertas-
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XI
sers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 200
Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen
Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1871.”
Auf diese Einladung gieng zur rechten Zeit eine Bewerbungs-
schrift in zwei starken Foliobänden ein, denen noch ein Schluss-
band folgte, mit den Worten Böhmer’s als Motto, „Auch in der
historischen Wissenschaft gilt, verleugne dich selbst.”
Die Akademie hatte sich nicht verhehlt, welche mühevolle
gelehrte Arbeit der Umfang der Preisaufgabe erfordere, und sieht
in den vorliegenden drei Foliobänden eines sorgfältigen Manuscrip-
tes die ausdauernde Anstrengung neunjähriges Durchforschens,
Sammelns, Prüfens und ÖOrdnens vor sich.
Der erste Band behandelt die Regesten Innocenz des Dritten
vom Tage seiner Wahl, dem 8. Januar 1198, im Lateran bis zu
seinem Todestage, dem 16. Julius 1216 zu Perugia; der zweite
Band die Regesten der Durchfechter des Entscheidungskampfes
mit dem staufischen Kaiserhause, der Päpste Honorius II., Gre-
gor IX. und Innocenz IV., von 1216 bis zum 7. December 1254;
der dritte Band die Regesten Alexanders IV., Urbans IV., Clemens
IV., von 1255 bis 1268, und deren Nachfolger seit Überwältigung
des Kaiserthums in Deutschland und Italien und die selbstbereitete
französische Knechtschaft mit Benediets XI. Tode.
Die einzelnen Bullen und Urkunden sind aus den verlangten
zugänglichen Drucken mit Sorgfalt gesammelt. Die Angaben sind
nach ihrem Werthe herbeigezogen, die verschiedenen Zeitbestim-
mungen sind untersucht, verglichen und ausgerechnet, Fehler und
Unvollständigkeiten sind ermittelt und angezeigt, die Decretalen,
soweit sie einschlagen, genau bestimmt, und bei jedem Briefe und
selbständigem Actenstücke smd die Anfangsworte angegeben; über-
XII
dies ist das Citat auch nach der verbreiteten, wenn gleich mangel-
haften Migneschen Sammlung angeführt.
Der Verfasser bemerkt, dass die litteraturgeschichtliche Ein-
leitung der Vitae der einzelnen Päpste vor ihrer Erhebung zum
Pontificate, die Bezeichnung der Cardinäle unter den einzelnen
Päpsten, sowie das Verzeichniss der benutzten Werke erst vor der
Drucklegung beendigt und erst dann geliefert werden können.
Die Akademie, die in die Preisaufgabe den Wunsch solcher Bei-
lagen aufnahm, erkennt gem an, dass es kein Mangel ist wenn
sie jetzt noch fehlen. Was in der umfassenden Arbeit vorliegt,
verbürgt die künftige Ergänzung durch das noch Zurückgebliebene.
Hiernach steht die Akademie nicht an, der vorliegenden voll-
berechtigten Arbeit den ausgesetzten Preis zuzuerkennen; sie fügt
nur den Wunsch hinzu, dass der Verfasser, der einige der neueren
ergiebigen Urkundensammlungen noch nicht benutzt hat, vor der
Veröffentlichung sem Werk aus denselben vervollständigen möge.
Der hierauf entsiegelte Zettel ergiebt als Verfasser der ge-
krönten Preisschrift
Dr. August Pothast, Custos der königl. Bibliothek zu Berlin.
Am 2. Juli 1868 hatte die Akademie die folgende aus dem
Legate des Hrn. von Miloszewsky zuerst am 6. Juli 1865 aus-
geschriebene Preisaufgabe erneuert.
„Die letzte philosophische Preisfrage der Akademie fasste
eine Sammlung der aristotelischen Fragmente ins Auge und hatte
einen erwünschten Erfolg. Indem die Akademie in dieser Rich-
tung weiter geht, schlägt sie gegenwärtig eine Sammlung der
Bruchstücke der nächsten auf Aristoteles folgenden Peripatetiker
vor. In neuerer Zeit haben sich Männer wie Brandis, Zeller,
Prantl und Andere um die gelehrte und philosophische Kenntniss
der Lehren derselben verdient gemacht; aber eine vollständige
XIV
Sammlung der aus ihren Schriften im Alterthum und namentlich
bei den Commentatoren des Aristoteles zerstreuten Fragmente ist
noch nieht vorhanden. Die Akademie stellt hiernach als Preis-
aufgabe
die zerstreuten Bruchstücke aus den verlorenen Schriften
des Theophrast, Eudemus, Aristoxenus, Phanias, Dicae-
arch, Heraclides, Clearch, Demetrius Phalereus, Strato
und etwa der noch gleichzeitigen Peripatetiker zu sam-
meln, kritisch zu behandeln, mit den entsprechenden Stel-
len des Aristoteles zu vergleichen und danach das Ver-
hältniss der Lehre dieser Aristoteliker zum Aristoteles
selbst zu bestimmen.
Der Schrift ist ein doppeltes Register beizufügen, wovon das
eine die Schriften und Stellen, aus welchen die Bruchstücke ent-
nommen sind, genau aufführt, das andere die wichtigern Wörter
und Gegenstände derselben alphabetisch verzeichnet. Die Arbeit
kann nach Wahl der Bewerber in deutscher, lateinischer oder fran-
zösischer Sprache geschrieben werden.”
Als Frist der Einreichung ward der 1. März bestimmt.
Es ist keine Bewerbungsschrift eingegangen. Die Akademie
legt aber auf diese für die Geschichte der alten Philosophie wich-
tige Aufgabe, welche mit den von ihr in den letzten fünfzig Jah-
ren angeregten und unterstützten Arbeiten für Aristoteles in engem
Zusammenhange steht, einen besondern Werth und wünscht daher
die Aufmerksamkeit der Gelehrten noch einmal auf sie zu lenken.
Sie wiederholt daher die Aufgabe, indem sie zugleich den Preis
verdoppelt.
Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Auf-
sabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1874. Jede Bewer-
bungsschrift ist mit emem Motto zu versehen und dieses auf dem
XV
Äussern des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfas-
sers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 200
Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung des Leibnizischen
Jahrestages im Monat Juli des Jahres 1874.
Hierauf trug Hr. Haupt den Jahresbericht der vorberathen-
den Commission der Boppstiftung vor.
Für den 16. Mai d.J. ist die Verwendung des Jahresbe-
trages der Stiftung nicht als Preis für vorliegende wissenschaft-
liche Leistungen, sondern als Unterstützung wissenschaftlicher
Unternehmungen auf dem Gebiete der Sanskritphilologie und der
vergleichenden Sprachforschung beschlossen worden und es wurde
dem entsprechend von den beiden zu vergebenden Raten die eine,
von 300 Thlr., Hm. Dr. Wilhelm Pertsch, Bibliothecar an der
herzoglichen Bibliothek zu Gotha, zuerkannt, welcher gegenwärtig
mit Bestimmung und Verzeichnung einer umfangreichen Sammlung
indischer Münzen beschäftigt ist, die im vorigen Sommer von dem
Professor Georg Bühler in Bombay dem Münzcabinette der hiesi-
gen Königl. Museen zum Geschenk gemacht wurde; die zweite
Rate, im Betrage von 150 Thlr., ward Hrn. Dr. Berthold Del-
brück, Professor in Jena, zur Förderung seiner Studien auf dem
Gebiete der Syntax des Sanskrit und der verwandten Sprachen
überwiesen.
Sodann hielt Hr. Helmholtz eime Gedächtnissrede auf
Magnus und Hr. Haupt eine Gedächtnissrede auf Meineke
und Bekker.
XVI
Zu wissenschaftlichen Zwecken hat die Akademie im Jahre
1871 folgende Summen bewilligt:
400 Thaler an Herrn Professor Gerhardt in Eisleben zur Heraus-
400
200
350
200
200
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gabe der philosophischen Schriften von Leibniz.
an Herrn Dr. Vogel m Berlin zur Anschaffung
physikalischer Instrumente.
an Herrn Dr. Köhler in Athen für Arbeiten zum
griechischen Inschriftenwerke.
an Herrn Professor Weber in Berlin zur Heraus-
gabe des schwarzen Yayus Veda.
für literarische Geschenke an die Universität Strass-
burg.
an Herrn Professor Rammelsberg in Berlm für
seme Arbeiten über Tantalverbindungen.
an Herrn Professor Dittenberger in Rudolstadt für
Arbeiten am griechischen Inschriftenwerke.
Personalveränderungen im Jahre 1571.
Herr Ernst Curtius zum Sekretar der philosophisch -historischen
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Klasse gewählt, erhielt unter dem 23. August 1571 die König-
liche Bestätigung.
Helmholtz, bisher auswärtiges Mitglied, trat als ordentliches
Mitglied
der physikalisch- mathematischen Klasse ein am
1. April 1871.
XVII
Gewählt wurden:
Correspondirende Mitglieder der physikalisch-mathema-
tischen Klasse:
Herr Gerhard vom Rath in Bonn am 13. Juli 1871.
„ William Thomson in Glasgow, am 13. Juli 1871.
„ Pafnutij Tschebyschew in Petersburg am 13. Juli 1871.
Correspondent der philosophisch-historischen Klasse:
„ Emil Heitz in Strassburg, am 20. Juli 1871.
Gestorben sind:
Herr Immanuel Bekker, ordentliches Mitglied der philosophisch-
historischen Klasse, am 6. Juni 1871.
„ Moritz Pinder, ordentliches Mitglied der philosophisch-histo-
rischen Klasse am 30. August 1871.
Auswärtige Mitglieder der physikalisch-mathematischen
Klasse:
Sir John Herschel in Hawkhurst, am 12. Mai 1871.
Herr Wilhelm Haidinger m Wien, am 19. März 1871.
Sir Roderiek Murchison im London, am 22. October 1871.
Herr Eduard Weber in Leipzig, am 17. Mai 1871.
Auswärtige Mitglieder der philosophisch - historischen
Klasse:
Herr Georg Gervinus in Heidelberg, am 18. März 1871.
Sir James Yates ın London, am 17. Mai 1871.
Verzeiehniss
der
Mitglieder der Akademie der Wissenschaften
am Schlusse des Jahres 1870.
I. Beständige Sekretare.
Herr Trendelenburg, Sekr. der philos.-hist. Klasse.
- Haupt, Sekr. der philos.-hist. Klasse.
- Kummer, Sekr. der phys.-math. Klasse.
- du Bois-Reymond, Sekr. der phys.-math. Klasse.
Il. Ordentliche Mitglieder
der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen
Klasse. Klasse. Bestätigung.
T— 66,5,
Herr Bekker, Veteran 1 Mai 3.
1 Juni 18.
1 Febr. 13.
1 Juli 16.
1 Jan. 4.
1837 Jan. 4.
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850 Mai 18.
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- Trendelenburg
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- Petermann S50 Mai 18.
der physikalisch-mathematischen
Klasse. Klasse. Bestätigung.
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Herr dw Bois-Reymond 1851 März 5.
SuRelarsı . El u 1851 März 5
Herr Pinder 1851 Mai 24.
- Buschmann . 1851 Mai 24.
- Riedel . 1851 Mai 24.
- Braun a 1851 Juli 16.
- Haupt 1853 Juli 23.
- Kiepert 1853 Juli 25.
- Beyrich Ad 1853 Aug. 15.
- Ewald 1853 Aug. 15.
- Rammelsberg 1855 Aug. 15.
- Kummer . 1855 Dec. 10.
- Borchardt 1855 Dec. 10.
- Weierstrass . ER 1856 Nov. 19.
- Weber . 1857 Aug. 24.
- Parthey 1857 Aug. 24.
- Mommsen 1858 April 27.
- Reichert NEN Er, 1859 April 4.
- Ölshausen 1860 März 7.
- Rudorf 1860 März 7.
- Kirchhoff » 1860 März 7.
- Kronecker 3 1861 Jan. 23.
- (urtius . 1862 März 3.
- Müllenhoff 1864 Febr. 3.
- Rödiger 1864 Mai 7.
- Hofmann 1865 Mai 27.
- Auwers Er e. 1866 Aug. 18.
- Droysen 1867 Febr. 9.
- Roth en 1867 April 22.
- Bonitz . 1867 Dec. 27.
- Pringsheim . 1868 Aug. 17.
der philosophisch-historischen
Datum der Königlichen
XIX
xXX
III. Auswärtige Mitelieder
Datum der Königl.
der physikalisch-mathematischen Klasse. der philosophisch-historischen Klasse. Bestätigung.
.r
Sir John Herschel in Hawkhurst
in der Grafschaft Kent . . . ae ee. 111839 Blebrr. a4:
Herr Guizot in Paris 1840 Dechr. 14.
- Henry Rawlinson in
London. . . ... 71850>Maı 18.
Herr 'J. wo: eb 1nAMünchen.. . 2 ner. 6 een eaAmgusty1:
- , P. Wohklerün |Götlingen ne. ee a sn No RstallD:
- Franz Neumann in ee
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- Ernst Heinrich Weber in
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- Karl Ernst v. Baer ın
Dorpat:. „9... a We Be ee a ee, SLSGEAMarzaalele
- Robert Wilhelm Bu in
Heidelberaig. . . 22.020 2 Rasse ee 11662 Märzes:
- Franz Ritter v. Miklosich
in Wien. . . . . 1862 März 24.
- Wilhelm’ Weberun Göttingen „m. wer rn. 18a
=. Veotor Regnanlisin Parisı. ... woman Ju te e. 1868%Julı 10m
- Peter AndreasHansen nGotha . - - » 2» 2 2 2 2 .2....1866 März 24.
- Fr. Wih. August a
in Bonn 2... De ee 18 0Marzld
- Gustav Robert Kirchhoff ın
Heidelberg . . . . er) Inntal
- Hermann Helmholtz in Hei-
delberg... ea r...0:, ee ER Oe un ale
IV. Ehren-Mitelieder.
Die Herren: Freiherr Anton von Prokesch- Osten in
Konstantinopel
Peter Merian in Basel P
Davoud-Pascha Garabed Artin in Konktantineitel
Peter von Tschichatschef in Paris ;
Graf Rudolph von Stillfried-Rattonitz in Berlin
Edward Sabine ın London .
Freiherr Helmuth v. Moltke in Berlin
Don Baldassare Boncompagni in Rom
August von Bethmann- Hollweg in Berlin
Johann Jakob Baeyer in Berlin
Georg Hanssen in Göttingen .
Datum der Königlichen
Bestätigung.
1839
1845
1847
1853
1854
1855
1860
1862
1862
1865
1869
März 14.
März 8.
Juli 24.
August 22.
Juli 22.
August 15.
Juni 2.
Juli 21.
Juli 21.
Mai 27.
April 1.
XXI
XXI
V, Correspondirende Mitglieder,
Physikalisch-mathematische Klasse.
Herr Hermann Abich in Tiflis
Louis Agassiz in Boston
George Airy in Greenwich
Anders Jöns Ängström in Upsala
Antoine Cesar Becquerel in Paris
P. J. van Beneden in Löwen
George Bentham in Kew
Claude Bernard in Paris
Theodor Ludwig Bischoff in Minöhen
Jean Baptiste Boussingault in Paris .
Johann Friedrich Brandt in St. Petersburg .
‚Adolphe Brongniart in Paris .
Ernst Brücke in Wien
Auguste Cahours in Paris
Arthur Cayley in Cambridge
Michel Chasles mn Paris . P
Michel Eugene Chevreul in Paris
Elvin Bruno Christofel in Berlin
4A. Ölebsch in Göttingen .
James Dana in New Haven .
Charles Darwin in London i
Ernst Heinrich Karl von Dechen in Bo
Jean Marie Constant Duhamel in Paris
Jean Baptiste Dumas in Paris Re
Jean Baptiste Elie de Beaumont in Paris
Gustav Theodor Fechner in Leipzig .
Lowis Hippolyte Fizeau in Paris
Elias Fries in Upsala
Heinrich Robert Göppert in Breslau
Asa Gray in Cambridge, N. Amerika .
Wilhelm Haidinger in ns
Christopher Hansteen in Christiania
Heinrich Eduard Heine in Halle
Charles Hermite in Paris
Datum der Wahl.
1858 Oct. 14.
1834 März 24.
1834 Juno:
18567 Decbr. 19.
1835 Febr. 19.
1855 Juli 26.
1855 Juli 26.
1860 März 29.
1854 April 27.
1856 April 24.
1839 Dechr. 19
1835 Mai 7.
1854 April 27.
1867 Decbr. 19.
1866 Juli 26.
1858 Juli 22
34. Juni 5:
1868 April 2.
1868 April 2.
1855 Julı 26.
1863 Febr. 26.
1842 Febr. 3.
1847 April 15.
1l
834 Juni 5.
827 Decbr. 13.
1841 März 25.
1863 Aug. 6.
1854 Juni 1.
1839 Juni 6.
1855 Juli 26.
1842 April 7.
1827 Decbr. 13.
1863 Juli 16.
1859 August 11.
Herr Otto Hesse in München .
Sir
Herr
Joseph Dalton Hooker in Kew
Thomas Huxley in London
Joseph Hyrtl! in Wien
Moritz Jacobi in St. De
Friedrich Kaiser in Leyden
Hermann Kopp in Heidelberg
Urbain Joseph Le Verrier in Paris
Joseph Liowville in Paris
Karl Ludwig in Leipzig
Charles Lyell in London
Charles Marignaec in a \
William Miller in Cambridge
Henri Milne Edwards in Paris
Hugo von Mohl in Tübingen
Arthur Jules Morin ın Paris
Ludwig Moser in Königsberg
J. @. Mulder in Bennekom bei ee
Sir Roderick Impey Murchison ın London .
Herr
Karl Friedrich Naumann in Leipzig
Richard Owen in London
Frangois Marie de Pambour in Paris
Christian August Friedrich Peters in Mon
Joseph Plateau in Gent .
George de Pontecoulant in Paris
Friedrich August Quenstedt in Tübingen
Lambert Adolphe Jacques Quetelet in Brüssel
Friedrich Julius Richelot in Königsberg
Auguste de la Rive in Genf .
Ferdinand Römer in Breslau .
Georg Rosenhain in Königsberg .
Henri Sainte-Claire-Deville in Paris
Hermann Schlegel in Leyden .
Theodor Schwann in Lüttich .
Philipp Ludwig Seidel in München
Karl Theodor Ernst von Siebold in München
Japetus Steenstrup in Kopenhagen .
George Gabriel Stokes in Cambridge
XXIII
Datum der Wahl.
1859
1854
1865
1857
1859
1869
1867
1846
1839
1864
1855
1865
1860
1847
1847
1839
1845
1845
1847
1546
1836
1839
1866
1569
1832
18685
1832
1842
1835
1869
1859
1863
1865
1854
1865
1841
1859
1859
Juli 21.
Juni 1.
Aug. 3.
Januar 15.
Apnil 7.
April 15.
Dechbr. 19.
Decbr. 17.
Decbr. 19.
Oct. 27
Juli 26.
März 30.
Mai 10.
April 15.
April 15.
Juni 6.
Febr. 16.
Januar 23.
April 15.
März 19.
März 24.
Juni 6.
März 1.
April 15.
Januar 19.
April 2.
Januar 19.
Decbr. 8.
Febr. 19.
Juni 3.
August 11.
Nov. 19.
Nov. 23.
April 27.
Juli 16.
März 25.
Jul 21.
April 7.
XXIV
Herr Otto Struve in Pulkowa .
Bernhard Studer in Bern
Karl Sundevall in Stockholm e
James Joseph Sylvester mn Woolwich .
Louis Rene Tulasne ın Paris .
Gustave Thuret ın Antibes
Edouard de Verneuil in Paris
Eduard Weber in Leipzig .
Charles Wheatstone ın London .
Adolph Würtz in Paris
Philosophisch-historische Klasse.
" Theodor Aufrecht in Edinburgh .
George Bancroft z. Z. in Berlin .
Theodor Benjey in Göttingen
Theodor Bergk in Bonn
Jacob Bernays in Bonn .
Gottfried Bernhardy ın Halle
Samuel Birch in London
Otto Boehtlingk in Jena .
Hermann Brockhaus in Leipzig . .
Marie Felicite Brosset in St. Peterabutk
Heinrich Brunn in München
Giuseppe Canale in Genua
Antonio Maria Ceriani ın Mailand
Charles Purton Cooper in London
Georg Curtius in Leipzig .
Leopold Delisle in Paris :
Lorenz Diefenbach in Frankfurt a. Mm.
Friedrich Diez in Bonn
Wilhelm Dindorf in Leipzig .
Bernhard Dorn in St. Petersburg.
Hermann Ebel in Schneidemühl
Emile Egger in Paris .
Petros Eustratiades in Athen .
Giuseppe Fiorelli in Neapel .
Heinrich Lebrecht Fleischer in Leipzig
Datum der Wahl.
———
1868 April 2.
1545 Januar 23.
1862 Febr. 27
1866 Juli 26.
1869 April 29.
1869 April 29.
1858 Oct. 14.
1864 Oct. 27.
1851 Mai 8.
1859, März 10.
1864 Febr. 11.
1845 Febr. 27.
1860 April 26.
1845 Febr. 27.
1865 Janıl9:
1846 März 19.
1851 April 10.
1855 Mai 10.
1865 Januar 16.
1866 Febr. 15.
1866 Juli 26.
1862 März 13.
1869 Nov. 4.
1836 Febr. 18.
1869 Nor. 4.
1867 April 11.
1861 Jan. 31.
1845 Febr. 27.
1846 Deecbr. 17.
1564 Febr. 11
1869 Nov. 4.
1867 April 11.
1870 Nor. 3.
11865. Jane:
1851 April 10.
xXXV
Datum der Wahl.
—— —
Herr Conon von der Gabelentz in Altenburg . . . . 1869 Nov. 4.
- Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben . . . . 1861 Jan. 31.
- Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg . . . 1845 Febr. 27
- Wilhelm v. Giesebrecht in München . . . . . 1859 Juni 30.
- Konrad Gislason in Kopenhagen Ah HL S5LNNMArZI 2.
- Graf Joh. Bapt. Carlo Giuliari in Vernu LET ABLE DI:
- Carl Ludwig Grotefend in Hannover . . . 1862 März 13.
- Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid . 1861 Mai 30.
Se Kanlklolnın, München. „ ... um. eilt Janyıl3:
- Wilhelm Henzen n Rom . . leiser, Anika
- Brör Emil Hildebrand in Stockholm, Mes 2u1845A Behr) 2%
- Willem Jonckbloet im Haag . . » . . . .. .. 1864 Febr. 11.
- Stanislas Julien in Paris . . . ua TEEN Apr 14:
- Theodor Georg von Karajan in Wien. N ale un 6:
- Hermann Koechly in Heidelberg . . . . . . 1861 Jan. 31
- Ulrich Koehler in Athen . . . „2,1870: WNov.8.
- Sigismund Wilhelm Koelle in Konsantnoncl . 1855 Mai 10.
- Stephanos Kumanudes in Athen . . ... .... 1870 Nov. 3.
- (Christian Lassen m Bonn . . . . 2... ..2...1846 Dechbr. 17.
- Konrad Leemans in Leyden . . . ........ 1844 Mai 9.
- Karl Lehrs mn Königsberg . . . » . . .......1845 Febr. 27
- Adrien de Longperier m Paris . . . . . . .. 1857 Juli 30.
- Elias Lönnrot in Helsingfors . . . . . ... .. 1850 April 25.
- Hermann Lotze in Göttingen . . . . 1864 Febr. 11.
- Joaguim Jose da Costa de Macedo in en 1838 Febr. 15.
- Johann Nicolas Madvig in Kopenhagen . . . 1836 Juni 23.
- Henri Martin in Rennes . . . 223.81..01859%. Mar 10:
- Georg Ludwig von Maurer in Münchei 2.0.25 18549 Juniml5.
- Giulio Minervini in Neapel . . » . .... .. 1852 Juni 17.
= Julius Mohlöin -Paris . .=r...88: 2 W180 Aprıl 25:
u Ganlor.Morbio in. Mailand... „zu. 5 W860 April“26:
4 Moa#Müllerin Oxford: .- . .r . .. 20. var 186" Jansmld.
- L. Müller in Kopenhagen . . . . 2 .2.....1866 Juli 26.
- John Muir in Edinburgh . . » . ........1870 Nov. 3.
- August Nauck in St. Petersburg . . . . . . 1861 Mai 30.
- "Charles Newton m London’: .vırnn 00 25 1861-- Jan: 31.
-" Julius: Oppert' in Paris: .. .ı .. .. 20.7... 14% 01862 März’ 13.
=. Franz Palacky in Prag. uw anwew n. n.0n. 1845. Fehr.: 27.
d
XXVI
Sir Thomas Phillipps in Middlehill .
Herr August Friedrich Pott in Halle .
Carlo Promis in Turin
Rizo Rangabe in Athen .
Felix Ravaisson in Paris
Adolphe Regnier in Paris
Ernest Renan in Paris
Leon Renier ın Paris .
Alfred von Reumont in Bonn .
Friedrich Wilhelm Ritschl in Dei
Georg Rosen in Belgrad .
Giovanni Battista de Rossi in Rom
Rudolph Roth in Tübingen re
Vicomte Emmanuel de Rouge in Paris .
Joseph Roulez in Gent
Eugene de Roziere in Paris
Hermann Sauppe in Göttingen . a En
Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover
Anton Schiefner in St. Petersburg
Georg Friedrich Schömann in Greifswald
Leonhard Spengel in München
Friedrich Spiegel in Erlangen .
Aloys Sprenger ın Bern .
Christoph Friedrich Stälin in Stakteare
Adolf Friedrich Stenzler in Breslau
Heinrich von Sybel in Bonn
Th. Hersart de la Villemarque in Bar
Louis Vivien de Saint Martin in Versailles .
Matthias de Vries in Leyden
William Waddington in Paris
Natalis de Wailly in Paris
Georg Waitz in Göttingen .
Jean Joseph Marie Antoine de Wiite in Paris
William Wright in London
James Yates in Highgate
K. E. Zachariae von Lingenthal in en
Eduard Zeller in Heidelberg . oe
Datum der Wahl.
1845
1850
1869
1851
1847
1867
1859
1859
1854
1845
1858
1853
1861
1854
1855
1864
1861
1861
1858
1824
1842
1862
1858
1846
1866
1859
1851
1867
1861
1866
1858
1842
1845
1868
1867
1866
1564
Febr. 27.
April 25.
Nov. 11.
April 10.
Juni 10.
Jan: 17.
Juni 30.
Juni 30.
Juni 15.
Febr. 27
März 25.
Juni 16.
Jan. 31.
März 2.
Mai 10.
Febr. 11.
Jan. 31.
Jan. 31.
März 25.
Juni 17.
Decbr. 22.
März 13.
März 25.
Decbr. 17.
Febr. 15.
Juni 30.
April 10.
April 11.
Jan. 31.
Febr. 15.
März 25.
April 14.
Febr. 27.
Nov. 5.
Jan. 17.
Juli 26.
Febr. 11.
Gedächtnifsrede
auf
GUSTAV MAGNUS
von
v
H". H. HELMHOLTZ.
[Gehalten in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften
am 6. Juli 1871.]
E. ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden ım Namen dieser Akade-
mie auszusprechen, was sie an Gustav Magnus verlor, der ihr dreifsig
Jahre lang angehörte. Als dankbarem Schüler, als Freund, endlich als
dem Amtsnachfolger des Geschiedenen war es mir eine Freude, wie eine
Pflicht, einer solehen Aufforderung nachzukommen. Aber ich finde den
besten Theil meines Werkes bereits gethan durch unseren Collesen Hof-
mann im Auftrage der Deutschen chemischen Gesellschaft, deren Vor-
sitzender er ist. Er hat die Aufgabe von Magnus Leben und Wirken
ein Bild zu geben in eingehendster und liebevollster Weise gelöst. Er
ist mir nicht nur der Zeit nach zuvorgekommen, sondern er hat zu dem
Geschiedenen auch in viel engeren und häufigeren persönlichen Beziehun-
gen gestanden, als ich; anderntheils ist er für ‘eine Hauptseite von Mag-
nus Thätigkeit, nämlich die chemische, viel mehr als ich berechtigt, ein
sachverständiges Urtheil abzugeben.
Dadurch beschränkt sich erheblich das, was für mich zu thun
noch übrig bleibt. Ich werde kaum noch als Biograph von Magnus re-
den dürfen, sondern nur noch davon, was Magnus uns war, und davon,
was er der Wissenschaft war, deren Vertretung die uns zugewiesene Auf-
sabe ist.
Auch war in der That sein Leben nicht gerade reich an äufseren
Ereignissen und Wechselfällen; es war das friedliche Leben eines Mannes,
1
2 HELEMHOTLTZE
der in sorgenfreien äufseren Verhältnissen, erst als Glied, dann als Leiter
einer geachteten, begabten und liebenswürdigen Familie, seine Befriedi-
gung in wissenschaftlicher Arbeit, in der Verwerthung wissenschaftlicher
Ergebnisse zur Lehre und zum Nutzen der Menschen suchte und reichlich
fand. Am 2ten Mai 1802 wurde Heinrich Gustav Magnus zu Berlin
geboren, als der vierte von sechs Brüdern, die sich nach mannigfachen
Richtungen hin durch ihre Fähigkeiten ausgezeichnet haben. Der Vater
Johann Matthias war der Chef eines wohlhabenden Handlungshauses,
und suchte seinen Kindern vor Ällem eine freie Entwickelung ihrer indi-
viduellen Anlagen und Neigungen zu gewähren. Unser geschiedener
Freund zeigte schon frühe gröfsere Neigung zu mathematischen und na-
turwissenschaftlichen Studien, als zu sprachlichen. Der Vater regelte sei-
nen Unterricht dem entsprechend, indem er ihn von dem Werderschen
Gymnasium wegnahm und an das Cauersche Privat - Institut sendete,
in welchem den realistischen Fächern mehr Rechnung getragen wurde.
Später von 1822 bis 1827 widmete sich Magnus an der Berliner Uni-
versität ganz dem naturwissenschaftlichen Studium. Ehe er seine ur-
sprüngliche Absicht, sich für Technologie zu habilitiren, ausführte, wen-
dete er noch zwei Jahre dazu an sich auf Reisen fortzubilden, vorzugs-
weise bei Berzelius längere Zeit in Stockholm verweilend, dann in Pa-
vis bei Dulong, Thenard, Gay Lussac. Auf diese Weise ungewöhn-
lich gut und reich vorbereitet, habilitirte er sich 1831 an der hiesigen
Universität zunächst für Technologie, später auch für Physik, wurde 1834
zum aufserordentlichen, 1845 zum ordentlichen Professor ernannt, und
zeichnete sich durch seine wissenschaftlichen Arbeiten in dieser Zeit so
aus, dafs er schon neun Jahre nach seiner Habilitation, am 27. Januar
1840, zum Mitgliede dieser Akademie erwählt wurde. Von 1832 bis 1840
hat er auch an der Artillerie- und Ingenieurschule Physik gelehrt, von
1850 bis 1856 an dem Grewerbeinstitut chemische Technologie. Lange
Zeit hielt er die Vorlesungen im seinem eigenen Hause mit seinen eige-
nen Instrumenten, die allmählig zu einer der stattlichsten physikalischen
Sammlungen anwuchsen, wie sie zur Zeit existirten, und die später vom
Staate für die Universität angekauft wurden. Dann verlegte auch Magnus
seine Vorlesungen in das Universitätsgebäude, und behielt nur das Labo-
Gedächtnifsrede auf Gustav Magmıs. 3
ratorium für seine eigenen und die Arbeiten seiner Schüler im eigenen
Hause.
So flols sein Leben in ruhiger aber unablässiger Wirksamkeit für
seine Wissenschaft ungestört dahin; Reisen bald für wissenschaftliche oder
technische Studien, mehrere Male auch im Auftrage des Staats unternom-
men, bald der Erholung bestimmt, unterbrachen von Zeit zu Zeit seine
hiesige Arbeit. Daneben wurde seine sachverständige Erfahrung und seine
Geschäftskenntnils vom Staate in mancherlei Commissionen in Anspruch
genommen; unter diesen ist namentlich seine Theilnahme an den chemi-
schen Berathungen des Landes-OÖkonomie-Collesiums zu erwähnen, denen
g
er grofses Interesse und viel von seiner Zeit widmete, vor Allem in Be-
zug auf die grofsen praktischen Fragen der Agrieulturchemie.
Nach 67 Jahren fast ungestörter Gesundheit verfiel er gegen Ende
des Jahres 1869 in eine schmerzhafte Krankheit!). Bis zum 25ten Fe-
bruar 1870 hat er noch seine Vorlesungen über Physik fortgesetzt, im
Laufe des März aber kaum mehr sein Lager verlassen können; am 4ten
April verschied er.
Magnus ist eine reich angeleste Natur gewesen, welche unter
glücklichen äufseren Umständen sich nach ihrer Eigenart entwickeln und
sich ihre Thätiskeit frei nach eigenem Sinne wählen durfte. Dieser Sinn
aber war so beherrscht von Besonnenheit und erfüllt, ich möchte sagen,
von künstlerischer Harmonie, die das Maalslose und Unreine scheute, dafs
er die Ziele seiner Arbeit weise zu wählen und deshalb auch fast immer
zu erreichen wulste. Ebendarum stimmt auch die Richtung und die Art
von Magnus’ Thätigkeit mit seiner geistigen Eigenart so vollkommen
zusammen, wie das bei nur wenigen Glücklichen unter den Sterblichen
der Fall zu sein pflegt. Die harmonische Anlage und Ausbildung seines
(reistes gab sich auch äufserlich in der natürlichen Anmuth seines Betra-
gens, ın der wohlthuenden Heiterkeit und Sicherheit seines Wesens, in
der warmen Liebenswürdigkeit seines Verkehrs mit Anderen zu erkennen.
Es lag in allem diesem viel mehr, als die blofse Erlernung der äufseren
Formen der Höflichkeit jemals erreichen kann, wo sie nicht von warmer
Theilnahme und feinem Gefühl für das Schöne durchleuchtet wird.
1
Careinoma Recti.
4 HELMHOoLTZ:
Von früh her gewöhnt an die geregelte und besonnene Thätigkeit
des kaufmännischen Hauses, in dem er aufwuchs, behielt er von diesem
die Gewandtheit in Geschäften, die er so oft in den Verwaltungsangele-
senheiten dieser Akademie, der philosophischen Facultät und verschiede-
ner staatlicher Commissionen zu bethätigen hatte. Er behielt von daher
die saubere Ordnungsliebe, die Richtung auf die Wirklichkeit und das
Praktisch-Erreichbare, wenn auch das Hauptziel seiner Thätigkeit ein
ideales wurde. Er hatte begriffen, dafs nicht der behagliche Genuls einer
sorgenfreien Existenz und des Verkehrs in dem liebenswürdigsten Kreise
von Angehörigen und Freunden eine dauernde Befriedigung giebt, son-
dern nur die Arbeit, und zwar nur die uneigennützige Arbeit für ein ıdea-
les Ziel. So arbeitete er, nicht für die Vermehrung seiner Reichthümer,
sondern für die Wissenschaft; nicht dilettantisch und launisch, sondern
nach einem festen Ziel und unermüdlich; nicht in Eitelkeit, nach auffal-
lenden Entdeckungen haschend, die seinen Namen hätten schnell berühmt
machen können, sondern er wurde im Gegentheil em Meister der treuen,
geduldigen und bescheidenen Arbeit, welche ihr Werk immer wieder prüft,
und nicht eher davon abläfst, als bis sie nichts mehr daran zu bessern weils.
Solche Arbeit ist es aber auch, die durch die classische Vollendung ihrer
Methode, durch die Genauigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Resultate den
besten und dauerndsten Ruhm verdient und erringt. Meisterstücke mu-
stergiltiger Vollendung sind unter den Arbeiten von Magnus nament-
lich die über die Ausdehnung der Gase durch die Wärme, und über die
Spannkraft der Dämpfe. Ohne von Magnus zu wissen arbeitete damals
eleichzeitig mit ihm ein anderer Meister in solcher Arbeit, und zwar der
erfahrensten und berühmtesten einer, nämlich Regnault in Paris, an den
gleichen Aufgaben. Die Resultate beider Forscher wurden fast gleichzeitig
veröffentlicht und zeigten durch ihre aufserordentlich nahe Übereinstim-
mung, mit welcher Treue und mit welchem Geschick beide gearbeitet
hatten. Wo aber noch Differenzen sich zeigten, wurden diese schliefslich
zu Magnus Gunsten entschieden.
In ganz besonders charakteristischer Weise aber zeigte sich die
Reinheit und Uneigennützigkeit, mit der Magnus den idealen Zweck sei-
nes Strebens festhielt, in der Art und Weise, wie er jüngere Männer zu
wissenschaftlichen Arbeiten heranzog, und sobald er bei ihnen Eifer und
Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus. 5
Fähigkeit für wissenschaftliche Arbeiten zu entdecken glaubte, ihnen seine
Instrumente und die Hilfsmittel seines Privatlaboratoriums zur Verfügung
stellte. Dies war die Art, wie ich selbst einst in nähere Beziehung zu
ihm getreten bin, als ich mich zur Absolvirung der medicinischen Staats-
prüfunsen in Berlin befand. Er forderte mich damals auf — ich selbst
würde nicht gewagt haben, ihn darum zu bitten — meine Versuche über
Gährung und Fäulnifs noch nach neuen Richtungen hin auszudehnen und
andere Methoden, die gröfsere Hilfsmittel erforderten, als ein junger von
seinem Sold lebender Militärarzt sich verschaffen konnte, dazu anzuwen-
den. Ich habe damals etwa drei Monate bei ihm fast täglich gearbeitet,
und habe dadurch einen tiefen und bleibenden Eindruck von seiner Güte,
seiner Uneigennützigkeit, seiner vollkommenen Freiheit von wissenschatft-
licher Eifersucht gewonnen. Nicht allein, dafs er durch ein solches Ver-
fahren den äufserlichen Vortheil aufgab, den einem ehrgeizigen Manne
der Besitz einer der reichsten Instrumentensammlungen vor allen Mitbe-
werbern gesichert haben würde; er nahm auch mit freundlichem Gleich-
muth alle die kleinen Ärgerlichkeiten und Belästigungen hin, welche die
Ungeschicklichkeit und Hastigkeit jugendlicher Experimentatoren beim
Gebrauche kostbarer und in peinlichster Sauberkeit gehaltener Instrumente
mit sich bringt. Noch weniger war die Rede davon, dafs er nach der
Sitte der Gelehrten anderer Nationen die Arbeitskräfte der Jüngeren für
seine eigenen Zwecke und zur Verherrlichung seines eigenen Namens aus-
gebeutet hätte. Chemische Laboratorien nach Liebig’s Vorgang fingen
damals an eingerichtet zu werden; von physikalischen, die übrigens sehr
viel schwerer zu organisiren sind, bestand meines Wissens damals kein
einziges. Ihre Gründung ist von Magnus in der That ausgegangen.
In diesem Verhältnisse besonders zeigt sich ein wesentlicher Theil
von der inneren Richtung des Mannes, den wir bei der Beurtheilung sei-
nes Werthes nicht vernachlässigen dürfen; er war nicht nur ein For-
scher, er war,auch ein Lehrer der Wissenschaft, diesen Begriff im
höchsten und weitesten Sinne genommen. Er wollte sie nicht in der
Studirstube und im Hörsaale abgeschlossen wissen, er wollte, dafs sie di-
rect hinauswirke in alle Verhältnisse des Lebens; in seinem regen Inter-
esse für die Technologie, in seiner eifrigen Theilnahme an den Arbeiten
des Landes-Ökonomie-Collegiums spiegelt sich diese Seite seines Strebens
6 HELMHOLTZ:
deutlich ab, ebenso in der groflsen Sorgfalt, die er auf die Vorbereitung
der Vorlesungsversuche verwendete, wie in der sinnreichen Ausbildung
des instrumentalen Apparats für diese Art von Versuchen. Hierfür ist
die von ihm gegründete, später in den Besitz der Universität übergegan-
gene und jetzt mir als seinem Nachfolger zur Benutzung überwiesene
Sammlung seiner Instrumente der beredteste Zeuge. Alles ist in sauber-
ster Haltung und im vortreflliichster Leistungsfähigkeit; wo zu dem aus-
zuführenden Versuche ein seidener Faden, eine Glasröhre oder ein Kork
nöthig sind, kann man darauf rechnen, sie neben dem Instrumente zu
finden. Alle von ihm herrührenden Apparate sind gebaut mit den besten
Mitteln, die dazu herbeigeschafft werden konnten, ohne am Material oder
an der Arbeit des Mechanikers zu sparen, so dafs der Erfolg des Ver-
suchs möglichst gesichert wird, und derselbe in nicht zu kleinem Maals-
stabe und möglichst weithin sichtbar in die Augen fällt.
Ich weils mich aber auch sehr wohl noch des Erstaunens und der
Bewunderung zu erinnern, mit der wir, als Studenten, ihn experimentiren
sahen. Nicht blos, dafs alle Experimente glänzend und vollständig ge-
langen, sondern sie störten und beschäftigten ihn scheinbar gar nicht in
seinen Gedanken. Der ruhige und klare Flufs seiner Rede ging ohne
Unterbrechung vorwärts; jeder Versuch trat an seiner Stelle ein, voll-
endete sich rasch, ohne Hast und ohne Stocken und wurde wieder
verlassen.
Dafs die kostbare Sammlung der Demonstrationsapparate noch
während seines Lebens in den Besitz der Universität überging, habe ich
schon erwähnt. Er wollte aber überhaupt nicht, dafs, was er als Hilfs-
mittel wissenschaftlicher Arbeit gesammelt und construirt hatte, zerstreut
und dem Zwecke entfremdet würde, dem er sein Leben gewidmet hatte.
In diesem Sinne hat er denn auch den Rest der Apparate aus seinem
Laboratorium, die eigentlichen Arbeitsinstrumente, sowie seine sehr reiche
und werthvolle Bibliothek testamentarisch der Universität vermacht, und so
einen kostbaren Grund zur weiteren Entwickelung eines öffentlichen phy-
sikalischen Instituts gelegt.
Es wird genügen, in diesen. wenigen Zügen die geistige Individua-
lität des geschiedenen Freundes zurückgerufen zu haben, so weit in ihnen
die Quellen für die Richtung seiner Thätigkeit zu finden sind. Ein leb-
I
Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus.
hatteres Bild wird Ihnen allen, die Sie dreifsig Jahre mit ihm zusammen-
wirkten, die persönliche Erinnerung gewähren.
Wenn wir uns nun zur Besprechung der Ergebnisse und Erfolge
seiner Arbeiten wenden, so genügt es dazu nicht, dafs wir die Reihe sei-
ner akademischen und wissenschaftlichen Schriften durchgehen und zu
beurtheilen suchen. Ich habe schon hervorgehoben, dafs ein hervorra-
sender Theil seiner Wirksamkeit auf die Mitlebenden gerichtet war; und
dazu kommt, dafs sein Leben in eine Zeitperiode fällt, in welcher die
Naturwissenschaften einen Entwickelungsprozefs von einer solchen Schnel-
ligkeit durchgemacht haben, wie ein ähnlicher in der Geschichte der Wis-
senschaften wohl in keinem anderen Falle vorgekommen ist. Die Män-
ner aber, welche einer solchen Zeit angehören und an einer solchen Ent-
wickelung mit gearbeitet haben, erscheinen ihren Nachfolgern, denen sie
den Platz bereitet, leicht in falscher Perspective, weil der beste Theil
ihrer Arbeit diesen schon als etwas fast Selbstverständliches erscheint,
von dem zu sprechen kaum noch der Mühe lohnt.
Es wird uns jetzt schwer, uns zurückzuversetzen in den Zustand
der naturwissenschaftlichen Bildung, wie er in den ersten zwanzig Jahren
dieses Jahrhunderts in Deutschland wenigstens bestand. Magnus wurde
1802 geboren, ich selbst 19 Jahre später; aber wenn ich auf meine frü-
hesten Jugenderinnerungen zurückgreife, als ich aus den im Besitze mei-
nes Vaters, der selbst einst im Cauerschen Institute unterrichtet hatte,
befindlichen Lehrbüchern anfing Physik zu studiren, so taucht mir noch
ein dunkles Bild eines Vorstellungskreises auf, der uns jetzt ganz mittel-
alterlich alehymistisch anmuthen würde. Von Lavoisiers und von H.
Davy’s umwälzenden Entdeckungen war noch nicht viel in die Schul-
bücher gedrungen. Obgleich man den Sauerstoff schon kannte, spielte
daneben doch auch das Phlogiston, der Feuerstoff, seine Rolle. Das
Chlor war noch die oxygenirte Salzsäure, das Kalı und die Kalkerde wa-
ren noch Elemente. Die wirbellosen Thiere theilten sich noch in Insec-
ten und Würmer, und in der Botanik zählte man Staubfäden.
Es ist seltsam zu sehen, wie spät und zögernd sich die Deutschen
in unserm Jahrhundert dem Studium der Naturwissenschaften zugewendet
haben, während sie doch an deren früherer Entwickelung hervorragenden
s HELMHOLTZ:
Antheil genommen hatten. Ich brauche nur Copernicus, Kepler, Leib-
nitz, Stahl zu nennen.
Wir dürfen uns doch sonst einer leidenschaftlichen, rücksichtslosen
und uneigennützigen Liebe zur Wahrheit rühmen, die vor keiner Autori-
tät und vor keinem Scheine Halt macht, kein Opfer und keine Arbeit
scheut, und sehr genügsam in ihren Ansprüchen auf äufseren Erfolg ist.
Aber eben deshalb treibt sie uns immer an, vor Allem die primncipiellen
Fragen bis in ihre tiefsten Gründe zu verfolgen, und uns wenig zu küm-
mern um das, was mit den letzten Gründen der Dinge keinen deutlichen
Zusammenhang hat, namentlich auch wenig um die praktischen Conse-
quenzen und die nützlichen Anwendungen. Dazu kam aber wohl noch
ein äufserer Grund, nämlich der, dafs die selbständige geistige Entwicke-
lung der letzten drei Jahrhunderte unter politischen Zuständen begann,
die das Hauptgewicht auf die theologischen Studien fallen liefsen. Deutsch-
land hat Europa von der Zwingherrschaft der alten Kirche befreit; aber
es hat auch einen viel theureren Preis für diese Befreiung zahlen müs-
sen, als die anderen Nationen. Es blieb nach den Religionskriegen zu-
rück, verwüstet, verarmt, politisch zerbrochen, an seinen Grenzen be-
schädigt, wehrlos übermüthig gewordenen Nachbarn preisgegeben. Um
die Consequenzen der neuen sittlichen Anschauungen zu ziehen, sie wis-
senschaftlich zu prüfen, in alle Gebiete des Geisteslebens hinein durchzu-
arbeiten, dazu war während der Stürme des Krieges keine Zeit gewesen;
da mufste jeder zu seiner Parthei halten, jeder Anfang von Meinungs-
verschiedenheit erschien als Verrath und erregte bittern Zorn. Das gei-
stige Leben hatte durch die Reformation seinen alten Halt und seinen
; verloren, alles mulste in neuem Lichte erscheinen
alten Zusammenhang
und neue Fragen aufregen. Mit äufserlicher Uniformität konnte sich der
deutsche Geist nicht beruhigen; wo er nicht überzeugt und befriedigt war,
liefs er seine Zweifel nicht schweigen. So war es die Theologie, neben
ihr die elassische Philologie und die Philosophie, welche theils als Hilfs-
wissenschaften der Theologie, theils durch das, was sie selbst für die
Lösung der neu auftauchenden sittlichen, ästhetischen und metaphysischen
Probleme leisten konnten, das Interesse der wissenschaftlich Gebildeten
fast ausschliefslich in Anspruch nahmen. Deshalb erklärt es sich wohl,
dafs die protestantischen Nationen, sowie der Theil der Katholiken, welcher,
(redächtnifsrede auf Gustav Magnus. B)
in seinem alten Glauben wankend gemacht, nur äufserlich bei seiner
Kirche blieb, sich mit verzehrendem Eifer auf die Philosophie stürzten.
Man hatte ja hauptsächlich ethische und metaphysische Probleme zu lösen ;
auch die Kritik der Erkenntnifsquellen mufste vorgenommen werden, und
sie wurde es mit viel tieferem Ernst als früher. Ich brauche an die wirk-
lichen Resultate, die das vorige Jahrhundert aus dieser Arbeit gewann,
hier nicht zu erinnern. Sie erregten schwungvolle Hoffnungen, und die
Metaphysik hat, wie sich nicht leugnen läfst, eine gefährliche Anziehung
für den Deutschen Geist; er konnte nicht eher von ihr wieder ablassen,
als bis er alle ihre Schlupfwinkel durchsucht und sich überzeugt hatte,
dals dort für jetzt nichts mehr zu finden sei.
Daneben fing in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das
verjüngte geistige Leben der Nation an seine künstlerischen Blüthen zu
treiben, die unbeholfene Sprache bildete sich zu einem der ausdruckvoll-
sten Werkzeuge des menschlichen Geistes um; aus den meist noch har-
ten, ärmlichen und unerquicklichen bürgerlichen und politischen Zustän-
den, den Folgen der Religionskriege, in welche die Gestalt des preufsi-
schen Heldenkönigs nur eben die erste Hoffnung einer besseren Zukunft ge-
worfen, denen dann freilich wieder das Elend der Napoleonischen Kriege
gefolgt war, aus dieser freudlosen Existenz flüchteten sich alle empfind-
samen Gemüther gern in das Blüthenland, welches die Deutsche Poesie
mit den Besten aller Zeiten und Völker wetteifernd, aufschlofs, oder in die
erhabenen Aussichten der Philosophie; man suchte die Wirklichkeit durch
Vergessen zu überwinden.
Und die Naturwissenschaften lagen auf der Seite dieser gern über-
sehenen Wirklichkeit. Nur die Astronomie konnte schon damals grofse
und erhabene Ausblicke bieten; ın allen andern Zweigen war noch lange
und geduldige Arbeit nöthig, ehe sie zu grofsen Principien aufsteigen,
ehe sie mitsprechen konnten in den grofsen Problemen des menschlichen
Lebens, oder ehe sie das gewaltige Mittel der Herrschaft des Menschen
über die Naturmächte wurden, welches sie seitdem geworden sind. Die
Arbeit des Naturforschers erschien eng, niedrig, gleichgiltig neben den
grofsen Conceptionen der Philosophen und Dichter; höchstens solche Na-
turforscher, welche, wie Oken, sich in philosophisch - dichterischer An-
schauungsform bewegten, fanden williges Gehör.
153)
10 HrELMHoLTZz:
Fern sei es von mir in einseitiger Betonung der naturwissenschaft-
lichen Interessen diese Zeit begeisterten Rausches schelten zu wollen; in
der That verdanken wir ihr die sittliche Kraft, welche das Napoleonische
‚Joch brach, wir verdanken ihr die grofsen Dichtungen, welche der edel-
ste Schatz unserer Nation sind; aber die Wirklichkeit behält ihr Recht
gegen jeden Schein, auch gegen den schönsten, und Individuen, wie Na-
tionen, welche zur Mannesreife sich entwickeln wollen, müssen lernen der
Wirklichkeit in das Gesicht zu schauen, um die Wirklichkeit unter die
Zwecke des Geistes zu beugen. Sich in eine ideale Welt flüchten, ist
eine falsche Hilfe von kurzdauerndem Erfolge, sie erleichtert nur den
Gegnern ihr Spiel; und wenn das Wissen immer nur sich selbst spiegelt.
so wird es gegenstandslos und leer, oder löst sich in Illusionen und Phra-
sen auf.
Die Reaction gegen die Verirrungen einer Geistesrichtung, die an-
fangs dem natürlichen Schwung eines jugendfrischen Anlaufs entsprach,
dann aber im Epigonenzeitalter der romantischen Schule und der Identitäts-
philosophie in sentimentales Haschen nach Erhabenheit und Begeisterung
verfiel, ist wie wir Alle wissen eingetreten und durchgeführt worden, nicht
blos im Gebiete der Naturwissenschaften, sondern auch im Kreise der Ge-
schichte, der Kunstwissenschaft, der Sprachforschung. Auch in den letzt-
genannten Gebieten, wo man mit Thätigkeitsäufserungen des menschlichen
Geistes direct zu thun hat, und wo deshalb eine Construction a priori
aus den psychologischen Gesetzen viel eher möglich erscheint als der
Natur gegenüber, hat man begriffen, dafs man erst die Thatsachen ken-
nen muls, ehe man ihre Gesetze aufstellen kann.
Gustav Magnus Entwickelung fällt in die Zeit dieses Kampfes
hinein; es lag in der ganzen Richtung seines Geistes, dafs er, so sehr er
sonst nach seiner milden Art Gegensätze zu versöhnen suchte, entschie-
den Partei ergriff, und zwar zu Gunsten der reinen Erfahrung gegen die
Speeulation. Wenn er auch vermied Personen zu verletzen, so muls man
anerkennen, dals er von dem Princip, was er mit sicherem Taet als das
richtige erkannt hatte, nicht ein Jota nachliefs; und er kämpfte an ent-
scheidendster Stelle in doppeltem Sinne; einmal weil es sich in der Phy-
sik um die Grundlagen der ganzen Naturwissenschaft handelt, und dann,
weil die zahlreich besuchte Universität Berlin die am längsten gehaltene
(redächtmifsrede auf Gustav Magnus. 11
Festung der Speculation war. Er predigte seinen Schülern fortdauernd,
dafs der Wirklichkeit gegenüber kein Raisonnement, und sähe es noch so
plausibel aus, dafs vielmehr nur die Beobachtung und der Versuch ent-
scheidet; und er verlangte stets, dafs jeder ausführbare Versuch, der eine
thatsächliche Bestätigung oder Widerlegung eines hingestellten Gesetzes
oder einer Erklärung geben könne, gemacht werde, Er selbst ging hierin
mit dem besten Beispiele voran. Er beschränkte auch die Anwendbarkeit
der ächten naturwissenschaftlichen Methode keineswegs auf die Erforschung
der leblosen Natur, sondern er führte in seiner Arbeit über die Gase des
Blutes (1837) einen Stofs bis in das Herz der vitalistischen Theorien; er
führte die Physik bis in den Mittelpunet des organischen Stoffwechsels
ein, indem er den wissenschaftlichen Grund für die richtige Theorie der
Athmung legte, einen Grund, auf dem eine grolse Anzahl späterer For-
scher weiter gearbeitet haben, und auf dem sich eines der wichtigsten
und folgenreichsten Capitel der Physiologie entwickelt hat.
Nicht zu wenig Entschiedenheit in der Durchführung seines Prin-
eips konnte man ihm vorwerfen; wohl aber mufs ich gestehen, dafs ich
selbst und manche meiner Genossen früher der Meinung waren, dafs
Magnus sein Milstrauen gegen die Speeulation namentlich in Bezug auf
die mathematische Physik zu weit triebe. Er hatte sich in mathematisch-
physikalische Studien wohl niemals sehr vertieft, und das bestärkte uns
damals in unserem Zweifel. Dennoch, wenn wir uns von dem Stand-
puncte, den jetzt die Wissenschaft erreicht hat, umsehen, muls man an-
erkennen, dals auch sein Milstrauen gegen die damalige mathematische
Physik nicht unbegründet war. Auch in ihr war noch nicht rein ge-
schieden, was erfahrungsmälsige Thatsache, was blolse Wortdefinition und
was nur Hypothese war. Das unklare Gemisch aus diesen Elementen,
welches die Grundlagen der Rechnung bildete, suchte man für Axiome
von metaphysischer Nothwendigkeit auszugeben und nahm eine ähnliche
Art der Nothwendigkeit auch für die Folgerungen in Anspruch. Ich brauche
nur daran zu erinnern, eine wie grofse Rolle in den mathematisch durch-
geführten Theorien aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Hypo-
thesen über den atomistischen Bau der Körper spielten, während man
von den Atomen noch so gut wie nichts wulste, und zum Beispiel den
aufserordentlich wichtigen Einfluls, den die Wärmebewegung auf die Mole-
I*
12 HELMHOLTZ“
eularkräfte hat, noch kaum ahnte. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dafs
das Ausdehnungsstreben der Gase nur auf der Wärmebewegung beruht:
in jener Periode galt die Wärme noch bei weitem den meisten Physikern
als ein imponderabler Stoff. Über die Atome in der theoretischen Physik
sagt Sir W. Thomson sehr bezeichnend, dafs ihre Annahme keine Eigen-
schaft der Körper erklären kann, die man nicht vorher den Atomen selbst
beigelegt hat. Ich will mich, indem ich diesem Ausspruch beipflichte,
hiermit keineswegs gegen die Existenz der Atome erklären, sondern nur
gegen das Streben aus rein hypothetischen Annahmen über Atombau der
Naturkörper die Grundlagen der theoretischen Physik herzuleiten. Wir
wissen jetzt, dafs manche von diesen Hypothesen, die ihrer Zeit viel Bei-
fall fanden, weit bei der Wahrheit vorbeischossen. Auch die mathema-
tische Physik hat einen andern Charakter angenommen unter den Händen
von Gauss, von F. E. Neumann und ihren Schülern unter den Deutschen,
sowie von denjenigen Mathematikern, die sich in England an Faraday
anschlossen, Stokes, W. Thomson, Cl. Maxwell. Man hat begriffen,
dafs auch die mathematische Physik eine reine Erfahrungswissenschaft ist;
dafs sie keine anderen Prineipien zu befolgen hat, als die experimentelle
Physik. Unmittelbar in der Erfahrung finden wir nur ausgedehnte man-
nigfach gestaltete und zusammengesetzte Körper vor uns; nur an solchen
können wir unsere Beobachtungen und Versuche machen. Deren Wir-
kungen sind zusammengesetzt aus den Wirkungen, welche alle ihre Theile
zu der Summe des Ganzen beitragen, und wenn wir also die einfachsten
und allgemeinsten Wirkungsgesetze der in der Natur vorgefundenen Massen
und Stoffe auf einander kennen lernen wollen, diese Gesetze namentlich
befreien wollen von den Zufälligkeiten der Form, der Gröfse und Lage
der zusammenwirkenden Körper, so müssen wir zurückgehen auf die Wir-
kungsgesetze der kleinsten Volumtheile, oder wie die Mathematiker es be-
zeichnen, der Volumelemente. Diese aber sind nicht, wie die Atome dis-
parat und verschiedenartig, sondern continuirlich und gleichartig.
Die charakteristischen Eigenschaften der Volumelemente verschiede-
ner Körper sind auf dem Wege der Erfahrung zu finden, entweder direct,
wo die Kenntnifs der Summen genügt um die Summanden zu finden, oder
hypothetisch, wo dann die berechnete Summe der Wirkungen in möglichst
verschiedenartigen Fällen durch Beobachtung und Versuch mit der Wirk-
Gedachtnifsrede auf Gustav Magnus. 13
lichkeit verglichen werden mufs. Somit ist anerkannt, dafs die mathe-
matische Physik nur die einfachen, von den Zufälligkeiten der Körper-
form befreiten Wirkungsgesetze der Körperelemente auf rein empirischem
Wege zu suchen hat und der Controlle der Erfahrung genau ebenso unter-
worfen ist, wie die sogenannte experimentelle Physik; ja dals beide prin-
eipiell gar nicht geschieden sind und die erstere nur das Geschäft der
letzteren fortsetzt, um immer einfachere und allgemeinere Gesetze der
Erscheinungen zu entdecken.
Es ist unverkennbar, dafs auch diese analysirende Richtung der
physikalischen Forschung einen anderen Charakter angenommen hat, dafs
sie gerade das abgelegt hat, was Magnus zu ihr in einen, wenn auch
meist nur leise angedeuteten inneren Widerspruch brachte. Er pfleste,
wenigstens in früheren Jahren, darauf zu bestehen, dafs das Geschäft des
mathematischen und des experimentellen Physikers ganz von einander zu
trennen sei; dafs ein junger Mann, der Physik betreiben wolle, sich zwi-
schen der einen und der andern Richtung zu entscheiden habe. Gegen-
wärtig scheint es mir, als wenn immer mehr und mit Recht die Über-
zeugung Boden gewönne, dafs in dem entwickelteren Zustande der Wissen-
schaft nur derjenige fruchtbar experimentiren könne, der eine eindringende
Kenntnifs der Theorie hat und ihr gemäfs die rechten Fragen zu stellen
und zu verfolgen weils; und andererseits dafs nur derjenige fruchtbar
theoretisiren könne, der eine breite praktische Erfahrung im Experiment
habe. Die Entdeckung der Spectralanalyse war eines der glänzendsten
Beispiele einer solchen Durchdringung des theoretischen Verständnisses
und der Experimentirkunst, was unserer Erinnerung noch ganz nahe liegt.
Ich weils nicht, ob Magnus in späterer Zeit sich über das Ver-
hältnifs der experimentellen und mathematischen Physik anders als früher
geäulsert hat. Jedenfalls müssen auch die, welche seine frühere Abwen-
dung von der mathematischen Physik als eine etwas zu weit getriebene
Reaction gegen den Mifsbrauch der Speculation auffassen möchten, an-
erkennen, dafs ihm die ältere mathematische Physik wohl manchen Grund
zu einer solchen Abwendung gab, und dals er andrerseits mit der gröfsten
Freudigkeit aufnahm, was Kirchhoff, W. Thomson und Andere aus
theoretischen Ausgangspunkten von neuen Thatsachen entwickelt hatten.
Es sei mir erlaubt, in dieser Beziehung hier mein eigenes persönliches
14 HELMHOoLTZ:
Zeugnifs abzulegen. Meine eigenen Arbeiten sind meist auf die Weise
erwachsen, gegen welche Magnus Verwahrung einzulegen pflegte; dennoch
habe ich bei ihm nie etwas anderes als die bereitwilligste und freund-
lichste Anerkennnng gefunden.
Aber natürlich ıst es, dafs jeder, auf seine eigene Erfahrung ge-
stützt, den Weg, der seiner eigenen Natur am besten entsprach, auf dem
er selbst am schnellsten vorwärts gekommen ist, auch Andern als den
förderlichsten empfiehlt. Und wenn wir nur alle darüber einig sind, dals
die Wissenschaft zur Aufgabe hat die Gesetze der Thatsachen zu finden,
so kann man es jedem überlassen, je nach seiner Neigung sich entweder
frisch in die Thatsachen zu stürzen und zu suchen, wo ihm die Spuren
noch unbekannter Gesetze aufstolsen mögen, oder aber von den schon
bekannten Gesetzen her die Punkte aufzusuchen, wo neue Thatsachen zu
entdecken sein werden. Aber ebenso gut, wie wir alle mit Magnus
Widerspruch einlegen werden gegen den Theoretiker, der nicht für nöthig
hält, die Folgerungen aus seinen ihm als Axiome erscheinenden Hypo-
thesen an der Erfahrung zu prüfen, so würde sich Magnus — das zei-
gen seine Arbeiten entschieden — mit uns gegen diejenige Art des mo-
dernsten übertriebenen Empirismus erklären, welche darauf ausgeht, That-
sachen zu entdecken, die sich unter keine hegel sollen fügen lassen
und die es auch sorgfältig zu vermeiden pflest, nach einem Gesetze
oder möglichen Zusammenhange der etwa neu entdeckten Thatsachen zu
suchen.
Zu erwähnen ist übrigens, dafs genau in demselben Sinne und mit
dem gleichen Zwecke in England ein anderer grofser Physiker, Faraday,
wirkte, mit dem Magnus daher auch in dem herzlichsten Einvernehmen
verbunden war. Bei Faraday sprach sich der Gegensatz gegen die bis-
herigen physikalischen Theorien, welche mit Atomen und in die Ferne
wirkenden Kräften operiren, sogar noch schärfer aus als bei Magnus.
Wir müssen übrigens anerkennen, dafs Magnus meist mit Erfolg
auch da gearbeitet hat, wo er zu Aufgaben hingeführt wurde, die an-
scheinend überwiegend für eine mathematische Behandlung geeignet waren;
so zum Beispiel in seiner Arbeit über die Abweichung der rotirenden Ge-
schosse aus gezogenen Läufen; so in seiner Abhandlung über die Form
der Wasserstrahlen und ihren Zerfall in Tropfen. In der ersteren hat er
r
Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus. 15
durch sehr geschickt angelegte Versuche nachgewiesen, wie der von der
unteren Seite gegen die Kugel wirkende Luftwiderstand sie als rotirenden
Körper nach einer Seite hin ablenken mufs, — nach welcher, hängt von
der Richtung der Rotation ab, — und wie in Folge dessen auch die Flug-
bahn in demselben Sinne abgelenkt wird. In der zweiten Abhandlung
hat er die verschiedenen Formen der ausfliefsenden Wasserstrahlen unter-
sucht, wie sie theils durch die Form der Öffnung, aus der sie fliefsen.
theils durch die Art des Zuflusses zu dieser verändert werden, und wie von
aulsen hinzukommende Erschütterungen ihr Zerfallen in Tropfen bedingen.
Dabei hat er zur ruhigen Beobachtung der Erscheinungen eine sehr glück-
liche Anwendung vom Prineip der stroboskopischen Scheiben gemacht.
indem er den Strahl durch eine rotirende Scheibe mit schmalen Aus-
schnitten beobachtete. Mit eigenthümlicher Kunst gruppirt er die äufserst
mannigfaltigen Erscheinungen, so dafs das Ähnliche in ihnen übersichtlich
heraustritt und eine die andere erläutert. Und wenn auch das letzte
mechanische Verständnils nicht immer gewonnen wird, so wird doch der
Grund für eine grolse Anzahl charakteristischer Züge der einzelnen Er-
scheinungen deutlich. In dieser Beziehung sind viele seiner Arbeiten —
ich möchte hier namentlich gerade die über die ausfliefsenden Wasser-
strahlen rühmen — vortreffliche Muster für das, was Göthe theoretisch
richtig forderte und in seinen physikalischen Arbeiten zu leisten trachtete,
aber freilich nur mit theilweisem Erfolge.
Aber auch wo Magnus sich von seinem Standpunkte aus und mit
den Kenntnissen seiner Zeit ausgerüstet vergebens abmüht, den Kern der
Lösung einer schwierigen Frage zu fassen, wird immer eine Fülle neuer
werthvoller Thatsachen an das Licht gefördert. So in der Arbeit über
die thermoelektrischen Ketten, wo er richtig sah, dafs eine prineipielle
Frage zu lösen war, und selbst am Schlusse erklärt: „Als ich die eben
beschriebenen Versuche begann, hoffte ich zuversichtlich zu finden, dafs
die thermoelektrischen Ströme von einer Bewegung der Wärme herrühr-
ten.“ In diesem Sinne prüfte er namentlich die Fälle, wo die thermo-
elektrische Kette aus einem einzigen Metalle bestand, welches aber ab-
wechselnd harte und durch Wärme weich gemachte Abtheilungen darbot,
oder dessen zur Berührung gebrachte Stücke sehr verschiedene Tempe-
ratur hatten. Er überzeugt sich, dafs weder das Wärme-Ausstrahlungs-
16 HELMHOLTZ:
vermögen noch die Leitungsfähigkeit für Wärme (diesen Begriff im ge-
wöhnlichen Sinne genommen) den thermoelektrischen Strom bedingen,
und mufs sich schliefslich mit der ihn selbst offenbar nicht befriedigenden
Erklärung beruhigen, dafs sich zwei ungleich warme Stücke desselben
Metalls wie zwei ungleichartige Leiter, die nach Art der Flüssigkeiten
dem galvanischen Spannungsgesetze nicht folgen, zu einander verhalten.
Erst die beiden allgemeinen Gesetze der mechanischen Wärmetheorie führ-
ten später zur Lösung. Magnus’ Hoffnung war nicht falsch gewesen;
W. Thomson erkannte, dafs Änderungen in der Leitungsgeschwindigkeit
der Wärme, aber solche, dıe durch die elektrischen Ströme selbst erst
hervorgebracht werden, die Quelle dieser Ströme sind.
Es liegt in der Natur der wissenschaftlichen Richtung, der Magnus
in seinen Arbeiten folgte, dals sie viele Steine zu dem grolsen Gebäude
der Wissenschaft hinzuführt, die ihm immer breitere Stützung und immer
höheren Wuchs geben, ohne dafs nothwendig dem neu hinzutretenden Be-
schauer sogleich ein abgesonderter und sich auszeichnender Theil des Ge-
bäudes als das alleinige Werk dieses oder jenes Forschers nachgewiesen
werden könnte; und will man im Einzelnen erklären, wie wichtig jeder
einzelne Stein an seiner Stelle ist, wie schwer er zu beschaffen war, wie
sinnreich bearbeitet er ist, so mufs man bei dem Hörer entweder die
Kenntnifs der ganzen Geschichte des Baus voraussetzen, oder sie ihm erst
auseinandersetzen, wozu mehr Zeit gebraucht wird, als ich heute und hier
in Anspruch nehmen darf.
So ist es auch mit den Arbeiten von Magnus. Überall, wo er
angegriffen hat, hat er eine Fülle neuer und oft überraschender That-
sachen hervorgeholt, er hat sie sorgfältig und zuverlässig beobachtet und
in den Zusammenhang des grofsen Baus der Wissenschaft eingefügt. Er
hat ferner als einen für die Wissenschaft ebenso werthvollen Schatz eine
srolse Zahl sinnreich erfundener und fein ausgebildeter neuer Methoden
hinterlassen, als Instrumente, mit denen auch künftige Generationen fort-
fahren werden, verborgene Adern edlen Metalls ewiger Gesetze in dem
scheinbar wüsten und wilden Spiele des Zufalls aufzudecken. Magnus
Namen wird immer mit in erster Linie zu nennen sein, wenn die genannt
werden, auf deren Arbeit der stolze Bau der Wissenschaft von der Natur
beruht, dieser Wissenschaft, welche das Leben der modernen Menschheit
(redächtnifsrede auf Gustav Magnus. 17
so eingreifend umgestaltet hat, sowohl durch ihren geistigen Einflufs, wie
durch die Unterwerfung der Naturkräfte unter die Zwecke des Geistes.
Ich habe nur von Magnus physikalischen Arbeiten geredet, und
auch von diesen nur diejenigen genannt, welche mir charakteristisch für
seine Individualität erschienen. Aber die Zahl seiner Arbeiten ist sehr
grols und sie erstrecken sich über weitere Gebiete, als gegenwärtig noch
von einem Forscher umfalst werden können. Er fing als Chemiker an,
bevorzugte aber damals schon Fälle, welche auffallende physikalische Ver-
hältnisse zeigten, später wurde er ganz Physiker. Daneben her lief ein
aufserordentlich ausgedehntes Studium der Technologie, wie es für sich
allein schon ein Menschenleben auszufüllen im Stande wäre.
Er ist geschieden nach einem reichen Leben und einer reichen
Thätigkeit. Das alte Gesetz, dafs keines Menschen Leben frei von Schmerz
sei, wird wohl auch ihn getroffen haben; und doch erscheint sein Leben
als ein bevorzugt glückliches. Was die Menschen gewöhnlich am meisten
beneiden, war ihm zugefallen; aber er wulste die äulseren Güter zu adeln,
indem er sie in den Dienst eines uneigennützigen Zwecks stellte. Was
dem Gemüthe eines edlen Menschen am theuersten ist, war ihm vergönnt,
in der Mitte einer liebenswürdigen Familie, in einem Kreise treuer und
bedeutender Freunde sich zu erwärmen. Als das seltenste Glück aber
möchte ich es preisen, dafs er in reiner Begeisterung für ein ideales
Prineip arbeiten durfte und dafs er die Sache, der er diente, siegreich
wachsen und sich entfalten sah zu ungeahntem Reichthum und zu breit-
hin wirkendem Seegen.
Und schliefslich müssen wir hinzufügen: soweit Besonnenheit, Rein-
heit der Absicht, sittlicher und intelleetueller Tact, Bescheidenheit und
ächte Humanität die Launen des Glücks und der Menschen beherrschen
können, so weit war Magnus selbst der Schmied seines Glücks; eine der
seltenen befriedigenden und in sich befriedigten Naturen, denen die Liebe
und die Gunst der Menschen entgegenkommt, die mit sicherer Ahnung
die rechte Stelle für ihre Thätigkeit zu finden wissen, und von denen man
sagen möchte: der Neid des Schicksals verkümmert ihnen ihre Erfolge
nicht, weil sie für reine Zwecke und mit reinen Wünschen arbeitend, auch
ohne äufsere Erfolge ihre Befriedigung finden würden.
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PHYSIKALISCHE
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERUIN.
AUS DEM JAHRE
1871.
>L\TID
BERLIN.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
(6. VOGT)
UNIVERSITÄTSSTR. 8.
1872.
IN COMMISSION BEI FERD,. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
(HARRWITZ UND GOSSMANN.)
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SSTHLAR MILE AQUA
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Inhalt.
Seite
EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von
der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben.
(Mit S 2 afeln)) ur mer
Roru: Über die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung der krystallini-
schen Schiefer . . . 151
EHRENBERG: Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. (Mit 1 Tafel) 233
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Übersicht
der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene
reiche organische Leben.
s Von
v
MH” EHRENBERG.
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 19. Januar 1871.]
I. Jetziger Stand der Kenntnisse.
EN nschließsend an den ausführlichen Vortrag über Passatstaub und Blut-
regen, welcher im Jahre 1847 (mit Zusätzen bis 1849) publieirt worden
ist und der den Erfolg der mikroskopisch-analytischen Methode auf jene
Naturerscheinungen anschaulich zu machen bestimmt war, habe ich seit
1847, mithin seit mehr als zwanzig Jahren, vielfach die Gelegenheit fest-
gehalten möglichst frisch und rein solche schnell vorübergehende Erschei-
nungen genau zu prüfen. Das Resultat dieser sehr vereinzelt in den
Monatsberichten der Akademie veröffentlichten Untersuchungen mit meh-
reren neueren Analysen zusammenzufassen ist die Aufgabe dieser Mit-
theilung.
is bedarf keiner Wiederholung der Andeutung des Interesses, wel-
ches nicht nur die leicht zu Aberglauben geneigten Völker, sondern auch
die ernstesten Denker aller Zeiten stets an diesen Naturerschemungen ge-
nommen haben. Sowohl in jenem Vortrage von 1847 als in den späte-
ren Monatsberichten bis zum Jahre 1869 sind zahlreiche Nachrichten über
Träumereien, religiöse Schwärmereien und über furchtbare Beispiele grau-
senerregender Justiz mit Hinrichtungen vieler offenbar unschuldiger Men-
schen gegeben, welche mit verschiedenen sogenamnten Bluterscheinungen
in Verbindung stehen. Wichtiger als die Geschichte der Verirrungen des
unzureichend gebildeten Volkes, erweckt und gefördert durch ebenso un-
zureichend gebildete religiöse Fanatiker ist die wissenschaftlich ernste Ent-
wicklung und Fortbildung dieser Naturerkenntnisse.
Phys. Kl. 1871. l
2 Eurengenc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Während noch im vorigen Jahrhundert eine grofse Anerkennung
organischer, sich den natürlichen Sinnen entziehender Lebensverhältnisse
in der Natur, sogar im Weltraume, theils die religiösen Gefühle stützte,
theils manche auffällige Naturerscheinungen zu erläutern bemüht war, hat
dieses Hinblicken nach geistigen Elementen im Weltraume ın der neue-
ren Zeit theils ganz aufgehört, theils ist es sehr abgeschwächt und durch
rein physikalische Kräfte ersetzt worden.
Da eine vollständige Geschichte der umgewandelten Vorstellungen
dieser Art meiner Aufgabe fern liegt, so beschränke ich mich auf den
Hinblick zu den hierher bezüglichen Naturanschauungen des glücklichen
Reformators der Naturforschung Linne. Während Linne’s so erfolg-
reiche Nachforschung in allen Richtungen, hauptsächlich in der des orga-
nischen Lebens, mit bewundernswürdigem Fleilse und ernster Treue all-
mälisg zu jenem Systema Naturae anwuchs, welches über ein Jahrhundert
schon auf das glücklichste für weitere Entwicklung förderlich gewesen ist,
hat derselbe, als Repräsentant der Naturforschung seines Jahrhunderts,
sich am Schlusse seines Systema Naturae in der zwölften Auflage 1767
und zugleich an dem 1778 erfolgten Schlusse seines Lebens zu der da-
mals durch des hannöverschen Barons von Münchhausen sehr ungründ-
liche Beobachtungen der Pilze und Schwämme erweckten Vorstellung hin-
reilsen lassen, dafs es eine Welt des unsichtbaren kleinen Lebens gebe,
die nicht nur die epidemischen und ansteckenden Krankheiten verschie-
denster Art veranlasse, sondern auch als Trübungen des Äthers erkennbar
sei. Er falste diese sämmtlichen Naturerscheinungen in ein Thier-Genus
Chaos zusammen mit Räderthieren, Proteus, Infusorien, den Schimmel-
und Pilzsamen, den Fäulnilsstoffen, den ansteckenden und hitzigen Fieber-
stoffen, den spermatischen und siphilidischen Stoffen und hielt auch ein
Chaos aethereum fest, welches die Durchdringung, Unendlichkeit und Un-
ergründlichkeit der göttlichen Schöpfung vor Augen stelle. Im Jahre
1838 wurden diese Resultate der Linn&@’schen Naturanschauung in dem
Buche „die Infusionsthierchen als vollendete Organismen“ !) bereits ın
Übersicht gebracht.
1) Vergl. pag. IX der Einleitung.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 3
Ganz anders waren Leeuwenhoek’s vorhergegangene Vorstellungen
bei Entdeckung der unsichtbaren kleinen Thierwelt. Die sichtlich be-
wegten scheinbaren Atome des Wassers erkannte sein ruhig beobachtendes
Auge sehr bald für kleine im Wasser lebende Thiere (Animaleula), was
ihn zu Aufgüssen auf vegetabilische Substanzen führte und von der Vor-
stellung entfernte, dafs Wolken und Äther mit diesem Leben erfüllt seien.
obschon das Regenwasser die Entdeckung dargeboten hatte. So haben
sich auch in den folgenden Zeiten Luft und Äther den verschiedenen
Schriftstellern und Beobachtern abwechselnd mit Leben erfüllt und ohne
Leben zu erkennen gegeben. Schon in der dreizehnten Ausgabe von
Linne’s Systema Naturae von Gmelin 1788 wurden von dem Heraus-
geber jene Vorstellungen des lebenden C'haos aethereum und der lebenden
Grundlage der Epidemien wieder entfernt, nur Linne’s angeblich aus
dem Äther herabfallende Furia infernalis als vermeintliche aber irrthüm-
liche Ursache der nordischen pestartigen Brandblatter war übrig geblieben.
Die gründlichen Forschungen, sauberen Zeichnungen und eigenen Kupfer-
stiche des durch körperliche Unbehültlichkeit auf engere Thätiekeit an-
gewiesenen Bruders des um die Naturforschung besonders verdienten Otto
Friedrich Müller in Dänemark läuterten und begrenzten die unsicht-
bare Lebenswelt Linne’s (mumdus inwisibilis) auf die Gewässer des Fest-
landes und die Meere der Erde, was durch ©. F. Müller’s leitenden und
ruhig urtheilenden Commentar der Abbildungen fest begründet wurde.
Eine neue Bewegung intensivster Art brachte Chladni 1794 in die
wissenschaftlichen Vorstellungen durch seine zuversichtliche Darstellung
der Meteorsteine als wirklich aus dem Weltraume herabfallende Massen,
welche Vorstellung seit 13803 durch Biot auch vom französischen Institut
bei Gelegenheit des überreichen Meteorsteinfalles von Aigle anerkannt
wurde. Zwar versuchte Ruhland 1812 in Schweigger’s Journal die
sämmtlichen Meteorsteine und Atmosphärilien aller Art als terrestrische,
von Winden in die Höhe gewirbelte Stoffe zu betrachten, allein Chladni's
Sammelwerk der historischen Feuermeteore von 1819 lenkte von Neuem
nachdrücklich und entschieden die Aufmerksamkeit auf den Weltraum
aulserhalb der Erdatmosphäre.
Einen neuen sehr auffälligen Schwung erhielt die Naturanschauung
durch die englische Polar-Expedition des Kapitäns John Rofs 1818, auf
je
4 Eurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
dessen Reise ein rothfarbiger Schnee in so ungeheurer Ausdehnung und
Mächtigkeit in der Baffins-Bay beobachtet worden war, dafs er die Auf-
merksamkeit aller Naturforscher, besonders auch der Chemiker auf lange
Zeit in Anspruch nahm. Ich kann mich jedes Details über diese grofse
Thätigkeit zur Aufklärung des Phänomens enthalten, da sie im Jahre 1825
in Robert Browns botanischen vermischten Schriften ım ersten Bande
von Nees von Esenbeck mit grolsem Eifer und Reichthum zusammen-
getragen worden sind.
Hatte noch Chladni in gewissen, aus dem Weltraume mit Licht-
erscheinung und Feuerkugeln auf die Erde herabfallenden Gallert-, Kohlen-
stoff- und Firnifsmassen dort vorhandene organische Grundmassen aner-
kennen zn müssen geglaubt, so theilte sich nun die Vorstellung, beson-
ders durch die reiche und verdienstvolle chemisch - analytische Arbeit
des Professor Zimmermann in Gielsen und Nees von Esenbeck’s
fleifsige und reichhaltige Sammlung der Materialien samt deren erfinderi-
scher Verbindung in zwei entgegengesetzte Richtungen. Die chemischen
Resultate des Professor Zimmermann führten zu der Vorstellung, dafs
es überall in der Atmosphäre und im Weltraume eine von ihm Rothstoff
(Pyrrhin) genannte Substanz gebe, welche die schön rothen Färbungen
des Schnees sowohl der Batfins-Bay, als der schon früher von Saussure
in der Schweiz beobachteten und selbst Aristoteles nicht unbekannten
rothen Färbungen des liegenden Schnees (der Alpen) bedingen möchte.
Diese Vorstellung gründete sich auf die röthliche Trübung der salpeter-
sauren Silberauflösung, wenn diese der Luft ausgesetzt wird.
Die Zusammenstellung aller bisherigen Beobachtungen durch Nees
von Esenbeck führte denselben 1825 auf die früheren Vorstellungen
Linne’s insofern zurück, als er sowohl im Lichtraume der Atmosphäre
wie auch im Weltraume an die Existenz eines schleimigen Urstoffes zu
denken sich für berechtigt hielt und sowohl Lichtenberg’s Ausdruck
der Luft-Zoophyten !) (Moleeules anımes Buffon) benutzte, als auch
Admiral Wrangel’s Vermuthung theilte, dafs „durch den Einfluls der
Luft-Eleetrieität geweckt, sich in der Gewitter- Atmosphäre die Luft-In-
fusorien mit dem sie umhüllenden Schleim bilden und im Gewitteregen
1) Rob. Browns botanische vermischte Schriften 1825. Bd. 1 p. 551.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 5
niederfallen.* — Auch damals hatte man schon die Vorstellung, dafs die
vegetabilischen schön rothen Körperchen des Schnees der Baffins-Bay,
des Polareises und der Alpen zuweilen eine sandige Natur hätten und
man dachte an bald organische, bald unorganische Coneretionen röthlich
gefärbter Urstoffe. Es dauerte auch noch einige Zeit, ehe man die Äufse-
rung des Priors Biselx in der Schweiz, dafs noch Niemand habe rothen
Schnee fallen gesehen !), sowie dafs derselbe nur liegend und nur bis zu
9000 Fufs Höhe auf den Alpen vorkomme, berichtigte.
Mit Zimmermann’s Rothstoff der Natur (Pyrrhin) haben sich
zu jener Zeit die damaligen Koryphäen der Chemie, selbst noch Ber-
zelius, angelegentlichst vielseitig beschäftigt. So stand die Angelegen-
heit bei meiner Rückkehr aus Afrika. Ich habe im Jahre 1830 bei Ge-
legenheit meiner Mittheilungen über das mikroskopische Leben in den Ab-
handlungen der Akademie, sowohl die atmosphärischen Erfüllungen damit,
als auch die rothen terrestrischen Färbungen mit immer besseren Verstär-
kungen der Sehkraft sorgsam verfolgt und habe in Possendorffs Annalen
jenes Jahres (1830) die Ergebnisse meiner Bemühungen mitgetheilt. Das
Resultat war, dafs zwar im frischen Regenwasser sich öfter vereinzelte
Formen finden, dafs aber die geschärfte Aufmerksamkeit auf Tausende
von Regentropfen, Schneeflocken und Thautropfen mir niemals die An-
oeoeben hatten. Daoesen war die Vor-
oo
o’o
schauung lebender Infusorien
stellung nicht abzuweisen, dafs die farblosen und durchsichtigen feinen
Eikeime, welche selbst beim Trocknen lange Zeit unbeschädigt bleiben,
als unsichtbare Atmosphärilien, die schnelles Bevölkern jedes offen ste-
henden Wassers ermöglichen, vorhanden sind. Dabei wurden die rothen
blutartigen Färbungen der Gewässer und des feuchten Bodens mannig-
fach für Europa, Asıen und Afrika von mir weiter erläutert. Es war
andererseits das Ergebnifs von Cuvier’s Darstellungen im Regne animal
1850, dals das Thierreich in immer weniger zusammengesetzten und end-
lich ganz einfachen Lebensformen auslaufend ende. In der Analyse des
travauz de U’annee 1830 wurde dagegen von ihm der damals hier vor-
getragene Nachweis einer der Generatio spontanea ungünstigen grolsen
Organisation des kleinsten Thierlebens als viele Ideen ändernd anerkannt.
1) Rob. Brown |. e. p. 600.
6 Enrexpere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Im Jahre 1836 erschien dann das sehr verdienstvolle Handbuch
der Meteorologie von Kaemtz, worin das alte und neueste Material mit
grofser Sorgfalt und ruhiger Beurtheilung für diese Verhältnisse reichlichst
zusammengefalst ist. Meine Mittheilungen von 1830 haben darin ihre
Stelle und nützliche Verwendung gefunden. Kaemtz falst die ganze
Reihe der bezüglichen Naturerschemungen in dem Kapitel !) über die
„problematischen Erscheinungen“ zusammen, scheidet sie von allen übri-
gen atmosphärischen Erscheinungen ab, welche die Temperatur, die Wärme-
Vertheilung, die Bewegung der Gase, den Wasserdampf, die Lichtver-
änderungen in der Luft betreffen und falst die besondere Abtheilung in
vier Gruppen auf: Rothe oder gelbe Beimengungen des Wassers, Höhe-
rauch, Sternschnuppen, Meteorsteine.
Eine reiche Sammlung historischer Nachrichten über rothe Schnee-
fälle ist daselbst in bessere Übersicht gebracht, woraus Kaemtz sein Urtheil
ableitet, dafs die sämmtlichen Nachrichten den Beweis liefern, — „dals
die rothe Farbe des Schnees im Allgemeinen von (kleinen) Pflanzen her-
rührt, welche sich entweder auf dem Schnee ursprünglich aus dem Samen
entwickeln, oder dafs sie von den Felsen (als Staub) dahin geführt werden
und weiter gedeihen.“ ?) — Da dieser rothe Schnee sich nach Parry°),
Seoresby und Anderen bis auf die schwimmenden Eisfelder im Nord-
meere erstreckt, so ist wohl offenbar, dafs auch hier fallende rothe
Staubnebel und fallender rother Schnee mit rothem liegenden Schnee
als identisch und als vegetabilisch öfter verwechselt worden sind, wäh-
rend es wahrschemlich ist, dafs ein häufiges Fallen rothen Luftstaubes
damit bezeichnet worden ist, welches durch weilsen Schneefall und Wasser-
dunstnebel öfter verdeckt und im Polarkreis übertüncht werden mag.
Kaemtz Zusammenfassungen von Schwefelregen und verschiedenen
Getreideregen haben hier kein weiteres Interesse. Die aus der Luft ge-
fallenen Thiere wie Pflanzensamen sind nach Munck’s*) Vorgang als
meist unrichtig aufgefalste oder zufällig durch Wirbelsturm fortgerissene
Einzelheiten richtig beurtheilt. Eine besondere Sorgfalt ist dann von ihm
1) Kaemtz, Handbuch der Meteorologie. Bd. III.
2) Kaemtz l. ce. p. 188.
3) Parry, 3te Reise. Hooker in Murray’s Eneyelop. of Geogr. p. 1311.
4) Gehlers physikalisches Wörterbuch.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamsche Leben. 7
auf die trockenen Nebel und Höherauchverhältnisse verwendet worden,
wobei jedoch nicht die rothen, sondern die ungefärbten und schwarzen
Staubniederschläge seine Aufmerksamkeit am meisten erweckt haben. Den
atmosphärischen Höherauch aus Moor- und Wald-Bränden von einem mög-
licherweise kosmischen Nebel zu unterscheiden, standen damals keine Mittel
zu Gebote, und so sprach er sich über Finke’s Zusammenstellungen des
Moorrauches im nordwestlichen Deutschland dahin aus, dafs er zwar mit
demselben insofern einverstanden sei den Moorrauch für ein Verbren-
nungsprodukt vegetabilischer Körper!) anzusehen, dafs er aber die Häu-
fiekeit des Nordwindes und Anderes zur Zeit seines Erscheinens daraus
herzuleiten nicht geneigt sei. Die ungeheuren Massen vegetabilischer
Verbrennungsprodukte, welche bei Waldbränden und durch Schornsteine
in die Luft geführt werden, hält Kaemtz der Berücksichtigung werth,
so dals ıhm das Entstehen des Moorrauches samt dem Höherauch als
terrestrisch, nicht als kosmisch erscheinen.
Als entschieden kosmische Erscheinungen sieht Kaemtz mit Chladnı
alle mit Fenerkugeln und Sternschnuppen herabgefallenen Substanzen an
und schliefst mit der Bemerkung noch grofser, durch fortgesetzte Beob-
achtungen. besonders der Bahnen der Meteore, allmälıg zu beschränkender
Unsicherheit dieser Erscheinungen.
Der hochverdiente Arago in Paris, welcher im Jahre 1853 starb
und bis zum Jahre 1845 dort populäre Vorträge hielt, hat in den erst
1857 erschienenen Schriften sein Urtheil über diese Verhältnisse am Schlusse
seiner Thätigkeit niedergelegt. Den rothen, von der Atmosphäre getra-
genen Sand und Staub rechnet er, seines Eisengehaltes halber, zu kosmi-
schen Phänomenen, wie später specieller bemerkt werden wird.
Im Jahre 1845 erschien das überall Vertrauen erweckende um-
fangreiche Werk, der Kosmos Alexander von Humboldt’s, welches
mit ruhiger Klarheit unsere Kenntnifs des Weltalls mustert und sorglich
bemüht ist, die befestigten Kenntnisse von den unsicheren zu scheiden.
So wendet sich denn der Blick mit besonderer Spannung auf die dort
vorhandenen Urtheile. Voraus ist jedoch zu bemerken, dafs der Ver-
fasser des Kosmos einen Maafsstab für seine Auffassung dieser Gegen-
1) Kaemtz l.c. p. 215.
8 Enrexpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
stände in den Worten niederlegt: — „dals die Hypothesen nach
den ewig wechselnden Schwankungen in der Gedankenwelt
vielfach neuem Zweifel unterworfen werden“!) — was deutlich
bezeichnet, dafs er Vieles in dieser Gruppe der Naturerscheinungen für
noch nicht hinlänglich durch Beobachtung gut begründet hält. Ja es ist
unzweifelhaft, dafs der Verfasser des Kosmos selbst seine Ansicht in dem
hier vorliegenden Gegenstande allmälıg umgewandelt hat. Während er
in der Relation historique 1824 bei Gelegenheit des grolsen Sternschnuppen-
falles von Cumana eine röthliche trockne, mit dem Hygroskop von ihm
selbst genau geprüfte Atmosphäre allmälig in höchst durchsichtige, sehr
hohe Schafwolken übergehen sah, die er dann wohl doch für trockne
Nebel hielt, und während er bei Bogota, bei Gelegenheit des dort erlebten
rothen Hagels, seine Mittheilung?) — „Ich habe schon anderwärts be-
merkt, dals am Paramo bei Guanacos, wo der Weg von Bogota nach
Popayan in der Höhe von 2300 Toisen fortgeht, man nicht rothen Schnee,
wohl aber rothen Hagel hat fallen sehen“, — mit den fragenden Worten
begleitet: — „Schlols dieser dieselben Keime vegetabilischer Orga-
nisation ein, welche jenseits des Polarkreises beobachtet wor-
den sind?* —, hatte er offenbar die Vorstellung von möglichen hoch
schwebenden organisirenden Einflüssen bei dieser Erscheinung (Sphaerella
nivalıs der Baffıns-Bay). Später, wo er vom Einflufs der hochgehenden
Schatwölkehen auf die Nordlichterscheinung als deren Substrat eingeht,
spricht er nicht von trocknen Nebeln, sondern von einer Verbindung der
Eleetrieität mit feuchten Meteoren ?) und scheidet die kosmischen Nebel
scharf von den terrestrischen Meteoren.
In demselben ersten Bande des Kosmos 1845 sind auch die von
mir seit 1844 der Akademie gemachten Mittheilungen über die Mischun-
sen des rothen atlantischen Passatstaubes bei den Capverdischen Inseln
mit zahlreichen Baeillarien als ein thatsächlicher Gegenstand von ihm
anerkannt worden. Aber obwohl er abweichend von Arago sich vom
kosmischen Ursprung derselben abwendet, so hat er doch nicht seinen
1) Kosmos 1850. Bd. 3 p. 220.
?) Robert Brown, Botanische Schriften 1825 Bd. 1 pag. 573.
>) Kosmos Bd. 1 p. 201.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 9
Blick nach Afrika hingewendet, dessen typische Staubwirbel als Ursprung
der Erscheinung von mir, dem Reisenden in Afrika und Augenzeugen,
verworfen worden waren. Dagegen ist von Humboldt die Vorstellung
angenommen und begründet, dals, „wie Fichtenblüthenstaub jährlich aus
der Atmosphäre herabfällt, auch kleine Infusionsthiere, mit dem Wasser-
dampf passiv gehoben, eine Zeit lang in den Luftschichten schweben
können.“ !)
Was die Beziehungen verwandter kosmischer Erscheinungen an-
langt, so spricht sich Humboldt darüber folgendermalsen aus: „Ob aus
den kleinen (nach Humboldt entschieden kosmischen) Sternschnuppen
wirklich etwas Compactes oder nur ein höherauchartiger, eisen- und nickel-
haltiger Meteorstaub niederfällt, das Alles ist bis jetzt in grofses Dunkel
gehüllt.“?). 17 Fälle von sehr auffälligen Verdunklungen der Tageshelle
sind von Humboldt?) besonders hervorgehoben, welche ihrer langen
Dauer halber sich nicht auf Sonnenfinsternisse beziehen könnten und bei
denen er deswegen wohl offenbar eine kosmische, weltstaubartige Ursache
vermuthet. Nirgends als im Kosmos ist wohl mit so umsichtiger Ab-
wägung der Verhältnisse die Natur der kosmischen Nebel, deren Verschie-
denheit in der Gestaltung und Gröfse, sowie deren Umwandlung abgehan-
delt worden. Als Resultat tritt hervor, dafs eine genetische Entwicklung
kleiner und immer gröfserer Weltkörper und Gestirne aus feinsten, un-
zusammenhängenden Materialien, welche im Weltraume schweben, daher
auch die Bahnen der Himmelskörper verändern und verkürzen, den jetzi-
gen Erfahrungen entspreche. Als selbstverständlich mufs daraus abge-
nommen werden, dals die mit Feuerkugeln und Sternschnuppen herab-
fallenden Gallerten, Erden und Steine als Concretionen jener kosmischen
Stoffe und Nebel anzusehen sind.
Aus meinen mündlichen Rücksprachen mit Humboldt liefs sich
stets entnehmen, dafs er, wie ich selbst, die terrestrischen Mischungen
meteorischer Staubarten auf kosmische Verhältnisse auszudehnen nicht ge-
neigt war und dafs er es billigte, solche terrestrische Mischungen als in
1) Kosmos Bd. 1 p. 373.
2) Kosmos Bd. 1 p. 123.
3) Kosmos Bd. 3 1850. p. 415.
Phys. Kl. 1871. 2
10 EnrunBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
der terrestrischen Atmosphäre begrenzt weiter zu erläutern zu suchen.
Mit sehr bestimmten Worten spricht Humboldt sein Urtheil in der zwei-
ten Ausgabe seiner „Ansichten der Natur“ !), die von mir 1847 hier
vorgetragenen Mittheilungen berücksichtigend, nach einigen Bemerkungen
über in grofsen Höhen über dem Chimborazo gesehenen Vögeln und In-
sekten folgendermalsen aus: „Zeigt uns schon das unbewaffnete Auge den
„ganzen Luftkreis belebt, so enthüllt noch gröfsere Wunder das bewaffnete
„Auge. Räderthiere, Brachionen und eine Schaar mikroskopischer Ge-
„schöpfe heben die Winde aus den trocknenden Gewässern empor. Un-
„beweglich und in Scheintod versenkt schweben sie in den Lüften, bis
„der Thau sie zur nährenden Erde zurückführt, die Hülle löst, die ihren
„durchsichtigen wirbelnden Körper einschliefst und (wahrscheinlich durch
„den Lebensstoff, welchen alles Wasser enthält) den Organen neue Erreg-
„barkeit eimhaucht. Die atlantischen gelben Staubmeteore (Staubnebel),
„welche von dem Capverdischen Inselmeere von Zeit zu Zeit weit gegen
„Osten in Nord-Afrika, in Italien und Mittel-Europa eindringen, sind
„nach Ehrenberg Anhäufungen ?) von kieselschaligen mikroskopischen
„Organismen. Viele schweben vielleicht lange Jahre in den obersten Luft-
„schichten und kommen bisweilen durch die oberen Passate oder durch
„senkrechte Luftströme lebensfähig und in organischer Selbsttheilung be-
„griffen herab.“
Anders verhielt sich, wie schon erwähnt, Arago, dessen nach-
gelassene Werke mit einer Vorrede Humboldt’s herausgegeben worden
sind. Seine in diesen Werken befindliche „populäre Astronomie“ 3) enthält
tolgende Darstellung: „Die aufmerksame Beobachtung der Staubfälle führt
„zu dem Schlufs, dals sie sich von den gewöhnlichen Meteorsteinfällen
„nicht wesentlich unterscheiden. Zuweilen sind sie von Steinfällen oder
„von einem Feuer-Meteor begleitet. Die Staube scheinen fast dieselben
1) Humboldt, Ansichten der Natur, 2. Aufl. 1849. Bd. 2 p. 4.
2) Es möge bemerkt sein, dals nicht reine Anhäufungen gemeint sind, da meine bild-
lichen Darstellungen in den Abhandlungen von 1547 vorlagen, dals mit diesem Ausdruck
vielmehr, als Mischungstheile, reichhaltig angehäufte organische Formen bezeichnet wer-
den. Auch sind die Gallerthüllen der schwebenden Körperchen und die generische Form
der Brachionen zu beachtende Eigenthümlichkeiten der Auffassung. E.
mem
3) Arago, populäre Astronomie Bd. 4 1857. p. 206.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 11
„Bestandtheile zu enthalten wie die Meteor - Steine und keine an-
„dere Unterscheidung zuzulassen, als die der Schnelligkeit, mit welcher
„diese Haufen chaotischer, im Universum zerstreuter Massen in unsere
„Atmosphäre gelangen. Vermuthlich ist in dem rothen und schwarzen
„Staube das Eisenoxyd die hauptsächlich färbende Substanz. Im schwar-
„zen Staube findet man auch Kohlenstoff. Man kann die schwarzen und
„sehr zerreiblichen, zu Alais 1806 gefallenen Steme gewissermalsen als
a des schwarzen Staubes in gewöhnliche Meteorsteine ansehen.
„Ich mufs indessen bemerken, dafs man rotben Schnee gesammelt hat,
„der seine Farbe ganz anderen Ursachen verdankt. So bezeichnet Sir
„Charles Blagden, dafs rother in der Baffins-Bay gefallener Schnee
„durch Urinsäure gefärbt wäre, unzweifelhaft von den Auswürfen der
„Schaaren von Vögeln stammend, welchen man in diesen Gegenden be-
„gegnet. Die rothen Schneelagen waren allerdings nicht an der Oberfläche,
„darüber und darunter war der Schnee vollkommen weils. Thomson
„glaubt, dals die Färbung des Schnees durch eine organisehe Substanz
„verursacht sein kann, z. B. durch irgend eine Kryptogame.“* So weit
seine Worte.
Es folgt nun bei Arago das Verzeichnils von nur 62 Beobachtun-
gen von Staubfällen verschiedener Art und verschiedener Färbungen. Es
sind darunter 34 rothfarbige Staub-, Regen- und Schnee-Meteore, von
denen 7 mit Feuerkugeln, öfter mit Steinfällen begleitet waren. Sämmt-
liche Fälle sind aus der nachchristlichen Zeit. Die von mir im Jahre
1847 der Akademie vorgelegten Beobachtungsreihen, welche mithin in
dem 1845 abgeschlossenen, 1857 publicirten Werke Arago’s nicht auf-
genommen sind, betrugen 314 Fälle, unter denen 81 rothe Staubfälle
verzeichnet sind.
Die zahlreichen historischen Zusammenstellungen von Nees von
Esenbeck 1825, sowie die von Kaemtz 1836 sind in die Darstellungen
Arago’s nicht übergegangen. Aus dieser Übersicht ergiebt sich, dafs
auf den so bedeutenden Physiker und Astronomen nur der kosmische
Gesichtspunkt, nicht aber die detaillirten Untersuchungen der betreffenden
speciellen Meteore einen Einfluls anf seine Vorstellung bis zu seinem Tode
gewonnen haben. In gleicher Weise hat seine Autorität auf die neueren
französischen Darstellungen erolsentheils eingewirkt und a im vorigen
9
12 Euresgenc: Üsersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Jahre 1870 hat der Pariser Meteorolog Herr Tarry Arago’s, von ıhm
auch Herrn Quetelet zugeschriebene Vorstellungen zu einer, wie er glaubt,
neuen Theorie der Staub-Orkane benutzt.
Die seit 1844 durch Charles Darwin mir zuerst zur Unter-
suchung gebrachten und 1847 in reichhaltiger historischer Folge erläu-
terten rothen, oft fälschlich Meteore genannten Erscheinungen, von denen
mir ein ansehnlicher durch Ruhland und Kaemtz erläuterter Theil da-
mals nicht zugänglich war, theilte sich schon 1848 in zwei wesentlich
verschiedene Reihen, deren eine, das Blut auf Broden und Hostien be-
treffend, in den Monatsberichten jenes Jahres und später erläutert wor-
den ist, deren hierher gehöriger anderer Theil besonders durch Capitain
Maury’s Anregung der amerikanischen und deutschen Schiffs -Capitaine
eine ansehnliche Menge frisch gesammelten Materials zu meiner Analyse
brachte. Diese neueren Materialien wurden im Jahre 1862 in den Monats-
berichten mit vielen historischen Nachträgen und mit einem geographi-
schen Übersichtskärtehen in den gesammten Erdverhältnissen zusammen-
gefalst. Im Jahre 1863 fand sich der österreichische Commandeur der
Novara und späterer Admiral von Wüllerstorf-Urbair veranlalst, den
Gegenstand der österreichischen Marine, zu besonderer Beachtung der
Schiffs-Offieiere, im österreichischen Marine- Almanach zu empfehlen.
Da besonders die südeuropäischen Meteorologen auch neuerlich
immer fortfahren, den rothen Scirocco-Staub, den Blutregen und rothen
Schnee, der gleichzeitigen Windrichtung und Wärme halber, aus Afrika ab-
zuleiten, so habe ich mich bemüht im Jahre 1868 in einem Vortrage „über
die rothen Erden als Speise der Guinea-Neger“ diesen ganzen Welt-
theil Afrika rücksichtlich der Möglichkeit einer Abstammung der so un-
geheuren Massen rothen Staubes, welcher periodisch Europa bedeckt, in
Übersicht zu nehmen. Als Resultat mufste ausgesprochen werden, dals
es völlig unmöglich sei, so constant gleichfarbige und gleichgemischte
Staubarten von irgend einem Punkte Afrikas ableiten zu können. Auch
Herrn Dove’s neuere Betrachtungen der nach den Jahreszeiten ver-
schiedenen Erwärmung der afrikanischen Flächen durch die Sonne in
seinen wichtigen Untersuchungen über den Fön schwächte die herr-
schende Vorstellung von den stets afrikanischen Sciroeco-Winden wesent-
lich ab.
6}
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 13
Seitdem ist es der Beobachtung gelungen, noch mehrere dieser
Erscheinungen mit gröfserer Genauigkeit zur Analyse und in Übersicht
zu bringen. Besonders ist es sehr förderlich gewesen, dafs Schweizer
Gelehrte nun auch mit diesem Gegenstande sich intensiver zu beschäftigen
angeregt worden sind. Dr. Killias in Chur und Profefsor Cramer in
Zürich haben mit sehr anerkennenswerthem Eifer und grofser Sorgfalt
derartige Erscheinungen des rothen Schnees mit früher dort nicht ge-
kannter Intensität verfolgt, und es ist von Professor Cramer sowie von
Dr. Killias ein ausführlicher Bericht über die Resultate ihrer Mühe ge-
geben worden. Diese Nachforschungen dürften um so mehr wissenschaft-
lichen Werth erlangen, da von Beiden die betreffenden Substanzen zu
meiner wiederholten vergleichenden Analyse übersandt worden sind, welche
weiter unten im Detail vorgelegt wird.
Zu ganz besonderer Erläuterung des Phänomens der trocknen rothen
Nebel und ihrer Verbindung an anderen Orten gleichzeitig mit Regenwol-
ken ist durch den Director der Sternwarte zu Athen Professor Julius
Schmidt 1869 eine bei den Dardanellen, in Dalmatien und Krain gleich-
zeitig vorgekommene derartige Erscheinung, in ihrem Materiale selbst,
meiner Analyse zugänglich geworden, die ich in den Monatsberichten jenes
Jahres alsbald zu weiterer Kenntnils gebracht habe. Diese Erscheinung
zeichnete sich noch besonders dadurch aus, dafs der sie tragende Sturm
aus Norden und Nordosten kam und gleichzeitig in Sicilien, nach Professor
Silvestri’s höchst verdienstlichen Untersuchungen, sowie in Süd- Italien
mit ungewöhnlichen Verhältnissen in gleicher Richtung abschlofs. Auch
diese sicilianischen und italiänischen Materialien sind meiner Analyse zu-
gänglich gemacht, wie jene von Dalmatien und Krain.
Im Jahre 1869 hat sich noch an diese trocknen Staubfälle und Blut-
regen ein höchst auffälliger sogenannter Höherauch angeschlossen, dessen
Beobachtungen eine sehr grofse Theilnahme vieler italiänischer Meteoro-
logen hervorgerufen hat. Sowohl vorausgegangene als nachfolgende rothe
Staubfälle sind daher mit grofsem Eifer chemisch analysirt worden. Padre
Denza in Moncalieri bei Turin und Professor Ragona, Astronom in
Modena, haben sich besonders ausführlich mit Beobachtung und Darstel-
lung dieses sogenannten Höherauchs beschäftigt und hauptsächlich hat
mir Professor Ragona seine umständliche Darstellung der damaligen Er-
14 Enrengenrc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
scheinung übersendet. Gleichzeitig mit diesen Erläuterungen hat sich der
französische Meteorolog Herr Tarry in Paris, welcher sich einige Zeit
an der afrikanischen Küste aufgehalten hat, mit dem Staubsturme vom
Jahre 1870 beschäftigt und eine besondere Theorie der eyclischen, von
Schweden nach Afrika reichenden und rückkehrenden Sturmrichtung auf-
gestellt, wobei jedoch die so wichtige Farbe und Mischung des von den
Orkanen getragenen Sandes ohne Berücksichtigung geblieben.
Diese kurze Übersicht der Vorstellungen von organischer Belebung
des Weltenraumes und kosmischen Staubnebeln, aus denen sich Weltkörper
bilden, von physiologischen Vorstellungen des Luftkreises verschiedenster
Art und von chemischen und physikalischen Processen, im Gegensatz zum
physiologischen, womit bewährte Autoritäten sich intensiv beschäftigt ha-
ben, möge es rechtfertigen, wenn ich den von mir seit fast dreifsig Jah-
ren verfolgten Weg der mikroskopischen Analyse noch einmal in Über-
sicht nehme. Ich thue dies um so ernster, als es auch den mit dem
Gegenstande so vielfach beschäftigt gewesenen Chemikern unserer Zeit von
Vauquelin bis Berzelius nicht gelungen ist einen Abschlufs herbeizu-
führen. So wie der Verfasser des Kosmos auf das ungemessene Schwan-
ken der Meinungen hindeutet, so hat auch der allseitig besonnen urthei-
lende Kaemtz noch vor seinem Tode (1867), wie Professor Ragona
1869 berichtet, sich 1867 in Modena dahin ausgesprochen, dafs die Er-
scheinung der rothen Staubnebel ein der weiteren Aufklärung sehr be-
dürftiger Gegenstand sei, den alle meteorologischen Observatoren ins Auge
zu fassen hätten.
So mögen denn hier zuerst die weiteren historischen Angaben zur
Erleichterung der Übersicht für weitere Forschung zusammengefalst und
der Stand der Angelegenheit bezeichnet sein.
II. Nachträge zu dem historischen 1847 gegebenen Verzeich-
nils der blutfarbigen und verwandten Erscheinungen.
Die in dem Bande der Abhandlungen von 1847 zusammengestell-
ten historischen Angaben blutartiger, besonders durch Staubnebel bedingter
Erscheinungen machten schon damals nicht auf eine Vollständigkeit der
Aufzählung der historischen Thatsachen Anspruch, sie lieferten vielmehr
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 15
nur ein weit reichhaltigeres chronologisches Verzeichnifs, als bis dahin
gegeben war. Es ist auch jetzt noch nicht an eine Vollständigkeit des
Historischen zu denken, und die überlieferten derartigen Nachrichten
sind überdies meist so mangelhaft und oberflächlich aufgefalst, dafs
eine scharfe Beweiskraft aus ihnen selten zu entnehmen ist. Der mir
vorschwebende Gesichtspunkt läfst sich zwar durch den Ausdruck der
rothfarbigen Staubmeteore mit und ohne Regen und Schnee scharf be-
grenzen, allein diese Bezeichnung ist nicht selten für gelbe, bräunliche
und röthlich graue Staubarten mit gebraucht worden, je nachdem der
Gegensatz der farbigen Unterlage, besonders des weilsen Schnees oder
dessen Mangel, diesen oder jenen Reflex begünstigt.
So mögen denn manche rothe Staubfälle grau, gelb oder braun
erschienen sein, die recht wohl in diese Kategorie gehören und umgekehrt
mögen manche als roth bezeichnete durch zu hoch gegriffene Farben-
angabe irrthümlich in diese Reihe hineingezogen sein. Das alleinige Mittel,
welches voranssichtlich zur richtigen Beurtheilung führen kann, scheint
bis jetzt nicht die chemische sondern die mikroskopische Analyse. In
dem hier folgenden Verzeichnils sind die blutartigen und erdigen Nieder-
schläge und auch die gallertigen berücksichtigt, aber die Stein- und Eisen-
Meteore, als dem vorliegenden Zwecke ferner stehend, nicht aufgeführt.
1154 v. Ohr. in der Provinz Honan in China 10 Tage lang Erdregen.
Macgowan. (Monatsbericht 1862 p. 210.)
730 v. Chr. Jesaias erwähnt eines Blutwassers im Moabiter Lande, cap. XVI
v. 1—9: Dies ist die Last über Moab. Des Nachts kommt Zer-
störung über Ar in Moab, sie ist dahin. — Die Wasser zu Nim-
rım versiegen, dals das Heu verdorret und das Gras verwelket und
wächset kein grünes Kraut. — Geschrei geht um in den Grenzen
Moabs. — Denn die Wasser zu Dimon sind voll Blut. — Mahnung
an 910? (Monatsbericht 1850 p. 223.)
355 v. Chr. Vor Christi Geburt A. 355 ist in einem grolsen Steinfelsen
ein blutiger Schweils gefunden. Hänfler p. 12 nach Strigentius.
(Monatsb. 1850 p. 223.)
83 v. Chr. Gelber Erdregen in China, Tag und Nacht den Himmel ver-
dunkelnd. Macgowan. (Monatsb. 1862 p. 210.)
16 Eurengerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
330? n. Chr. Unter Constantinus Magnus war Blutregen in England.
Hänfler p. 7. (Monatsb. 1850 p. 223.)
451? Unter Valentinian II war Blutregen. Hänfler p. 7. (Monatsb.
1850 p. 223.)
451. Nach Bonfinii Chronica Hungarica fielen Blutstropfen vom Himmel
zur Zeit von Attila (unter Valentinian III). Bei der Nacht hörte
man etliche Stimmen. Der Himmel ist gesehen worden, als wenn
er lichterloh brenne. Herlieius de phwuis prodigiosis über den
Blutregen in Stralsund 1597. Ein Feuermeteor mit Blutregen,
vielleicht auch Steinfall. (Monatsb. 1850 p. 224.)
502 fiel in China gelber Sand wie Schnee. Macgowan. (Monatsber.
1862 p. 211.)
517? Unter Kaiser Anastasius fiel ein Blutregen, mithin vor 518, wo
derselbe starb. Hänfler p. 5l. (Monatsb. 1850 p. 224.)
567. Im Jahre 567 war Blut an der Erden und aus den Wänden ge-
quollen. Angelus Marchia brand. p. 21. (Monatsb. 1850 p. 224.)
; (März?) in China. Macgo-
650. Regen von gelbem Sand im Frühling
wan. (Monatsb. 1862 p. 211.)
743. Ein Meteor und Staub in verschiedenen Orten. (Theophanus.)
(Arago, Astronomie populaire Tome IV p. 209.)
746? Unter Constantin VI war Blutregen nach Hänfler p. 7. Es ist
diese Nachricht wohl ein und dasselbe mit dem Befallen der mensch-
lichen Kleidungen mit Kreutzen in diesem Jahre. (Monatsb. 1850
p. 224.)
786. Anno 786 sind etzliche Wasser in der Schlesie umb Liegnitz blut-
farb geworden, das Blut ist auch aus der Erden und von oben
gefallen
und vom Himmel fielen auch schwarze brennend heilse Fewr
herab geflossen, den Leuten sind Kreutzlein in die Kleider
Tröpflein auf die Menschen, und wo sie auf die blofse Haut fielen,
starb er von Stund an, fielen sie aber aufs Kleid, so starb er wohl
nicht bald, kam aber kaum mit dem Leben davon. Herlieius
de pluwüs prodigrvosıs. Es sind hier gewils Blutregen, rothes Sumpf-
wasser und wohl Feuerregen (?) beigemischt, die anderwärts sich
ereigneten. Vergl. das Jahr 787 der ersten Abhandlung. (Monatsb.
1850 p. 224.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 17
8500. Anno 800 sind die Quellen zu Syracus 15 Tage lang mit Blut ge-
flossen. Hänfler p. 10. (Monatsber. 1850 p. 224.)
800. Anno 800 ist in England Blut geflossen. Hänfler p. 10.— Gehört
vielleicht zu dem Blutregen von 786. (Monatsb. 1850 p. 224.)
823. Fiel auf einen grofsen Theil des nördlichen Deutschlands ein grofser
Feuerregen vom Himmel, welcher ganze Dörfer verbrannte. (Ruh-
land, Schweigger’s Journal Bd. 6 1812 p. 41.)— Ich würde dies
für ein starkes Gewitter halten!
900 (im 10. Jahrh.) gelber Sandregen in China. Macgowan. (Monatsb.
1862 p. 211.)
930. Zu Belgrad fiel eine Menge röthlichen fremden Sandes, nachdem
der Himmel vorher ganz mit Roth bedeckt. (Ruhland I. ce. 1812
Bd. 6 p. 46.)
1000 (im 11. Jahrh.)
1862 p. 211.)
1005. Anno 1005 sollen Blutstropfen auf der Leute Kleider gefallen sein.
Hänfler p. 27. (Monatsb. 1850 p. 224.)
1098. Anno 1098 soll es in Normannia (Normandie) 3 Tage lang Blut-
wasser gegeben haben. Hänfler p. 9. (Monatsb. 1850 p. 224.)
selber Sandregen in Chna. Macgowan. (Monatsb.
oO
1226. Im Jahre 1226 ist der in Syrien gefallene Schnee zu Blut ge-
worden, welches auch Zeiler im Sendschreiben bekräftigt. Hänfler
p- 10. (Monatsb. 1850 p. 224.)
1226. Im gleichen Jahre hat zu Husum im Holsteinischen das Eis Bluts-
tropfen gehabt. Hänfler p. 10. (Monatsb. 1850 p. 224.)
1270. 1270 soll an der Oder und Neifse Blutwasser getlossen sein. Ou-
raeus in Annal. sıles. p. 83, Hänfler p. 9. — Ist dies wohl von
dem 1269 beim Dorfe Machelow gefallenen Blutregen verschieden?
(Monatsb. 1850 p. 225.)
1346. Anno 1346 regnete es Fewr als Schneeflocken über dem Meer und
starben viele Menschen darob und ein Galeen war auf dem Meere
und das Volk verbrandt auch. Zeiler Epistola 50. (Ob Stern-
schnuppen-Meteor?)
1508. Juli. In Zara hat es Wasser wie Blut geregnet. Venetianische
Chronik. Buechich. (Monatsb. 1869 p. 315.)
Phys. Kl. 1871. 3
18 EuRrEnBErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1542.
1546.
1547.
1553.
1567.
1567.
1570.
Im Jahre 1542 hat es zu Constantinopel am Tage St. Andreae
(30. November) eine ganze Stunde Wasser und Blut geregnet.
Hänfler p. 8. (Monatsb. 1850 p. 225.)
Im Jahre 1546 stund die Sonne 3 Tage lang wie eine Feuerkugel
ganz roth am Himmel. Daneben wurden viele Sterne gesehen, welche
sich zu und von der Sonne begaben und wandten. Angelus
Marchia brand. p. 339. (Monatsb. 1850 p. 225.)
Im Jahre 1547 am 23. April, am Tage vor der Gefangennehmung
des Kurfürsten von Sachsen hat man einen grolsen Stern am Himmel
fast eine Stunde lang gesehen, welcher darnach herunter gefallen.
Winzenbergius. Auch ist die Sonne den 22. 23. 24. und 25. April
blutroth am Himmel gestanden, ist auch dergestalt auf- und unter-
gegangen. Bluntingius. Angelus Marchia brand. 1598 p. 339. —
Es scheint sonach, dafs der Höherauch von 1547 eine durch ein
Licht-Meteor complicirte Erscheinung war. (Monatsb. 1850 p. 225.)
Im Juni 1553 fand man Blut auf Bäumen und Dächern. Angelus
Marchia brand. p. 349. Hänfler p. 13. — Blutregen zu Leipzig?
(Monatsb. 1850 p. 225.)
Im Jahre 1567 hat es am Pfingsttage an vielen Orten in Brabant
und sonderlich nicht weit von Löwen schwarz Blut geregnet. Her-
licius aus Cornelius Gemma. (?)
Im Jahre 1567 war im September Blutregen bei Leipzig. Aus
Lehmann’s Hist. Schauplatz der Nat. Merkw. im Meifsn. Ober-
Erzgeb. p. 422 bei Marcus über die efsbare Erde von Klieken
p. 16. (Monatsb. 1850 p. 225.)
Blutregen zu Löwen. (Ruhland Il. ce. 1812 Bd. 6 p. 44. (Ob
—= 15679
Im Jahre 1570 war am 2. August Blutregen bei Donawerth in
Baiern. Um 5 Uhr Abends regnete es + Stunde lang Blut, wel-
ches auf den Blättern der Bäume und auf den Kleidern mehrerer
Leute als Blutstropfen erkennbar war, die man im verschiedene
Orte als Beweis der aufserordentlichen Erscheinung versandte. De
Thou Ahstorre unwers. IV. p. 285. (Monatsb. 1850 p. 225.)
Im Jahre 1570 soll ein Teich zu Leipzig zu Blute worden sein.
Hänfler p. 9. (Monatsb. 1850 p. 226.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 19
1571 fiel zu Frankenberg in Hessen nach heftigem Donnerschlag ein bren-
nender Regen (zerplatzte Feuerkugel), der ohne Schaden zu thun
brennend durch die Strafsen lief (phosphorescirend?). Ruhland
l. e. 1812. Bd. 6 p. 41.
1572 fiel gelber Sand mehrere Tage lang in der Umgegend von Ningpo
in China. Maegowan. (Monatsb. 1862 p. 211.)
1582. 5. Juli fiel zu Rockhausen, nicht weit von Erfurt, eine grofse
Menge einer faserigen Substanz, Menschenhaaren ähnlich, in Folge
eines heftigen Sturmes, den Orkanen vergleichbar, welche die Erd-
beben begleiten. Michel Bapst. (Arago Tome IV. p. 210.)
(Wiesen - Conferven ?)
1583. Im Jahre 1583 war im Stadtgraben zu Kitzing (Baiern) Blut.
Zeiler Epistola p. 40. (Monatsb. 1850 p. 226.)
1583. Crusius schreibt, dafs auch zu seiner Zeit im Jahre 1583 in dem
Graben des Städtleins Reihelstein unten aus einem Weidenbaume
ein Blut, so gestunken, lang geflossen habe. Ibid. Vergl. Boekel-
heim 1576. (Monatsb. 1850 p. 226.)
1588. Den 14. Juni 1588 hat es in etlichen Örtern in der Mark Bran-
denburg Blut geregnet. Angelus in Drev. p. 175, also dafs man’s
eigentlich auf den Blättern der Bäume und Kräuter hat sehen kön-
nen. Idem Marchia brand. p. 400. (Monatsb. 1850 p. 226.)
1591. Zu Orleans, an der Kirche Madelaine, blutartiger Regen. Le-
maire. (Arago. c. p. 210.)
1596. Im Brachmonat (Juni) 1596 hats etliche Mal in der newen Mark
und sonderlich beym Dorffe Drossyn Blut geregnet, wie man da-
mals glaubwirdig berichtet. Angelus Annales Marchiae brandenb.
p- 437. (Monatsb. 1850 p. 226.)
1597. Im Juli dieses 1597. Jahres hat es zu Stralsund, Gryphiswalde,
Trybusefs und vielen anderen unterschiedenen Örtern, Dörffern,
Flecken und Steten im Pommerlande Blut vom Himmel geregnet.
Blut ist aus der Erden geschwizt, Blut auf den Kräutern, Blumen,
Wassern, Seen, Brunnen, Kleidern u. s. w. gefunden worden. Es
lasse sich deutsch nicht weiter ausführen, er wolle es in einem latei-
nischen seripto später thun. Dr. David Herlieius (Dr. Herlich)
de pluwüs prodigiosis specwlatio physica et historica. Handelt vom
2%
[9]
20 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1615.
1617.
1618.
1618.
1620.
Blutregen zu Stralsund, Gryphiswald anno 1597. Diese Schift ist
wegen daraus ersichtlicher grofser Verbreitung des Stralsunder Blut-
regens und der schnellen autoptischen, wenn auch pedantischen
Mittheilung bemerkenswerth. Sie befindet sich auf der Königl.
Bibliothek in einem Fascikel kleiner, Varıa dieses Jahres über-
schriebener historischer Schriften. (Monatsb. 1850 p. 226.)
Es waren bei Wien im Jahre 1613 Dunkelheit bringende, so feu-
rige Wolken, dafs man einen Blutregen fürchtete, der bei Wien
nicht fiel und von dessen Niederfall keine weiteren Nachrichten
erfolet sind. Thuanus Hkstoria sul temporis Continuatio L XI.
p- 862. (Monatsb. 1850 p. 227.)
Blutregen zu Sens. (Monatsb. 1849 p. 233.)
In einem Dorfe bei Oleron, Insel an der Mündung der Charente
in Frankreich (in pago Gewo prope Oleronem) erschien auf dem
Kirchhof 1618 eine Urne mit Blut bedeckt. Thuanus Hist. s.
temp. Cont. p. 862. — Kann ein Blutregen, aber auch anderen
Ursprunges gewesen sein. (Monatsb. 1850 p. 227.)
In Frankreich (Seoviae) fand man 1618 die Ähren und Garben
des Getreides mit Blut besprengt. Viele Hüte und Bänder der
Weiber waren blutig gefärbt. Thuanus ıbid. Diese beiden in
Zeit und Örtlichkeit sich nahe liegenden Vorfälle beziehen sich viel-
leicht auf ein und dasselbe weiter verbreitete Phänomen. Ja die
Befleckung der Weiberhüte und die Zeitverhältnisse könnten auch
annehmbar machen, dafs dieses Phänomen in das Jahr 1617 ge-
hört und nur eine unrichtige Erzählung des Blutregens von Sens
ist. (Monatsb. 1850 p. 227.)
Auch ein Pflaumenbaum zeigte 1618 in Frankreich (Ganeti) Blut
an Blättern und Zweigen. Ibid. Vielleicht zu dem vorigen ge-
höriger Blutregen. (Monatsb. 1850 p. 227.) Vielleicht nur In-
sekten-Auswurf?
Umb diese Zeit (1620) haben sich in Polen eines künftigen Un-
heyls nicht geringe Zeichen vermerken lassen. Denn es hat da-
selbst Blut geregnet, das auch von den Dächern geflossen. Thea-
trum europaeum 1 p. 432. (Monatsb. 1850 p. 227.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 21
1622. Im Jahre 1622 fand man Blut an Buchen. Hänfler p. 13. Kann
Insekten- Auswurf gewesen sein, aber auch Blutregen. (Monatsb.
1850 p. 227.)
1623. Im Sommer 1623 hat sich in Böhmen in der Herrschaft Podibrat
ein Brunn etlich Tag in Blut verwandelt. Theatrum europaeum I
p- 786. (Monatsb. 1850 p. 227.)
1623. Im Hessisch Darmstädtischen Gebiet haben 1623 an unterschied-
lichen Orten und Flecken an Häusern, Steinen, Zeunen Blutzeichen
sich erregt. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 227.)
1623. Umb. Mayenfeld in Bündten, wie auch umb Malantz, sind den
Mäderen ihre Sensen, Rechen und Gefäfs ganz roht, als wenn sie
in Blut getunkt gewesen, auch einem Weibe als sie in einen Heu-
haufen gegriffen, zu sehen ob es recht gedörret, die Hand ganz
blutig worden. Ebenda. — Dies ist ein unverkennbarer Blutregen
gewesen, nicht Insekten-Auswurf. (Monatsb. 1850 p. 227.)
1623. Im Würtembergischen Lande hat es den 16. Juli 1623 zu Her-
brechtingen und Hetmeringen, desgleicheu zu Giengen, Gündel-
fingen und selbigem Refier soviel Blut geregnet, dafs es den Leuten
in ihren Arbeiten auf die Händ und Kleider gefallen, auf den Stei-
nen und an den Früchten gesehen worden. Ebenda. — Deutlicher
Blutregen. Ob die drei letzten Nachrichten sich auf mehrere Me-
teore oder auf Verbreitung eines und desselben Meteors beziehen,
läfst sich vielleicht aus noch anderen Nachrichten allmälis_ fest-
stellen. (Monatsb. 1850 p. 228.)
1623. Selbige Zeit hat sich auch der Haarsee zu Andelfingen, denen von
Zürich zugehörig, roth gefärbt. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 228.)
1623. Das Meteor von Strafsburg 1623 wird im Theatr. europaeum nicht
dem 12. Aug., sondern dem 7. Nov. zugetheilt, auch wird einer
feurigen Kugel dabei erwähnt, viel gröfser als jemalen ein Stern
erscheint und fast dem vollen Monde gleich. Man habe es in
Stralsburg, Tübingen, Mummelen, Uttweiler, Ilkirch, Almersweiler,
Möhringen, Ulm, Speyer, auch in Bayern gesehen. Der Dr. Medic.
Isaae Habrecht zu Strafsburg und M. Wilh. Schiekhart, Pro-
fessor in Tübingen, haben Tractäte darüber in Druck gegeben.
22
163
163
163
631.
1632.
1654.
Enrengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Theatrum europ. 1 p. 786. — Die genannten Schriften sind mir
nicht zugänglich. (Monatsb. 1850 p. 228.)
(Im Juni 1631) hat sich zu Freyburg in Thüringen und zu Mörse-
burg das Wasser in Blut verwandelt. Theatrum europaeum 11 415.
(Monatsb. 1850 p. 228
Desgleichen ist zu Halle an der Saal vor dem Steinthor auf der
linken Seite im Stadtgraben ein Quell von lauterem Wasser ent-
sprungen und in Mitten des Stadtgrabens hat das Wasser sich all-
gemach angefangen roth zu fürben. Und als des anderen Tages
die Quelle wieder versieget, ist der Stadtgraben wie auch das Wasser
in den Sturmfässern auf dem Markte in Blut verwandelt worden.
Theatr. europ. ebenda. (Monatsb. 1850 p. 228.)
Den 21. Juni 1631 hat zu Wittenberg die Sonne den ganzen Nach-
mittag bleichroth geschienen, welches auch an dem Tage, da Magde-
burg zerstört, gesehen worden. Ebenda. Diese letztere Nachricht
stellt es in Zweifel, ob die beiden früheren nicht zum Theil einem
(nächtlichen?) Blutregen angehört haben; obgleich die Nachricht
von Halle ganz das Gepräge einer Beobachtung der Euglena san-
guimnea trägt, deren periodisches Erscheinen und Verschwinden durch
Senken und Zerstreuen oder Heben und Sammeln an der Ober-
fläche gewöhnlich ist. (Monatsb. 1850 p. 228.)
Im November 1631 nahm ein See in Meuschwitz, 4 Meilen von
Leipzig, eine Blutfarbe an. Hänfler p. 10 aus Abelini CUhron.
Contin. Kann Oserllatorra, auch Euglena gewesen sein. (Monatsb.
1850 p. 229.)
Auf die Verwandlung des Wassers im Stadtgraben zu Lützen in
Meilsen 1632 ist ein schreckliches Blutbad erfolgt, wo Gustav
Adolph (6. Nov. 1632) blieb. Hänfler p. 27. Euglena? Wie oft
mögen sonst dergleichen Dinge auf Armeen und Schlachten directen
Einfluls gehabt haben? (Monatsb. 1850 p. 229.)
%in merkliches Wunder hat sich umb diese Zeit, (1634) zugetra-
gen in einem Kloster, Hammersleben genannt, zwo Meilen von
Halberstadt, dann ein Brunnen daselbst mit einer Röhre lauffend,
eine ganze Nacht Blut gelauffen, davon zwo zinnerne Flaschen voll
naher Halberstadt geschickt und von vornehmen Leuten gesehen
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 23
1636.
1640.
1640.
1641.
worden. Theatr. europ. III p. 274. War es rostroth von Gallonella
ferruginea der Röhren im Sommer? War ein Blutregen da ge-
fallen, wo die Röhren das Wasser aufnahmen ? (Monatsb. 1850
p- 229.)
Damalen (1636) hat sich den 2. Juni in einem Dorf! der Stadt
Erfurth gehörig, Nura genannt, eine halbe Meyl von Weimar bei
der alten Kapelle, eine schöne und helle Quelle in recht Blut ver-
färbt, welches des nächstfolgenden Tages gegen Mittag als gelie-
fort Blut worden, im Mittag sich verloren, den Abend aber wie-
derumb Blut sehen lassen und also täglich verändert, welches zum
Iten Male also geschehen. Da es nun dem Raht zu Erfurth ange-
zeigt worden, hat selbiger ihren Voigt-Schützen neben 2 Einspänni-
gen hinaus in gemeldtes Nura geschickt, welche etliche Gläslein zu
uuterschiedenen Stunden abschöpfen und in die Stadt bringen sollen.
Als es nun geschehen nnd man damit auf Papier geschrieben, hat
solches dem rothesten Blut gleich geschienen, darumb denn auch
Ihre Fürstl. Gnaden von Weimar dahin gefahren, solches in Augen-
schein zu nehmen. Theatr. europ. 11 660. Vergl. 1631. (Monatsb.
1850 p. 229.)
Im Mai 1640 hat es im Kaiserlichen Lager bei Salfeld Blut ge-
regnet und in Niedersachsen ist Blut gequollen. Theatr. europ. II.
Vielleicht ist dieser Blutregen nicht ohne Verbindung mit der blu-
tenden Standarten-Quaste 1639. Spätere Aufzeichnung aus der
Erinnerung kann die Jahresdifferenz ja auch bewirkt haben. (Mo-
natsbericht 1850 p. 230.)
Im Juli 1640 war der Stadtgraben zu Aschersleben im Braun-
schweigischen blutfarbig. Theatr. europ. IV p. 92. Ja nach Menge-
ring wurde das Wasser in Sturmfässern und Zubbern zugleich Blut.
Hänfler p. 10. (Monatsb. 1850 p. 230.)
Im Junio 1641 hat sieh zwischen der Stadt Erfurt und der Cy-
riacsburg in einem stehenden Quellwasser Blut schen lassen, des-
gleichen zur Zeit des Königs zu Schweden Ankunft und als Ge-
neral Banner die Stadt oceupirt gehabt, am selbigen Orte auch
gesehen worden. Der damalige Commandant liefs es bis auf den
Grund ausschöpfen und bewachen, es wurde aber nichts desto weni-
34 EnrenBeErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1641.
1642.
1642.
1643.
ger anderen Tages in vieler Leute Gegenwart und noch öfters
hannehero gesehen. Theatr. europ. 661. (Monatsb. 1850 p. 230.)
Im Jahre 1641 im Hornung (Februar) ist zu Aurich in Ostfries-
land in dem Schlofsgraben das Eyls und Wasser Blut gewesen.
Zeiler Epistola 50. Der Jahreszeit halber ist hier schwer an Oseil-
latorien oder Euglenen zu denken. Vielleicht finden sich noch
weitere Spuren eines damaligen Blutregens oder Meteor-Falles.
(Monatsb. 1850 p. 230.)
Auff den 26. Februarii eben dieses 1642. Jahres hat es zu Altz-
heim in der unteren Pfalz Nachts Blut geregnet, dafs man ande-
ren Tages die Tropfen davon auf der Gassen noch gesehen. Theatr.
europ. IV p. 899. Blutregen mit erdigem Absatz.
Zu Altzheim sind gleichzeitig vom Gottesacker Gespenster bis
an die Stadtthore gekommen und haben o wehe! o wehe! geschrieen.
Ibid. p, 902. (Monatsb. 1850 p. 230.)
Zu Altzheim hat es am Ende Februarii ein ungewöhnliches Chasma
(Feuerkluft am Himmel) gegeben und selbige Nacht um 8 Uhren
Blut geregnet, dafs man davon des folgenden Morgens die Bluts-
tropfen auf der Gassen noch gesehen. p. 661. Blutregen ist deut-
lich und die Stimmen in der Luft samt dem Chasma, wenn sie
gleichzeitig waren, könnten einen Meteorsteinfall bezeichnen. (Mo-
natsbericht 1850 p. 231.) Diese beiden Nachrichten gehören wohl
nur einer und derselben Erscheinung an.
Auff den 19. Novemb. 1642 hat es im Würtenberger Land in der
Stadt Stuttgard, dero Vorstädte um den Mittag Blut geregnet, dafs
man es in wässriger Gestalt fliefsen sehen. Ebenda IV p. 899.
(Monatsb. 1850 p. 231.)
Zu Laibach fiel 1642 ein Feuerregen. Ebenda IV p. 899. (Monatsb.
1850 p. 231.) Sternschnuppenregen?
Das Wasser bei dem Petersthore zu Leipzig und in Teichen dort
herum hat sich 1643 in Blut verwandelt. Trheatr. europ. IV p. 899.
Euglena. (Monatsb. 1850 p. 231.)
Im Jahre 1643 hat es im Januario bei der Stadt Staden, 5 Meilen
von Hamburg, Blut geregnet. Theatr. europ. IV p. 899. (Monatsb.
1850 p. 231.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 25
1643.
1645.
1648.
1652.
1652.
1652.
Dergleichen ist den 20. Febr. bei Stuttgard zu Vaiblingen an der
Enfs 2 Tage nach einander noch einmal geschehen, zu dessen Be-
weils die Unterthanen des Orts Ihro Fürstl. Gn. den 23. ejusd.
ein paar Stämmlein Holzes zugebracht, die noch voll mit Bluts-
tropfen besprenget gewesen. Ebenda. Bei Chladni ist diese Nach-
richt aus einer handschriftlichen Chronik. (Monatsb. 1850 p. 231.)
Des Jahres 1645 ist das Wasser zu Leipzig im Stadtgraben, wel-
chen die Schwedischen am Neuen Markte gemacht, in Blut ver-
wandelt worden. Zeiler Eprstola 516. (Monatsb. 1850 p. 251.)
Im Jahre 1645 hat es zu Dublin in Irland einen starken Blut-
regen gethan. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 231.)
Umb diese Zeit des anfahenden 1648. Jahres haben sich in un-
serem Vaterlande nachfolgende Wunderwerke auf einander begeben:
als erstliche zu Rothenburg am Neckar, da es ein gut Stund lang
Blut geregnet, desgleichen zu Heilbronn auch etwas verspüret wor-
den, u.s. w. Theatr. europ. VI p. 633. Daraus in Sauers Städte-
buch und die späteren Schriften. (Monatsb. 1850 p. 231.)
Hamburger Briefe de dato 4. 14. März 1648 brachten mit sich,
an 8. M. Marien- und Niko-
laus-Kirche grofser Schaden geschehen. — So hätte man nach Ham-
nachdem zu Lübeck ein grofser Sturm,
burg Bericht eingebracht, ob habe es zu Malchin in Mechlenburg
Blut geregnet und sei mit einem Blitz eine rufende Stimme gehört
worden, welche: Wehe! Wehe! Wehe! seschrieen. Item dals aus
dem Malchinschen See viel lebendige Fische auf das Land gewichen,
welche man hernach, grolsen Gestank zu verhüten, mit vielen Wä-
gen hinwegführen müssen. Theatr. europ. VI p. 632. Diese Nach-
richt ergänzt das Meteor von Malchin. (Monatsb. 1850 p. 232.
Ein Teich zu Pirna hat sich 1652 ın Blut verwandelt. Theatr.
europ. VII p. 315. Euglena? (Monatsb. 1850 p. 232.)
Ebenso hat sich 1652 ein Teich zu Wurzen blutig gefärbt. Ebenda.
Euglena? Das von Halle erwähnte bezieht sich wohl auf Früheres,
1631. (Monatsb. 1850 p. 232.
Unfern von Berlin fiel ein grofser Hagel, welcher, wenn man ihn
aufgehoben und betrachtet, zu geronnenem Blut geworden. Theatr.
Phys. Kl. 1871. 4
26 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1655.
1697.
1661.
1664.
1665. ?
1668.
europ. VI p. 315. Dies wäre ein dritter Fall rothen Hagels, 1194,
1652, 1802. Der übelriechende Hagel von 1846 gehört vielleicht
auch dazu. (Monatsb. 1850 p. 232.
Aus Poole, einer Stadt in West-England gelegen, kam durch
Schreiben 1653 Bericht an, dafs allda den letzten Juni N. ©. Mor-
gens umb 6 Uhr sich über selbiger Stadt eine schwarze Wolke er-
zeiget, woraus einige Tropfen so rothen Blutes herunter, auch
etlichen Leuten auf die Hände gefallen, welche bekräftigen dürffen,
dafs sie warn gewesen und vermeinet die Nase hätte ihnen ge-
schweist nnd solche Tropfen seien daher gekommen. Insonderheit
hat man in den Gärten diese Blutstropfen merklich verspüret. Wie
denn dero Blätter etliche an den Major gedachter Stadt, den Ge-
neral Cromwell nach London überschickt worden. Theatr. europ.
VII p. 466. (Monatsb. 1850 p. 232.)
Anno 1657 im Martio fiel in Churland an unterschiedlichen Orten
nach der See zu Mehl vom Himmel, welches sehr schön, weils und
gut war, so dafs viele Leute Kuchen und Brod daraus gebacken.
Theatr. europ. Blafsgelblicher Meteorstaub? Weifser Meteorstaub?
Der alte Kreideregen? (Monatsb. 1850 p. 232.)
Um und bei Güstrow (Meklenburg) fiel zu Eingang des Februarii
um Mittagszeit ein Schnee, worauf von vielen Menschen hohen und
niedrigen Stands blutige Kreutze gesehen wurden. Theatr. europ.
IX p. 308. (Monatsb. 1850 p. 232.
Im Martio und zwar den 5. und 15. desselbigen 1664. Jahres
regnete es bei und um Klagenfurth in Kärnthen recht blutiges
(Getraide, welches wie sonst anderes gesätes wohl speisete und
Hühner wie auch allerlei anderes Vieh innerhalb wenig Tagen satt
machte. Theatr. europ. IX p. 1461. Der Blutregen hatte offenbar
eine eigenthümliche Natur. (Monatsb. 1850 p. 238.
23. März fiel bei Laucha nicht weit von Naumburg in Sachsen
eine grolse Menge einer faserigen Substanz, welche blauer Seide
glich. (Johannes Praetorius.) (Arago l.c. p. 211.) — Con-
ferven ?
Zu Marienburg in Preufsen erzeigte sich im Mai 1668 das Wasser
in dem Graben bei der Rofsmühle wie Blut, welches 24 ganze
das
1671.
1675.
1675.
1677.
von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 27
Stunden so anhielt und erst des anderen Tages wieder verging.
Ob nun gleich drauff das Wasser mit Stangen umbgerührt ward,
zeigte sichs doch nicht so roth, sondern ist kohlschwarz von dem
innliegenden Gesümpfe anzusehen gewesen. T'heatr. europ. X p. 972.
— Das Sumpfwasser trug wahrscheinlich Zuglena.
Im August Monat 1671. hat sich zu Lemberg im Graben hinter
der ‚Jesuiten Pfort des Morgens um 4 Uhr und des Nachmittags
um 3 Uhr das Wasser blutroth erzeigt und hatte in der Erde drei
(Quellen, daraus es runne und roth befunden ward. Einige fingen
solches in Gläsern auf und befanden hernach dafs zu rothen Sand
ward. Ebenda p. 611. — Sumpfiges trübes Wasser (mit Euglena?)
das beim Trocknen trocknem Schlamme gleicht. (Monatsb. 1850
p- 233.
Anno 1675 ist zu Anfang des Novembers bis zu Ende des Win-
ters allhier in der Neumark in einem See bei dem Dorffe Herms-
dorff das Wasser bei dreilsig Schritt blutig anzusehen gewesen,
hernach hat das Eis eben die Farbe an sich genommen, doch so
dals sie an einem Orte als grofse Tropfen, an dem andern als
Blut, so aus einem kleinen Gefälse gegossen und in dem dritten
als ewerementa eines, der an der Dysenterie laborirt, angesehen.
Hänfler p. 10 nach Beemann de prodıgüs sangwiners p. 18. — Ist
wohl Oseillatoria rubescens gewesen. (Monatsb. 1850 p. 233.)
Bei dem Kloster Leibus in der Mark Brandenburg hat sich in die-
sem Monat (1675) ein See in Blut verwandelt und haben sich die
(respenster bei den schwedischen Schildwachen dort und da stark
sehen lassen, sie auch oft verjagt. Theatr. europ. X p. 847. —
Die Genpenster können sich auf Geräusch eines Meteors beziehen.
(Monatsb. 1850 p. 233.)
Zu Berlin flofs im Junio vor dem Stralauer Thor alle Tage häufig
Blut und hielt solches Fliefsen täglich seine gewissen Zeiten und
Stunden und, welches verwunderlich, so bewegte sich solches sehr
erschröcklich, wenn man mit einem Stein darein warff. Ebenda
1143. — Ist wohl unzweifelhaft Euglena sangwinea gewesen, mit
starker sumpfiger Gasentwicklung und schäumiger Oberfläche, wie
sie oft erscheint. (Monatsb. 1850 p. 234.)
A
28 EurENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1677.
1678
1686.
1690.
Zu Alt Brandenburg sind viele Kugeln aus der Sonne gefahren eine
Stunde lang; die auf die Erde gefallen sahen wie Blut, wenn man
sie aufhob sah man sie nicht, wenn man sie niederleste, so war
es wieder Blut. Ebenda p. 1143. — Soll es heilsen, die dünnen
Flecke des Blutregens liefsen sich nicht aufnehmen, ohne zerstört
zu werden? Der Ausdruck in dieser Nachricht ist eigenthümlich.
Vielleicht erklärt es sich aus gleichzeitigen anderen Berichten. Die
Erscheinung kann leicht zu den sehr merkwürdigen gehören. Waren
es schillernde Schaumblasen von Meeresschaum, wie ich im Sep-
tember 1847 in Ostende beobachtete? Siehe die Abhandlung von
1847 unter 1808. (Monatsb. 1850 p. 234.)
fiel im Sachsenhausen der Regen in Gestalt eines brennenden
Schleims, der noch eine Viertelstunde auf der Erde fortglomm.
(Ruhland l. cc. Bd. 6 1812 p. 42.) (Phosphorescirend.)
Am 31. Januar fiel zu Rauden in Kurland und zur selben Zeit in
Norwegen und Pommern eine schwarze faserige papierartige Masse
in vielen Stücken, einige von Tisch Gröfse bei Sturm auf den Schnee.
Sie ist von Grothus nach dessen chemischer Analyse angeblich
durch Nickelgehalt u. s. w. für eine Meteormasse gehalten worden,
neuerlich aber nach meinem Berichte in den Abhandl. der Akad.
18538 p. 43 als verrotteter Confervenfilz mit mehreren anderen ähn-
lichen erläutert worden. Seine Fortbewegung in der Atmosphäre
durch den gleichzeitigen Sturm mag immerhin richtig beobachtet
sein und diesen Fall den schwarzen Schlammregen anschlielsen.
Iın Mai 1690 ist bei Berlin in einem Dorfe Marwitz das Wasser in
einem Sumpfe blutroth geworden. Hänfler p. 20. — Wohl un-
zweifelhaft Zuglena. (Monatsb. 1850 p. 234.)
Vor zwei Jahren ward ebendiefs (Blutregen) erzählet zu Tucheband.
Hänfler p. 8 1697. (Monatsb. 1850 p. 234.)
Von Stockholm ward erst neulich in den Nouvellen gedacht, dals
eine stehende See bei den Kupferbergen, Nortecke genannt, roth
angefärbt und als Blut sich sehen lassen, so zwei Tage lang ge-
währet, wiewohl es in den folgenden nicht eontinuirte. Hänfler
1697 p. 10. — War die stehende See, wie es scheint, ein Sumpf,
so gehört es zu Buglena sangumea und vindieirt deren Existenz
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 29
1697.
für Schweden, wo jedoch die nördliche Breite auch Astasia haema-
todes vermuthen lälst; war es ein gröfserer tiefer See, so ist es wahr-
scheinlicher eine Oscillatorıa (rubescens) gewesen. (Monatsb. 1850
p. 234.)
Pastor Bartsch schreibt von Stennwitz, einem Dorfe eine Meile
von Landsberg an der Warthe, 1697 an den Archidiaconus Gla-
doen in Cüstrin: „Hiernächst habe auch berichten wollen. dafs
am Dienstag vor dem 8. Trinitatis (20. Juli) eines von meinen Pfarr-
kindern bluttriefende Kornähren auf dem Scheunflur gefunden.
Denn nachdem sie das Korn vorgeschlagen, auch angebreitet und
zu dreschen angefangen, werden sie mit nicht geringer Bestürzung
sewahr, dafs unter den angebreiteten sich etzliche Ähren finden,
die von Blute so milde triefen, dafs, da sie solche durch die Hände
ziehen, selbige auch blutig werden. Die Bestürzung ist gröfser wor-
den, da sie gesehen, dals die Ähren, welche sie auf einen Zaun-
pfahl aufgehangen, beim Trieffen geblieben.“ 8. Hänfler p. 15.
Hänfler hält die Erscheinung der Ehre Gottes halber für werth,
dieselbe öffentlich in deutscher Sprache zu besprechen und sie scharf
kritisch zu beurtheilen, wobei er eine für ihn selbst ehrenvolle grofse
und ernst mühsame Gelehrsamkeit entwickelt. Nachdem er mit
dem damaligen Pedantismus umständlich erwogen, ob es natürlich
oder übernatürlich gewesen, wobei er die Vorstellung, dafs es In-
sektenauswurf gewesen sein könne, der Umstände und der späten
Zeit halber zurückweist, ob es, wenn es also übernatürlich, von
Gott, vom Teufel oder von Engeln gekommen, bleibt er p. 18 aus
wohl motivirter Überzeugung dabei stehen, dafs es von Gott un-
mittelbar ausgehe, und ergeht sich schliefslich p. 25 in Betrach-
tungen darüber, was es bedeuten möge. Er findet p. 31 doch nicht
wenig bedenklich, dafs gleich an diesem Tage drei Jahre vorher
auch ein Blutzeichen an eben diesem Orte sich in dem Brode sehen
lassen, räth zur Bufse und verweist auf Gottes Erbarmen. Der
Verfasser zeigt sich wenigstens als einen edlen, ächt christlichen,
gelehrten, aber nicht für Naturbeobachtung geeisneten Theologen.
Die Erfahrung, dafs die erdigen Niederschläge der Blutregen
les Passatstaubes die Feuchtigkeit eigenthümlich und lange an sich
30 Enurengeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1701.
1704.
1:05:
1712.
halten und daher, wo sie gehäuft sind, eine zeitlang gallertartig
und fleischartig erscheinen, erklärt vielleicht das fortdauernde,
Trieffen genannte Feuchtsein dieses Falles. Schade dafs der Pastor
Bartsch sich so wenig um die Sache gekümmert und sie nicht
selbst in Augenschein genommen hat, da er sie doch mysteriös
fand. Es waren also wohl von einem geringen Blutregen in der
Nacht genäfste Garben eingebracht, was man erst beim Anbreiten
des neuen, eben eingefahrenen Kornes zum Dreschen erkannte.
(Monatsb. 1850 p. 235.)
Am 25. Aug. 1701 entdeckte Leeuwenhoek in der bleiernen Dach-
rinne seimes Hauses rothes Wasser aus Infusorien gebildet. — Es
ist wohl die von mir Euglena sangwmea genannte Form gewesen.
Verel. die weitere ausführliche Geschichte im Infusorienwerk 1838.
(Monatsb. 1850 p. 236.)
Am 4. Januar wurde über dem Kirchthurme zu Quesnoy eine Feuer-
kugel gesehen, welche auf dem umliegenden Platz in Feuerregen
zerstäubte. (Arago, Astronomie popul. T. IV p. 212.)
Im Mai(?) 1705 ist zu Colmar im Elsafs ein so giftiger Mehlthau
gefallen, dals von dem Colmarer Vieh, so auf der Weide gewesen
und von einem nahe gelesenen Dorffe bei 500 Stück an Pferden,
Hormvieh und Schafen in 24 Stunden umgefallen, auch von den
Hirten, so Vater und Sohn war, der letztere gestorben, der erstere
aber nach angestandenem harten Anstols noch davon gekommen.
— Erschreckliche Gewitter und Sturmwetter herrschten im August
in der Bergstrafse u. s. w. Theatr. europ. XV. 1705. — Der
Name Mehlthau läfst auf ein eigenthümliches, staubiges Meteor
schlielsen. Man wird aus anderen gleichzeitigen Nachrichten viel-
leicht späterhin seine wahre Natur feststellen können. Vallis-
neri’s Beobachtung von 1689 nöthigt diese Erscheinung hier nicht
zu übergehen. S. Abhandl. über den Blutregen 1847. (Monatsb.
1550 p. 256.)
Nahe bei Anklam in Pommern begab sich eine sonderbare Blut-
geschichte. Denn am Abend des 22. Mai 1712 ist ein Bauersmann
bei einem kleinen Teich, so bei Spankau, 1 Meile von Anklam ge-
en, vorbeigegangen und als er aus demselben trinken wollen,
le
o
fe)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 31
1714.
1715.
1718.
1721.
hat er wahrgenommen, dafs das Wasser blutroth gewesen. Fast
1 Finger dick war geronnen Blut auf dem Teiche. Des Morgens
hat es sich verzogen, am Abend ist es wieder erschienen, bis zum
25sten beobachtet. Man nahm Flaschen voll und damit gefärbte
Tücher nach Anklam. General Allart, sein Priester und sein Se-
kretär besahen es. Theatr. europ. XIX p. 554. (Monatsb. 1850
p- 236.)
Anno 1714 wurde aus Ungarn geschrieben, dals ohnweit Peter-
wardein bei dem Dorfe Siebothita am letzten Januarüi bei der
Sonnen Untergang es zwei Finger hoch Mehl geschneyet. Marcus
über die Mehlberge von Klieken p. 25 1740. Vergl. 1657. — Ob
solche weilse Staub-Meteore, den schwarzen ähnlich, auch m einer
directen Verbindung mit den rothen gedacht werden können, ist
weiterer Entwicklung bedürftig. Manche sind als vulkanisch (Leucit-
Auswurf) bezeichnet. Frisch untersucht ist noch keiner. (Monatsb.
1850 p. 236.)
Untern Pareth im Sachsen - Lauenburgischen sollte das Wasser in
einer stehenden See sich 1715 in Blut verwandelt haben. wes-
wegen auch die Fischer selbe nicht befischen können. Wenn man
von diesem Wasser in ein Glas gethan und in etwas stehen lassen,
habe es nicht anders als wie geronnen Blut ausgesehen. Theatr.
europ. XX p. 412. OÖscillatorien? (Monatsb. 1850 p. 237.)
Wurde am 24. März eine gallertartige, silberschaumartig glänzende
Masse nach dem Falle und kanonenschufsartigen Knalle einer Feuer-
kugel auf der Insel Lethy in Indien gefunden. Barchewitz, neu
verm. ostind. Reisebeschr. Erfurt 1751 p. 427. (Ruhland I. c.)
Im Jahre 1721 fiel ein brennender Schleim zu Braunschweig, wel-
cher auf der Erde fortbrennend, weder durch Wasser noch Schlagen
und Umrühren mit einem Stabe ausgelöscht werden kann. Ruh-
land |.c. p. 41.
Fall von Erde, vom Magnet anziehbar auf dem Adriatischen Meere
zwischen Monopoli und Lissa. Zanichelli, Opuscoli di Calogera
T.2VE#@&ragol: ep. 212.)
fill ein rother Sandregen auf dem atlantischen Meere unter
45° N. Br. 8 bis 9 Stunden entfernt von allem festen Lande, der
32
ji
|
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os
1781
1781
1796.
EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
10 Stunden ohne allen Wind fortdauerte, nachdem ihm ein starkes
Licht voraufgegangen. (Ruhland |. c. 1812 p. 46.)
Ein Nebel brachte zu Detroit Regen und Koth mit, färbte Papier
schwarz und theilte ihm den Geruch von verbranntem Pulver mit,
verbreitete starken Schwefelgeruch und bedeckte die Flüsse mit
schwarzem fettigen Schaum. (Ruhland |. ce. p. 47.)
theilt Silberschlag in seiner Schrift über die grofse Feuerkugel
am 23. Juli 1762 mehrere Fälle leuchtender gallertiger Massen mit,
welche sternschnuppenartig herabgefallen sind, deren eine von bräun-
licher Farbe war. (Galle Schles. Ges. f. vat. Kult. 1
sah im Dezember ein Edelmann in Vivarais rothe F edler in Shmpfen
und auf dem Schnee, welche letztere durch Exeremente kleiner
Vögel, die die Beeren der Phytolacca decandra L. genossen, ent-
standen sein sollten. Journ. d. Phys. 1774 T. Il p. 128. (Kaemtz
l.c. p. 181.) Ob ÖOscillatoria rubescens?
fiel in Sieilien weilser Staub, welcher nicht vulkanisch war. Gio-
neni, Philos. Trans. T.LXXI. (Arago l. c. p. 213.)
sah Chladni in Dresden an einem warmen Herbstabend irrlichter-
artige bewegliche Punkte neben seinem Wagen und überzeugte sich,
dals dies Gallertklümpchen waren. Andere Irrlichter hält er für
zuweilen in Blasen luftballonartig aufsteigendes Sumpfgas. (Galle
l. c. 1869 p. 87.)
Phosphorescirender Höherauch bei Nacht. Journ. d. Phys. 1784.
(Ruhland Il. c. 1812 p. 48.)
tiel am 27. 28. und 29. August ohne Unterbrechung ein aschen-
artiger Staubregen in der Stadt la Paz im Bolivia. Dieses Phäno-
men konnte keinem Vulkan zugeschrieben werden. Man hatte Ge-
töse gehört und der Himmel war ganz klar. Der Staub verursachte
heftige Kopfschmerzen und bei vielen Personen Fieber. Mercurio
Peruano T. VI. 1792. (Arago l.c. p. 28) Versl: 1X05%m
Elsals und 1870 in Italien.
Am 8. März fand man in der Lausitz nach dem Falle einer Feuer-
kugel eine klebrige Masse, welche die Festigkeit, Farbe und Geruch
eines braunen trocknen . hatte. Gilbert’s Annalen Bd. LV.
(Arago l.c. p. 213.) — Von dieser Masse ist in Chladni’s, an
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 33
pP getrag I
ITIT.
1800.
1501.
1803.
1803.
1811.
das Berliner Mineralien-Cabinet übergegangenen Sammlung eine
Probe noch jetzt vorhanden und wurde 1838 von mir mikrosko-
pisch analysirt. (Abh. 1838 p. 47 u. 48.) Es erscheint als eine
zersetzte harzige Masse, mit vielen gröberen Pflanzenresten, die
terpentinartig mit heller Flamme brennt.
Am 13. Decemb. zu Kesmark (in Ungarn) rauchartiger Nebel.
(Ruhland I. ce. p. 47.)
Benzenberg theilt mit (Gilbert’s Ann. T. VI p. 232. 1800) dafs
ein Herr Bergmann in Süchteln eine feurige Kugel auf einem
Felde niederfallen sah und an der Stelle alsbald eine Kindskopf-
srofse Gallertkugel fand. Im Fallen war sie allmälig langsamer
und heller geworden. (Galle, l. e. p. 82.)
Feuerkugel im Depart. Aix, nach deren Platzen unmittelbar Fin-
sternils eintrat. (Ruhland, ]. ec. p. 48.)
Aörolith zu Mauerkirch, nach dessen Zerplatzen Finsternils ein-
trat. (Ruhland, ]. c. p. 48.) Ob einerlei mit vorigem?
Am 13. Novemb. 1805 sah der Astronom Schwabe in Dessau
Abends eime grolse Feuerkugel über das Haus seines Vaters weg-
fliegen. Eine ungefärbte gallertartige Masse war auf das Dach des
Herzoslichen Palais gefallen und wurde ihm überbracht. (Galle,
l. ce. 1869 p. 78.)
Im Juli fiel zu Heidelberg eine gallertige Masse in Folge des
Zerplatzens eines leuchtenden Meteors. Gilb. Ann. T. LXVI.
(Anago; ler p:7213:)
Apotheker Martin Scherb sah im Juli 1811 Abends 10 Uhr
eine prächtige Feuermasse in der Grölse einer kleinen Bombe sich
sehr schnell aufwärts bewegen, dann platzen und in Form einer
Feuersäule herabfallen. Am anderen Morgen fand er an der von
ihm bezeichneten Stelle eine schaumige, mit Strafßsenstaub verun-
reinigte zerrissene Masse. Ein ihm bekannter Mann hatte dasselbe
Phänomen gesehen und, wie er sagte, den Schaum mit dem Stocke
auseinander geschlagen. Gilb. Ann. T. LXVI p. 309. 1820. (Galle
l. e. p. 78.) Ob Kunstfeuer?
Phys. Kl. 1871. 5
34 EuRreEnBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1812.
1812.
1814.
1S15.
1819.
1819.
1819.
Starke Finsternifls zu England, so dafs man den ganzen Tag ge-
nöthigt war die Zimmer zu erleuchten und nicht lesen konnte.
(Ruhland I. e. p. 48.) Ob London fog?
Fiel im März zu Ulm nach einem Gewitter ein sogenannter
Schleimregen, der sich allmälig in gemeinen Regen auflöste.
(Galle 1. e. 1869 p. 77. Ruhland |. c. p. 42.)
Regen von Asche oder einer ins Graue spielenden, erdigen,
äufserst feinen Substanz, welche sich hauptsächlich an die Früchte
anheftete, haben in unseren (piemontesischen) Alpen stattgefunden,
ohne dafs sich irgend ein etwas merkwürdiges Phänomen am Bo-
den oder in der Atmosphäre gezeigt hätte. Der Staubregen vom
28. Octob. 1814 war äulserst sonderbar dadurch, dafs er gleich-
zeitig verschiedene (getrennte) Punkte der Gegend traf. Aüsso Hıst.
nat. d. U’ Europe merid. Paris 1826 I p. 297. Bisher war ein Regen
vom 28. Oetob. 1814 nur aus dem Thale von Oneglia bei Genua als
ziegelrother Erdregen bekannt. Hiernach scheint er eime weitere
Verbreitung bis Nizza gehabt zu haben, deren Grenzen leider un-
bekannt geblieben. (Monatsb. 1850 p. 237.)
Erzählt Remigius Doettler (Elementa phys. T. II p. 405 Wien
1815) dafs eine entgegenkommende Feuerkugel zwei im offenen
Wagen sitzende Reisende selbst getroffen und mit Schleim über-
deekt habe. Zwei sehr vertrauenswerthe Männer haben ihm das
mitgetheilt. (Galle ]. e. p. 82.)
Am 13. August fiel zu Amherst m Massachusettes eine gallertartige
stinkende Masse in Folge eines leuchtenden Meteors. Silliman’s
Journal II p. 355. (Arago, Astron. popul. IV p. 214.)
Am 5. Septemb. regnete es in Studein m Mähren, in der Rich-
tung nach Teltsch zu zwischen 11 u. 12 Uhr Mittags bei klarem,
ruhigem Himmel kleine Stücke Erde, welche aus einer kleinen ein-
samen sehr hellen Wolke fielen. Hesperus, Novemb. 1819 und
Gilberts Annal. Bd. LXVII. (Arago, Astron. popul. IV p. 214.)
Im November fiel zu Montreal und in dem südlichen Theil der
Vereinigten Staaten Regen und schwarzer Schnee, begleitet von
einer aulsergewöhnlichen Verdunklung des Himmels, Erdbeben arti-
gen Erschütterungen, Artilleriefeuer ähnlichem Getöse und Lichter-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 35
scheinungen, welche man für starke Blitze gehalten. (Anmnal. d.
chimie T. XV.) Einige Leute haben dieses Phänomen einem
Waldbrande zugeschrieben, aber das Geräusch, die Erschütterun-
gen und alle Umstände dieser Erscheinung beweisen, dafs es ein
wirkliches Meteor war, wie die von 472, 1637. 1792 und vom
Juli 1814. Es scheint, dals dıe schwarzen und zerreibliehen, 1803
in Alais gefallenen Steine beinahe dieselbe Substanz waren in
einem Zustande grölserer Verdichtung. (Arago, Astronom. popul.
IV p. 215.) Vergl. Abhandl. d. Akadem. 1847 p. 114.
1824. Am 13. August fiel zu Mendoza in der Republik Buenos- Aires
Staub aus einer schwarzen Wolke. In einer Entfernung von 40
Meilen entlud sich die Wolke noch einmal. (Gazette de Buenos
Aires 1. Novemb. 1824.) Arago, Astronom. popul. IV p. 215.
1824. Am 17. Decemb. Fall einer brennenden Masse in Neuhausen in
Böhmen. (Poggend. Annalen Bd. VI. Arago, Astronom. popul.
IV p. 316.)
1829. Im Jahre 1829 wurde von mir rothe Färbung eines Sees der
Platowskischen Steppe in Sibirien beobachtet, erzeugt durch Astasıa
haematodes, eine damals neue Polygastern-Form. S. Infusorien-
werk 1838 bei Zuglena, Astasıa und p. 118.
1855. In der Nacht vom 12. zum 13. November sind in Newhaven und
an anderen Orten Nord-Amerikas mehrere Leuchtkugeln beobach-
tet worden, welche beim Herabfallen sich als Gallerten zu erken-
nen gaben. Diese in Poggend. Annal. 1834 Bd. XXXIII p. 204
oo
ausführlieh mitgetheilten Beobachtungen haben Poggendorff
selbst zu der Äufserung veranlalst, dafs ihre Übereinstimmung mit
den ın Europa öfter gemachten Erfahrungen eimen Grund für ihre
Glaubwürdigkeit abgebe. (Galle l. c. p. 83.)
1554. Am 30. October 1834 fiel an der russisch-chinesischen Grenze am
Arsun-Flusse im Gouvernement Irkutzk ein dunkelbrauner Meteor-
staub, dessen Proben durch Dr. Weisse 1851 an mich gesendet
und von ihm und mir analysırt worden sind. Die näheren Details
sind im Monatsbericht von 1851 p. 317 angeführt und dabei ist
besonders auf die Farben-Eigenthümlichkeiten des wahren Passat-
staubes hingewiesen worden. Die organische Mischung dieses
5:
36 Enrengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1547.
1548.
1848.
1849.
1849.
Staubes hat sich als auffallend übereinstimmend mit den Scirocco-
Stauben und ohne sibirische Characterformen gezeigt, obwohl die
Farbe von den Passatstaubverhältnissen abweichend zu wenig roth
erscheint. Die Masse enthält atmosphärische Kalk-Morpholithe.
Fiel am 31. März gleichzeitig mit dem rothen Schnee im Puster-
thale auch ein rother Staubregen im Gasteiner-Thale bei Salzburg.
(Monatsb. 1848 p. 65 und Abhandl. 1847 Nachtrag p. 130.)
Wurde von den DDr. Schlagintweit eine erdige Streifung des
Oberen Lys Gletschers, 10888 Fufs hoch, mitgebracht, welche durch
die mikroskopische Analyse sich als wohl ältere Ablagerung des
vothen Passatstaubes zu erkennen gab. (Monatsb. 1853 p. 328.)
Apotheker Oswald in Oels berichtet (Verh. d. Schles. Gesellsch.
1848 p. 43) dafs ein Herr von Sydow am 18. October eine
leuchtende Masse zu Mauschwitz herabfallen sah, dieselbe sogleich
aufnahm und als gallertige Masse erkannte, welche getrocknet zu-
sammenschrumpfte, im Wasser wieder aufquoll und stickstofffrei
warsulG alle: "e. iB4,82,)
Meteorstaubfall in Schlesien am 31. Januar nach heftigem Südwind
auf Schnee, gleichzeitig zu Alt-Rauden bei Glogau, Hirschberg,
Nieder-Kummernik und Ober-Wangten, Liegnitz, Muhrau und
Niesky in Schlesien und auch bei Prefsburg, Wien und wohl
Salzburg (Monatsb. 1848 p. 107, 195 und Abh. 1847. p. 133.)
Diese sehr ausgebreitete Luftstaubbewegung in dichten Wolken ist
offenbar durch Mischung mit vielem Lokalstaube nur vorsichtig
‚len Passatstaubverhältnissen theilweis anzuschlielsen.
Am 28. März 1849 regnete es in Catania in Sieilien unter starkem
Südwinde einen feinen blutrothen Sand. In der Beilage zur Augsb.
Allg. Zeitung vom 18. April ist zu dieser Nachricht, dem alten Vorur-
theil gemäls, bemerkt. dafs der Sand wahrscheinlich von der afrikani-
schen Küste herübergetrieben worden. (Abhandl. 1847 p. 151.)
14. April ist in Irland ein schwarzer tintenartiger Regen über 400,
nach neueren Nachriehten über 700 englische Quadratmeilen ge-
fallen, worüber Prof. Barker in Dublin einen Bericht an die
Dubliner Societät der Wissenschaften erstattet hat. (Abhandl.
1847 p. 419.) Die mikroskopische Analyse hat ergeben, dafs sehr
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 37
1849.
1849.
viele organische Elemente im verrotteten Zustande die schlammige,
nicht rufsartige Substanz erfüllten und die nach zwei Monaten
vorgenommene Specialprüfung zeigte sogar in den verschlossen
gehaltenen Gläschen sehr zahlreich lebende mikroskopische Thiere.
sowohl schalenlose Polygastern als zuletzt auch Räderthiere.
Philodina roseola und Bursaria arborum der Polygastern, freilich
sehr spät beobachtet. (Monatsb. 1849 p. 201 u. 301.) Es ist bemer-
kenswerth, dafs sich diese Substanz an das von der Atmosphäre
getragene kohlschwarze Meteorpapier von 1686 anschliefst, dessen
Gehalt an Desmidiaceen und Conferven mit weichen Körpererfül-
lungen jede Vorstellung eines Verbrennungsproduktes abweist.
Bemerkte man am 29. und 30. April im Charkow’schen und
Poltaw’schen Gouvernement bei klarem Himmel eine entstehende
sehr merkwürdige Lufttrübung, welche die Tageshelle sehr verän-
derte, zwei Tage anhielt und veranlafste, dafs die Sonne als
ein rein weilser matter Kreis erschien. Ein gelblich grauer un-
fühlbarer Staub lagerte sich auf allen Gegenständen und Kräu-
tern ab. Die mir von Professor Eiehwald aus Petersburg zu-
gesandte Probe ist im Monatsb. 1850 p. 9 mikroskopisch von mir
analysırt und enthielt 43 organische Formen und zwar 24 Poly-
gastern, 15 Phytolitharien, 1 Polyeystine und 3 weiche Pflanzen-
theile. Der Mangel an den characteristischen Passatstaubformen
und die fast weilsgraue Farbe lassen den Zusammenhang mit
dem Passatstaub zweifelhaft. Jedenfalls hat sich erkennen lassen.
dals es kein Weltstaub und keine vulkanische Asche war.
Den 23. Februar hatten wir in Ludhiana in Indien (am Sedledsch)
in der Station, welche die Baraken heifst, in der Nacht und am
Morgen einen solchen Staubsturm, dafs wir um 10 Uhr bei Lam-
penlicht frühstückten, und um uns einigermafsen gegen den Staub
zu schützen das Haupt bedeckt behalten mufsten. Der Garten.
welcher noch wenige Stunden vorher voll der schönsten Blumen
prangte, zeigt keine Spur mehr von seiner Pracht, sie ist entweder
vom Sturm zerknickt oder so mit Staub bedeckt worden, dafs
jedwedes Naturleben vernichtet ist. Wenn wir ins Freie blickten,
so war es als sähe man durch ein gelbgefärbtes Glas, dann zeigte
38 Ennensperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1549.
1549.
1550.
1S»0.
IS>0.
sieh die Luft röthlich und endlich ganz dunkelbraun. Ein solcher
Staubsturm ist von einem aufserordentlich feierlichen Eindruck;
die Sonne erscheint in blutrother Farbe und die in voller Üppig-
keit prangende Pflanzenwelt ist plötzlich wie in ein Grab gesenkt.
Augsb. Allgem. Zeit. Beilage zu Nr. 68. 9. März 1850. Anonym.
(Monatsb. 1850 p. 258.)
"all von rothem Regen. Kürzlich (1. August) fiel beim Dorfe
Bonvilstone em Regenguls so roth wie Blut und er verbreitete
sich von da in westlicher Richtung über Lantrithyd, Flemingston
u. s. w. gegen Landwit-Major. Er war so deutlich, dafs er die
Erdschollen färbte. von denen manche wie Röthel aussahen. Mehre-
res Landvolk, welches davon Kenntnifs erhielt, war in ängstlicher
Aufresung, weil man sich vorstellte, es sei eine Anzeige eines
nahen Unglücks, und einige die es nicht fallen gesehen, kamen im
Laufe des Tages herbei, um den verfärbten Boden zu betrachten.
Oambrien, The Athenaeum 4. August 1849 p. 796. (Monatsb.
1850 p. 238.)
Über den oft blutfarbig rothen liegenden alten Gletscherschnee
der Schweiz, im Gegensatz des frisch fallenden rothen Schnees,
sind in dem Monatsbericht 1849 p. 287 ausführliche Mittheilungen
gemacht.
Anfangs Februar 1850 schwarzer Schneestaub zu Oesterholz bei
Detmold. Vergl. die Nachricht und Analyse in dem Monatsbericht
1850 p. 123.
In der Nacht vom 16. zum 17. Februar rother Schneefall auf den
St. Gotthards-Alpen, welcher die höchsten Spitzen bedeckt. Aus-
führliche Nachricht und Analyse findet sich in dem Monatsbericht
IS50 p. 169, 1851 p. 158.
Staubregen am 26. März 1850 aus Ningpo in China, dessen 1851
in den Monatsberichten veröffentlichte Analyse die sehr grofse Fre-
yuenz gelber Staubfälle in China aufser Zweifel stellt und nicht
wenige dem Passatstaube zugehörige Elemente darbietet. Unter
38 beigemischten organischen Formen war keine das Land characte-
nisivrende neue, auch keine Characterform eines anderen Landes.
Es sind weit verbreitete Arten. Keine gehört dem Meere an,
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 59
1851.
1851.
1853.
1854.
keine zeigt eine Mischung mit fossilen Erden. (Monatsb. 1851
p- 26, 1862 p. 209.)
Analyse eines rothen Schneefalles aus Graubündten am Bernhardin-
Passe vom 4. Februar 1851 mit Nachweis der Passatstaub-Elemente.
auch einiger amerikanischer Formen: Desmogonium gwanense?!
IHrmantidium Papilio. (Monatsb. 1851 p. 158, 1862 p. 209.) Hier-
bei ist nachträglich zu bemerken, dafs von Herrn Prof. Brunner
in Schweizer Zeitschriften desselben Jahres eine höchst verdienst-
liche genaue Nachricht über die grofse Verbreitung des Phänomens
in den Hochgebirgen gegeben worden ist.
Analyse eines 1851 auf ein Schiff im Stillen Ocean gefallenen
grauen Meteorstaubes, welcher sich als ein reiner Bimsteinstaub
ergab und dem Mangel des zimmetfarbenen Staubes im Stillen
Ocean nicht abhalf. (Monatsb. 1851 p. 739, 1862 p. 210.)
Analyse zweier grauer Meteorstaub-Arten aus Ninepo im China
vom März 1853, welche dem 1851 analysirten dortigen Orkan-
staub an Farbe und vielfach an beigemischten Lebensformen «lei-
chen, wobei auch wieder, aber vereinzelt, Characterformen des
Passatstaubes befindlich. Vom Einsender Herın Dr. Macgowan
(Maeegaun) m Ningpo wurden damals noch verschiedene histo-
rische Verhältnisse des gelben Staubes in China an den Vortra-
senden gemeldet, die m den betreffenden Jahren eingeschaltet
snd. Wenn das häufige Fallen des gelben Staubes in China
reichlich ist, bemerkt Dr. Macgowan, erwartet man ein frucht-
bares Jahr. Er schliefst selbst, dafs dort ungeheure Staubmengen
fallen müssen. (Monatsb. 1853 p. 514, 1862 p. 210.)
Am 15. Februar wurde in Breslau durch die Herrn Prof. Göppert
und Cohn ein ın Schlesien sehr weit verbreiteter Stauborkan mit
Süd- und Südwestwind beobachtet. Der Staub kam mit gelben Hauf-
wolken und hin und wieder mit Schneefall (Camenz, Brieg, Glogau.
Strehlen) oder er lagerte sich auf weilsen Schneeflächen (Gleiwitz).
Unbegrenzte Nebelmassen liefsen zuweilen die ganze Gegend gell
T
erscheinen. Die von Prof. Cohn gemachte mikroskopische Ana-
Iyse ergab dieselben Resultate, wie die des Staubfalles vom
22. Januar 1864 in Schlesien (vergl. 42. Jahresbericht der Schle-
40 Eurenperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
lS5».
1ISD6.
sischen Gesellsch. für vaterländ. Kultur 1864 p. 49.) Der Staub-
fall wurde gleichzeitig in folgenden Orten beobachtet: Gleiwitz,
Neisse, Glatz, Lampersdorf und Camenz bei Frankenstein, Reichen-
bach, Schweidnitz, Grottkau, Münsterberg, Wansen, Strehlen, Brieg,
Markt-Bohrau, Breslau, Stephansdorf bei Neumarkt, Parchwitz,
Zedlitz bei Lüben, Liegnitz, Glogau und Öttendorf bei Sprottau.
Es bleibt zu beurtheilen ob die angeblich gelbe Färbung dieses
Staubes ıhm wirklich zukomme oder ob sie nur ein Reflex der
weilsen Schneeverhältnisse ist, auf welchen sich die Farben leicht
erhöhen. Die Bestandtheile ergaben nicht die Charactere des
Passatstaubes.
Kin im Canton Zürich in der Schweiz gefallener Rothweinartiger
Regen am 14. und 20. November 1855 wurde im December ana-
Iysirt, dem vor 100 Jahren in Ulm gefallenen gleich gefunden und
in ihm das wässerige farbige Extract eines Passatstaubnebels ver-
muthet, dessen im Herumziehen mit Wasserdunstwolken ausgezo-
gener Staub irgendwo anders abgelagert worden sein möge, als
das Wasser. „Jedenfalls weiche diese Art rother Regen vom Blut-
vegen des Passatstaubes in der Mischung völlig ab, da die Färbung
nichts Feuerbeständiges, aber dem Sülsholz-Extract ähnlich, feine
Kügelchen enthalte. (Monatsb. 1855 p. 774, 777. Vergl. den 1861
bei Siena gefallenen Regen. Monatsb. 1862 p. 211.)
Fiel am 1. Mai zu Shangai m China eine die Sonne verfinsternde
Meteorsubstanz, welche die Analyse nur als eine reine Pappel-
samenwolle angiebt, von der ein, wie es vom Einsender bemerkt
ist, beigemischter Schmutz abgesondert worden war. Dieser so-
genannte Schmutz mag vielmehr eine den Meteorstauben vergleich-
bare Erde gewesen sein, welche weit mehr Interesse hatte, als die
(dieselbe verunremigende Pappelwolle. (Monatsb. 1856 p. 393.)
Über einen aufserordentlich merkwürdigen intensiv rothen Staub-
nebel, welcher durch den Flotten-Arzt Dr. Georg Clymer auf
der Kriegs-Sloop Jamestown ım Februar 1856 aus der Breite von
Sierra Leone im hohen Atlantischen Ocean an Kapitain Maury
berichtet worden, sagt Letzterer in den Sailing Direetions 1859 II
p. 377: „Was die Staubnebel (dust fogs) anlangt, welche im Früh-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 41
ling und Herbst in der Gegend der Capverdischen Inseln vorkom-
men sollen, so haben wir nur einmal dergleichen gesehen, obwohl
die Atmosphäre dort von trocknem staubigem Dunst (dry
dusty haze) oft trübe ist. Den rothen Staubnebel, welchen wir
sahen, durehschifften wir auf der Rückkehr von St. Paul de Loanda
nach Porto Praya im Februar 1856. Es war in der Zone der
äquatorialen Windstillen, in welche wir aus dem Südwest-Passat
am 1. Febr. im zweiten Grade nördl. Breite und zwischen 12 u.
13 Grad W. L. übergingen. Wir waren sechs Tage in diesen
Staubnebel eingehüllt, in welchen wir in der Nacht des 9. Febr.
plötzlich in 7° 30’ N. Br. 15° W. L. eintraten und aus dem wir
am 15. desselben Monats (gleichzeitig mit dem Übergange von der
Gegend der Windstillen in die des Nordost-Passats) unter 9° N.
Br. und 19° W. L. wieder heraustraten, Der rothe Staub hing
dick an den Segeln, Tauen, Planken und Verdecksgeräthen, von
denen er sich leicht sammeln liefs. Es war ein unfühlbares Pul-
ver von Ziegelstaub- und Zimmet-Farbe. Die Atmosphäre war so
dunkel, dafs man am Mittag in der Entfernung von 4 Meile ein
Schiff nieht hätte erkennen können. — *
Wie viel Masse mag wohl allein in jenen sechs Tagen des
Schiffes Jamestown im Februar 1856 sichtbar getragen und wirk-
lich ins Meer gefallen sein? Wie lange mag solcher Staubfall an-
halten können? In welchen Perioden mag er so massenhaft er-
scheinen? Nach Horsburghs India Directory p. 49 giebt es
ebenda Fälle von 15 bis 16 Tagen Dauer, und die Erscheinung
findet 3 bis 4 mal in jedem Frühling und Herbst statt. Grund
genug für den Ausdruck Dunkelmeer und die Nichtumschiffung
Afrika’s in früher Zeit.
Auf Schiffen ist noch niemals eine Messung der Menge des
sich in bestimmter Zeit oder in der Dauer der Erscheinung ablagern-
den Staubes versucht worden. Auch hierin wird man ohne grofse
Schwierigkeit künftig eine Erläuterung dadurch herbeiführen, dafs
man das auf 1 oder 3 oder mehr Quadratfuls oder Meter abgela-
serte in bestimmter Zeit oder der Dauer in der oben angegebenen
Weise gesondert abnimmt und zur späteren Wägung gesondert
Phys. Kl. 1871. 6
42 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1856.
1859.
1860.
1860.
1860.
aufbewahrt, welche durch Trocknen bei 100° C. einzuleiten ist,
annähernd aber auch mit gewöhnlicher Apothekerwaage und ge-
wöhnlicher Trockenheit des Niederschlages nutzbar erlangt werden
kann. (Monatsb. 1862 p. 533.)
Am 4. Novemb. fiel im hohen Süd-Ocean auf ein amerikanisches
Schiff ein, hohlen feinen Vogelschrotkörnern ähnlicher, Eisenstaub,
welcher, von Kapitain Maury eingesandt, beweist, dafs verschie-
denartige merkwürdige Meteore in Weltgegenden existiren, wo sich
kein Passatstaub bemerklich gemacht hat. (Monatsb. 1858 p. 1.)
Fiel am 24. und 25. Januar bei den Capverden auf das amerika-
nische Schiff Derby ein zimmetfarbener Passatstaub nach den ein-
gesandten Proben des Kapitain Hutchinson und des Kapitain
Maury. Der Staub enthält nach mikroskopischer Analyse 40 or-
ganische Formenarten genau in demselben Mischungsverhältnils,
wie in allen analysirten Passatstaubproben. (Monatsb. 1860 p. 203,
1848 p. 440.)
Am 10. März fiel bei Scirocco über ganz Griechenland ein gelber
und zum Theil zimmetfarbner Staub, der bestimmt nicht Blüthen-
staub war. Jul. Schmidt. (Monatsb. 1869 p. 308.)
In einer schönen Octobernacht gegen 4 Uhr Morgens beobachtete
Herr Joseph Chartier, Municipalrath aus Montaigu, zwischen
Vervins und La Bouteille ein wie eine Rakete über ihm aufleuch-
tendes Meteor, dessen Trümmer um ihn herumfielen. Die auf der
Erde zusammengeraffte kalte Materie leuchtete sehr stark fort wie
electrisches Licht. Später zeigte die aufgenommene Erde nichts
Eigenthümliches. (Galle l.c. 1869 p. 86.) Ob es der Rest eines
künstlichen Leuchtfeuers war läfst sich nicht entscheidend beur-
theilen.
Am 8. u. 9. Februar 1860 fiel zu Jerusalem ein Orkanstaub, der
durch Consul Dr. Rosen eingesandt worden. Es ist dem Ver-
zeichnifs der 75 ihn mit zusammensetzenden Formen zufolge un-
zweifelhaft, dafs dieser Staub sich an den eigentlichen Passatstaub
anschliefst und somit erläutert derselbe die uralten Blutmeteore
von Moses, des Propheten Elisa und von Alexanders des Grolsen
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 43
1859.
1860.
1861.
1861.
1861.
Zeit, welche in nahe liegenden Gegenden stattgefunden. (Monats-
bericht 1860 p. 148. 156.)
Fiel am 21. Decemb. in Westphalen und den Rheinlanden ein
Staubsturm mit angeblich rothem Schneefall, dessen Analyse erge-
ben hat, dafs derselbe kein wahrer Passatstaub gewesen und seine
mögliche Mischung mit dergleichen nur als höchst untergeordnet
erscheine. Die 74 Formen sind weit verbreitete des deutschen
Bodens. Ebenda p. 137.
Am 28. und 31. Decemb. 1860 und am 1. Januar 1861 fiel zu
Siena in Italien ein rother Regen, welchen die Herren Professoren
Dr. Campani und S. Gabrielli daselbst in sehr verdienstlicher
Weise umständlich chemisch analysirt und beschrieben haben. (Sıulla
Pioggia d’acqua rossa caduta ın Siena ete. studi chemici e micros-
copiei dei Dottori G. Campani e S. Gabrielli. Siena 1861.)
Dieser Regen schliefst sich zunächst an den in Zürich 1855 am
14. November gefallenen an, (vergl. Monatsb. 1855 p. 764, 1862
p- 215) und ist in nur zweifelhafter Beziehung zum Passatstaub,
so dafs er möglicher Weise als ein meteorischer Extract 1862
p. 215 von mir bezeichnet wurde.
Am Morgen des 29. October 1861 bemerkte der Kapitain Gutkese
auf der Reise von Ostindien nach England, zwischen dem 24. und
25. Grad n. Br. und dem 35. und 36. Grad westl. L. von Green-
wich, bei Ost und Nord Nord-Ost-Wind, dafs sämmtliche Segel des
Schiffes mit einem rothen Staube bedeckt waren, der aber so
äufserst zart war, dafs vermittelst einer Bürste mit darunter ge-
haltenem Papier nichts dem Auge Sichtbares gesammelt werden
konnte. An verschiedenen Segeln angehängte Schaaffelle hatten
mehr von dem Staube in sich aufgenommen. 40 Analysen des
rothen Staubes ergaben 47 organische Formen-Arten. (Monats-
bericht 1862 p. 215.)
Im Monat Juni und Juli wurden ansehnliche rothe Staubfälle in
Lyon auf Leinwandflächen bemerkt, nach Dr. Lortet (vergl.
Monatsb. 1862 p. 524.)
Wird von Herrn Buechich in Dalmatien ein trockner Nebel bei
Nordwind angezeigt (vergl. Öster. met. Nachr. IV p. 305.)
6*
44 Enrenpenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1861.
1802.
1502.
In der Nacht zum 17. Februar 1861 fiel im Thal von Vegezza
nahe bei Domodossola nach einem heftigen Wirbelwind mit Don-
ner, Blitz und Hagel ein rother gelblicher Schnee, welcher am
Morgen sich schichtenweis im Thale abgelagert zeigte. Die ge-
fürbte aufgesammelte Masse wurde von Professor Lavini unter-
sucht. (Bullet. meteor. d. Osserv. d. Coll. Carlo Alberto in Mon-
calieri Vol. V N. 2. 28. Febr. 1870.)
In der Sylvesternacht fiel in Breslau und in dem übrigen Schle-
sien von Neumarkt bis Ratibor und Kosel ein Staubfall mit Süd-
sturm, welchen die Herrn Cohn und Göppert mit den in der
Schweiz im Engadin sich damals zuerst anzeigenden Seirocco Süd-
winden in Verbindung bringen. Man sah tiefsehende gelbliche
Wolken und fand den auf dem Schnee liegenden gelblichen Staub
dem der aufgewühlten Sturzäcker in der Richtung des Sturmes
gleich. In der Mischung glich er einem späteren von 1864, wel-
cher nachzusehen ist. (Cohn 42. Jahresb. d. Schles. Gesellsch.
t. vat. Kult. 1864 p. 50.)
Am 5. und 6., genauer wohl am 7. Februar 1862 ist, wie am
31. März 1847, ein rother Schnee gefallen, welcher sich weithin
über das salzburgische Gebirgsland bemerkbar machte nach einem
Bericht vom Bergverwalter Reifsacher in Böckstem. Der rothe
Schnee wurde südlich von der Wetterwand bei Mitterberg, an den
Radstätter Tauern, in Gastein und Rauris und längs der ganzen
Centralkette zwischen Salzburg und Kärnthen durch das Pinzgau
gefunden. In Gastein und Rauris machte sich die Röthung der
etwa 1 Zoll diek gefärbten Schneeschicht vorzugsweise an den
westlich gelegenen und gegen Osten abdachenden Gehängen durch
Intensität der Farbe bemerkbar, was auf eine Windrichtung aus
Ost und Nordost schliefsen lälst. Nach Herrn Reifsachers Nach-
richten erstreckte sich der rothe Schneefall über die ganze Tauern-
kette aus Ost in West circa 15 Meilen und aus Nord in Süd eirea
7 Meilen, so dals diese Beobachtung des rothen Schneefalls sich
auf eine Fläche von mindestens 100 Quadratmeilen vertheilt. 40
Analysen sind durch 52 organische Formen-Arten charaeterisirt
(vergl. Monatsb. 1862 p. 521.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 45
1862.
18062.
18638.
1863.
1564.
Am 27. März 1862 fing es nach Dr. Lortet in Lyon um 74, Uhr
Morgens bei ruhiger Luft und ganz leichtem Westwinde im grolsen
Tropfen zu regnen an. Diese Tropfen hinterliefsen einen rothen
Staub, welchen ein Fabrikant wasserdichter Leinwand, von der
immer einige 1000 mötres ausgespannt liegen, beobachtet hat. Eine
von ihm auf Papier aufgefangene Probe wurde mir zugesandt und
analysirt. 40 Analysen ergaben 48 verschiedene organische For-
men-Arten (vergl. Monatsb. 1862 p. 526.)
Herr v. Khanıkoff berichtet von erschreekenden Staubstürmen in
Khorassan und Afghanistan, Kaubar (Caligo) genannt, deren Farbe
er aber stets als grau und gelb bezeichnet (vergl. Abhandl. der
Akad. 1868 p. 38.)
Am 1. Mai 1863 war die Ebene bei Perpignan und an andren
Orten der östlichen Pyrenäen Frankreichs nach einem heftigen
Sturm hier und da mit röthlichem Pulver bedeckt und die nahen
Berge sah man mit rothem Schnee bedeckt. Derselbe Staubfall
wurde an verschiedenen Punkten des Mittelmeeres, in besonderer
Menge im unteren Gatalonien bei Figueras und Gerona und in
Aragona zu Mora am Ebro beobachtet. Chemisch analysirt wurde
der Staub von Bouis. (Bullet. meteor. dell. Osserv. in Moncaltert.
Vol. V No. 2. 28. Febr. 1870.)
Am 7. Februar 1863 fiel ein rother Staub bei den Oanarischen
Inseln der den Pie von Teneriffa roth färbte: „Una pioggia di
sabbia ascrutta e quası impalpabile cadde nello Isole Canarie, la
quale ricopri e tinse in rosso \l pieco di Teneriffa, non che le nawr
ancorate davantı Teneriffa, Palma e U Isola del Ferro.“ — Analysirt
wurde der Staub von Daubrde. (Bullet. meteor. d. Osserv. del
Coll. Carlo Alberto in Moncalieri. Vol. V No. 2. 28. Febr. 1870.)
Eine Staubprobe dieses Passatstaubes sandte Dr. Fritsch aus
Zürich zu meiner Analyse sowohl von der Insel Ferro als von
der Insel Palma, welche im folgenden Abschnitt näher bezeichnet
werden.
Erschien eine reichhaltige Zusammenstellung über rothen Polar-
schnee im Anhange des vierten Bandes der Reise des Herrm
46 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1864.
1864.
von Middendorff, aus welcher hervorgeht, dafs diese Erschei-
nung dort bedeutende Ausdehnungen hat und verschiedenartig ist.
Am 22. Januar 1864 wurde in preulsisch und österreichisch
Schlesien ein Stauborkan beobachtet, der die ganze unter weilsen
Schnee liegende Gegend mit braunem Staube bedeckte. In der
Stadt Breslau hatte sich am Morgen der Schnee mit einer gelb-
grauen Staubschicht bedeckt, nachdem in vorhergehender Nacht
Südwind geweht hatte. Nach Berechnung des Apotheker Thamm
in Ratibor, welcher von 12 Quadratfuls den Schnee sammelte,
blieben beim gelinden Trocknen 84 Loth Staub zurück, was als
mittlere Werthbestimmung für Ratibor auf die Quadratmeile (—576
Millionen Quadrat-Fufs) 130,000 Centner niedergefallenen Staub
ergeben würde. Herr Renowitzki in Grofs-Strehlen gewann von
223 Quadrat-Zoll Schneefläche 43 Loth Staub, was 240,000 Cent-
ner auf die Quadratmeile geben würde. Der überaus feine, aller-
orts gleichartige Staub war nach Cohn ohne gröbere Sandmischung
mit nur wenig mikroskopischen organischen Formen gemischt.
(Cohn 42. Jahresb. d. Schles. Gesellsch. f. vaterl. Cult. 1864 p. 45.)
Weder die Farbe noch die angegebene Mischung dieses grofsen
Staubsturmes schliefsen sich mit Sicherheit an den wahren Passat-
staub an und lassen vielmehr vermuthen, dafs der eigentliche
Character durch überwiegende Lokalverhältnisse schon in der
Ferne verdunkelt worden. (Abhandl. d. Akad. 1868 p. 41.) Die
von mir gemachte Analyse sowohl des Staubes von Ratibor als
von Troppau ist im folgenden Abschnitt zu vergleichen.
Am 21. Februar 1864 fiel bei Reifnitz in Krain um 11 Uhr Vor-
mittags bei südöstlichem Wolkenzug ein äulserst feiner, aus sehr
kleinen Gräupchen bestehender Schneefall, welcher während einer
Stunde die ganze Gegend mit gelblichrother Schicht bedeckte,
zwischen isabellgelb und ziegelroth, am meisten ähnlich dem Zie-
gelmehl von alten Backsteinen. Die gefärbte Schneeschicht war
1 Zoll mächtig durchgehends von gleicher Beschaffenheit. Der
vothe Schneefall erstreckte sich auch auf Cernembl, Strug, Dür-
renkrain und auf die Oblaker Hochebene. Die Reifnitzer Land-
leute erinnern sich sehr wohl, dafs zur Zeit der französischen
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 47
1864.
1864.
1865.
1866.
1866.
Occupation ein ähnliches Phänomen stattgefunden habe, nur soll
der Schnee damals eine mehr intensive, fast blutrothe Färbung
gehabt haben. Diese Beobachtung von Deschmann hat Prof.
Jelinek mitgetheilt in d. Sitzungsber. d. Wiener Akad. 1864 II
p- 337.
Am 20. u. 21. Februar fiel gleichzeitig zu Rom und in der gan-
zen Romagna ein ähnlicher Niederschlag von Staub bei wüthendem
Südwind und starkem Regen. Die Menge des gelbröthlichen, dem
Ziegelmehl ähnlichen, äufserst feinen, unfühlbaren Staubes liefs sich
in seiner Schicht bis 4 Millim. schätzen. Der Staub bot angeblich,
nach Jelineks Mittheilung, keine Spur vollständiger organischer
Substanzen mit Ausnahme einiger wenigen eiförmigen Körper von
ungewisser Beschaffenheit. (Secechi Bullettins meteorol. d. Osserv.
d. Coll. Rom. Vol. Il p. 18. Jelinek, Sitzungsber. der Wiener
Akad. 1866 II p. 556.) Die mir von Pad. Secchi übersandte
Probe dieses Staubes, zeigte nach meiner angezeigten Methode des
Analysirens doch eine ansehnliche Menge der organischen Bestand-
theile des wirklichen Passatstaubes. (S. Monatsb. 1869 p. 318.)
Am 28. und 30. März 1864 wurde von Herrn Calzavara zu
Valona in Albanien ein Schlammregen (proggia fangosa) zwischen
3 und 5 Uhr Nachmittags beobachtet bei heftigem Südsturm.
(Jelinek, Sitzungsb. d. Wiener Akad. 1866 p. 557.)
Am 15. März 1865 wurde zu Tunis ein Staubfall beobachtet auf
der dort stationirten italienischen Dampfcorvette Etna, und gleich-
zeitig auch zu Rom durch Secechi. (Bullet. met. d. Osserv. Coll.
Rom. Vol. IV p. 41.) Jelinek, Sitzungsber. der Wiener Akad.
1866 p. 557.
Am 28. Februar 1866 berichtet der Fabriks- Director Johann
Prettner aus Klagenfurt von einem braunen Staube, der den bei
Gewitter herabfallenden Schnee oberflächlich bedeckte, während
der tiefer darunter liegende Schnee schön weifs blieb. In einer
Schneemenge die 20 Mafs Wasser gab, waren 83 Wiener Gran
solchen Staubes enthalten.
Fiel in der Nacht vom 28. Februar zum 1. März in Rom ein
schwacher Regen, der an den Fenstern des Observatoriums einen
48 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
1567.
sehr feinen röthlichen Niederschlag zurückliefs. Der diesen Fall
beobachtende Padre Seechi liefs die Glastafel behutsam aus
dem Fensterrahmen herausnehmen und eine neue an deren Stelle
setzen. Als aber der Beobachter Marchetti am Morgen des
3. März die meteorologischen Beobachtungen anstellen wollte, be-
merkte er einen röthlichen Überzug auf der neuen Tafel und
glaubte, es sei die alte wieder an ihre Stelle gebracht worden.
Es hatte somit ein neuer mit Regen gemischter Staubfall stattge-
funden. Ein merkwürdiger Umstand war eine gewisse Trübung
des Himmels, welche bewirkte, dafs man die Sonne, welche hoch
am Himmel stand, ungescheut betrachten konnte. (Jelinek,
Sitzungsber. der Wiener Akad. 1866 p. 558.)
Fiel am 15. Januar vermuthlich in den frühesten Morgenstunden
ein röthlich grauer Schnee durch den ganzen Canton Graubündten
bei einer heftigen Süd-West Strömung der Luft und wurde auch
auf dem Splügen und Bernhardin wie anderwärts abgelagert.
(Vergl. Killias IV. Jahrg. der Schweiz. Meteor. Verhandlungen
1867.) Die Staubproben von Churwalden, Klosters, Andeer und
Chur sind durch Herrn Killias für meine hier mitzutheilende
Analyse zugänglich geworden.
Am 15. Novemb. 1867 wurde durch den Sohn des Dr. Nicati
zu St. Denis du Sig, Provinz Oran, Algier, ein grobkörniger dun-
kel braun gefärbter Staub bei heftigem Seirocco-Sturm gesammelt.
(Vergl. Cramer, Band V der Schweiz. Meteorl. Beob. 1868.)
Nach Cramers Analyse fanden sich viele Polythalamıen nnd nur
wenige Pflanzentheile verschiedener Art, die auf ein lokales Ver-
hältnifs hindeuten. In meiner später speciell verzeichneten Ana-
Iyse sind auch eine ansehnliche Zahl von Baetllarien und Phyto-
hitharien daraus hervorgetreten.
In der Nacht zum 14. Januar 1867 fiel nach heftigem Südwind
auf der ganzen nördlichen Seite der Seealpen mit Inbegriff von
Cuneo und den Bergen von Garessio oberhalb Albenga ein Zoll
hoch rother Schnee, welcher von einem feinen Staube herrührte
mit dem der Schnee erfüllt war. (Bullet. meteor. dell. Osserv. in
Moncaliert Vol. V No. 2 1870 p. 14.)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 49
1867.
1867.
1568.
1868.
1569.
1869.
1569.
Am 20. März 1867 wurde ein neuer (rother?) Staubfall über Ga-
lizien verbreitet mit heftigem Nord-Nord-West Sturm. (Bullet.
meteor. dell. Osserv. in Moncalieri Vol. V No. 2. 1870 p. 14, vergl.
Vol. II p:2:
War im August zu Modena nach Professor Ragona (la caligine
atmosph. in Luglıo 1869 p. 12) ein trockner Nebel gleich dem
vom Juli 1869, den Professor Kaemtz für Höherauch erklärte.
Ist die reichhaltige historische Zusammenstellung der sternschnup-
penartigen Gallert-Meteore vom Astronomen Prof. Galle und von
Prof. Cohn in Breslau in den Schlesischen Schriften erfolgt, welche
besonders die vom Grafen Pfeil angeregten mit vielfach erweiter-
ten ähnlichen Beobachtungen zusammenfafst. Die vielen Beobach-
tungen von Froschresten in manchen dieser Gallerten sind dabei
nicht aufser Acht gelassen. Was meine experimentellen Untersu-
chungen dieser Art vom Jahre 1836 anlanst, so würden dieselben
sich dadurch characterisiren lassen, dafs sie das Fortwachsen der
aufquellenden Froschtheile, als auf ihnen sich entwickelnde faserige
und gallertige Pflanzengebilde, aufser Zweifel gestellt haben.
Im Juni rother sehr reichlicher Staubfall in Apulien, durch einen
Professor zu Canosa gesammelt und durch Professor Palmieri
in Neapel an mich übersandt.
Am 10. März rother Passatstaubfall in Subiaco und Isola di Sora
bei Neapel. (Bullet. meteor. dell. Osserv. Rom. Vol. VII.)
Am 24. März fiel nach Herrn Galvert zu Tschanäk-Kalessi bei
Nord-Ost-Sturm ein rother Passatstaub in den Dardanellen. Glei-
cher Staub ist nach Herrn Jelinek am gleichen Tage in Lesina
bei Dalmatien, bei Weixelstein unweit Steinbrück und bei Cilli,
zwischen Grätz und Laibach, in Krain gefallen und es sind mir
die Proben desselben zugekommen. In den Dardanellen war die
Menge des gefallenen Staubes in der ungeheuren Masse von 15
Tons auf eine englische Quadratmeile berechnet. Am gleichen Tage
fiel ein rother Staub in Neapel. (Oesterr. meteor. Nachrichten
Bd. IV p. 203, vergl. Monatsb. 1869 p. 307.)
Am 23. u. 24. März 1869 fiel in Sicilien und Calabrien bei heftigem
Nord-Ost-Sturm und dunklen gelblichen Wolken unter Blitzen ein
Phys. Kl. 1871. 7
50 Ennenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Regen, der die Farbe der Wolken hatte und einen gelben erdigen
Bodensatz zurückliels, der sich nach Prof. Silvestri’s specieller
hier angezeigten Beobachtungen in Catania im Feuer, wie Letten,
voth fürbte. Die von Silvestri zuerst und dann von mir analysirte
Probe enthält die Elemente des Passatstaubes in reichlicher Zahl.
1869. Im Juli beobachtete der Director der Sternwarte zu Neapel Gas-
peris, dals der damalige Höherauch einen sehr feinen reichlichen
Staub zu erkennen gab (Ragona, la caligine atmospherica Luglio
1569 p. 8). Ragona selbst zeigt an, dafs ein Honigthau
ähnlicher Schlammüberzug von gelber Farbe auf den Blättern der
Gewächse in den Bergthälern bei Arad gleichzeitig beobachtet
worden sei, den man Mellume nannte, 1. e. p. 15.
. U . x .
1869. Am 6. und 13. Juni 1869 sah man im Salzburg einen trocknen
Nebel (ob roth?), der nirgends anderwärts beobachtet wurde.
(Ragona |. c. p. 17.)
1870. Vom 13. und 14. Februar 1870 1) meldet Padre Denza (Bullettino
meteorologieo dell’ Osservatorio del Colleg. Carlo Alberto ın Mon-
calveri Vol. V No. 2. 28. Febbrajo 1870) nach folgender wörtlicher
!) Im Bullettino meteorologico dell’ Osservatorio del Collegio Romano. No. 2. Vol. IX.
Roma 23. Febbrajo 1870 p. 14 heilst es so:
Den 13. Februar 1570 wurde in Rom, in Subiaco und an der ganzen Ligurischen
Küste das Fallen rothen Sandes (sabbia) beobachtet. In Rom und in Subiaco wurde der-
selbe bei Gelegenheit eines schwachen, in den Nachmittagsstunden fallenden Regens ge-
sammelt; in Ligurien und in Piemont wurde er in der Nacht vom 13. zum 14. mit star-
kem Schneefall gesammelt. Der Wind war in Rom und in Subiaco ein heftiger und war-
mer Südost-Wind; in Subiaco zeigte das im Norden aufgestellte Thermometer 16°, nach
dem der Sternwarte 15°,
31. Marzo 1870 p. 19. — Der Sturm hat überall schlechtes Wetter verursacht und
am 8. und 10, Februar hat es an verschiedenen Orten geschneit. Wir hatten ihn in der
Stadt in zwei Nächten am 9. und 10. und in der ganzen Campagna hat er mehrere Tage
angehalten. Noch war dieser erste starke Sturm nicht vorüber, als schon am 11. ein
zweiter aus Süden von Spanien her einfiel, welcher bei dem Barometerstande von 743” bis
zum 14. andaunerte. Diese Depression im Nordwesten unserer Station brachte einen
wüthenden Sturmwind am 13. aus Südost und damit eine jener Erscheinungen, die bei
uns nicht so selten sind, nämlich die Herbeiführung von Sand aus den afrikanischen
Wüsten in unsere Gegend. Dieser Fall von röthlichem Sande wurde um 2 Uhr Nach-
mittags beobachtet, begleitet von wenigen Regentropfen. Herr Alvarez beobachtete dies
gleichzeitig in Subiaco und gab in einem Telegramme davon Nachricht, Padre Ciampi
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 51
Übersetzung aus dem Italienischen, dafs nach dem 10. Febr. ein
starker Nordsturm ganz Europa, von Schweden und England bis
nach den äufsersten Punkten der Iberischen Halbinsel, Italien und
Griechenland durchströmte, der von starker Kälte und reichlichem
Schneefall begleitet war.
„So ist eine Bewegung der Atmosphäre entstanden, welche, wie
gewöhnlich, in den Äquatorial-Gegenden eine nicht weniger starke
Bewegung hervorrief, die in kurzer Zeit überall, besonders im
Süden und Westen des Continentes, die Temperatur erhöhte. Sie
betrat unsere Halbinsel zwischen dem 12. und 14. und ein
wüthender Südost-Wind wandte sich dann den westlichen Gegen-
den zu, besonders den Küsten des Mittelländischen Meeres, wie
auch vielen Punkten von Sicilien, Civita veeehia und besonders der
ganzen Ligurischen Küste. Der eintretende Regen fiel mehr oder
weniger reichlich in diesen Gegenden und verwandelte sich in
Schnee, als er die nördlichen Appeninen erreichte.“
„Damals fand sich an verschiedenen Orten sowohl der Regen als
der Schnee gemischt mit sehr feinem Sand.“
„Im Süden wurde dies in geringer Menge vom Professor Minä-
Palumbo aus Castelbuono im nördlichen Sicilien bei Oefalu be-
obachtet, sowie auch in Rom, Subiaco, Tivoli und Mondragone
bei Frascati, wo der Staub durch die Trübung der Atmosphäre und
die rothgelbe Färbung der Regentropfen angekündigt wurde; in
Sicilien bemerkte man ihn am Abend des 13. und am Morgen des
14., in den römischen Stationen am Nachmittage des 13. Im Nor-
den fiel der Staub mit Regen am reichlichsten zu Genua und an
anderen Punkten der Ligurischen Küste in der Nacht vom 15. zum
14. In Genua wurde er durch Prof. Boccardo gesammelt, Prä-
sident des dortigen technischen Institutes, zu 8. Francesco
in Tivoli und Padre Lavaggi in Mondragone über Frascati. Padre Denza sammelte
ihn in Moncalieri von dem in der Nacht vom 13. zum 14. gefallenen Schnee. Mit dem
Luftstrome aus Südost wurde die Temperatur der Luft bis zum Morgen sehr erhöht; das
Thermometer in Rom zeigte 15°, in Palermo 17°. in Neapel 14°, in Ancona 16°; am
Schwarzen Meere, in Deutschland und in Süd-Frankreich hatten alle meteorologischen
Stationen in gleichen Graden unter Null Grad. Das Barometer war während der Luft-
bewegung aus Südost in fortwährendem Steigen und Fallen.
7 %
52 Eurengenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
d’Albaro bei derselben Stadt durch Sign. Gatta, welcher mir
folgendermalsen darüber schrieb: „Fast in der ganzen Nacht vom
12. bis 13. wehte in S. Francesco d’Albaro ein heftiger Nordsturm,
welcher am Morgen in Seirocco überging, ohne in seiner Stärke
nachzulassen. Das eisige Schneetreiben, welches mit dem ersten
Winde verbunden war, ging in Regen über und in der Nacht vom
Sonntag zum Montag (13. bis 14.) fand sich das Wasser mit dem
von mir gesammelten Pulver vermischt. — Dafs dasselbe in gröfse-
rer Menge gefallen sei, ging daraus hervor, dafs an den Orten,
in welchen der Regen durch die Heftiskeit des Wirbelwindes an
die Fenster gepeitscht war, derselbe m die Zimmer eindrang,
Streifen an den Wänden und auf dem Fufsboden hinterliefs, wo-
durch ich mich von der Gegenwart des begleitenden Staubes
überzeugte. — *
„In Piemont wurde derselbe Staub in unserer Station zu Mon-
ealieri und zu Mondovi gesammelt; er war mit Schnee gemischt
oecen 3 Uhr Nachmittags am
o2°5 ke)
und fiel nur eine halbe Stunde lang
13. Die Atmosphäre hatte während dieser Zeit eine gelbliche
Farbe, die sich auch an den Gebäuden refleetirte, und der zuerst
fallende Schnee war von derselben (röthlichen?) Farbe, während
der später fallende von gewöhnlich weilser Farbe war. Der zu
Moncalieri gefallene Schnee vom 13. bis 14. hatte eine Höhe von
9 Centimeter und der zu Mondovi 10 Centimeter, aber die gelben
Streifen dazwischen waren sehr viel feiner.“
„Es ist wichtig zu bemerken, dafs der Deelimations-Apparat in
Moncalieri während des 13. unruhig blieb, wie m Rom und an-
derwärts. Das Electrometer gab Anzeichen emer starken elec-
trischen Spannung in der Atmosphäre. Zu Mondovi sah Professor
Bruno zur Zeit des gelben Schneefalles einen Blitz und hörte
in der Höhe eimen Donner, was in dieser Jahreszeit dort unge-
wöhnlieh ist.“
„Der gelbe Schnee, welcher in Moncalieri und Mondovi gesammelt
und in einer Vorlage geschmolzen wurde, gab ein trübes
Wasser, welches aber nach kurzer Ruhe ein röthliches Pulver zu
Boden fallen liefs. Nach einer doppelten Filtration wurde dies
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 53
1870.
1870.
1870.
Wasser klar und das rückbleibende, von mir untersuchte Pulver
zeigte sich in seinen äufseren Charaeteren ganz gleichartig mit
dem überall in Ligurien gesammelten, das mir durch memen Cor-
respondenten aus Ivrea, Herrn Gatta, und durch seinen Sohn
L. Gatta, übergeben worden war.“
„Da ich keine Mittel hatte eine genaue Prüfung dieses Staubes
vorzunehmen, wandte ich mich an meinen Collesen Borsarelli,
Professor der pharmaceutischen Chemie an der Universität zu
Turin, welcher sich gütigst der Übernahme unterzog. Sobald mir
die Resultate der chemischen und mikroskopischen Analyse zugegan-
gen sein werden, werde ich mich bemühen sie zu veröffentlichen.“
„Der in Genua gesammelte Staub wurde, nach Bericht des Prof.
Boccardo, von Dr. Castellueci, Professor der Chemie am dor-
tigen technischen Institut, chemisch analysirt. Er fand ihn zusam-
inengesetzt aus erdigen und organischen thierischen Elementen.“
„Diese Regen von rothem Staub oder rothe Schneefälle, wurden
eine Zeitlang Blutregen genannt und sind keine neuen Thatsachen.
Um nicht zu weitläufig zu werden und nicht die vielen von Arago,
Kaemtz, Ehrenberg und Anderen gesammelten Beispiele, noch
auch die alten Nachrichten von solchen Regen in unseren Gegen-
den zu wiederholen, reicht es hin nur zu bemerken, dafs derglei-
chen seit 1860 fast in allen Jahren vorgekommen sind. — *
Am 13. April 1870 erfolste zu Janina in Albanien ein rother
Staubniederschlag mit Regen vor Sonnenaufgang, dessen Analyse
fo}
hier gegeben ist.
Am 3. Mai wurde m Ispahan in Persien eine reichliche Staub-
probe von röthlicher Farbe gesammelt, deren Charactere in einem
späteren Abschnitt gegeben werden.
Am 11. October 1870 um 104 Uhr Morgens trübte sich die Luft
bei leichtem Winde in Ura-tübe zwischen Chodjend und Samarkand
und ging um 2 Uhr Nachmittags in eine so starke Dunkelheit über,
dafs man bei Licht speiste. Die Luft war tief orangefarben. Die
nächsten Gegenstände sah man auf einem orangefarbenen Fond.
Die Usbeken nennen diese Erscheinung Ajun, die Sarten Topal-
jang. Die Muhamedaner wurden in die Moscheen zum Gebet ge-
54 Enrenbere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
rufen, da man den Untergang der Welt hereinbrechen glaubte.
Nach 3 Uhr fing es an zu regnen und zu schneien. Auf 3 Meilen
(25 Werst) im Umkreis wurde dieselbe Erscheinung wahrgenom-
men. Herr Antipin hat, nach einer brieflichen Mittheilung des
Herrn Baron Osten Sacken, diese Nachricht, ohne Staubprobe, an
lie geographische Gesellschaft zu Petersburg gelangen lassen.
Tabellarısehe Übersicht des neuen Historischen.
Erklärung der Zeichen.
—- Blutregen + A heilser Blutregen.
“= —? Staubregen, nicht vulkanischer Art,
nicht roth.
* —! other Staubfall.
“w rothe Flüssigkeiten, Flüsse.
6) >
o o rother Inseceten-Auswurf.
= 5 . ee
& Blitz und Donner gleichzeitig.
A Nebel, Wolken staubtragender Art.
X übelriechender oder ätzender Regen.
ZI rother frischer Schneefall.
HH-! rother Hagel FHX stinkender Hagel.
® Gleichzeitiges Feuermeteor.
® Gileichzeitiger Meteorsteinfall.
& heiterer Himmel gleichzeitig.
Y Blutige Ähren im Felde (=Sommer).
— ? fragliche Masse, (?) fragliche Zeit.
Vor Christus.
©* 743?
TTT Kreuze auf den Kleidern der Leute.
—-*+ verglichene Stellen der Geschichts-
"1154? + 746(2)+
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+? 567+ T1226+
orig +-1226+
Quellen.
*® directe eigene Analyse der Local-
Erscheinung.
® Feuerregen.
[] Mehlregen.
& gallertige Schaumblasen u. Gallerten.
© Eisenregen.
O© phosphoreseirend.
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1) 1617 ist 1847 erwähnt und später vervollständigt.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben.
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**1870 l+
*1870,+
') Die Blutregen-Nachricht von 1623 ist 1847 erwähnt und später vervollständigt.
or
6
56 Eurenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Monats-
der sämmtlichen Passatstaube
mit Einschlufs
Januar. Februar. März. April. Maı. Juni.
Vor Christus.
—+ 169?)
Nach Christus.
+ 359) —+1349 “6301 —+ 541 —+-1006 + 990
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I s64(?) -+1557 -+1120 —+1334 —+-1554 —+-1113
I1056 -—+1642 —+1551 —+1416 +1556() 1114
I1226 1643 —+1647(?) —+1551 —+-1567 —+-1163
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—+1446 —+-1691 —+-1664(?) —+1809 —+1640 —+-1552
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das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 57
Tabelle
und sogenannten Blutregen
der von 1847.
Juli.
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September.
Vor Christus.
Nach Christus.
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31837! —+-1763
—+-1763
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*1g61!
”1870!
October.
November.
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—+1623
—+-1642
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* 1765!
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—+1319?
"1937!
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*1g867!
December.
—+ 184(?)
(+ 169)
21999
—+1269
—+1549
—+-1556
—-1560
ns!
%1g37!
58 Enrenpera: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Geographische Übersicht
der seit 1847 hinzugekommenen historischen Nachriehten, nach den Ländern.
(Die *° bedeuten eigene Analysen. Die ? bezweifeln die Passatstaubnatur.)
Europa.
1. Italien mit den naheliegenden Inseln.
451? 1773 1561 1865 1867 ke
1860 "#964 a ETTN het wel
Sieilien.
800 1781 1849 "1869 “1369 1870
2. Deutschland.
Allgemein. Anhalt. Braunschweig. Hannover. Niederlande.
a. ©. 355 1805 1640 1641
p. C. 823 1721 1643 @. Belgien.
1005 1567
1583 Baden. Böhmen 1568
& & Hessen. ;
1622 1s1l und Mähren. E3-
1762 1623 a 5. Holland.
1783 1819 De 1701
1s1l Baiern. 1824 1678
1570 Würtemberg.
1583 Elsals. Mecklenburg. 1623 1643
1642 1623 1648 1642 1648
1705 1661 1815
Österreich. Preulsen. Sachsen. Schweiz.
1508 “347 567 1632 1697 1547 1623
1613 1561 786 1634 1712 1567 Ss
1642 „ 1226 1636 **1796? 1570 a
1664 11862 1270 1641 1500 1631 "*l1s50
167). 1546 1652 **1848? 1651 x)
1737 1864 1553 1665 **1550? 1632 |.
1803 1866 1582 1668 1854 16400 j1eal
IS15 1867 1588 1675 a 1643 a
= 1596 1675 **1 1859 1645 "*11855
"*1869 1597 LoRR = 1652 “|
u 1631 1690 1862 1715 al
1631 1695 "1564? ws ©1867
|
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 59
3. Frankreich. 4. Piemont. 7. Europ. Türkei. 10. Polen.
1098 1814 517? 1542 1620
1591 1870 746 1564
1617 950 **1869
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1563 1560 9. Schweden. *319997
1697 #934
Afrika.
(Atlantischer Westocean)
Algier. Dunkelmeer. Capverden. Canarien.
365 9 *#1859 Fr
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Asıen.
Palästina Persien. Turan. Indien. China. Indischer
und Syrien. 1362 1870 1718 a. 0.1154 1000? Ocean.
a.0. 730 #870 1849 83 1572 _**1856?
p- ©. 1226 p. C. 502 **1850
xx > rc RX
1560 630 2
900? ..! 1593
"*1856?
Amerika.
Süd-Amerika. Nord- Amerika. Stiller Ocean.
1792 1762 1819 **1851?
1324 1519 1833
gr
60 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
II. Neue Beobachtungen.
1. Seiroeco-Staub vom 23. bis 24. März 1569 in Süd-Europa.
Wenn ich von der chronologischen Folge der hier abzuhandelnden
Erscheinungen abweiche, so geschieht es des einflufsreichen Meteorstaub-
falles wegen, welcher am 23. u. 24. März 1869 stattgefunden hat. Der
in den Monatsberichten des Jahres 18691) von mir erläuterte rothe Pas-
satstaub der Dardanellen vom 24. März 1869, so wie seme Verbreitung
über ganz Griechenland, Dalmatien und Krain, dessen Proben mir durch
den Director der Sternwarte zu Athen J. Schmidt und durch den Direc-
tor des meteorologischen Institutes in Wien Professor Jelinek zugäng-
lich geworden, hat, nach weiteren Nachrichten, am gleichen Tage eine
noch viel gröfsere Verbreitung bis über Süd-Ifälien und Sieilien gehabt,
worüber Professor Silvestri in Catania mir directe ausführliche Nach-
vichten gegeben und Staubproben übersandt hat. Sowohl in Griechen-
land wie in Italien ist die Richtung des Sturmes während des Staubfalles
als aus Nordost, also nicht aus der Richtung von Afrika kommend, be-
zeichnet, sondern entgegengesetzt, wobei jedoch nicht aufser Acht zu
lassen sein wird, dals der Sturm in rascher Folge aus sehr verschiedenen
Richtungen eimgetreten ist, die eine eyclische Bewegung desselben anzei-
sen. Das Fallen solchen Staubes mit Nordsturm ist jedoch auch ander-
wärts mehrfach angezeigt worden.
Über den am 24. März 1869 bei den Dardanellen gefallenen, von
Nordost-Sturm getragenen Meteorstaub ist nöthig hier Folgendes aus dem
Monatsberichte von 1869 abgekürzt in Erinnerung zu bringen. Nach
Prof. Julius Sehmidt’s Mittheilung gab es in den genannten Tagen in
Athen und im östlichen Mittelmeere starke Orkanstürme von 8.-O., S.,
S.-W.. und W. Am 24. März wehte in den Dardanellen ein starker
Nordost-Sturm, welcher eine überraschende Menge eines rothen Staubes
bei Tschanäk-KRalessi ablagerte, wo Herr Calvert sich der Beobachtung
und Einsammlung einer Probe umsichtig angenommen hat. Diese an
Herrn Prof. J. Schmidt in Athen gelangte Probe samt den Nachrichten
1) ]. c. p. 308.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamısche Leben. 61
über die Nebenumstände konnten von mir schon am 8. April 1869 der
Akademie vorgelegt werden. Über den gleichzeitigen Barometerstand hat
Prof. Schmidt reichhaltige Auskunft gegeben und auf meinen Wunsch
noch weitere Nachforschungen über das Phänomen angestellt. Das un-
geheure Massenverhältnifs des gefallenen Staubes bei den Dardanellen
betrug, nach Herrn Calverts ungefährer Schätzung, 15 tons auf die
englische Quadrat-Meile.
Gleichzeitig wurde vom Director des meteorologischen Instituts in
Wien Prof. Jelinek die Nachricht gegeben, dafs sowohl in Lesina bei
Dalmatien, als in Krain (Weixelstein, Cilli) am gleichen Tage (24. März)
und aus gleicher Windrichtung sich rothe Staubfälle unter Sturm ge-
zeigt haben, deren Proben mir ebenfalls von Prof. Jelinek zur Verfü-
gung gestellt worden sind. Die verschiedenen Staubproben haben im
Äufseren eine völlige Übereinstimmung der Substanzen erkennen lassen
und die mikroskopische Analyse von 1869 wird jetzt ansehnlich erweitert
vorgelegt.
Das damals gegebene Formen-Verzeichnils vom Staube der Dar-
danellen ist in den 10 Analysen jetzt auf 54 organische Beimischungen
erhöht, worunter 21 Polygastern, 29 Phytolitharien, darunter 4 Spongo-
lithen, 1 Kalk-Polythalamie und 3 weiche Pflanzentheile.
Die 5 Analysen der Staubprobe von Lesina haben bei weiterer
Prüfung 28 organische Beimischungen ergeben und zwar 14 Polygastern.
11 Phytolitharien, keinen Spongolith und 3 weiche Pflanzentheile.
Die 10 Analysen der Staubprobe von Cilli haben bei weiterer
Prüfung 20 organische Formen gezeigt, nämlich 11 Polygastern, 9 Phy-
tolitharien, darunter 3 Spongolithen.
Die 5 Analysen der Staubprobe von Weixelstein haben bei weite-
rer Prüfung 14 organische Formen ergeben, 6 Polygastern (5 Gallio-
nellen) 8 Phytolitharien, darunter 1 Spongolith.
Von diesen 4 Lokalitäten ist das Verhalten beim Glühen, gegen
Salzsäure und mit polarisirtem Lichte in dem Monatsberiehte von 1869
bereits angezeigt.
Durch Professor Silvestri ist in Sicilien eine so intensive viel-
seitige Beobachtung sowohl des Orkans vom gleichen Tage (24. März).
als der von ihm getragenen atmosphärischen Substanzen ausgeführt
62 Euresgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
worden, dafs dieselbe eine der hervorragendsten Stellen in der Reihe der-
artiger Beobachtungen einnimmt. Höchst auffällig und merkwürdig ist
seine Beobachtung lebender mikroskopischer Organismen und ihrer ver-
schiedenartigen Bewegungen in dem aufgefangenen Regenwasser. Der
Wortlaut der Beobachtungen Silvestri’s ist aus der Gazetta della Pro-
vincra di Catania!) von mir übersetzt folgender: —
„Am 23. März erwarteten wir des Morgens den Eintritt eines jener,
„von der neueren Meteorologie vorhergesagten, schweren Ereignisse. Mit
„dem zunehmenden Wüthen eines wachsenden Sturmes war das Meer
„von Sieilien durch dessen Gewalt zu ungeheurer Wildheit und Toben auf-
„gerest. Der Sturm blies heftig aus Osten und liefs das Barometer auf
„744””, 58 fallen bei einer Standhöhe über dem Meere von 31,23 Meter.
„Die Atmosphäre verdunkelte sich durch dicke Gewitterwolken, welche,
„wie man es hier in Catania erblickte, dem Himmel einen eigenthümlichen
„Anblick gaben. Die Luft war durch eine braungelbe Dunkelheit ver-
„finstert, die von Zeit zu Zeit von einigen seltenen electrischen Blitzen
„durchleuchtet wurde. — Diese Erschemung war von dem Umstande
„begleitet, dals beim Beginn des Regens derselbe die Farbe der Wolken
„hatte und gelbe Flecken hervorbrachte.
„Im chemischen Laboratorium der Universität zu Catania wurden
„Versuche mit diesem Wasser gemacht, welche folgendes Resultat ergaben:
„Eine Menge des vom Himmel gefallenen, durch eine schwebende erdige
„gelbe Materie milchartig getrübten Regens lieferte in der Ruhe einen
„gelben Bodensatz. Es blieb aber immer eine leichte Trübung zurück,
„selbst nach Absonderung des Bodensatzes und Filtration. Nur erst nach
„2, oder besser 3 aufemander folgenden Filtrationen konnte man das
„Wasser klar und farblos erhalten. Die niedergeschlagene und durch
„Filtration abgesonderte Masse war eine gelbe Substanz, die sich wie
„Thon kneten liefs. Das Wasser reagirte schwach sauer und zeigte bei
„einer Temperatur von 12° Ö©. ein specifisches Gewicht von 1,0012 ver-
„glichen mit dem reinen Wasser — 1.
„Das mehrmals filtrirte und also klare Wasser ergab beim Ab-
„dampfen einen sehr geringen Rückstand, welcher bei starker Hitze erst
{) 1. ce. Anno III 1869 Giovedi 1. Aprile No. 38 p. 3.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 65
„schwarz und dann weils wurde. Die schwarze Farbe erschien als eine
„Spur organischer verkohlbarer Materie, verbrannt und verkohlt war der
„weilse Rückstand als Seesalz zu 0,021 zu 0,0 zu bestimmen.“
„Die gelbe im Wasser schwebende und dasselbe trübende Substanz
„steht zur Masse in einem Verhältnifs wie 0,23 zu 0,0. Sie färbt sich
„durch Hitze schwarz, hat dabei einen Geruch von verbrannter Wolle
„und nimmt dann das Äufsere, die Zähigkeit und die rothe Farbe des
„gebrannten Thons an. Bei der Erhitzung verringert sich das Gewicht
„der Substanz zu 23,28 bei 0,0 was die verbrennbare Materie darstellt
„und nachweist, dafs sie einen organischen stickstoffhaltigen Antheil hat.“
„Nach den Resultaten der chemischen Analyse ergiebt ein Liter
„Regenwasser, welches 1001,2 Gr. wiegt, folgende Bestandtheile:
Wasserk. Mn a2 ‚uGr.19IE8372
!khonerdeier mal, 0,910
Kalksand (kohlens. Kalk) 0,289
Kieselerdiser Sand (Kiesel) 0,121
Peroxydhydrat v. Eisen 0,252
Chlor-Soda . . . . 0,216
Spuren von Schwefelstoffen 0,000
organ. stickstoffh. Materie 0,540
Ein Liter Regenwasser 1001,2 Gr.
„Höchst wichtig ist dieser Regen auch rücksichtlich der mikro-
„skopischen Analyse. Bei 500 maliger Vergröfserung im Durchmesser
„fand sich, dals die organische stickstoffhaltige Materie, welche durch die
„chemische Analyse aufgeschlossen wurde, ganz aus organischen verschie-
„denartigen Formen besteht. Es giebt darin Keime und Pollen von
„phanerogamischen Pflanzen, zellige Algen, wahrscheinlich vom Genus
„Protococeus, Algen von zusammengesetzterer Structur, Sporen derselben
„zwischen verwickelten Fäden, oder in Fruchthüllen verschiedener Form
„und Aussehen, von gelber, gelblich grüner, grüner und auch von schön
„granatrother Farbe. Aufser diesen Formen sieht man noch überaus viele
„lebende Infusorien mit schnellen, unruhigen, kriechenden oder auch
„geradlinigen Bewegungen. Einige dieser Infusorien gehören vielleicht dem
„ersten Stadium der Algensamen an, welche ihre Entwicklung mit anıma-
„lischen Bewegungen beginnen, sie sind mit Bewegungsorganen in der
64 EurenBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
„Gestalt von langen Wimpern versehen. Andere sind wirkliche mikro-
„skopische Thiere des Genus Monas, welche sich in süfsen, mit organi-
„schen Stoffen erfüllten Gewässern schnell zu entwickeln pflegen.“
„Auf der Sternwarte zu Neapel wurde ebenfalls beobachtet, dafs
„am 14. März mit Scirocco Wind die Luft stark höherauchartig getrübt
„wurde, das Barometer sank bis auf 637"" und es fiel ein Regen ebenfalls
„von gelber Farbe. Eine Nachforschung, ob dieser gelbe Staub nicht aus
„dem Vesuv gekommen sei, ist unterblieben. In unserem Falle können
„wir bestimmt versichern, dafs der Staub nicht aus dem Ätna gekommen
„ist, statt dessen glauben wir, dafs er aus der asiatischen Türkei oder
„aus der Nähe des griechischen Archipels, vielleicht auch aus noch fer-
„neren Gegenden des Orkan-Ursprungs hergeführt sein möge. Es scheint
„auch, dafs man annehmen kann, dafs die Infusorien sich in der Luft
„erzeugt und entwickelt haben. Diese Vermuthung stützt sich darauf,
„dals das aufgefangene Regenwasser nach der Filtration ganz dem ge-
glich, nur mit der Ausnahme seines geringen
=
„wöhnlichen Regenwasser
„Gehaltes an Meeressalz oder Chlorsodium, welches aus dem Schaume
„des sehr aufgeregten Meeres in die Wolken getragen sein konnte. Die
„gefundene Proportion des Chlorsodium von 0,021 zu 0,0 ist sehr gering
„im Verhältnils zu 3,775 zu 0,0 des Salzgehaltes unseres Meerwassers.
„Dieser geringe Stoffgehalt, welcher darin aufgelöst ist, schliefst auch
„seinen Ursprung aus stagnirenden Gewässern irgend eines Sumpf-
„bassins aus.“
„Das Wasser, welches während des Sturmes in Catanıa, Sıcilien,
„und in Calabrien gefallen ist, zeigt also keinen anderen Ursprung als
„den gewöhnlicher Verdunstungsprocesse. Das würde nicht der Fall
„sein, wenn man die uns beschäftigende Erscheinung sich mit einem
„Wirbelwind hätte in Verbindung denken wollen. Der Wind hat sicher-
„lich seine Mitwirkung gehabt, aber nur im Heben und Tragen des
„Staubes der Erdoberfläche bis zu grolser Höhe, wo die Luftwellen,
„welche die fortwährenden Schwankungen des Barometers hervorgebracht,
„ihn weiter geführt haben.“ — So weit Silvestri.
Eine günstige Fügung hat es mir möglich gemacht, an den von
Professor Silvestri gesammelten Proben vergleichende Beobachtungen
mit den von mir früher analysirten Substanzen selbst anzustellen. Die
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 65
sämmtlichen Elemente des von mir in drei Proben analysirten, theils in
Neapel, theils in Palermo und Catania am 23. und 24. März mit einem
und demselben Orkan gefallenen rothgelben Staubes betragen an Zahl 79
verschiedene mit besonderen Namen zu belegende Formen, welche in der
beigehenden Tabelle in leicht vergleichbare Übersicht gebracht worden
sind. Diese von mir selbst und unter meiner Leitung mit Sorgfalt auf-
gefalsten und in Zeichnungen festgehaltenen, nach fixirten Präparaten
dargestellten Elemente bestehen aus 27 kieselschaligen Polygastern, 47
kieselerdigen Phytolitharien, 2 kalkschaligen Polythalamien, 3 weichen
Pflanzentheilen und unorganischen Bestandtheilen.
Die einzelnen zur Analyse gekommenen Proben dieses Staubtalles
bestehen in zwei hier zu betrachtenden kleinen Mengen, welche Professor
Scaechi in Neapel mir zur Untersuchung zuzusenden die Güte gehabt
und der von Professor Silvestri mir zugänglich gemachten.
1. Neapel. Diese Probe ist von Professor Scacchi mit der Be-
merkung begleitet: „Masse, welche von dem in der Nacht vom 23. bis
24. März in Neapel gefallenen Regen nach 24 Stunden auf der Terrasse
meines Hauses gesammelt worden ist.“ —
Die Substanz ist ein röthlich gelber sehr feiner Staub, welcher
geglüht erst schwarz und dann röther wurde, mit Säure berührt nicht
brauste. Von diesem Staube wurden fünf Präparate 4 Cubiklinie grofser
Theilchen nach der gewöhnlichen Weise gemacht. Die mikroskopische
Analyse ergab in einem sehr feinen, thonigen Mulm mit selten eingestreu-
ten doppeltlichtbrechenden feinen Trümmersandtheilchen 12 organische
nennbare Formen, darunter 7 kieselschalige Polygastern-Arten, 4 Arten
Phytolitharien. Die Mehrzahl der organischen Formen bilden dieselben
(rallionellen, welche überall die ım Passatstaub vorherrschenden Formen
sind. Nur ein Fragment eines Üoscinodiscus, vergleichbar den in den
Abhandlungen von 1847 gegebenen Abbildungen, könnte möglicherweise
einer Meeresform angehören, alle übrigen Formen sind Sülswassergebilde.
Unter den Phytolitharien ist zwar ein Spongolith, der aber auch keinen
Character einer Meeresbildung besitzt. Zu bemerken ist noch, dafs in
jedem der fünf analysirten Theilchen mehrere organische Formen erkenn-
bar wurden.
Phys. Kl. 1871. 9
66 Enrengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
2. „Staubprobe in Palermo in der Nacht vom 23. bis 24. März
gefallen.“ — Von Professor Seacchi übersandt.
Die Substanz ist ein sehr feiner, ebenfalls röthlich gelber Staub,
welcher geglüht erst schwarz, dann röther wird, mit Salzsäure berührt
wenig braust. In 20 Analysen von 4 Cubiklinie der Masse ergab die
mikroskopische Untersuchung in einem feinen Eisenthon-Mulm mit reich-
licher Beimischung von Trümmersand 53 darin eingestreute organische
Formen-Arten und zwar 18 kieselschalige Polygastern, 30 kieselerdige
Phytolitharien, 2 kalkschalige Polythalamien und 2 weiche Pflanzentheile.
Grüne pyroxenartige Crystalle waren noch in die unorganische Masse
eingestreut. Unter den 18 Polygastern-Arten sind 17 Süfswasser-
formen und wieder am meisten vorherrschend die Gallonellen, welche
charaetergebend für den Passatstaub sind, samt Campylodiscus Fragmen-
ten. Entschiedene Meeresformen könnten die nur sehr selten gesehenen
Coscinodiscus Fragmente sein. Unter den 30 Phytolitharien sind 7 Spon-
golithen, die ebenfalls keinen entschiedenen Character von Meeresbildun-
gen, wohl aber den von Sülswassergebilden haben und von den übrigen
Phytolitharien ist nur zu bemerken, dafs sie sämmtlich terrestrischen Ur-
sprungs sein müssen und dafs keines von ihnen eine ausgezeichnete neue
Form darstellt. Es ist noch anzudeuten, dafs die hier und in den an-
deren Meteorstaubarten vereinzelt vorgekommenen Assula-Arten auf den
Hochgebirgen Asiens!) im Himalaya als zahlreich zusammenhängende
Platten vorgekommen sind. Die beiden Polythalamien mögen vielleicht
anzeigen, dafs sie aus irgend einer kreideartigen Oberflächenbildung mit
fortgerissen sind, da die Schalen sich ohne organischen Inhalt zeigten.
Hieran schliefst sich nun die von Professor Silvestri übersandte
Probe jenes von ihm selbst so sorgfältig und frisch geprüften Nieder-
schlages vom 23. und 24. März zu Catania.
Die Substanz ist ebenfalls ein röthlicher, etwas mehr ins Graue
übergehender feiner Staub, welcher beim Glühen erst schwarz, dann röther
wird und bei Berührung mit Salzsäure wenig braust. Die mikroskopische
Analyse von 20 4 Cubiklinie grofsen Theilchen der Masse ergab die Summe
von einzeln eingestreuten 59 organischen Formen, nämlich 20 kiesel-
1) Abhandl. d. Akad. 1358, Taf. III. (Difflugia?)
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 67
schaligen Polygastern-Arten, 34 kieselerdigen Phytolitharien-Arten, 2 Po-
Iythalamien-Arten und 3 weichen Pflanzentheilen. Die Hauptmasse zeigte
sich aus quarzigem Trümmersand und Eisenthon-Mulm bestehend, ohne
deutliche Spuren vulkanischer Elemente, aufser grünen pyroxenartigen
Orystallen. Unter den 20 Polygastern gehören 19 den terrestrischen
Sülswasserformen an und unter ihnen sind die Gallionellen wieder in
solchem Maafse vorherrschend, dafs sie in jedem untersuchten Präparat
mehrfach vorhanden waren.
Unter den 34 Phytolitharien sind 9 Spongolithe, sämmtlich den
Sillswasserformen angehörend, nur mit Ausnahme von Sp. septata, welche
als Meeresform anzuerkennen sein mag. Sp. Rectangulum n. sp. ist eine
unansehnliche kleine Form, welche wohl auch zu den Süfswasserformen
gezählt werden mag. Die 2 Lithasterisken könnten allerdings Theile von
Meeresschwämmen, (eodien, sein. Unter den übrigen Phytolitharien,
welche sämmtlich terrestrischen Grasbildungen anzugehören scheinen, sind
nur einige sich unwesentlich auszeichnende Formen, die meisten gehören
den weit verbreiteten Arten an. Von den 2 Polythalamien ist nur aus-
zusagen, dals keine ganz deutlich aufzufassen war, aber auch die beiden
nur einmal vorgekommenen ganzen Formen als leere Schaalen erkannt
worden sind. Auch sie mögen einem Kreidegebilde der Mittelmeer-Umge-
bung angehören. Unter den weichen Pflanzentheilen zeichnet sich das
sternförmige Pflanzenhaar aus, welches einer unbekannten Gestaltung an-
gehört, sich aber zunächst in Gröfse und Form an die Sternhaare von
Elaeagnus anschlielst. Aufserdem wurde ein Fragment eimer Holzfaser
beobachtet, welches eine Reihe grofser Zellen erkennen läfst, die an jene
des Fichtenholzes sich anreihen.
Die sämmtlichen sieben sehr verschiedenen Lokalverhältnisse des
Meteorstaubes eimes und desselben Orkans (von den Dardanellen über
Lesina und Krain bis Sicilien) zeigen wieder nicht nur den auffälligen
Character einer Übereinstimmung der grofsen Mehrzahl ihrer Formele-
mente, sondern auch das Vorherrschen derselben Galhonella-Arten in
solcher Menge, dafs in jeder kleinen Analyse von, 4 Oubiklinie der Sub-
stanz mehrere, oft viele Specimina erkennbar wurden. In keinem der
vorgekommenen, wohl erhaltenen, vielleicht nicht leeren, nur farblosen
Exemplare haben sich farbige Erfüllungen des lebenden Körpers erkennen
o=
68 Enurenpere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
lassen. Ebenso ist zu bemerken, dals fast alle beobachteten Formen
schon bekannte, weit verbreitete Arten sind.
Die Gesammtzahl der in den 7 analysirten Proben des Passat-
staubes vom 24. März 1869 beobachteten Formen beträgt im Ganzen 107
organische Elemente, und zwar 40 Polygastern, 54 Phytolitharien, 5 Poly-
thalamien und 8 weiche Pflanzentheile.
2. Meteorstaub von 10. März 1869 in Italien.
Da mir mit jenen Meteorstaubproben vom 24. März noch zwei
Proben vom 10. März aus Neapel von Herrn Professor Scacchi über-
sendet worden sind, so wird es angemessen sein auch die Resultate von
deren Analyse hier anzuschliefsen. Eine dieser Proben ist aus Neapel
selbst, ist aber leider so klein, dafs die Gesammtmasse kaum 4 Cubiklinie
gleicht, wie sie bei jeder der übrigen Analysen zu Grunde gelest worden,
und die davon gemachten zwei Präparate haben keine deutlichen Resul-
tate an die Hand gegeben.
Die andere Probe ist von der /sola di Sora, vermuthlich der
Flufsinsel bei der Stadt Sora. Die feine Masse ist wieder von der röth-
lich selben Farbe des feinen Passatstaubes. Die Versuche des Glühens
und der Berührung mit Salzsäure mufsten der geringen Substanzmenge
halber unterlassen bleiben.
Die mikroskopische Analyse der 20 gleichartigen Präparate ergab
in emem feinen Eisenthon-Mulm 51 organische Formen und zwar 24 kie-
selschalige Polygastern-Arten, 24 kieselerdige Phytolitharien-Arten und 3
weiche Pflanzentheile. Alle Polygastern-Arten sind wieder Sülswasser-
formen, doch ist bemerkenswerth, dafs die hier beobachtete Namenla
undosa bis jetzt eine characteristische Gestaltung für Amerika ist, und
dafs die hier ebenfalls beobachtete Synedra Entomon auch früher zu
diesen amerikanischen Characterformen gehörte, später aber eine grölsere
Verbreitung gezeigt hat. Alle übrigen Formen gehören den weit ver-
breiteten Arten an und nur einige fragmentarische lassen über die Über-
einstimmung mit bekannten Arten ım Zweifel.
Was die Phytolitharien anlangt, so sind die beiden Spongolthrs
und Amphrdiscus truncatus Sülswasserbildungen und alle übrigen nur
terrestrische Grastheile, alle gehören bekannten Formen an. Kleine
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 69
Fichtenholz-Fragmente und ein einfaches Pflanzenhaar bilden die erkann-
ten weichen Mischungstheile von Pflanzen.
Aus dieser Analyse ergiebt sich, dafs die Atmosphäre um Neapel
auch vor dem grofsen Sturm vom 24. März schon mit den ganz gleich-
artigen Staubverhältnissen, wie mit emem trocknen Nebel erfüllt gewesen.
3. Staubfall vom 6. und 7. Februar 1563 auf den Canarischen Inseln.
Durch ein besonders günstiges Verhältnifs hat Herr Dr. v. Fritsch,
Verfasser des neuen wichtigen Werkes über die Geologie der Canarischen
Inseln, Gelegenheit gehabt, bei seinem Aufenthalte auf den Canarischen
Inseln Augenzeuge des überaus mächtigen, rothen Staubnebels zu sein,
welcher am 6. und 7. Februar, auch den Nachrichten des Padre Denza
zufolge, den Pie von Teneriffa bedeckte und sich auf den Schiffen in den
Häfen, sowie auf Palma und Ferro ablagerte.
Dr. v. Fritsch giebt in Petermann’s geographischen Mitthei-
lungen 1866, in seinem Aufsatz über die Canarischen Inseln p. 222 tol-
sende gewichtige Nachrichten darüber.
Nach einem 7 Tage ununterbrochen wehenden Passat, als er für
wenige Stunden in Ost-Süd-Ost Wind umschlug, führte der Wind aus
dieser Richtung einen Regengufs und eine Menge gelben Sandes herbei,
der als Staub auf den 5 Inseln in verschiedener Menge verstreut wurde,
am meisten auf Palma. Auffällig war, dafs der Wind aus bedeutender
Höhe herabkam, so dafs der Schnee an den Gehängen des Tyde deutlich
gelb gefärbt erschien. Ebenso merkwürdig war, dafs nach ganz bestimm-
ten Nachrichten die beiden östlichen Inseln Lancarote und Fuerteventura
gar nicht berührt wurden. Am meisten befremdend war die Kälte, welche
der Wind aus den oberen Theilen der Atmosphäre herabbrachte, so dals
in Valverde noch früh um 7 Uhr eine fingerdicke Firnschicht lag und die
Temperatur von 9,5° im Mittel auf 5,5° herabsank. Die Windrichtung
aus O-S-O ist Herr v. Fritsch geneigt, für eine Ablenkung des Anti-
passates durch den entgegen wehenden Passat zu halten. Der heifse
Wind seı auf den Canaren eine seltene Erscheinung und habe nicht ein-
mal einen eigenen Namen. So wäre denn aber also erfahrungsgemäls
der rothe Staub des Dunkelmeers nicht ein aufwärts gewirbelter. sondern
ein sich aus grolser Höhe herabsenkender Nebel.
70 Enrungenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Durch Dr. v. Fritsch habe ich zwei Proben dieses Dunkelmeer-
staubes selbst von Palma und Ferro erhalten. Die Substanz von Palma
ist ein unfühlbar feiner Staub von weilslich hellröthlicher Farbe, welcher
geglüht dunkler roth wird. Mit Salzsäure berührt erfolgt starkes Brau-
sen. Da nur ein undeutliches Polythalamien-Fragment sichtbar gewor-
den ist, so muls der kohlensaure Kalk eine mulmartige Beimischung bil-
den, deren kleine eubische Crystalle weiter bezeichnend sind. Mit pola-
risirtem Lichte zeigt sich der Mulm vielfach und in den vereinzelten
kleinen deutlichen Crystallen doppelt lichtbrechend. Weder glasartiger
noch zelliger Bimsteinstaub wurde erkennbar.
Die mikroskopische Prüfung ergab in 20 Analysen 48 organische
Formenarten, nämlich 20 Polygastern, 27 Phytolitharien, darunter 3
Spongolithe und 1 Kalk Polythalamien-Fragment. Die vorherrschenden
Formen sind Gallionellen und Lithostylidien, deren Zahl ungefähr 40 bis
50 auf jedem Präparat von 4 Cubiklinie Masse beträgt. Die Mehrzahl
dieser Formen sind weiter verbreitete, schon genannte Formen, ohne be-
sondere Hinweisung auf ihren Ursprung. Nur eine Rhaphoneis scheint
eine neue, noch aus keiner Erdoberfläche hervorgetretene Form zu sein.
Die Hauptmasse bildet ein unorganischer, feiner Mulm mit feinem quar-
zıgen Trümmersand, in welchem feine weilse eubische Crystalle verein-
zelt vorkommen.
Die Substanz von Ferro ist in sehr geringer Menge gesammelt,
von Farbe braun rostroth und nicht ganz so fein, als der Staub von
Palma. Beim Glühen wird die Substanz zuerst schwarz und dann dunk-
ler roth. Mit Salzsäure erfolgt kein Brausen. Bei polarisirtem Lichte
erscheinen die gröberen Theile oft doppelt lichtbrechend mit Mulm und
Sandklümpehen. Die mikroskopische Analyse ergab in nur 10 Präpara-
ten 17 organische Formenarten, nämlich 5 Polygastern, 12 Phytolitharien,
darunter 2 Spongolithe. Besondere Gestaltungen lielsen sich nicht un-
terscheiden. Von einer gleichzeitigen vulkanischen Thätigkeit auf den
Inseln ıst und kann hiernach nicht die Rede sein.
4. Staubprobe vom 22. Januar 1864 aus Troppau und Ratibor.
Von dem von Prof. Cohn sehr umständlich erläuterten Meteor-
staubfalle im Schlesien (42. Jahresb. d. Schles. Ges. 1864. p. 30) sind
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. TI
mir Proben von Troppau und Ratibor zugekommen, deren Analyse hier
mitgetheilt wird. Die Probe von Troppau ist von grauer Farbe, ohne
röthliche Reflexe. Beim Glühen wird der Staub erst schwarz und dann
gelblicher grau. Kein Brausen mit Salzsäure. Die mikroskopische Ana-
Iyse von 10 üblichen Präparaten ergab in einem feinen Mulm mit Quarz-
trümmersand eine reichliche Mischung von gröfseren Lithostylidien mit
nur wenig Bacillarien (Synedra?, Eunota amphioays, Pinnularia boreahs?.
Fragrlaria?). Unter 22 Phytolitharien-Arten ist keine unbekannte Form
und als Spongolith nur Sp. acieularıs.
Die Probe von Ratibor ist ebenfalls von grauer Farbe und wird
durch Glühen erst schwärzlich und dann nicht roth, sondern gelblich-
grau. Sie ergab mit Säure kein Brausen, enthielt m 10 Analysen
21 weit verbreitete Phytolitharien-Arten und als Polygaster Punoha am-
phiowys. Unter den Phytolitharien ist Amphrdiseus? und ein Spongolithen
Fragment.
Aus diesen Mischungsverhältnissen, welche nur Charactere der
nächsten Oberflächen enthalten, läfst sich auf eine Betheilisung des Passat-
staubes in keiner Weise schliefsen, weshalb auch in den Verzeichnissen
ihrer nicht weiter gedacht wird.
5. Passatstaubfall in Rom 1564 und 1366.
Zu dem im Jahre 1868 in dem Vortrage über die rothen Guinea
Erden (Abhandl. d. Ak. p. 39. und 42.) bereits angezeigten Passatstaub-
fällen m Rom vom Jahre 1864 und 1866, deren mikroskopische Analyse
theilweis in den Monatsberichten 1869 p. 320 veröffentlicht worden, gebe
ich hier noch folgende Erläuterungen und Zusätze.
Die mir von Hrn. Seechi zugesandten, von ihm im Bullettino
meteor. dell Osservat. Romano 1866 Marzo 51 ausführlich erläuterten
Proben dieser Staubarten sind ein sehr feines Pulver von rother Passat-
staubfarbe. Die mikroskopische Analyse der Staubprobe von 1864 ergab
einen vorherrschenden feinen Trümmersand und Mulm mit reichlicher
organischer Mischung, der Sand wurde bei polarisirtem Lichte farbig.
Die organische Mischung bestand in 10 4 Oubiklinie grofsen Mengen der
Substanz aus 35 Formenarten nämlich 14 Polygastern, 19 Phytolitharien,
darunter 3 Spongolithen, 1 Polythalamien - Fragment und 1 weichen
72 Enrenseunrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
PHlanzentheil. Die vorherrschenden Formen sind die Gallionellen, von
denen wohl 20 in jedem Präparate gesehen wurden.
Die Staubprobe von 1866 zeigt bei mikroskopischer Analyse feinen
doppelt lichtbrechenden Trümmersand, mit vereinzelten eubischen Cry-
stallen und Mulm, als organische Bestandtheile 40 Formenarten in 10 Ana-
sen, nämlich 18 Polygastern, 21 Phytolitharien, darunter 3 Spongolithe
und 1 weichen Pflanzentheil. Gallionellen, sammt Zunotia amphioxys
mit Lithostylidien waren in jedem Präparat reichlich vorhanden.
Die Erschemungen dieser Jahre werden von Secchi als an-
dauernde Lufttrübungen in grolsem Maafsstabe bezeichnet, italiänisch
„ealigine“, in Spanien „caline* genannt, der Gegengründe ungeachtet,
wieder aus Afrika anstatt aus dem Dunkelmeere abgeleitet und als auf
das Sonnenspeetrum eigenthümlich einwirkende Luftverhältnisse bezeich-
net, in denen das Hygrometer meist keine Feuchtigkeit zu erkennen gab
und deren Staub bei eintretendem Regen sich mit diesem mischte und an
den Fenstern bemerkbar wurde. Die geringen Mengen erlaubten keine
Prüfung mit Säure und Glühen.
6. Über einige neuere röthliche Staubfälle in der Schweiz 1367.
Im Jahre 1850 habe ich in der Schweiz gefallene Scirocco Staub-
arten analysirt und in den Monatsb. mitgetheilt. Professor Brunner jun.
hat bald darauf in einer Schweizer Zeitschrift sehr verdienstliche Ergän-
zungen derselben Ereignisse bekannt gemacht.
Zuletzt habe ich im Jahre 1867 in einer Abhandlung „über die
vothen Erden als Speise der Guinea-Neger“* und wieder im April
1869 in den Monatsberichten der Verbindungen des Föhn mit rothem Staube
als einer nur periodischen Erscheinung gedacht, die keinen inneren Zu-
sammenhang habe. Neuerlich sind zwei Beobachter in der Schweiz für
weitere Entwieklung dieser Kenntnisse hinzugetreten. Zuerst ist die Er-
scheinung eines sehr verbreiteten, massenhaften, grau rothen Schneefalles
in Graubündten vom 15. Januar 1867 durch Herrn Dr. Killias aus
vielen Nachrichten und eigenen Beobachtungen zusammengefalst und in
den Schweizerischen Meteorologischen Beobachtungen von Zürich Jahr-
sang 1867 veröffentlicht worden. Aus diesen ausführlichen gedruckten
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 73
Mittheilungen hebe ich nur folgendes characteristische Bild dieser Er-
scheinung hervor.
Am 15. ‚Januar 1867 erschien in Graubündten zu Chur, Churwal-
den, Oberhalbstein, Bergün und Albula zu Mitternacht, oder früh Vormittags,
ein sogenannter rother Schneefall, welcher sich vom Mittag zum Abend
bis nach dem ÖOberengadin und Poschiavo fortsetzte und abwechselnd
mit weilsen Schneelagen überdeckt wurde. Die Erscheinung war im Zu-
sammenhange mit einer grolsen südwestlichen, in den oberen Alpengegen-
den als Föhn- und Scirocco-Sturm auftretenden, Luftbewegung, die sich
bis Rom und Neapel als stürmisches Wetter bemerkbar gemacht hat,
während in den Graubündtner Distrieten unterhalb Nord- und Nord-Ost
Sturm aufgezeichnet worden ist. Die mit dem Schnee gleichzeitig am
meisten bemerkbar gewordene, an vielen anderen Orten aber wahrschein-
lich durch Regen verdeckte Staub-Ablagerung, welche mit gelblich ge-
färbten Gewitterwolken, Blitz und Donner und auch mit Hagel begleitet
'eworden
(0)
oO
war, ist nur in den mit Schnee bedeckten Gegenden auffällig
und ist in einer Mächtigkeit von 2 bis 12°" und mehr melsbar gewesen.
Die Farbe, des Staubes wird von den verschiedenen Orten und Beob-
oelb-
achtern als gelbroth, ziegelroth, grauröthlich, zimmtfarbig oder &
g
lich angegeben, offenbar nach der verschiedenen Dichtigskeit des abge-
lagerten Stoffes.
Direete Untersuchungen dieser rothen Substanz, die bei Abschmel-
zen des späteren Schnees wieder zum Vorschein kam, hat Hr. Dr. Killias
mit Proben von Chur, Churwalden, Alveneu, Klosters, Castasegna, Mi-
socco, Andeer und Zizers angestellt und die mikroskopischen Bestandtheile
des Meteorstaubes, „abgesehen von verschiedenartigen zufällig mit präci-
pitirten organischen Partikelehen“, als durchaus in allen identisch erkannt
Was das Massenverhältnifs anlangt, so hat Killias sehr verdienstlicher
Weise directe Messung angestellt, die zwar kein ganz sicheres, aber
doch ein annähernd mittleres Verhältnifs der damals aus der Atmosphäre
gefallenen Masse zu erkennen gab. Ein Quadratmeter des rothen
Schnees gab geschmolzen einen getrockneten Niederschlag von 0,270
Gramm. Gewicht. Es ergiebt dies, wie er selbst ausspricht, etwa 300
Gentner auf die Quadratmeile oder über 30,000 Centner für die Oberfläche
des Cantons. Da sehr wahrscheinlich die Erscheinung nicht auf den Uan-
Phys. Kl. 1871. 10
74 Ennenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
ton allein beschränkt war, übrigens aber sich der Beobachtung entzogen
hat. so kann das Massenverhältnils auch wohl um das Doppelte grölser
gewesen sein.
Killias bemerkt weiter wörtlich:
„Über die Untersuchung des röthlichen Niederschlages hatte Dr.
Husemann in der Naturforschenden Gesellschaft zu Chur schon früher
Folgendes berichtet:
„Die Gewichtszunahme des Filters mit rothem Schnee aus Chur
„betrug 0,135 Gramm. Das Filter hinterliefs im Ganzen 0,127 Gramm.
„Asche, wovon 0,020 Gramm als Filterasche in Abzug gebracht wer-
„den müssen. Demnach lieferten obige 0,155 Gramm der bei 110° ge-
„trockneten rothen Substanz 0,107 Gramm Glührückstand: es ist also
„die Zusammensetzung:
79,2 feuerbeständige Bestandtheile
20,8 organische Bestandtheile
100,0
„Beim Glühen des Rückstandes nahm man deutlich ein teines Glimmen
„wahr. Die rothfärbende Substanz vom Oberhalbsteiner rothen Schnee
„erlitt beim Glühen, nach vorausgegangenem sorgfältigem Trocknen, emen
„Verlust von 242. Der Glührückstand löste sich mindestens zur Hälfte
„unter Entwicklung von einigen Kohlensäurebläschen in heilser verdünnter
„Salzsäure. Die Lösung enthielt ziemlich viel Eisenoxyd, ferner Thon-
„erde, Kalk, Spuren von Magnesia und Schwefelsäure. Der in Salzsäure
„unlösliche Rückstand wurde durch Schmelzen mit kohlensaurem Kalı und
„Natron aufgeschlossen. Er enthielt reichlich Kieselsäure, ferner T'hon-
„erde, Eisenoxyd und wenig Kalk.* —
Die chemische Analyse der sich nicht ablagernden Trübung des,
dem Gletscherwasser ähnlichen, Schneewassers über dem rothen Nieder-
schlag ergab nach Dr. Husemann in Chur und Dr. Vincenz Wartha
in Zürich, unabhängig von einander, in einem Liter:
Schwefelsauren Kalk 0,05010 Gramm.
— — — Magnesia 0,00755 „ ,„
zusammen 0,03745 Rückstand.
Die mikroskopische Analyse wird in dem Aufsatz von Killias nur
nebenbei behandelt und auf die später zu publieirenden sorgfältigen mi-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 75
kroskopischen Analysen der Doctoren Brügger und Cramer in Zürich
hingewiesen. Es wird als Resultat im Allgemeinen bemerkt, dafs zweier-
leı Hauptbestandtheile, ein „organischer, staubartiger, amorpher Detritus
und ein Zusatz eines zum Theil deutlich braunroth gefärbten Mineral-
staubes,“ vorhanden sind, welche sich von vulkanischen Aschenverhält-
nissen wesentlich unterscheiden. Es wird bemerkt, dafs die Untersuchun-
gen Ehrenbergs, so wie die beigefügten Darstellungen sehr gleichartige
Staubarten vielfach analysirt haben, dafs aber wohl näher liegende Ge-
genden, namentlich die Sahara von Afrika, die Materialien geliefert haben
mögen. Dies wird auch direct zu begründen gesucht durch einen aus
der Nähe von Üairo mitgebrachten Staub und durch die Angabe von
gelblichen Wüsten-Oberflächen der Herrn Palgrave, Desor, Heuglin,
d’Escayrae u. A., so wie durch die Vorstellung, dafs die afrikanischen
Wirbelstürme ja sichtlich den Staub in die Höhe wirbelten und, mit
trocknem Staub und Wärme beladen, leicht als Scirocco denkbar seien.
(Geringe organische Beimischungen der beiden untersuchten Staubarten,
samt Gypsgehalt, bilden die Grundlage der schliefslichen Vorstellung,
dafs die Sahara der Grund und Boden der Erscheinung auch für die
Schweizer Verhältnisse sei.
Diese umsichtige, einerseits verdienstvolle Darstellung hat der
langen Reihe meiner vorgetragenen Erfahrungen und Analysen zwar im
Allgemeinen Rechnung getragen, allein ich darf nicht verschweigen, dafs
mehrere Hauptpunkte ungenügend abweichen und andere unberücksichtigt
geblieben sind. Meine sechsjährigen eigenen Anschauungen der dortigen
Wüstenverhältnisse können unmöglich aufgehoben werden durch kleine zu-
sammenhanglos von dort mitgebrachte Lokalproben. Die überall röthli-
chen und gelblichen Lichtreflexe im Sonnenschein der Sahara, welche ver-
schiedene Reisende, wie ich selbst, gesehen haben, können unmöglich mit
den wirklich zimmet- und ziegelfarbenen Blutregen und Schneestauben,
welche in der Schweiz bis zu 30,000 Centnern an emem Tage gefallen
sein sollen, vergleichbar sein, zumal bei den Arabern in der Sahara nir-
gends von Blutregen Nachricht gegeben wird. Völlig unbeachtet ist auch
die Quelle des rothen Staubes aus dem Dunkelmeer des Atlantischen
Ocean geblieben, die so leicht durch die Windströmungen des Mittelmee-
res ab — und nach Italien und der Schweiz gelenkt wird. Am wichtig-
10 *
76 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
sten aber ist die sehr viel reichere Mischung an immer denselben, an
keinem Punkte der Erde, der wechselnden Jahreszeiten halber, am wenig-
sten aber in der Sahara möglichen organischen Süfswassergebilden, als sie
dieser neuesten Untersuchung zufolge angegeben ist, während Gyps und
Kreidekalk, Polythalamien mit vielen anderen Dingen freilich aus Algier,
Malta und der nächsten Nähe der überall Kalk- und Gypshaltigen Wüsten-
gebirge, selbst von den Gypsbrennereien der Schweiz, stammen können.
Professor Cramer in Zürich hat zuletzt sich mit grofsem Eifer
der Analyse der schweizerischen Schneestaubarten angenommen und auch
besonders die von Killias beobachtete grofse Meteorstaub-Ablagerung zum
Gegenstande seiner intensiven Studien gemacht. 15 Proben von Wüsten-
sand aus der Nähe von Algier zwischen Biskra und Tuggurt hat Prof.
Escher von der Linth auf seiner Küstenreise daselbst eigenhändig auf-
genommen und ihm zur Untersuchung übergeben. Überdiefs sind von
Cramer 8 Proben verschiedener Localitäten des Meteorstaubfalles vom
15. Januar 1867 im Canton Graubündten analysirt worden, nämlich aus
Chur, Churwalden, Mühlen, Klosters, Samnaun, Alveneu, St. Bernhardin
mit Val Mesocco und Zuoz, so wie auch eine Probe des 1850 m der
Nacht vom 16. zum 17. Februar in den Centralalpen der Schweiz gefal-
lenen röthlich braunen Staubes. Auch eine Probe des Meteorstaubfalles
» in der Provinz Oran, welche Dr. Nicati dort
>)
von St. Denis du Sie
am 15. Novemb. 1867 bei Gelegenheit eines grolsen Staubsturmes ge-
sammelt, den auch Dr. du Plessis in Orbe dieser Nachricht zufolge
als dem schweizerischen gleichartig bezeichnet hatte, ist gleichzeitig ana-
lysırt. (Nicatı, Bullet. Soc. vaud. Sciences natur. T. X. p. 69.)
Aus den Analysen der von Escher von der Linth mitgebrachten
Sand- und lockeren Steinproben, deren einige stark roth gefärbt sind,
hat sich ergeben, dafs sie reichliche Beimischungen von wohl erhaltenen
Polythalamien enthalten, andere organische Beimischungen waren äufserst
selten. Verschiedene Formen von Gypserystallen und unregelmälsigen,
oft intensiv rothfarbigen oder roth gefleckten Sandtheilen waren auffällige
Elemente. Die selten darin erkannten Bacillarien-Arten beschränkten sich
auf einen Splitter von Campylodiscus Olypeus, Eunotia (Epithemia) Zebra,
E. (Epith.) manipulifera Cramer, Synedra laevis(?) und Navieula? Über-
diefs wurden verschiedene unnennbare Fragmente von Vegetabilien, Woll-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 77
haare als thierische Haare erkannt, auch ein Fragment von Spongo-
hithis robusta?
Der von Nicati in Algier gesammelte Meteorstaub bestand nach
Öramer’s Analyse aus ziemlich groben buntfarbigen Sandkörnern, ohne
Beimischung von Mulm und enthielt zahlreiche wohlerhaltene Polythala-
mien (Ztotalia, Planulina, Grammostomum-Arten) aber nur zwei Arten von
Spongolithen (Spongohthis robusta und Amphndıseus Rotella) und gar keine
Bacillarien, während eine dabei vorgekommene Eunotia amphioxys un-
sicher blieb, ob sie nicht zufällig fremde Beimischung sei. Mit diesen
afrikanischen Sand- und Staubarten vergleicht Cramer den schweizeri-
schen Alpenstaub und giebt dabei die Abbildungen der sämmtlichen von
ihm gesehenen Elemente, wobei nur weniger günstig für die Vergleichung
ist, dafs die Vergröfserungen nicht alle auf 300mal im Durchmesser re-
dueirt sind. Die öfter angewendete 250 malige Vergröfserung kommt aber
doch so nahe, dafs die Beurtheilung weniger beeinträchtigt ist.
Das vollständige Verzeichnils der im Schneestaub beobachteten
Formen ist eine sehr glückliche, diese Forschungen fördernde Beihülfe.
Ich beschränke mich hier auf Beurtheilung der auf den Tafeln gegebenen
Abbildungen und finde die in der Mehrzahl übereinstimmende Ansicht dem
sonst oft hervortretenden Übelstande gegenüber, dafs das Mikroskop wegen
ungleicher Beobachtungsmethoden selten Übereinstimmung giebt, erfreulich.
Es brauchen nun nicht viele gleich eifrige Beobachter mehr hinzuzutreten,
um die Vollgültigkeit der objeetiven Thatsachen von aller subjeetiven
Meinung abzulösen.
Die Abbildungen des Herrn Cramer erlauben folgende Übersicht
der schweizerischen Staubelemente:
Tafel ].
Cramer. Ehrenberg.
Fig. 1. Gallionella distans. Gall. distans.
Fig. 2. Gall. granulata. 2. a.d.f.g.t. Gall. procera.
2.b.c.e.l.k. Gall, granulata.
2. h.m. Gall. decussata.
|
Fig. 3. 4. Pinnularıa cocconeoides. = Üocconeis finnica Ju.
Fig. 5. 6. Discoplea atmosphaerica.—= Discoplea atmosphaerica.
78 Ennengerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Cramer. Ehrenberg.
Fig. 7. 8. 9. Cosemodıseus flaw-
cans (?)
Fig. 10. 11. Discoplea atlantica
Fig. 12. Diatomaceen Fragment.
Fig. 15-18. Eunotia amphioays.
Fig. 19. Navieula Bacıllum.
Fig. 20. 24. Pinnularia borealıs.
Coseinodiscus flavicans.
Discopl. atlantiea.
Bacillarien Fragment.
Eunotia amphroxys.
Nawrieula Bacıllum.
20-22. Cocconeis?
23. 24. Pinnul. borealıs?
Nawvieula emarginata.
Navicula Semen.
I I A
|
Fig. 25. Nawieula emarginata.
Fig. 26. Navieula Semen.
Fragtlaria Bacillum? Mierog. Oran
und Nord-Amerika.
Cocconema (Uymbella) Fusidium?
Fis. 27. Fragdlarıa capucina?
Fie. 28. Uymbella Ehrenbergu
|
Fig. 29. Fragtlaria capueina? Fragllaria Bacıllum?
Die Tat. I. Fig. 65 Synedra Ulna genannte Form ist von mir als
Fragilaria amphreephala in der Mierogeologie 1854. Taf. XXXVN. ı1. Fig. 5.
aus Oregon verzeichnet, und Epithemia manrpulifera Cramer Taf. U.
Fig. 22. scheint identisch zu sein mit der ebenfalls von mir in der Micro-
zeologie genannten und 1870 in der Abhandlung über die californischen
Bacillarien-Felsen abgebildeten Zumotia Mosis Arabiens. Unter den von
Uramer abgebildeten 47 weichen Pilanzentheilen befinden sich 12 erypto-
gamische Sporenschläuche, 18 verschiedenartige Pflanzen- und Pappus-
haare, Pilzfäden und Pollen, von denen mehrere in den Passatstaub-Ana-
Ivsen schon öfter vorgekommen sind. Von Lithostylidien ist Z. Amphio-
don und L. Olepsammidium genannt und abgebildet und von Spongolithen
Amphidiseus truncatus. Von den 85 organischen Formen sind 15 selbst-
ständige Bacillarien, alles Übrige sind unselbstständige Theile oder Frag-
mente, die einer Fortptlanzung in der Atmosphäre nicht fähig sind. Auch
die selbstständigen Formen sind sämmtlich ohne organischen Inhalt dar-
gestellt und lassen also nicht erkennen, dals sie zu Lebensfunetionen ge-
eignet sind. Die beigemischten gefärbten thierischen Haare gehören wohl
der Schweizer Landschaft an.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 79
Ich gehe nun zu meinen eigenen Analysen derselben Substanzen
über. Die mir von Herrn Dr. Killias in Chur zugekommenen Proben sind
aus 3 der am 15. Januar 1867 durch den Stauborkan betroffenen Ört-
lichkeiten, nämlich von Andeer, Klosters und Churwalden, eine vierte.
dureh Glühen veränderte Probe aus Chur habe ich einer Analyse zu unter-
ziehen nicht für rathsam gehalten.
Die kleine Staubprobe von Andeer ist ein unfühlbar feines Pulver.
mit vielen organischen Fasern, von röthlich grauer Farbe, das beim Glü-
hen erst schwarz und dann sich dunkler roth färbte, Salzsäure gab kein
Brausen. Die mikroskopische Analyse ergab in 11 4 Cubiklinie grofsen
Stoffmengen 21 organische Formen, nämlich 9 Polygastern, 18 Phytolitha-
rien, darunter kein Spongolith und zwei weiche Pflanzentheile. Die un-
organische Masse besteht aus einem feinen, bei polarisirtem Lichte nicht
farbig werdenden Mulm mit doppeltlichtbrechenden feinen Trümmersand-
theilen. Im Allgemeinen überwiegt der unorganische Theil den organi-
schen bedeutend, so dafs letzterer etwa -; des Volumens ausmacht.
Unter den organischen Formen sind am zahlreichsten punktirte, unregel-
mälsig rundliche, Körperchen, welche bei polarisirtem Lichte buntfarbig
werden und unförmlich gewordenen kleinen Pollenkörperchen ähnlich er-
scheinen. Nächst dem sind die Gallionellen an Zahl überwiegend. so
dafs sie in keinem der Präparate fehlen. Das einmal beobachtete gröfsere
Fragment der Discoplea atmosphaerica ist mit charaktergebend. Kleine
weilse eubische Crystalle sind hier und da vereinzelt zu erkennen.
Die ebenfalls röthlich grau gefärbte feine Staubprobe von Klosters
wird beim Glühen erst schwarz und dann dunkler grau, mit Salzsäure
berührt kein Brausen. Die mikroskopische Analyse ergab in 10 üblichen
Präparaten 29 organische Formen und zwar 12 Polygastern, 15 Phytoli-
tharien, darunter 3 Spongolithe und 3 weiche Pflanzentheile, die rund-
lichen Körperchen (ob Pollen?) des Vorigen fehlen, sind also lokale
Beimischungen. Die unorganische Masse besteht aus feinem Mulm und
Trümmersandtheilchen. Das Verhältnifs des Organischen zum Unorgani-
schen ist nach Abschätzung dem vorigen ähnlich.
Die Staubprobe von Churwalden ist den beiden voranstehenden sehr
ähnlich von röthlich grauer Farbe und verhält sich bei Glühen und Säure
genau wie die von Klosters. Die mikroskopische Analyse ergab in 5 üblichen
S0 Enrenperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Präparaten 34 organische Formenarten, und zwar 13 Polygastern, 16 Phy-
tolitharien, darunter 3 Spongolithe und 5 weiche Pflanzentheile. Die
überwiegend unorganische Masse besteht ebenfalls aus einfach lichtbrechen-
dem feinen Mulm und doppelt lichtbrechendem Trümmersand.
Die hier vorgelegte Analyse der drei zu einem und demselben
Meteor gehörigen Staubarten umfalst im Ganzen 50 organische Formen
und erlaubt somit eine Vergleichung mit meinen früheren Passatstaub-
Analysen. Unter den 20 von mir verzeichneten Polygastern Arten finden
sich 6 und unter den 23 Phytolitharien Arten 3 mit denen von Öramer
übereinstimmend. Auch von den 7 weichen, meist sehr unbestimmten
Pflanzentheilen sind einige vergleichbar, während die Mehrzahl von ihnen
mir nicht vorgekommen sind. Am interessantesten ist die von ÖOramer
Synedra Ulma genannte Form, welche als Fraglarıa amphicephala der
Microgeologie aus Oregon zu den amerikanischen Characterformen gehört.
Von Cramer und von mir sind übereinstimmend keine vulkanıschen
Elemente wahrnehmbar geworden, weder glasartige Obsidiansplitter, noch
zellige Bimsteinfragmente, noch irgend welche Mengen vulkanischer Cry-
stall-Gestalten, und der Eisengehalt ist hier wie dort als ein mulmiges
Eisenoxyd-Hydrat in seiner Beimischung erkennbar geworden, welcher sich
durch Glühen in eine höhere Oxydationsstufe versetzen läfst. Das Schwarz-
bleiben einiger Schweizerstaube beim Glühen zeigt vielleicht das Vor-
handensein schwer zu verflüchtigender zelliger Pflanzenkohle an.
Cramer hat in den von ihm untersuchten Föhnstaub-Arten der
Schweiz, ebenso wie ich, nirgends eine Polythalamie angetroffen, welche
in den von ihm untersuchten Wüstensandproben der Sahara zahlreich
und schön enthalten waren. Die von mir gegebenen Mittheilungen über
Beimischungen von Polythalamien in einigen Scirocco- und Passatstaub-
Arten haben ihn, wie es scheint, zu der Vorstellung veranlafst, dafs diese
sröberen Theile, wenn der Staub der von mir eingeführten früheren Vor-
stellung gemäls aus Amerika stammen sollte, im Staube des Atlantischen
Oceans nach Amerika hin immer zahlreicher sein mülsen, was nicht der
Fall sei. So sei es denn ein Beweis, dafs Afrıka das Mutterland aller
dieser gröberen Formen sei, weil diese an den Küstenpunkten des Mittel-
ländischen Meeres und Lybiens selbst am zahlreichsten vorkommen.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 81
Ich sehe mich veranlafst diesen, die zufälligen Lokalformen mit
den Normalformen vermischenden Gesichtspunkt als einen meinen Dar-
stellungen ganz fremden abzulehnen. Ich habe stets darauf aufmerksam
gemacht, dafs der Passatstaub, aus welcher Richtung er auch kommen
möge, stets zwei Charactere sehr fest halte. Einer derselben ist die Bei-
mischung vieler Oberflächen-Verhältnisse der nächsten Umgebung des
Ortes, an dem er die Oberfläche mit Sturm erreicht und niederfällt (das
sind Lokalformen). So sind die Kreidegebirge und Polythalamienkalke
bei Algier, Malta, Sicilien und hier und da wohl in den Appenninen sehr
geeignet, solchen Staubstürmen ihren Polythalamienstaub, zuweilen viel-
leicht überwiegend, mitzutheilen. Solche Polythalamienmischung ist nur
zuweilen, vereinzelt und selten bei den Capverdischen Inseln oder sonst
im Dunkelmeer in dem auf Schiffe gefallenen Staube erkannt, weshalb
man sie wohl umsonst in grölserer Nähe von Süd-Amerika suchen wird.
Auffallend genug ist es zweitens, dafs der Passatstaub mit überaus
vielen Bacillarien erfüllt ist, die als Wasserbildungen auf den grofsen
Wüstenflächen der Sahara, die so völlig wasserlos sind, undenkbar er-
scheinen. Diese überall immer denselben Formen vorherrschend angehö-
renden selbstständigen Organismen sind durch Cramers sehr sorgfältige
Nachforschungen in dem Schweizer rothen Staube auf das Glücklichste
ebenfalls entwickelt worden. So kann man denn die meisten Pflanzen-
theile und alle Polythalamien vollständig als zufällige lokale Bei-
mischungen ignoriren und dennoch den wichtigen Character der Überein-
stimmung aller rothen Staubmeteore, sowohl in der rothen Eisen-Farbe als
in der wesentlichen Mischung der organischen Elemente, seit 68 Jahren
direeter Beobachtung (von 1803 an) anerkennen.
Was im Allgemeinen die Polythalamien-Verhältnisse der Sahara
und auch den Gypsgehalt der afrikanischen Wüsten anlangt, so lassen
sich freilich noch viele Nachforschungen mit mancherlei Resultaten für
diese Aufgabe denken, allein die in der Microgeologie gegebenen Analysen
der grolsen Kalkgebirgsmassen bei den Pyramiden und von Öber-Ägypten
darf ich wohl den betreffenden Forschern empfehlen, da sie als Vorberei-
tung zur gründlichen Kenntnils ein nicht ganz wnansehnliches Material
von nahe an hundert Polythalamien-Arten darstellen. Rechnet man hierzu
noch die Polythalamien-Kalkgebirge des Sinai und Antilibanon, welche
Phys. Kl. 1871. 11
82 EurenBere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
ebenda bereits abgebildet sind, so möchte dem nächsten Bedürfnils zu
einer Vergleichung schon mancher Vorschub geleistet sein.
Sehr wichtig ist es aber nicht blos jene die Oberflächen der Erde
abfegenden Luftströmungen überall in diesen Verhältnissen zu beachten.
Aus den bisherigen Beobachtungen hat sich bereits mannigfach festge-
stellt, dafs keine der bekannten Oberflächen der Erde, auch nicht Ame-
rika’s, zur Erläuterung der organischen Beimischungen der rothen Staub-
meteore für sich allein hinreichend sei. Immer nachdrücklicher hat sich
vielmehr die Vorstellung festgestellt, dafs in sehr hohen Regionen der
Atmosphäre seit unberechenbarer Zeit unberechenbare Massen feinster,
mehr oder weniger dichter, stets auffallend durchsichtiger, trockner Nebel
durch die Rotation des Erdkörpers dauernd schwebend gehalten werden
mögen, welche bei zufällig gröfserer lokaler Anhäufung, wie es bei vul-
kanischen Aschen öfter schon nachweislich geworden, sich herabsenken
und vielleicht direet Veranlassung zu Wirbelstürmen werden, die ohne
eine solche Senkung nicht erschienen wären. Andererseits ist das Atlan-
tische Dunkelmeer bei Westafrika, von welchem aus zumeist Staub-Ablen-
kungen als Höherauch, die öfter ohne Wirbelsturm über Europa geführt
werden und die europäischen rothen Staubfälle, Blutregen und rothen Schnee
bedingen, am meisten geeignet, diese räthselhaften meteorischen Erscheinun-
gen, welche in den Nordpolargegenden nicht fehlen, zu erläu-
tern. Dafs die zuweilen sandartige rothe Schneemischung in der Nord-
polarzone aus Afrika stamme, dürfte wohl schwerlich Vertheidigung finden.
7. Staubfall in St. Denis du Sig den 15. November 1867.
Unter den von Herrn Killias gesandten Proben ist auch die von
Dr. Nicati in Algier gesammelte und von Professor Cramer ausführlich
besprochene Staubprobe aus St. Denis du Sig. Es ist ein nicht unfühl-
bar feiner, körniger Luftstaub von grau-rother Farbe, welcher mit Säure
stark braust und beim Glühen erst schwarz und dann schwarz-grau mit
rothen Flecken erscheint. Die mikroskopische Analyse zeigte zahlreiche
Polythalamien und deren Fragmente, so wie auch einzeln eingestreute
Polygastern und Phytolitharien. In 10 Präparaten fanden sich 14 orga-
nische Formenarten und zwar 5 Polygastern-Arten, 5 Phytolitharien-
Arten, unter denen ein Spongolith und 4 Polythalamien-Arten. Aulser
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 83
den Kalkfragmenten zeigte der Staub, nach Auslaugen durch Salzsäure,
doppelt lichtbrechenden Trümmersand und einfach lichtbrechenden Mulm.
Als Kalktheilchen erschienen zum Theil feine weifse cubische Crystalle.
In der Analyse des Herrn Cramer ist nur Zumotia amphioays als
einzige unsichere Bacillarien-Form angezeigt, während meine Unter-
suchungsmethode die verzeichneten Baeillarien-Formen, darunter auch die
verbreitetsten Passatstaub-Formen, Discoplea und Gallionella, zur An-
schauung gebracht hat. Es dürfte daher kein Zweifel bleiben, dafs dieser
Orkanstaub von röthlich brauner Farbe in seinen feineren Theilen mit
(fremdem) Passatstaub gemischt ist, während die gröberen Polythalamien
und die Gypstheile von der nächsten Umgebung der afrikanischen Küste
durch den Sturm beigemischt sein mögen.
8. Staubfall in Apulien im Jahre 1868.
Durch die Güte des Herrn Professor Palmieri ist mir eime
Probe des Staubfalles aus Canosa in Apulien übersandt, welche ein
dortiger Professor gesammelt hat. Die näheren Umstände sind mir nicht
mitgetheilt. Vielleicht ist derselbe in einem interessanten Zusammenhange
mit der aus Athen in gleichem Jahre am 16. und 19. August mitgetheilten
Nachricht des folgenden Abschnitts. Die Masse ist eine lehmartig locker
zusammenhängende, blafs röthlich-graue Substanz, die beim Glühen erst
dunkler grau und dann ansehnlich röther wird. Bei Berühren mit Salz-
säure wird kein Brausen deutlich, bei polarisirtem Lichte zeichnen sich
dennoch sehr feine cubische Crystalle aus, welche wahrscheinlich doch
geringe Spuren von kohlensaurem Kalk sind. Die mikroskopische Ana-
Iyse ergab in 10 Präparaten 42 organische Formen: 15 Polygastern, 25
Phytolitharien, darunter 4 Spongolithe und 2 weiche Pflanzentheile. Fei-
ner quarziger Trümmersand und feiner röthlicher Mulm, samt selten ein-
gestreuten kleinen eubischen und weifsen säulenförmigen Orystallen bilden
die unorganische Haupt-Mischung, in welche jene Formen eingestreut
sind. Die Gallionellen und Bunotia amphioxys samt Campylodiseus und
Discoplea geben auch dieser Substanz den ansprechenden Character eines
zugleich eisenhaltigen Passatstaubes. (Siehe die Tabelle.)
L1*
S4 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
9. Höherauch oder trockner Nebel im Juli 1369.
In vielen Zeitschriften, besonders aber in dem meteorologischen
Bullettino des Jahres 1869 ist von einem überaus starken Höherauch
mit grolser Dürre und grofser Abschwächung des Sonnenlichtes in den
italienischen Ländern berichtet worden, und auch aus Griechenland mel-
dete mir Professor Jul. Schmidt, dafs die Erscheinung gleichzeitig und
in gleicher Art dort stattgefunden, in folgenden Worten von 16. Juli 1869:
„Ein neuer Staubfall veranlafst mich — Ihnen den beobachteten
„Hergang der Erscheinung mitzutheilen und eme Probe des gesammelten
„Staubes zu übersenden. Diesmal handelt es sich nieht um den Scirocco,
„sondern, wie bei dem aulserordentlichen Phänomen vom 16. bis 19. August
„1868, um eine höherauchartige dreitägige Verfinsterung des wolkenlosen
„Himmels in der heifsen Jahreszeit und unter dem Wehen der Nordost-
„Etesien. Nachdem viele Tage der SW. bei klarer Luft geherrscht hatte
„(wobei es oft Nachts im Norden blitzte), begann (1869) Juli 6. der NO.
„bei z. Th. wolkigem Himmel und einer kaum merklichen Regenspur.
„Juli 9. 10. dauerte der NO. auch die Nacht über. Juli 10. war der
„ganze Horizont dunstig und gelbbraun und die Sonne ging roth und
„strahlenlos unter. Die Trübung der Luft war sehr gleichförmig und es
„fehlten durchaus die violetbraunen, wellenförmigen Streifen am Himmel,
„die den fernen Waldbrand verrathen. Juli 11. war jener Dunst überaus
„dieht, geruchlos, doch lange nicht so stark als August 17. und 18. 1868.
„Juli 12. nahm der Dunst ab und Nachts blitzte es viel in NW., W. und
„NO. Juli 13. 14. 15. klar bei wenig Gewölk und variabler Windrichtung.
„Juli 16. noch eine Spur jenes Dunstes.“
„Am 10. 11. 12. Juli ward ein Staub abgelagert, den ich wegen
„der Heftigkeit der Etesien im Freien nicht auffangen konnte. Er drang
„in die Zimmer, und hatte, wo er weilses Papier bedeckte, ein ungewöhn-
„liches braunes Colorit, dunkler als der Athener Strafsenstaub. Ich habe
„einen Theil des Staubes mit einem trocknen, noch ungebrauchten Pinsel
„zusammengekehrt und als Probe diesem Briefe beigegeben. Die Unter-
„suchung wird Ihnen nun vielleicht zeigen, dafs es sich gar nicht um
„jenen Staub handelt, über welchen Ihre Arbeiten so vieles Licht ver-
„breiten. Ich denke aber, dafs allen noch dunklen Phänomenen gegenüber
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 85
„Nichts im Voraus für unwichtig angesehen werden darf, sondern dals
„die Erscheinung nach allen Seiten umfassend gewürdigt werden müsse.
„Wenn sie diesmal keine der Formen vom 24. März 1869 entdecken,
„so wissen wir, dafs diesmals im Juli 1869 die Etesien etwas anderes
„herabbrachten. Aber es war kein gewöhnlicher Staub, wie wir solchen
„zu Athen 8 oder 9 Monate hindurch zu beobachten haben und deshalb
„glaubte ich diese Mittheilung nicht unterlassen zu sollen.“ —
Die kleine beigefügte Probe zeigte nach sogleich vorgenommener
mikroskopischer Analyse keinerlei Beziehung zu den rothen Passatstaub-
meteoren. Der nicht rothe, sondern bräunlich graue Staub enthielt nur
feinen Trümmersand mit sehr vielen weifsen Leinwand- und buntfarbigen
Wollfasern, anscheinend von gefärbter Schaafwolle, gemischt, welche wohl
anzeigten, dals der gesammelte Staub durch die nächsten Umgebungen
des Hauses übermälsig gemischt war.
Mit grofser Ausführlichkeit hat der Astronom Professor Ragona
zu Modena diesen ganz Ober-Italien bedeckenden Höherauch in verschie-
denen Aufsätzen sorgfältig beschrieben und auf die Wiener meteorologi-
schen Berichte hingewiesen, welche 16 Örtlichkeiten seiner Verbreitung
angeben, so wie auf die französiche meteorologische Zeitschrift, welche
die Erscheinung einen trocknen Nebel nennt. Ich nehme aus seiner
kleinen mir zugesandten Schrift, welche seine Mittheilungen übersichtlich
unter dem Titel „La caligine atmospherica Luglio 1869* zusammenfalst,
folgende kurze Characteristik dieser Erschemung auszugsweise heraus:
Die Höhe des Nebels überragte die hohen Bergspitzen der euro-
päischen Hochgebirge, namentlich den Montblane und war über Frank-
reich, Deutschland und Italien gleichartig verbreitet. Padre Denza beob-
achtete sie in Piemont und auf den toskanischen Bergen und Professor
Gasparis in Neapel meldet, dafs dort ein unfühlbar feiner Staub (pul-
escolo impalpabile) die Luft erfülle, wie auch von Professor Palmieri die
Nachricht eintraf, dafs in den neapolitanischen Provinzen um diese Zeit
ein feiner Staub gefallen se. Nach Ragona!) fanden sich im Gebirge von
Arad die Pflanzen mit einem Honisthau ähnlichen (mellume), reichlichen
Überzug bedeckt, welcher durch eine Mischung von Wasser mit atmo-
r
1) Ragano ]. c. p. 15.
86 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
sphärischem Staube entstanden zu sein schien und der sich auch durch
eine gelbröthliche Farbe bemerklich gemacht zu haben scheint. Das Vor-
kommen des trocknen Nebels sowohl in sehr trocknen wie in sehr feuch-
ten Gegenden wurde von Ragona gleichartig wahrgenommen und durch
Gründe gegen die allgemeine Feuchtigkeit des Nebels darauf zurückgeführt,
dafs der Nebel nicht, wie feuchte Wolken es in heifsen Tagen thun, mit
der Hitze sich zertheilte und verschwand, sondern verstärkte und stehen
blieb. Bei grofser Hitze erschien die Sonne so matt wie der Mond, so
dafs sie mit blofsem Auge angesehen werden konnte, ein Hof aber, den
die Wasserdünste zu machen pflegen, entstand nicht.
Ragona schliefst, dafs die grofse Höhe und die grofse Verbrei-
tung des Nebels auf einen gemeinsamen Ursprung hindeute und dafs dessen
Ursache von den Zuständen der meteorologischen Beobachtungsstation
unabhängig sel. Kaemtz erklärte ihm in Modena den ganz ähnlichen
Nebel von 1867 für Höherauch. Ein Augenzeuge berichtet den schäd-
lichen Einflufs dieses Nebels von 1869 auf die in den Bergen von Verona
weidenden Thiere, die erkrankten und starben. Das von Ragona an-
geführte Urtheil eines beim Suez-Canal beschäftigten Italieners über die
Gleichartigkeit der ägyptischen Nebel mit diesen italienischen ist, da es
nicht auf speciellen Untersuchungen beruht, ohne Gewicht.
Ferner sagt Ragona in seiner kleinen Schrift pag. 21.: „Wir
„wissen genau, dafs am 29. Juni 1861 die Erde von dem Schweif eines
„grolsen Cometen durchzogen wurde. Am Abend des 30. Juni hat der
„Astronom Hind in London mit andern Beobachtern am Himmel eine
„Art gelblicher Phosphorescenz beobachtet. Zu Barbacena in Brasilien
„zeigte der Himmel am 20. und 30. Juni eine constante röthliche Fär-
„bung. Es scheint, dafs man damals nirgends auf der Erde selbst trock-
„nen Nebel beobachtet habe. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden,
„dals bei dieser Gelegenheit das Zusammentreffen nicht in der Richtung
„der Axe des Schweifes geschah, sondern seitlich und gegen die Spitze
„desselben.“ — Die hier erwähnten astronomischen Beobachtungen mögen
der weiteren Pflege der betreffenden Beobachter überlassen bleiben.
Zuletzt erwähnt Ragona die grolsen Sandstürme von Afrika, wel-
che der neuesten Theorie des Pariser Meteorologen Herrn Tarry (In-
specteur des finances) zum Grunde liegen. Tarry hat sich bemüht die
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 87
schon seit langer Zeit in Europa gekannten periodischen Nord- und Süd-
Stürme als eonstante Oyelone darzustellen, welche seiner eigenen Erfah-
rung nach in Afrika Sand genug aufwühlen, um denselben über Europa
zu verbreiten. Freilich ist seit Cambyses und den Kämpfen der Nasa-
monen mit ihrem davon fliegenden Lande vielfach vom Sande der Sahara
Meldung geschehen und die himmelhohen Staubwirbel der afrikanischen
Wüsten haben grofse Berühmtheit erlangt, sind auch von mir selbst 6
Jahre lang oft beobachtet worden. Tarry’s Hypothese berührt zwar
den grauen und weilsen afrikanischen Sand, erläutert aber in keiner
Weise die allein nur Interesse gewährenden rothen Färbungen und orga-
nischen reichen constanten Mischungen der hier in Betracht kommenden
Nebel- und Staubarten. So ist denn der im vorigen Abschnitt beschrie-
bene Staub von Apulien mit seinen characteristischen Passatstaubformen
vielleicht direet erläuternd für diesen sogenannten Höherauch.
10. Staubfall vom 13. und 14. Februar 1870,
Dieser Meteorstaubfall an den ligurischen Küsten ist von italieni-
schen Beobachtern in so ansehnlicher Ausdehnung verzeichnet worden,
dafs es mir angemessen erscheint seiner zu erwähnen, ungeachtet es mir
nicht gelungen ist, Proben zu seiner Analyse zu erhalten. Im histori-
schen Abschnitt habe ich die mir zugekommenen Nachrichten hierüber
aus den italienischen Quellen und brieflichen Mittheilungen zusammenge-
stellt. Nur ist hier zu bemerken, dafs er, wie es öfter der Fall war,
theils als trockner Staub und Höherauch, theils als mit Feuchtigkeit ge-
mischter sogenannter Blutregen und als rother Schnee niedergefallen ist.
Die reichlichen Einsammlungen dieses Staubes, welche den Berichten zu-
folge stattgefunden haben, sind, wie es scheint, durch die chemischen
Analysen überall gröfstentheils aufgezehrt worden, ohne dafs kosmische
Charactere erlangt worden wären. Auch die in Italien gemachten mikro-
skopischen Analysen haben bisher kein entsprechendes Resultat ergeben.
ll. Staubfall bei Janina am 13. April 1870.
Ich schliefse hieran die Analyse der Probe eines Staubfalles von
Janina in Albanien, welche der Director der Sternwarte von Athen Prof.
88 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Julius Schmidt mir am 27. Mai 1870 mit folgenden erläuternden Wor-
ten zugesandt hat:
„Am 22. Mai brachte mir Seine Excellenz der englische Gesandte
„Herr E. W. Erskine einliegende Staubprobe, welche derselbe vor eini-
„ger Zeit von Herrn Major R. Stuart aus Janina erhalten hatte. Herr
„Stuart, englischer Consul in Janina, ist ein sehr kenntnifsreicher und
„höchst zuverlässiger Beobachter, dem ich seit 1866 eine grolse Zahl
„meteorologischer Angaben in bester Form verdanke.*
„Der Staubniederschlag erfolgte mit Regen am 13. April 1870 vor
„Sonnenaufgang. Ich kann Ihnen später auch die meteorologischen Da-
„ten jener Zeit für Epirus und Attika!) mittheilen, Janina hat etwa 1600
„englische Fufs Seehöhe und vom Meere eine Distanz von 39 englischen
„Meilen.“ —
Die Probe besteht aus einem unfühlbar feinen, röthlich grauen
Pulver, das beim Glühen erst dunkler grau und dann entschiedener röth-
lich grau wird, mit Säure berührt starkes Brausen zeigt.
Die mikroskopische Analyse von 10 üblichen, etwa + Cubiklinie
grofsen Mengen, ergab 33 organische Formenarten in einem feinen Mulm
und doppelt lichtbrechendem Trümmersand, nämlich 17 Polygastern und
16 Phytolitharien, ohne Spur von Polythalamien oder anderen organi-
schen Kalktheilen. Unter den gewöhnlichen allverbreiteten Passatstaub-
formen, welche die Mehrzahl an Individuen bilden, finden sich auch die
amerikanische Navieula undosa (cfr. Navicula nivalıs Monte-Rosa) mit
der zweifelhaft characteristischen Synedra Entomon und Stauroneıs con-
strieta aus Chile und Neuholland. Unter den Phytolitharien sind 4 Spon-
golithe, welche sämmtlich den gewöhnlichen Sülswasserbildungen anzu-
gehören scheinen. Die zahlreichen Phytolitharien zeigen keine eigen-
thümliche Form und schliefsen sich an die bekannten weit verbreiteten
Grastheile (Poolithe) an. Das Verzeichnifs der Formen ist in der Tabelle
zu vergleichen.
12. Ispahan den 3. Mai 1870.
Herr Dr. Werner Siemens, der um die Telegraphenverbreitung
so verdienstvolle technische Physiker, übersandte mir im Herbst des Jah-
1) Diese Daten sind mir noch nicht zugekommen.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 89
res 1870 eine ansehnliche Probe eimes röthlich grauen feinen Orkan-
Staubes, welcher am 3. Mai d. J. zu Ispahan auf der südlichen und öst-
lichen Seite des Wohnhauses von Herrn Hoeltzer gesammelt worden.
Die besonderen Umstände des Windes und der Ablagerung sind nieht an-
gezeigt. Herr Dr. Siemens macht darauf aufmerksam, dafs dieser persi-
sche röthliche Wüstenstaub vielleicht mit dem von Beludschistan identisch
sei. Jedenfalls wird er mit zur Erläuterung der fremden Erde dienen,
welche in West Central-Asien so viel Theilnahme erweckt hat. Der Staub
ist fast unfühlbar fein, jedoch lassen sich ausser den feinsten Theilchen,
welche das Mikroskop zeigt, schon im Gefühl gröbere Beimischungen unter-
scheiden. Mit Salzsäure in Berührung gebracht, zeigt der Staub ein
starkes Aufbrausen und verringert sich ungefähr bis zur Hälfte seines
Volumens. Er enthält mithin einen sehr starken Antheil an kohlensau-
rem Kalk, dieser scheint auch die weniger feinen Theile darzustellen. Das
Übrigbleibende ist ein überaus feiner, thoniger Mulm. Dieser ansehnliche
Mulm wird beim Glühen zuerst schwarz, dann röther und enthält in 40
Analysen die in der Tabelle verzeichneten, sehr vereinzelt eingestreuten
46 organischen Formenarten, samt weilsen und grünen feinen Orystall-
prismen. Unter den 46 Formen sind 14 polygastrische Baeillarien-Arten,
29 Phytolitharien-Arten und 3 weiche Pflanzentheile. Die Gallionellen
sind dieselben Arten des Passatstaubes, aber nur selten eingestreut.
Ob der Eisenmulm aus sehr feinen Gliedern der Gallionella ferru-
ginea besteht, war nicht zu ermitteln, da Kettenbildungen derselben nicht
zu erkennen waren. Besondere Arten dieser Bacillarien wurden nicht
beobachtet. Unter den an Arten zahlreichen Phytolitharien sind beson-
ders viele der Gattung Lithomesites verwandte Formen, aber auch diese
haben besondere Characterformen zu verzeichnen keinen Anlafs segeben.
Der Spongolith ist die allverbreitete Sülswasserform Spongohthis acieula-
rıs. Somit ist der Gesammt-Character dieses Staubes durchaus eine
Süfswasser- und Festlandbildung. (Siehe Tafel I.)
Was die Beziehung zu dem Wüstenstaube von Beludschistan an-
langt, so hat weder der Staub die lebhaft ziegelrothe Farbe des Wüsten-
staubes nach H. Pottinger, noch ist Ispahan nahe genug an jenen Wüsten
und die Ablagerung an der Süd- und West-Seite des Hauses scheint
nicht genau in der Richtung von Beludschistan nach Kaschgar zu liegen.
Phys. Kl. 1871. 12
'90 Eurengeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
In weleher Art die starke Kalkmischung sich erläutern lassen wird, müs-
sen lokale Nachrichten einst in’s Auge fassen, da sich keine Polythalamien-
Spuren auffinden liefsen, ebenso wenig wie Morpholithe.
Dafs die grolsen, Kaubar genannten, Staub-Trübungen und er-
schreckenden Stürme in Khorassan und Afghanistan von Herrn von
Khanikoff 1862 geschildert sind, aber den Character fremder Erde
nieht erkennen liefsen, ist bereits ausführlich in den Abhandl. 1868 mit-
vetheilt worden. Da auch vom ungarischen Reisenden Vambery be-
richtet wird, dafs 1863 zwischen Chiva und Bochara eine Karavane bei
heilsem Seiroceo, Tebbad genannt, zwei Zoll hoch mit feinstem Staube
bedeckt wurde, die Farbe dieses Staubes!) aber nicht als roth angezeigt
ist. so läfst sich auch diese Nachricht dem Staube von Beludschistan
nicht direet vergleichen, obwohl auch sie durch überreiche Mischungen
mit Lokalstaub entfremdet sein kann. Es war also keine fremde Erde
oder die Macht der Erscheinung entzog beiden Beobachtern deren Cha-
raeter. Auch das neueste vorn angezeigte schreckhafte Ereignils von
1870 bei Samarkand erlaubt noch keine speciellere Vergleichung mit
dem Passatstaub.
13. Über röthlichen vulkanischen Staub des Ätna.
Unter den interessevollen Materialien zur Erläuterung des Passat-
staubes, welche ich der Güte des Herrn Professor Silvestrı verdanke,
befindet sich auch eine Probe eines röthlichen, vulkanischen, aschenartigen
Auswurfstoffes des Ätna. Zwar ist schon sehr oft von rothen Auswurfs-
stoffen der Vulkane berichtet worden, allein es ist noch niemals eme
wirklich rothe Asche zur mikroskopischen Untersuchung gekommen und
die von Vallisneri erwähnte venetianische Staubart von 1689 dürfte
wohl mit gröfserer Wahrscheinlichkeit zu den Passatstaubarten gehört
haben. Die Mehrzahl solcher oft sehr auffallend rother Erscheinungen bei
Vulkanen, besonders am Kraterrande, beziehen sich auf Metallsalze und
Schwefelverbindungen, sind zwar sehr auffällig, aber ganz lokal und sind
noch niemals als Luftstaub beglaubist worden. Der Ausdruck: lacte et
sangume plut vom Milch- und Blutregen der alten Römer läfst im letzte-
!) Allgem. Augsb. Zeitung 1364 Beilage No. 339 p. 5510.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 91
ren Falle mit mehr Wahrscheinlichkeit einen rothen unvulkanischen Pas-
satstaub annehmen, als einen Aschenregen ohne gleichzeitige Nachricht
von vulkanischer Thätigkeit, wobei denn zugleich bemerkt sein mag, dafs
der preufsische Gesandte von Bunsen bei Frascati im Albanergebirge
bei Rom im April 1830!) von einem, gleich Schnee, auf die Dächer ge-
fallenen Staube während der Thätigkeit des Ätna spricht. Ob die Be-
zeichnung, wie Schnee, sich auf die Farbe oder auf die lockere dichte
Bedeckung bezieht, bleibt auch hier im Zweifel. Ich habe bereits im
Jahre 1851 in den Monatsberichten sowohl über einen bestimmten Fall
des vulkanischen Vesuvstaubes als auch über die bei den Schweizer Ge-
lehrten damals häufig vorhandenen Vorstellungen von vulkanischer Asche
als Sciroceo-Staub Erläuterungen gegeben, wonach aller Vulkanstaub des
Vesuvs, welcher in neapolitanischen Sammlungen zu meiner Ansicht ge-
kommen ist, stets schwarz, einem mehr oder weniger groben Schiels-
pulver ähnlich, erschienen war. Aus den Mittheilungen der Schweizer
Gelehrten 1851 ergab sich mir die Vorstellung, dafs der verwitterte und
getrocknete, rothe Schneestaub, nicht seiner rothen, sondern seiner dann
angenommenen schwarzen Farbe halber, den vulkanischen Aschen ähnlich
gefunden worden war, ohne dafs gleichzeitig vulkanische Eruptionen und
innere Charactere diese Annahme berechtigten.
Auch ist es nöthig bei Betrachtung der vulkanischen Aschen den Ge-
sıchtspunkt zu erweitern. So wurden bereits 1844 die Tuffe der Vulkane
der Eifel und ihre Rapillen und biolithischen weilsen Kieselmehle in Betracht
gezogen (Monatsb. 1844). Gleichzeitig und 1856 (Monatsb.) sind grofse
Tuifmassen der Vulkane in Süd- und Mittel-Amerika von gelblich grauer
Farbe zu meiner Analyse gekommen. Die schwarz-graue Moya von Pe-
Iileo ist 1841 erläutert worden. Directe Auswurfsstoffe der Vulkane von
(Quito und Island wurden 1846 hinzugefügt. Das wichtigste Ereignils,
welches für alle Zeiten einen erläuternden Einflufs ausübt, ist der Aus-
bruch des Vulkans von St. Vincent, der 1812 am 1. Mai seine unberechen-
baren Massenverhältnisse bis in den oberen Passatstrom in die Höhe
schleuderte, das Tageslicht in volle Finsternifs verwandelte und mit ver-
heerender Massenhaftigkeit sehr entfernte Inseln und Land bedeckte. Von
!) Bunsen’s Leben aus seinen Briefen. Deutsche Übersetzung. Bd.I. p. 364.
12*
99 Eurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
ihm hat ein günstiger Zufall die auf ein englisches Schiff im Ocean gefallene
Probe, spät aber gesichert, aus der Privat-Sammlung der Frau Professor
Buekland in London 1847 zur Analyse in meine Hände gebracht, wie
es ausführlich in der Mierogeologie p. 359. mitgetheilt ist. In ähnlicher
Weise wurden mir durch Dr. Waitz 1850 die grauen Schlammauswürfe
der Java-Vulkane vom Merapi zur Erläuterung übergeben und in der
Microgeologie analysırt.
In allen diesen von mir zahlreich direet untersuchten Fällen ist
niemals von einer rothen Farbe der vulkanischen Aschen die Rede ge-
wesen. Es waren kohlschwarze, graue oder weilsliche Substanzen, welche
mit jenen meist lebhaft roth und gelb gefärbten Auskleidungen der Krater-
gründe und der Fumarolen nicht vergleichbar sind, deren Substanzen,
Schwefel- und Metall-Salze verschiedener Art, nur lokale Überzüge bilden,
während die lebhaft rothen Eisenfärbungen erst durch längeres Liegen
an der Atmosphäre zu solchen Eisenoxyd-Hydraten verändert werden.
Was nun die röthliche vulkanische Asche des Ätna selbst anlangt,
so ist ihre Farbe keineswegs den zimmet- und ziegelfarbenen Dunkelmeer-
staubarten in ihrem normalen Verhältnifs vergleichbar. Die Farbe ist
vielmehr eine rötlich violetgraue. Mit Salzsäure erhitzt wird diese Farbe
ausgezogen und färbt die Säure gelbgrün, während das Pulver weilsgrau
wird. Bei polarisirtem Lichte zeigt die Masse doppeltlichtbrechende kleine
unregelmäfsige Körnchen und Packete, auch seltener glatte, zuweilen
doppeltlichtbrechende, zuweilen einfachlichtbrechende Stäbchen, auch grö-
bere Trümmersandtheile, meist (quarzigen ?) Kieselsand. Amorphe oder glas-
se Theile fehlten. Organische
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artige gröbere, so wie bimsteinartig zelli
Beimischungen wurden nicht erkannt. So besteht denn dieser vulkanische
Sand aus fein zertheilter Schlackenmasse mit einigem Eisengehalt, ohne
Kohlenbeimischungen und unterscheidet sich, so weit die Beobachtung
fortgesetzt wurde, von den Passatstaubarten durch Mangel an Spuren von
organischer Beimischung.
Auf Tafel I. sind viele Abbildungen der in diesem Kapitel ver-
zeichneten Passatstaub-Formen zur Ansicht und Vergleichung gebracht.
aub- Analysen.
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Theil I.
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Borstenförmig gluttes
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Spindelfaser
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Nierenförmig glatter Saame |+
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Unentfaltetes Räderthier = AR
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| Acarus
+, Schmetterlingsschüppchen
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Gefärbte (Woll-)Haare ü ? F E \
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Unorganischen. 23
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Thon?-Mulm (Kiesel?) alle.
Kalk-Mulm
Quarziger Trümmersand r p #
Kalksand | | |
Crystallfragmente blaugrin |" | | |
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Sterndruse 3— 6strahlig Er on I
Crystallprismen weils I.#l.
grün
rauchfarben
Grüne Crystallsplitter
| — Orystalle, rundlich facettirt
Sechmeitige Tafelcrystallo
| Gubelförmige Gypserpstalle
| Hochgelbe Crystallsplitter ee
Glimmer |
Hyacinthrothe Glassplitter
Farblose
Porphyrartige Splitter
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plättchen) | , | _ |
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das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 93
IV. Tabellarische Übersicht aller organischen Formen des
rothen, seit 1847 (1849) analysirten Staubes.
7u den 1847 vorgelegten 27 Analysen des Passatstaubes, aus wel-
chen 310 nennbare organische Formen entwickelt wurden, nämlich 137
Polygastern, 91 Phytolitharien, 19 Polythalamien, 51 weiche Pflanzentheile
und 7 Insectenfragmente, ist es seit jener Zeit gelungen aus den im zwei-
ten Kapitel dieser Abhandlung verzeichneten reichen historischen Angaben
noch 43 neue Lokalfälle dieser Art nach vorliegenden Materialien zu ana-
Iysiren. In den Monatsberichten der Jahre 1849 bis 1869 sind bereits
30 davon im Detail publieirt worden.
Die Zahl der beobachteten organischen Formen in diesen neuesten
43 Analysen beträgt 313 und zwar 127 Polygastern, 120 Phytolitharien,
13 Polythalamien, 43 weiche Pflanzentheile, ein unsicheres Polycystinen-
Fragment und 9 andere Thiertheile. Übereinstimmend mit den 310 Formen
des Passatstaubes von 1847 sind von den neueren 313 Formen nur 163
und zwar darunter 70 Polygastern und 66 Phytolitharien, so dafs als or-
ganische Lebenserfüllung des gesammten analysirten Passatstaubes 460
Formen zu nennen sind und zwar von den sich selbstständig erhaltenden,
fortpflanzungsfähigen Polygastern 194 Formen und von den nicht selbst-
ständig sich erhaltenden, nicht fortpflanzungsfähigen Phytolitharien 145
Formen, unter denen 36 Spongolithen verzeichnet sind, während die übri-
gen Formen, aufser den 25 kalkschaligen Polythalamien, bei Weitem vor-
herrschend kieselerdige Grastheile, Poolitharien, darstellen. Unter den
127 Arten der hier verzeichneten Polygastern sind die Bacillarien die bei
Weitem überwiegenden Formen, ihnen zugesellt sind nur 6 Arcellen und
4 Difflusien als Arcellinen, und 1 Uryptomonas und 2 Trachelomonas als
Uryptomonadinen.
In der hier folgenden Tabelle ist eine Übersicht der gesammten
directen Analysen seit 1849 zu Stande gebracht. Diese Formenverzeich-
nisse haben den eigenthümlichen Character, dafs sie nicht zusammen ge-
tragene, verschieden beurtheilte Gegenstände betreffen, sondern von einem
und demselben Beobachter unter ganz gleichen Verhältnissen und Beob-
achtungsmethoden mit früheren Verzeichnissen vergleichbar aufgefafst
wurden. Die sämmtlichen 43 Analysen sind absichtlich von einander ge-
94 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchun gen über
trennt gehalten, um die constanten Formen der reinen rothen Staubarten
von den zufälligen der durch die Stürme aufgewühlten Oberflächen und
dadurch in ihrer ursprünglichen Farbe abgeschwächten, weniger rothen
Staubarten, leichter zu unterscheiden und, wo es nöthig ist, diese zu-
fälligen Formen von weiteren Berechnungen ausschliefsen zu können.
Bei dieser Anordnung ist, wie in den früheren Tabellen, mit Leichtig-
keit zu erkennen, welche Elemente sämmtlichen Meteoren gemeinsam sind
und welche vereinzelt in verschiedenen derselben vorkommen. Im Grofsen
und Ganzen tritt hervor, dafs die rothen, vom gewöhnlichen Oberflächen-
staube sowohl Afrika’s wie Europa’s, Amerika’s und Asien’s durch beson-
dere Characterformen abweichenden, Staubarten untereinander einen festen
eigenthümlichen Character nach mehreren Richtungen hin bewahren. Die
eime Richtung giebt das sich immer gleichbleibende Massenverhältnifs ver-
wandter Lebensformen und deren Überreste in dem rothen Passatstaub
an, die sich als Polygastern und Phytolitharien bei Weitem überwiegend
zu erkennen geben. Die zweite Richtung weist den überall durchgehenden
Character nach, dals das bei Weitem grölste Massenverhältnifs dieser or-
ganıschen Formen nicht den Meeres- sondern den Sülswassergebilden an-
gehört, und dafs die meist zweifelhaften Meeresgebilde den zufälligen Bei-
mischungen jener stabilen Hauptmasse anzugehören scheinen, welche schon
aus dem 1686 gefallenen Meteorpapier von Rauden entwickelt werden
konnte. Wesentlich ist es auch, dafs die kieselschaligen und kieselerdigen
Elemente die kalkigen und gallertigen (weichen) in der Mischung so be-
deutend überwiegen, die gallertigen vielleicht deshalb, weil diese oft durch
Contraetilität veränderlich sind. Eine dritte Richtung ist die Überein-
stimmung durch den beträchtlichen, die characteristische rothe Farbe
gebenden Eisengehalt und auch durch den überwiegenden Kieselerdegehalt.
Es ıst nicht ohne Wahrscheinlichkeit, dafs der häufige feine Eisenstaub aus
hohlen eisenhaltigen feinen Kieselzellen besteht und dafs dieses Eisenoxyd
von Gallionella ferruginea stammt, welche jedoch, da sie nicht in Ketten-
torm oder hohlen Zellchen* aufser Zweifel zu stellen war, meist nicht mit
aufgeführt ist. Eine solche Vorstellung wird mehr noch begünstigt durch
die unzweifelhaften schwarzen, dem Magnete folgenden Eisenbläschen des
1858 mitgetheilten Meteorstaubes, worüber hier auf Taf. I. eine weitere
Anschauung vergleichbar gemacht ist.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamasche Leben. 95
Was die wichtigen schalenlosen kleinen atmosphärischen Organismen
anlangt, welche hier nicht zahlreich aufgeführt sind, so ist Abschnitt V.
darüber zu vergleichen. Rücksichtlich der Phytolitharien ist zu bemerken.
dafs ihre scharfe Characteristik wegen ihrer so selten typisch überein-
stimmenden Gestaltung erschwert ist und ohne Vorsicht leieht zu einer
unabsehbaren Menge unnützer Namen führt. Dennoch war es nöthig die
Gestalten nach ihren gröfsten Verwandtschaften zusammenzufassen und
diese mit Namen zu versehen, um sie zu einer Übersicht verzeichnen zu
können.
Die in den tabellarischen Verzeichnissen enthaltenen Namen be-
ruhen überdies nicht auf vorübergehenden Anschauungen, sondern stützen
sich objectiv auf in Präparaten fixirte Individuen, welche beim Fort-
schreiten der Structur- und Entwicklungs-Studien dem Anpassen an diese
fort und fort zugänglich sind.
Was den geographischen Ursprung sämmtlicher hier verzeichneten
Formen anlangt, so darf nicht unbemerkt bleiben, dafs die srofse Mehr-
zahl derselben, meinen mitgetheilten Erfahrungen nach, über alle Theile
der Erde verbreitete Gestaltungen sind, dafs weder afrikanische noch
australische Characterformen, wohl aber mehrere amerikanische !)
wieder darunter wie 1847 (p. 319 und 434) beobachtet worden sind. Es
hat überhaupt jetzt der Ursprung der einzelnen Organismen aus be-
stimmten Oberflächenverhältnissen der Erde seine Wichtiskeit da-
durch verloren, dafs eine Vermischung aller Oberflächen verhältnisse
in einer schwebenden Passatstaubzone der oberen Atmosphäre sich wach-
sende Geltung verschafft hat.
Die in den früheren Tabellen von 1847 verzeichneten und in den
neueren 43 Analysen nicht wieder beobachteten 62 Polygastern, fragliche
Fragmente nicht mitgerechnet, sind folgende:
!) Für die Verbindung mit den amerikanischen Oberflächenverhältnissen waren die
höchst schreekhaften Stürme erläuternd, welche in Rob. Schomburgk’s Werk über Bar-
bados 1848 p. 689 in Übersicht gebracht und in der Mierogeologie 1854 p. 362 angedeutet
sind. Die afrikanischen und asiatischen Typhone mit ihren wandelnden Staubwirbeln,
samt den von Humboldt beobachteten ähnlichen Staubwirbeln der Steppen Amerikas.
bilden jetzt die Basis für das Zusammenwirken der Erdoberflächen auf diese Erscheinung
der oberen Atmosphäre.
96 Eurkspenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Arcella constricta.
Arcella? costata.
Chaetoglena volvoeina.
Chaetotyphla? retieulata.
Chaetotyphla saxipara.
Olosterium?
Cocconeis atmosphaerica.
Ooeconeis finnica.
Difflugia cellulosa.
Eunotia Arcus.
Eunotia Camelus.
Eunotia? laevıs.
Eumotia Prleus.
Bunotia quaternaria.
Eunotia tridentula.
Fragilaria amphioxys.
Fragtlaria? (Biblarium).
Fragilaria constrieta.
Fragilaria diophthalma.
Fragilaria? Synedra.
Galhionella laminanıs.
Gomphonema elavatum.
Gomphonema longteolle.
Gomphonema rotundatum.
Gomphonema Vibrio.
Himantıdium gracile.
Himantıdium Zygodon.
Meridion vernale.
Monas viridis.
Nawieula amphioxys.
Naweula dubra.
Nawieula emarginata.
Naweula lneolata.
Nawieula Scalprum.
Nameula?
Pinnularia nobils.
Pinnularia taentata.
Pinnularia Termes.
Pinnularia®? (Amphora?)
Spirillum Undula.
Stauroneis drlatata.
Stauroneis Legumen.
Stauroneis Iinearis.
Stauroneis Phoenicenteron.
Stauroptera cardinalıs.
Stauroptera parva.
Staurosira construens.
Surirella? Entomon.
Surirella? paradowa.
Surirella peruana.
Surirella undulata.
Synedra capıtata.
Synedra?
Tabellaria?
Tabellaria®
Zu diesen 55 Sülswasserformen sind noch folgende 7:
Biddulphia?
Coseinodisceus radiatus.
Coscemodiscus? (minor).
Gontothecium cerenatum.
als seltene Meeresformen hinzuzufügen.
sind auf der Übersichtstabelle selbst an
Grammatophora oceanica.
Grammatophora parallela.
Pywidieula® (Coseinodiscus?)
Die übereinstimmenden Formen
gezeigt.
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das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 97
Wer die gekörnten Gallionellen des Passatstaubes, die auch in Calı-
fornien Amerika’s mächtige Gebirgsschichten bilden, in weniger Arten zu-
sammenziehen will, wird nur den bleibenden Arten eine grölsere Verbreitung
geben. Ebenso ist es mit Discoplea und Eunotia. Da Eunotia amphioxys in
39, Gallionella tenerrima in 32, G. granulata in 30, @G. distans in 29, Dis-
coplea atmosphaerica in 25, Pinnularia borealis in 18, von den Litho-
stylidien L. Olepsammidium in 31 und von Spongolithen Sp. acicularis in
34 der 43 Analysen vorgekommen sind, so werden diese und ähnliche
Combinationen die weitere Characteristik festzustellen geeignet sein. Die
geringe Menge der untersuchten Substanzen wird wahrscheinlich später
noch viele einzelne Formen in denselben und in ähnlichen Stauben er-
kennen lassen, aber schwerlich in dem Massenhaften des hier Verzeich-
neten viel Wesentliches abändern.
V. Über den beobachteten Gehalt des wirklichen, unsicht-
baren, selbstständigen Lebens der Atmosphäre.
Hat sich auch die Vorstellung der denkenden Beobachtung frühe-
rer Zeit von einer, die Atmosphäre und sogar den Äther des Weltraumes
durchdringenden, unsichtbaren, organischen Lebensfülle durch Prüfung
vieler Tausende einzelner Regen- und Thautropfen, mit dem Mikroskop
nicht direct bestätigen lassen, und das aufgefangene Regenwasser stets zu
unsichere Resultate dargeboten, so hat doch die fortgesetzte Nachforschung
auf anderen Wegen und in annehmbarerer Weise ein grofses Reich die-
ses wichtigen Lebensverhältnisses aufgeschlossen. Die Vorstellung von
unvollkommenen, durch Electrieität in schleimiger, sei es rother, Pyrrhin
genannter, sei es farbloser Luftfeuchtigkeit überall stets neu zu erwecken-
den Gestaltungen ist unhaltbar geworden. Die betreffenden, nur der künst-
lich verstärkten Sehkraft zugänglichen, Organismen sind als in der Art
vollendete organische Wesen scharf erwiesen worden, dafs sie zu ihrer
Selbsterhaltung und Vermehrung eine völlig ausreichende Summe von so-
gar grolser Organisation besitzen und somit selbstständig sind. Anderer-
seits hat sich mit Sicherheit feststellen lassen, dafs solche kleinste Le-
bensformen zwar nicht stets, aber in den massenhaftesten Mengen, von
Phys. Kl. 1871. 13
98 EurenBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
den Bewegungen der Atmosphäre durch Wind und Wärme umher und
in grofse Höhe getragen werden.
Was die directe Beobachtung solcher Erscheinungen anlangt, die
unzweifelhaft zu den gewöhnlichen atmosphärischen Verhältnissen gehö-
ren, so waren die schweren Cholera-Epidemien die Veranlassung, dafs ich
im Jahre 1848 der Akademie tiefere Studien dieses Gegenstandes vor-
legte, welche sowohl Erläuterungen der wahren Elemente des Luftstaubes,
als auch besonders die etwa giftige Beschaffenheit einiger derselben ins
Auge fassen sollten. Linne’s aus dem Äther herabfallende höllische Furie
(Furia infernalis) der schwedischen und sibirischen Brandblatter, samt sei-
nem Ühaos aethereum, waren nur Bilder einer bewesten Phantasie ohne
Realität, weshalb sie auch bald wieder verschwunden sind. Leeuwen-
hoeks Dachrinnen- und Dachmoosthierchen liefsen sich noch aus zufällig
durch Sturm in die Höhe gespritzten Sumpfwassern ableiten. Nach Nees
von Esenbeck!) sahen Meyer und Stoop am vierten Tage nach dem
Falle eines Regens mikroskopisch lebende Thierchen im Regenwasser
schwimmen. Im Meteorstaube zu Wien vom 31. Januar 1848 hat Herr
Dr. Wedl?), unter einigen gröberen organischen Fragmenten, vertrocknete
panzerlose Infusorien vom Ansehen der Bursaria, Colpoda oder Parame-
cium gesehen. Auf diese Namen lälst sich deshalb wenig Gewicht legen,
weil vertrocknete weiche Infusorien, die nicht von Neuem im Wasser le-
bensthätig gesehen werden, nicht wohl als solche erweisbar sind.
Die durch Epidemien erweckten Vorstellungen vergifteter Luft
verlangten directe Nachforschung. Deshalb wurden von mir 1848 hier
in Berlin nicht nur alle Luftstaubverhältnisse in Häusern, Schränken und
Thürmen, in Museen und Bibliotheken, in mit schweren Cholerakranken
erfüllten Lazarethen, in Moosen auf den Bäumen der Stadtgärten und
des Thiergartens bei 300 maliger Vergröfserung mikroskopisch geprüft,
sondern es wurden in jener Zeit diese Untersuchungen auf den Harz bis
zum Brocken, auf die oberen Kirchenräume von Dresden und Wismar,
auf einige kleinere Berge der Schweiz bei Zürich und auf das damals
ebenfalls einer starken Cholera-Epidemie ausgesetzte Ägypten mit seinem
1) Rob. Brown’s botanische Schriften Bd. I. p. 621. Anmerk. 1845.
2) Abhandl. 1547 p. 136.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 99
frisch zugesendeten Luftstaube ausgedehnt. Alle diese einzelnen Verhält-
nisse sind in den Monatsb. 1848 p. 325 und 370 im Detail publicirt.
Es ergaben sich aus den Untersuchungen über 200, im Luftstaube von
der Atmosphäre getragene, organische Formen.
Die fortgesetzten Untersuchungen der aus dem Urwalde von Ve-
nezuela!) von hoch an den Baumstämmen gesammelten, durch Dr. Kar-
sten mitgebrachten, Farn- und Moospolstern, so wie die in Asien an den
Cedern des Libanon ebenfalls hoch am Stamme von mir selbst entnom-
menen Moose, samt den im Jahre 1829 auf der Prochodnoi-Alp?2) des
Altai auf der sibirischen Reise mit A. v. Humboldt von mir gesammel-
ten Materialien, sowie meine eigenen Beobachtungen am Gletschereise der
Berner Alpen und des Rhonegletschers®) erlaubten weitere Fernsichten
des nothwendig von der Luft getragenen Staubes. Ja im Jahre 1853 #)
sind grofse Verzeichnisse von den Materialien des Glockner und anderer
hoher Alpen bis zur Monte-Rosa-Gruppe, welche von den Herrn von
Schlagintweit gesammelt worden, von mir gegeben. Andere Materia-
lien aus den bairischen Alpen wurden gleichzeitig in eine reiche Über-
sicht gebracht, wozu noch 1858 ein Beitrag aus den oberen Schneeflächen
des Montblanc), sowie durch die Gebrüder Schlagintweit dem ober-
sten Himalaya bis zu 20,000 Fufs Erhebung entnommene Materialien hin-
zukamen. Eine Abbildung des höchsten Alpenlebens der Schweiz ist in der
Microgeologie auf Taf. XXXV. B. gegeben. Die Kenntnils der ansehnlichen
Zahl kleinster, auf dem Himalaya, diesem höchsten Beobachtungspunkte,
abgelagerter Lebensformen ist in den Abhandlungen 1858 p. 429 publieirt
worden. Im Jahre 1855°) sind aus den 1851 gesammelten Proben des
Alpenstaubes vom Monte-Rosa, nach vierjährigem völligen Trockenliegen,
eine grofse Menge von Räderthieren und Tardigraden in destillirtem Wasser
aus dem Scheintod wieder aufselebt.
1) Monatsbericht 1548 p. 213.
?) Monatsbericht 1549 p. 290.
3) Monatsbericht 1849 p. 294.
*) Monatsbericht 1853 p. 319.
°) Monatsbericht 1858 p. 775, nach Dr. Pitschner’s Materialien.
%) Monatsbericht 1855 p. 225.
13*
100 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Alle diese Luftstaubverhältnisse haben in gröfstem Maafsstabe zu
erkennen gegeben, dafs das unsichtbare organische Leben des Luftkreises
nicht mehr eine Hypothese ist, sondern den sicheren Erkenntnissen der
Naturforschung angehört. Es giebt sowohl im Wipfel der Bäume von 50
bis 60 Fufs Höhe, auch bei Berlin, sowie auf den Dächern und Ballustra-
den der hohen Gebäude, sowohl in der alten als in der neuen Welt und
in deren Urwäldern, nicht wenige, generisch und specifisch eigenthümliche,
Lokalformen aus sehr verschiedenen Abtheilungen der Polygastern, der
Räderthiere, der Tardigraden und der Anguillulae. Sehr oft haben sich
nach jahrelangem Trockenliegen aus den gesammelten Staubarten durch
aufgegossenes destillirtes Wasser, zuweilen sogar in reichlicher Menge,
derartige Thiere vom Scheintode wieder zu einem kräftigen Leben bis zur
neuen Eibildung der Räderthiere erwecken lassen. Ja es konnte bereits im
Jahre 18491) durch eine neue Beobachtungsmethode eine ansehnliche Reihe
schalenloser weicher Polygastern zu neuer Lebensthätigkeit gebracht
werden, wie denn ganz neuerlich im Jahre 1869?) aus von der deutschen
Nordpol-Expedition von Spitzbergen mitgebrachten Moosen, durch das
gleiche Verfahren, in wenig Stunden schon die in den Blattachseln einge-
schrumpften unsichtbaren Thierchen sich neu belebten, und es ist beson-
ders bemerkenswerth, dafs eine der Vorticella micerostoma gleichende Form
sich so schnell kräftig entwickelt und thätig zeigte.
Die sämmtlichen so beobachteten Formen sind auch nicht nur dem
Thierreich angehörige, entwicklungsfähige Einzelwesen, sondern es haben
sich vielfach Sporidien und Sporangien von Pilzen, sowie allerlei erypto-
samische Pflanzensamen gezeigt, welche auch das Pflanzenreich, wiewohl
[o)
stets weniger zahlreich, in der Atmosphäre als vertreten erkennen liefsen.
1) Monatsbericht 1849 p. 97.
Während im Jahre 1530 nur 5 Formen, als wirklich lebend von der Luft getra-
gen, namhaft gemacht werden konnten, ist die Zahl der wirklich lebenden und aus dem
eingetrockneten Zustande durch kurzes Befeuchten wieder kräftig thätigen Formen schon
sehr ansehnlich geworden, wie folgendes Verzeichnils bereits 1849 mitgetheilt wurde:
Bodo saltans, Bursaria arborum n. sp., B. triquetra n. sp., Colpoda’ Cucullus?, Cyelidium
arborum n. sp., C. Glaucoma, Monas Guttula (M. Termo von Schultze), Monas viridis?,
Ozxytricha Pellionella, O. Pullaster, Stylonychia pustulata, Trachelius dendrophilus n. sp.,
Vibrio Lineola. Prof. Pouchet’s spätere Untersuchungen in Frankreich sind zu vergleichen.
2) Monatsbericht 1569 p. 260.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 101
Zu diesem grofsen Formenreichthum ist nun noch der sehr ansehn-
„liche hinzugetreten, welchen ich seit 1844 als Mischung des rothen Dun-
kelmeerstaubes und als Bestandtheil der vielbesprochenen Blutregen der
Akademie vorlegen konnte, dessen erweiterte Kenntnifs auch der Haupt-
gegenstand der gegenwärtigen Mittheilung ist. Aus dem gewöhnlichen,
nicht rothen, meist grauen Luftstaube waren bis 18481) weit über 200
organische Formen zu verzeichnen gewesen, von denen diejenigen, welche
wirkliche Lebensthätigkeit zu erkennen gaben, in den Monatsberichten ver-
merkt sind. Eine besonders reiche Anschauung von wirklich thätigem
Leben ergab auch der durch Kohlenstaub schwarze Tintenregen von Irland
im Jahre 1849, dessen weiter entwickelte Räderthiere (Phrlodina roseola)
mit Dursaria arborum 1849?) angezeigt worden sind. Dieser ganze Tin-
tenregen hat insofern keine volle Sicherheit für seine atmosphärischen
Lebensberechtigungen, weil das Einsammeln und Aufbewahren nicht gleich
Anfangs überwacht gewesen zu sein scheint und die Flüssigkeit mir erst
nach sechs Wochen zur Untersuchung zugekommen ist.
Die von 1847 bis 1869 gegebenen Erläuterungen des rothen atlan-
tischen Dunkelmeer- und Passatstaubes sind in dem vorhergehenden Ab-
schnitt speciell verzeichnet und es ist hier nur zu bemerken, dafs auch
unter den so zahlreichen Lebensformen ihrer Mischung, durch ihre inneren
wohl erhaltenen Weichtheile als lebenskräftig anzuerkennende, selbststän-
dige Individuen zuweilen zahlreich vorhanden waren. Bereits in der 1847
gedruckten Übersicht des Passatstaubes und Blutregens wurde p- 319 auf
das möglicherweise und zuweilen sogar wirklich fortbestehende thätige
Leben der in der Luft als Wolken getragenen festen Bestandtheile mit
folgenden Worten aufmerksam gemacht: „Beachtenswerth ist, dafs in dem
„Meteorstaube (1813 in Calabrien gefallen) aus Chladni’s Sammlung sehr
„viele lebend getrocknete Exemplare der Bunotia amphroxys und Synedra
„Entomon®) sehr oft in Selbsttheilung begriffen vorkommen und ebenso
„auch einige aber wenige in dem Staube von 1803. Nur in dem Meteor-
1) Monatsbericht 1348 p. 339.
2) Monatsbericht 1849 p. 301.
3) Symedra Entomon ist seitdem so häufig in anderen Oberflächenverhältnissen der
Erde vorgekommen, dafs sie als Characterform Amerika’s zweifelhaft geworden.
102 Eurevgere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
-
„staube von Lyon 1846!) waren dergleichen bisher (Bunotia amphrowys
„mit grünem Inhalt) vorgekommen. — *
Seitdem sind auch in dem am 30. October 1834 gefallenen Meteor-
staube vom Argun-Flusse, an der russisch chinesischen Grenze, noch 1851
bei der mikroskopischen Analyse mehrere Eunotia amphioays und Pinnu-
laria borealis mit grünem Inhalt und in Selbsttheilung begriffen beobach-
tet worden, wie schon Dr. Weisse in Petersburg in seiner Analyse
bereits vorher angezeigt hatte (Monatsb. 1851 p. 318.) Auch in der vul-
kanischen Auswurfsasche des Imbaburu-Vulkans in Quito (natürlich der
verstäubten Oberflächenverhältnisse) ist 1844 eine Bunotia amphroxys mit
grünem Inhalt angezeigt (Monatsb. 1846 p. 191, 1848 p. 336.)
Der Meteorstaub von Schlesien und Nieder-Österreich vom 31. Ja-
nuar 1848 enthält ebenfalls viele lebensfähige, das heilst mit grünlichem
Inhalt versehene Polygastern, namentlich Zunota amphioxys, Synedra En-
tomon und Pinnularia borealis. Der Mangel weiterer wichtiger Charac-
tere des Passatstaubes macht aber diesen Fall als solchen zweifelhaft.
(Abhandl. d. Akad. 1847. p. 141). In dem 1847 am 31. März im Gastei-
ner Thale gefallenen Passatstaub ist wieder Hunotia amphioxys mit grünem
Inhalt beobachtet (Abhandl. d. Akad. 1847 p. 132). 1851 wurde im rothen
Schneefall von Graubündten vom 3. zum 4. Februar dieselbe Eunotia am-
phioxys mit ihrem weichen grünen Inhalt, mithin lebensfähig, beobachtet.
(Monatsb. 1851 p. 165.)
Für alle diese Fälle ist nur anzudeuten, dafs der grünfarbige In-
halt keineswegs deshalb auf Abgestorbensein zu beziehen ist, weil die im
Wasser lebenden jüngeren Formen oft gelbliche und braune Färbung ihrer
Weichtheile zeigen. Schon 1838 sind im Infusorienwerke Formen in Selbst-
theilung auf Taf. XIV. abgebildet, deren eine Hälfte braun, die andere
grün ist, und auf Taf. XXI. sind Surirellen dargestellt, welche in der Mitte
grün, an den Seiten braunfarbige Weichtheile führen. Im Gegentheil hat
Stauronöis Phoenicenteron ihren alten Namen von der beim Absterben nicht
grünen sondern röthlichen dieser, von mir Ovarien genannten, Weichtheile,
aus denen beim Einschrumpfen bewegte Körner hervortreten. Die leben-
den Desmidiaceen sind gewöhnlich nur grün.
1) Monatsbericht 1846 p. 326.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 103
Ganz neuerlich hat Professor Silvestri in Catania bei dem be-
sonders merkwürdigen rothen Staubfall vom März 1869 viele lebende,
schwimmende Infusorien direet und im frischen Regenwasser erkannt. Da
die Mittheilungen Silvestri’s ein besonderes Vertrauen erwecken, so sind
seine Angaben über die lebendig bewegten Bewohner des Meteorwassers
vorzüglich berücksichtigungswerth. Eine Scene der im Wasser befindlichen
organischen Bestandtheile ist von demselben mit Hilfe der Camera lueida
aufgenommen worden, wodurch einige der von ihm genannten Formen der
Beurtheilung zugänglich sind. Da er jedoch bemerkt, dafs verschieden-
artig bewegte kleine Formen, die er gesehen, auch den bewesten Algen-
samen angehören könnten und sie weiter mit Namen zu belegen selbst
Bedenken getragen hat, so ist doch nur eine Form eigentlich mit Sicher-
heit aufzunehmen. Diese Form ist der Vorticella Convallaria oder V. mi-
crostoma der sülsen Gewässer überaus ähnlich, welche letztere ich aus den
von Spitzbergen mitgebrachten Moosen 1869 (Monatsb. p. 260) sich unter
destillirtem Wasser in sehr kurzer Zeit entfalten sah. Auch bedarf es
einer Berücksichtigung, dals die Vorstellung, als seien die 1869 beob-
achteten Formen aus den Spritzwellen des sehr aufgeregten Meeres in die
Wolken übergegangen, dadurch behindert ist, dafs keine dieser Formen
als characteristische Meeresbildung namhaft zu machen ist, während man
vorherrschend solche erwarten mülste.
Im Allgemeinen ist noch zu bemerken, wie schon 18481) ange-
deutet wurde, dals Eunotia amphroxys und Pinnularia borealis, welche
Formen am zahlreichsten als lebensfähig unter den Atmosphärilien bisher
beobachtet sind und im Luftstaube von Berlin die vorherrschenden, zum
Theil nie fehlenden sind, in den Gewässern von Berlin nur selten und
einzeln vorkommen. Es entstand mithin die Frage, warum sich von nahe
400 kieselschaligen Polygastern-Arten, welche bei Berlin leben, gerade nur
zwei und die beiden Passatstaubthierchen (vom Staube des Atlantischen
Oceans) lebend und auffallend zahlreich im gewöhnlichen Luft-
staube befinden, während diese am Boden selten sind.
Schliefslich fasse ich in dieses Bild des Luftlebens noch jene For-
men ein, welche ich im Jahre 1838?) aus dem sogenannten Meteorpapier
1) Monatsbericht 1848 p. 342.
?) Abhandlungen 1833 p. 45.
104 Eunrengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
von Rauden, das 1686 in bis tischgrofsen Platten aus der Luft gefallen
ist und vom Chemiker Grotthuss bei Mitau, als mit den Characteren einer
kosmischen Substanz versehen, mit chemischer Analyse geschildert worden
ist, entwiekeln konnte. Grotthuss selbst hat, durch Berzelius veran-
lafst, die wesentlichen Meteorbestandtheile als eine Beirrung durch Schwe-
feleisen widerrufen. Die mikroskopische Analyse hat mit der gröfsten
Klarheit aufser Zweifel gestellt, dafs die schwarze Masse aus einem ver-
rotteten Confervenfilz von Conferva erispata und aus 30 sehr ausgezeich-
neten Bacillarien, Desmidiaceen, Closterinen, Pandorinen, Peridinien, Rä-
derthieren und einer Daphnienschaale bestand, wodurch die chemischen
Elemente, welche Grotthuss fand, hinreichend erläutert werden. Mehrere
der Bacillarien, Desmidiaceen und die Conferve hatten noch weichen, grün-
farbigen Inhalt und mögen mithin, wenn sie in der Luft getragen worden
sind, bis zum Herabfallen wenigstens lebensfähig gewesen sein, und dafs
sie nach 152 Jahren ihrer Aufbewahrung noch ihre natürliche Farbe der
stens bemerkenswerth sein. Es konnte
Weichtheile zeigen, dürfte wenig
damals ausgesprochen werden, dafs diese Formen nicht nur Knochenresten
oder Schaalen, sondern auch ganzen Mumien vergleichbar sind).
1) Noch ist ein Blick auf die individuelle Intensität der unsichtbaren Organismen zu
richten, deren Nichtbeachtung die Vorstellung einer generatio spontanea derselben sehr be-
günstigt hat. Im Jahre 1530 wurde zuerst den Räderthieren, einem früheren Theile der
Animalcula Infusoria O.F. Müller’s, eine in allen fünf Systemen den grölseren Thieren
und Menschen möglicherweise vergleichbare Organisation zuerkannt und in den übrigen
wikroskopischen Formen eine grolse Analogie nachgewiesen, was bis 1838 in so vielen
Abtheilungen und Einzelformen ausgeführt wurde, dafs es eine vielseitige Anregung zu
geben nicht verfehlt hat. Nicht nur sind alle damals angezeigten und in ihren Functionen
zu deuten versuchten Organe von vielen Forschern bestätigt, sondern auch erweitert wor-
den. Nur über die Funetionen hat man sich später abweichenden Behauptungen hinge-
geben und, wie zu Platner’s Zeit die Physiologie des Menschen nur eine probabilis dis-
putatio de usu partium war, so wird auch jetzt Manches berechtigt oder unberechtigt be-
stritten und behauptet. Wichtige Erweiterungen dieser Kenntnisse führten in England
Thwaites 1847 durch die Cysten-Umwandlungen der Bacillarien und Brightwell und
Goflse 1549 durch Nachweis eines zuweilen getrennten Geschlechts bei Räderthieren herbei.
Die Lehre von einem Scheinfleische (Sarcode) und von Scheinzellen (Vacuoles) haben den
weichen Formen, samt den Schlagwörtern Protoplasma, Protosoa, Protococcus und ähnli-
chen Ausdrücken manche Unsicherheit zugefügt, allein auch in den zoologischen Hand-
büchern haben die Systematiker bereits breiten Besitz von den Erfolgen der mikroskopi-
schen Forschung genommen, so dals vom Einfachen dieser Lebensformen nicht mehr die
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 105
VI. Schädliche organische Atmosphärilien.
Seit alter Zeit ist bei allen grofsen Krankheits-Epidemien die Vor-
stellung lebendig geworden, dafs diese von schädlichen Luft-Zoophyten
Rede ist, vielmehr sich herausstellt, dafs jede neuere kräftige Forschung neue Gründe für
die Ansicht liefert, dafs das unsichtbar kleine organische Leben in einer, den grolsen
Organismen gleichen, Lebens-Idee organisirt ist.
In der Botanik haben die Algologen zwar auch neuerlich fortgefahren, die Ba-
eillarien als Pflanzenzellen zu betrachten und ihre farbigen Erfüllungen (die von mir, we-
gen periodischer Veränderung und Umgebung mit bewegten Körperchen, Ovarien ge-
nannten Theile) als Endochrom-Platten zu bezeichnen, während Rabenhorst (Campylo-
discus Hedwigia No. 9), hauptsächlich aber Focke (Phys. Stud.) sich 1854 entschieden
für die thierische Natur solcher Formen ausgesprochen haben, Ersterer aber 1864 in der
Flora europaea Algarum alle Formen wieder pflanzlich abgehandelt hat. Sogar das dop-
pelte Geschlecht wurde neuerlich von Greef auch bei Vorticellen angedeutet, während
Balbiani in Frankreich über die geschlechtlichen Organisationen der Infusoria_ ciliata
und Cohn und Kölliker in Deutschland über die Gewebslehre des unsichtbaren Lebens
mancherlei Betrachtungen zugeführt haben. Da aufser der Kleinheit auch die Durchsich-
tigkeit viel Schwierigkeiten für richtige Auffassung birgt, so ist besonders Herrn Rei-
chert’s neueste intensive Betrachtung und Erweiterung der Kenntnils des so durchsichti-
gen grolsen Zoobotryon, sowie seine Einführung in die neuere Vorstellungsweise wichtig.
Ob die contractilen Blasen der Paramecien nach aufsen und die Zitterorgane der Räder-
thiere nach innen sich münden und viele ähnliche Behauptungen über die Sexualdrüse der
Polygastern werden noch lange die streitlustigen Kräfte bewegen und besser als Autoritäts-
Dietate weitere Kenntnisse vorbereiten. Nur die ungleichen Beobachtungs-Methoden und
der ungleiche Maafsstab sind schwere Hemmnisse schneller Übereinstimmung.
Wunderlicherweise macht man es mir neuerlich fast überall zum Vorwurf, dafs
ich die Räderthiere zu den Infusorien gestellt habe, während ich mir es gern als einen
kleinen Gewinn anrechne, sie zuerst mit physiologischer Schärfe von den alten Infu-
sorien Müller’s getrennt zu haben. Nur der Mangel an Neuerungssucht der Namen und
der Wunsch verständlich zu sein, haben mich 1838 bewogen, beide, seit ältester Zeit ver-
schmolzene Formenreihen des Mikroskopes, mit Müller’s Namen verbunden zu lassen,
während ich ja schon 1835 in der, in den Abhandlungen gedruckten Übersicht des
gesammten Thiertypus im Naturreiche des Menschen sie weit auseinander hielt
und nie anders gedacht habe. Auch in Carus und Gerstaecker’s Handbuch der
Zoologie ist dieser Vorwurf aufgenommen und Viele schrieben ihn weiter ab. Gerade
dieses fleifsige reichhaltige Handbuch ist aber geeignet die Fülle und Vollkommenheit der
organischen Zusammensetzung anschaulich zu machen und festzuwurzeln, wenn man nur
von dem darin befolgten Prineip sich fern hält, dafs diese Organisationen da bereits
hinreichend entwickelt wären, wo die Kenntnifs der Beobachter bisher aufhört, oder
uneinig wird.
Phys. Kl. 1871. 14
106 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
oder Luft-Insekten und Würmern erzeugt würden. Linne, der ruhige
Forscher, wurde, wie im Eingang bemerkt ist, zu seiner Zeit zu solchem
Enthusiasmus für diese Ansicht hingerissen, dafs er das Schädliche als be-
sondere Organismen mit Namen in das Thierreich aufnahm. Im Jahre
1848 ist bei Gelegenheit der starken Choleraseuche diesem Gegenstande
von mir viele Aufmerksamkeit geschenkt worden, und ich habe damals
mein Urtheil dahin ausgesprochen: — „Wenn es periodisch giftige Eigen-
„schaften des Luftstaubes giebt und die Luft nachweislich mit mehreren
„Hunderten erkennbarer, organischer und unorganischer, unsichtbar
„kleiner Formen (in einem Tage periodisch zu 100,000 Centnern) er-
„füllt ist, so fragt man wohl, welche dieser Formen sind unverdächtig
„und welche sind etwa verdächtig, zumal im August 1848 zu Berlin?“ —
Es ist damals das Verhältnifs der organischen Formen speciell in Über-
sicht genommen worden und zum Schlusse bemerkt: — „Zu einem wirk-
„samen Gifte bei Epidemien reichen einzelne Formen so nicht aus, es
„mufs an massenhaftes, neues, selten Boden findendes Gift gedacht wer-
„den, das in kurzer Zeit wirkt. Daher mülste bei fleifsiger Benutzung
„der optischen Kräfte das Massenhafte der Untersuchung schnell zu
„Hilfe kommen, was nicht der Fall ist. Etwas bemerkenswerth ist das
„Verhältnifs der milbenartigen lebenden Bärenthierchen, Tardigarden,
„doch sind sie im frisch fallenden Staube noch nicht beobachtet
„worden. — *
So konnte 1848 etwas auffallend Ungewöhnliches durch Überwiegen
irgend einer besonderen Form jener Atmosphärilien, auch der Pilzsporen,
nicht aufgefunden werden und es hat sich seitdem die Vorstellung von
giftiger Beschaffenheit gewisser Lebensbedingungen mehr auf die Gewässer
zurückgezogen, zumal die Epidemien in sumpfigen, dem Geruchssinn sich
oft als unrein bezeichnenden Gegenden den vorherrschenden Heerd ihrer
Entwicklung zu erkennen geben.
Wenn ich fortfahre, ungeachtet vieler sehr wichtiger, neu entdeckter, organischer
Structur-Verhältnisse im Pflanzenbau, die Bacillarien von den Pflanzenzellen auszuschlies-
sen, so berechtigt mich dazu ihre Aufnahme fester Nahrung in innere Zellen und ihre,
dies möglich machenden, von einer Zellenwand sehr verschiedenen, offenen Spalten der
vieltheiligen Schaale mit noch anderen schon mannigfach besprochenen Characteren.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 107
Dennoch hat man auch neuerlich die in der Luft schwebenden
organischen Pilzsamen zu einem der einflufsreichsten Gegenstände erhoben
zumal die Vorstellung sich fester gestaltet, dafs selbst der blaue Himmel, je
intensiver er ist, desto erfüllter mit Trübungen sei.
Ich muls hier auf eine Zusammenfassung der neuesten Bestrebungen,
die Kenntnisse der Atmosphäre in dieser Beziehung zu erweitern, weil
sie zu umfangreich sind, verzichten. Dennoch scheint es nicht nur an-
gemessen, sondern mir eine Pflicht zu sein, einige Andeutungen davon
vorzutragen. Die Untersuchungen haben sich neuerlich in mehreren Rich-
tungen lebhaft bewegt. Die von mir 1848 gewonnenen Resultate haben
10 Jahre später neue Versuche in derselben Richtung erweckt, welche
den Reichthum an unsichtbaren organischen Mischungen der Luft bestä-
tigten und besonders in Frankreich neue Aufschlüsse zur Folge hatten.
Professor Pouchet benutzte seine Ergebnisse zur erneuten Feststellung
der generatio spontanea in der Atmosphäre, welchen Ansichten jedoch
die Pariser Akademie nicht beitrat. Die sorgfältigen Analysen des Herrn
Pasteur bestätigten jedoch durch chemisches Verfahren die reichen orga-
nischen Mischungen der Luft von Paris.
Seitdem ist wieder eine neue Übersicht ähnlicher Bestrebungen
in England 1870 veröffentlicht worden, welche zwar ganz verschiedene,
von den meinigen und auch von den französischen abweichende, Resultate
aus Manchester und London zur Kenntnils bringt, aber zugleich den
grolsen Eifer erkennen läfst, mit welchem der Gegenstand, als ein viel-
seitig wichtiger, dort neuerlich aufgefalst worden ist. Der verdiente Phy-
siker Herr Tyndall selbst hat in London (Fraser’s Magazine March 1870
„On dust and disease by J. Tyndall) sinnreiche neue Experimente mit der
von den Menschen dort einzuathmenden Luft gemacht und das Resultat
gewonnen, dafs der sogenannte Sonnenstaub, welcher überall die Luft
erfüllt, so ganz verbrennbar ist, dafs er unter sichtbarem Rauch ver-
schwindet. In geeigneten Röhren liefs sich die mit Sonnenstaub erfüllte
Luft ganz reinigen. Das Verfahren ist l. c. mitgetheilt.
Derselbe giebt auch Nachricht, dafs die mikroskopische Analyse
in England überaus fruchtbar geworden sei, namentlich hat Herr Angus
Smith mit einer, der von mir 1848 (Monatsb. p. 440) angewendeten
ähnlichen Methode eine gemessene Luftmenge durch Schütteln mit
14*
108 EurenBere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Wasser gemischt und dann einem mit dem Mikroskop geübten Beobachter
Herrn Optiker Dancer, zur Prüfung übergeben, welcher in einem Raume
von „45 Zoll 100 Pilzsporen liegen sah, so dafs auf jeden der von ihm
untersuchten Wassertropfen nach seiner Angabe (l. ce. p. 10) ungefähr
250,000 Pilzsporen kamen. Aus diesen Versuchen wird in England eine
wichtige Theorie für die Heilkunde abgeleitet, diese Pilzsporen werden mit
der Hefe in Verbindung gebracht und als Ferment für beginnende Lungen-
krankheiten und alle offenen Wunden, so wie für Fäulnifs betrachtet. Ja
man will sogar zur Eiter-Ausleerung offene Wunden vermeiden. Zugleich
wird der Nutzen von, die atmosphärischen Pilzsamen wegfangenden, Baum-
wollbedeckungen, besonders auch das Tragen von, die Athmungsorgane
schützenden, Respiratoren anempfohlen, und die epidemischen Ausschlags-
Krankheiten werden, wie zu Linne’s Zeit, von Neuem mit unsichtbaren
Luftorganismen in direeten Zusammenhang gebracht.
Es möge mir noch die Bemerkung erlaubt sein, dafs, wenn wirk-
lich Pilzsporen hier und da in dichter Menge sichtbar würden, die Nach-
forschung nach ihrer Stammpflanze durch Entwicklungsbeobachtung noth-
wendig würde, dafs aber die so vielen von mir vorgenommenen Unter-
suchungen auch bei Ausschlagskrankheiten und Wunden keine entsprechen-
den Mycelium-Fasern eines Schimmels oder Pilzes haben erkennen lassen,
obschon bei vernachlässigten Verbänden und Ausschlagskrusten Fasern
und sogar Blätterpilze richtig beobachtet wurden. Die Schimmelkrankheit
der Raupen und anderer Insekten wird man damit nicht verwechseln
dürfen. Pemieillium glaucum als unschuldiger Weltbürger unter den Schim-
meln dürfte am meisten in Vergleichung zu ziehen sein, wo wirklich solche
Erscheinungen hervortreten.
Ich sehe es nicht für meine Aufgabe an, diesen lebhaften Bestre-
bungen mein Urtheil beizufügen. Was die Pilzsporen des Herrn Dancer
anlangt, so kann ich, ohne die Richtigkeit der lokalen Erscheinung an
sich in Zweifel zu ziehen, das Bedenken nicht unterdrücken, dals mir
selbst bei so vielen Staubuntersuchungen feinster Art zwar oft vereinzelte
Pilzsporen, aber niemals reine Haufen derselben in so grofser Masse vor-
gekommen sind. Da sehr wahrscheinlich Herr Dancer eine sehr starke
Vergröfserung angewendet hat, so könnte wohl der amorphe Kohlenstaub,
als Rufs, welcher in Englands Städten die Luft bekanntlich stark erfüllt,
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 109
solche Kügelchen zur Anschauung gebracht haben, zumal andere organische
Kohlentheilchen von ihm nicht gefunden worden, auch weder Sand noch
Bacillarien, die bei mir nie fehlten, als Mischungstheile genannt sind (siehe
den Tintenregen von Irland 1849). Dieselben Rufstheilchen in so grofser
Menge könnten auch bei Tyndall’s sinnreichen Experimenten die Reini-
gung der Luft durch weiteres Verbrennen des Russes bis zur Gasbildung
vermittelt haben. Indem ich auf die Monatsberichte der Akademie von
1848 und 1849 weiter verweise, sind hier die den Passatstaub und ihm
ähnliche Meteore betreffenden Schädlichkeiten in Betracht zu ziehen.
Es fehlt nicht an historischen Nachrichten, dafs auch die rothen
Staubarten von schädlichen Einwirkungen der sie tragenden Luft be-
gleitet waren. So wird schon 786 von einem Blutregen aus Schlesien
von Herlicius berichtet, welcher Krankheiten und Tod zur Folge hatte.
1346 berichtet Zeiler, Epıstola, vom Sterben vieler Menschen durch
einen feurigen Regen. 1557 zeigte de Lery an, dafs er auf dem Schiffe
Ende Januars unter der Linie im Atlantischen Ocean einen höchst übel-
riechenden ätzenden Regen hatte, der die Kleider befleckte und auf der
Haut Pusteln und grofse Blasen bildete. (Abhandl. 1847. p. 97).
Im Jahre 1689 beobachtete Vallisneri einen rothen Staubregen
in und bei Venedig, welcher beim Genusse nicht wohl davon gereinigter
Gemüse Durchfall und Übelkeiten verursachte. Er hielt es für rothe vul-
kanische Asche des Vesuv !). Es ist ebenso und mehr wahrscheinlich, dafs
dieser rothe Staub Seirocco-Staub gewesen und mithin in seiner Mischung
dem von mir analysirten, in eben jener Gegend 18053 und 1813 gefalle-
nen, berühmten Staube gleich war. (Monatsb. 1848. p. 343).
Im Mai des Jahres 1705 fiel zu Colmar im Elsafs ein so giftiger
Mehlthau, dafs von dem auf der Weide befindlichen Vieh 500 Stück an
Pferden, Hornvieh und Schaafen in 24 Stunden umfielen und auch von
den Hirten, Vater und Sohn, der letztere gestorben und der erstere nach
hartem Anstofs davon gekommen ist. (Monatsb. 1850. p. 236).
Im Jahre 1792 fiel zu la Paz in Bolivia ein aschenartiger Staub-
regen, der bei vielen Personen heftige Kopfschmerzen und Fieber ver-
ursachte ?). Mercurio Peruano Tom. VI. 1792.
1) Monatsbericht 1847. p. 347.
2) Arago, 1. c. p. 213.
110 EnurEngBenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten U: ntersuchungen über
Im Juli des Jahres 1869 starb oder erkrankte zu Verona alles
auf den dortigen Bergen weidende Vieh, das den trocknen Nebel ein-
athmete. (Ragona l.c. p. 13).
Durch diese Nachrichten sind wenigstens zwei Fälle als schädliche
Einwirkungen rother Staubnebel zur Kenntnifs gelangt, die fünf anderen
aber lassen Zweifel, ob sie zu den rothfarbigen Meteorstaubarten gehören.
Das eigentlich schädliche Element ist in keinem dieser Fälle durch Be-
sonderheit oder überwiegendes Vorhandensein den Zeitgenossen nachweis-
bar geworden und könnte wohl ebenso in gasartigen und sauren Bei-
mischungen der Luft und des Wassers liegen.
VI. Sonderung der Atmosphärilien in schärfere Gruppen.
Eine ansehnliche Schwierigkeit für die schnellere Einsicht und Ent-
wicklung der atmosphärischen Mischungen mit fremden Stoffen ist durch
nicht hinreichende Sonderung derartiger Erscheinungen veranlalst worden.
Lufttrübungen hat man als Orkanstaub am häufigsten nicht intensiver Be-
trachtung werth gehalten und nur den blutigrothen Ablagerungen lange
Zeit mit Schrecken phantastische Theilnahme geschenkt, ohne ihre sehr
verschiedenen Veranlassungen zu unterscheiden. Die meteorisch fallen-
den wurden schon frühzeitig mit den Meteorsteinen als unmittelbare
Zeichen oder Warnungen der Götter, oder als Baetylien für den Menschen
göttlich zugewiesene Heil- und Scehutzmittel betrachtet. Über die medi-
einischen Baetylien habe ich 1849 einige Mittheilungen gemacht.
Erst allmälig ist es zur Erkenntnifs gekommen, dafs nicht alle Blut-
erscheinungen meteorisch gefallene Substanzen, vielmehr einige am feuch-
ten Boden wachsende, blutfleekenähnliche Algen und Pilze, oder in Ge-
wässern sich entwickelnde Algen und kleine Thierchen sind. Das viel
gefürchtete Blut in Broden ist als Monas prodigiosa 1848 und 1849 aus-
führlich bezeichnet worden. Die gröfste Ausdehnung solcher Erscheinungen
ist durch das Trichodesmium erythraeum des rothen Meeres und vieler
anderer oceanischer, bald rother, bald grüner Färbungen in den Sitzungs-
berichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin 1866 p. 5
angezeigt und neuerlich weiter behandelt worden.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 111
Diese oft höchst ausgedehnten oceanischen Wasserfärbungen ge-
hören sehr verschiedenen organischen Verhältnissen an, oft kleinen Crusta-
ceen, zuweilen kleinen medusenartigen Thieren von Noctiluca und einigen,
als Wallfischspeise bezeichneten, unklaren Thiergestalten. Die gröfste ocea-
nische Verbreitung hat den von mir a. a. O. gegebenen Erläuterungen
gemäls das Trichodesmium erythraeum, dessen unberechenbare Verbreitung
den Namen des rothen Meeres bei Arabien und der Zinober-See bei Cali-
fornien veranlalst hat, während es im australischen Meere im Zustande
der grünen Färbung jene Sägespähne artigen Erfüllungen und Streifungen
breiter oceanischer Flächen erzeugt, welche von den Seefahrern ange-
führt werden. Die von dem dänischen Schiff Galathea mitgebrachten
Nachrichten der rothen Meeresfärbungen an der Chilenischen Küste, und
die von Pöppig 1835 aus der Nähe von Valdivia angezeigten höchst
ausgedehnten Meeresfärbungen durch bewegte runde Körperchen (Noct-
luca?) in bis 6 Fufls tiefem Wasser lassen sich nicht weiter beurtheilen.
Die mir besonders reichhaltig durch Prof. Hochstetter von der „Novara*
übergebenen gelben und grünen Meeresfärbungen aus den Gewässern des
Süd-Oceans in der Nähe der Nieobaren-Inseln und aus dem Chinesischen-
Meere, so wie die von Dr. Kersten und Dr. Jagor mir neuerlich über-
gebenen reichen Materialien aus dem Indisehen- und Atlantischen-Meere
sind samt den Erfahrungen des Dr. von Martens 1866 1. ec. in Übersicht
gebracht. Färbungen des Meerwassers durch rothe Staubfälle sind noch
niemals beobachtet. Den von mir gegebenen ältesten Namen Trichodes-
mium erythraeum hat Hr. Dr. Montagne in Trichodesmium Ehrenbergii
für das rothe Meer und Tr. Hindsi der Zinober-See bei Californien ge-
spalten (Annales d. Sc. nat. 1844. Ser. II. T. II. Zoologie), dessen Be-
rechtigung ich für jetzt nicht entscheiden kann.
Der den Blutregen und rothen Schnee hervorbringende rothe Luft-
staub wurde Anfangs für vulkanische Asche gehalten (Vallisneri), ist aber
seit 1844 als von rother vulkanischer Asche sehr verschiedener Dunkel-
meerstaub zu vielfacher genauer Kenntnils und Analyse gebracht worden
und erst heute gelingt es, auch einem vulkanischen rothen Staube seinen
Charakter anzuweisen.
Noch immer sind die Trübungen der Atmosphäre mit dem Staub
ablagernden Passatwinde keineswegs abgeschlossen. Es scheint vielmehr
112 Eursngerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
sehr nöthig jene rothen Luftfärbungen, welche keinen Staub ablagern,
durch die immer schärferen analytischen Methoden, sei es der Spectralana-
Iyse, sei es durch Auffangen in grofser Höhe auf Bergen, günstige Momente
zu erfassen, welche die Erläuterung fordern. Eine grofse Quelle der Unsicher-
heit und des Irrthums hat bisher die Verwechslung der drei mächtigen
Trübungsmittel der Atmosphäre herbeigeführt, welche der Höherauch, der
Moorrauch und die vulkanischen Aschenauswürfe veranlassen. Dafs die
vulkanischen Aschen Tage in Nacht verwandeln, das Sonnenlicht nicht
nur schwächen, sondern ganz abschneiden können, ist schon öfter seit dem
Untergange von Pompeji in Erfahrung gebracht und der höchst schreck-
hafte Ausbruch auf der Insel St. Vincent am 1. Mai 1812 sowohl als die
Hekla-Ausbrüche, haben die Thatsache hinreichend bestätigt. Von den
Finsternifs bewirkenden ungeheuren Auswurfsstoffen des St. Vincent Vul-
kans habe ich durch den günstigen Umstand des am Tage selbst auf ein
Schiff gefallenen und aufbewahrten Staubes eine direete Analyse machen
können, welche jene grofse Finsternifs erläuterte. Bei dem grolsen vul-
kanischen Ausbruch auf Island 17831) bedeckte die Lava einen Raum
von 60 Quadratmeilen in einer Dicke von 100 Toisen. Die dabei ver-
kohlte und als Rauch verflüchtiste Pflanzendecke war geeignet weit ver-
breitete trockne Nebel zu verursachen. Früher noch als in Island soll
damals in Grönland ein Erdbrand ausgebrochen sein „und bei Nordwind
wurde eine Menge Asche und Schwefeldunst den nördlichen Küsten von
Island zugeführt, was den ganzen Sommer über fortdauerte.* Es war
nichts weniger als wunderbar, wenn dabei erkennbare und namentlich zu
verzeichnende organische Substanzen als Asche niedergefallen wären und
nur ein unbegreifliches Mifsverständnils hat die Vorstellung erweckt, als
ob solche entschieden vulkanische Auswürflinge der Oberflächen, als aus
dem tiefen Feuerheerde der Vulkane stammend, von irgend Jemand ge-
dacht worden seien.
Eudiometrische Versuche ergaben kein Resultat einer Luftverände-
rung, nur hat zuweilen der auffallende Geruch nach Schwefel eine Be-
sonderheit der Atmosphäre verrathen, so dafs durch die sauren Dämpfe
gedruckte Zeuge in der Farbe verändert wurden ?).
oO
1) Kaemtz l.c. p. 214. 2) Kaemtz 1. c. p. 204.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 113
Was den Moorrauch anlangt, so ist dieser stets scharf vom Höhe-
rauch zu scheiden. Man weils jetzt hinreichend genau, dafs der wahre
Moorrauch ein Verbrennungsproduct grolser Haide- und Grasflächen
ist, die der Kultur halber abgebrannt werden. Das jährliche Quantum
solcher abgebrannten Flächen beträgt nach Finke!) im nordöstlichen
Deutschland 59,460 Morgen und die Menge verbrannter Producte des sich
in die Atmosphäre erhebenden Vegetabilischen 1800 Millionen Pfund.
Von solchem Moorrauch können niemals rothe Ablagerungen abgeleitet
werden, da seine Farbe vielmehr vorherrschend kohlenstoffig, daher
schwarz sein mufs. Als auffällig darf bemerkt werden, dafs solche
kohlenstoffige schwarze Bestandtheile der Atmosphäre bisher sehr selten
bei den vielen Untersuchungen trockner und feuchter Staubfälle wahr-
genommen worden sind.
In gleiche Categorie mit dem Moorrauch gehören die Verbrennungs-
producte der Schornsteine grofser Städte und Fabriköfen. In der Olaus-
thaler Hütte werden jährlich nach Egen?) 294,000 Centner an Holz und
Mineralien zur Schmelzung der Erze verwendet, von welchen nach Be-
endigung der Arbeit 79,200 Centner an festen Materien übrig bleiben, so
dafs 214,800 Oentner als Dämpfe fortgehen, welche aus Wasser, Blei, Eisen,
Zink, Schwefel, Spiefsglanz und Arsenik bestehen.
Auch letztere Quelle der atmosphärischen Trübung hat bisher nur
beschränkte Wirkung in den sich ablagernden Staubarten erkennen lassen.
Nur 4 schwarze für dergleichen sprechende Meteorstaubarten sind zu
meiner Analyse gekommen: 1) der Tintenregen von Irland, 2) der schwarze
Meteorstaub von Westphalen, 3) der schwarze Meteorstaubfall in Wien,
4) der schwarze Staubfall in Tyrol. Das schwarze Meteorpapier von
Rauden ist entschieden kein Verbrennungs- sondern ein Moder-Product.
Die Analysen sind in den Monatsberichten mitgetheilt.
Die dritte Trübungsquelle der Atmosphäre ist der wahre Höherauch,
welcher mit dem Moorrauch verwechselt und auch „calgo“ genannt zu wer-
den pflegt. Solche wahre caligines, welche sowohl vom rothen Seiroccostaube
als vom grauen Moorrauche verschieden, sind noch räthselhafte Zustände
1) Kaemtz 1. c. p. 209.
2) Kaemtz ].c. p. 321.
Phys. Kl. 1871. 15
114 Eurkngerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
der Atmosphäre, sie scheinen nur dadurch characterisirt, dafs keine Stott-
ablagerungen bei ihnen stattfinden, während sie doch die Luft trüben und
das Sonnenlicht schwächen. Während die beiden früheren Categorien,
die vulkanischen Aschen und der Moorrauch, als rein terrestrischer Natur
erscheinen, sind die wahren calıgines auch von den stimmberechtigten
Beobachtern oft für entschieden kosmische Nebel erklärt worden. Man
hat in ihnen jene Weltwolken erkannt, die schon Keppler betrachtete
und die periodisch von der Erdbahn durchschnitten werden, oder solche
Staubnebel, die durch Sternschnuppen über die Erde ausgeschüttet wer-
den, oder endlich solche, die als Kometenschweife über die Erde hinweg-
ziehen. Ob chemische oder physikalische Coneretionen der feuchten
atmosphärischen Dünste und Dämpfe noch andere Erscheinungen dieser
Art darbieten, mufs dahin gestellt bleiben. „Jedenfalls verlangen aber jene
drei Arten des sogenannten Höherauchs besondere Beachtung und Unter-
scheidung. Sind ihre stofflichen Elemente durch die Sehkraft nicht direet
erreichbar, so wird man dieselben indireet durch Spectral-Analysen u. A. zu
erläutern und zu erkennen und besonders ihre wahre kosmische Natur
festzustellen suchen müssen, wobei der Eintritt und Austritt zuweilen
mehr als der irdische Eindruck belehrend sein mag.
Zur Characteristik der kosmischen calıgines wird folgendes dienen:
Eine Weltwolke wird nicht nur Italien oder England einhüllen, sondern
die ganze Erdoberfläche gleichmäfsig influenziren müssen. Ein Kometen-
schweif wird, central oder lateral einfallend, partiell oder überall die Erde
fegen, allein er setzt auch voraus, dafs ein Komet sichtbar ist, der diesen
Einflufs haben kann und die Beachtung von dessen Bewegung. Was end-
lich den Sternschnuppen- oder Feuerkugel-Staub anlangt, so wird auch
von diesem nur dann zu sprechen sein, wenn ein angemessenes Feuer-
meteor oder Meteorsteinfall wahrgenommen worden ist. Alle älteren Beob-
achtungen von die Erde verdunkelnden Nebeln leiden an der zu lokalen,
nicht hinreichend verallgemeinerten Auffassung. Sternwarten und meteo-
rologische Observatorien werden zusammenwirkend über dieses kosmische
Verhalten allein mit einiger Sicherheit Auskunft zu geben im Stande sein.
Bei grofsen Schwärmen der Sternschnuppen und bei allen Feuerkugeln
sind die Elemente der gleichzeitigen Lufttrübungen ein jetzt mehr als die
Meteorsteine wichtiger Gegenstand der Beachtung.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 115
VII. Über morpholitische Scheinorganismen der Atmosphäre.
Nachdem ich im ‚Jahre 1828 in der zu meiner und Hemprich’s
Reise gehörigen Karte auf die bei Dendera in Ober-Ägypten im Polytha-
lamien-Kalkstein vorkommenden Morpholithbänke von Kugel- Augen- und
Brillensteinen aufmerksam gemacht hatte, habe ich 1840 in den Mo-
natsberichten der Akademie diesen Gegenstand einer speciellen Übersicht
unterworfen und in der Microgeologie 1854 viele darauf bezügliche Ab-
bildungen auf der letzten Tafel mitgetheilt. Solche regelmälsig geformte,
nicht den Crystallen gleich von geraden Flächen begrenzte, mathematisch
genauen Gesetzen nicht unterworfene Gestaltungen, welche vielmehr, den
organischen Bildungen ähnlich, stets in abgerundeten Linien und freier
geschwungenen, oft rundlichen, scheiben- und walzenförmigen Begrenzun-
gen erscheinen, haben bei immer weiterer Nachforschung ein immer grös-
seres Interesse in Anspruch genommen, treten aber jetzt als Quelle ein-
flufsreicher Verirrungen bei mikroskopischen Verhältnissen für diese Mit-
theilungen in den Vordergrund. Während man sie in früheren Zeiten
als gröfsere, leicht sichtbare zufällige Naturspiele, höchstens als Thon-
und Mergelnieren oder kugelige Klappersteine, mit wenig Theilnahme be-
zeichnete, sind dieselben in der neueren Zeit ein Gegenstand immer grös-
seren Interesses geworden.
Schon im Jahre 1840 fand der Staatsrath G. F. Parrot in Pe-
tersburg die finnländischen Imatra-Steine, welche zu diesen Formen ge-
hören und die als kalkhaltige Mergelnieren gröberer Thon- und Sand-
schichten auftreten, in ihrer Gestaltung so eigenthümlich, dafs er sie
unter dem Namen „/matra“ als eine neue schaalenlose fossile Mollusken-
Familie!) verzeichnete. Die mir von Herrn Wilander aus Tunaberg in
!) Die durch ihre vielen Abbildungen verdienstliche Darstellung Parrot’s in den
Mem. d. l’Acad. Imp. d. Se. d. St. Petersburg VI. Serie. Sc. Math. phys. et nat. Tome V.
1540 läfst erkennen, dafs die /matra-Morpholithe aus einem kalkigen Thonmergel von
weit gröberem Korn gebildet sind, als die in der Mierogeologie von mir zahlreich abge-
bildeten schwedischen, wodurch auch die feineren Formverhältnisse der letzteren bedingt
sind. Parrot sagt p. 119: „Les pierres d’Imatra sont des mollusques petrifiees, sans
coquilles* — und p. 130: „Je me permettrai — de nommer cette famille Imatra*. —
19 -
116 EuRrENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Schweden 1840 freundlichst übersandte grofse Menge sehr scharf gestal-
teter ähnlicher Nierensteine, die sich in einem ebenfalls kalkhaltigen fei-
nen blauen Thonlager entwickelt haben und die gefällige Mittheilung
einer noch gröfseren Menge gleicher Bildungen von dort durch den Hrn.
Banquier Dr. Thamnau in Berlin zu meiner Auswahl hat mich in den
Stand gesetzt die Natur jener /matra-Steine weiter zu erläutern (Monats-
bericht 1840 p. 136.). Auf der letzten Tafel der Mierogeologie 1854 habe
ich eine Reihenfolge solcher Bildungen dargestellt, welche die allmälige
Entwicklung und Umgestaltung derselben vor Augen legen, obschon sie
nicht mikroskopische, sondern zuweilen fulsgrofse, auch nicht organische
sondern unorganische Naturkörper betreffen.
Ich gehe hier nicht auf die specielleren Gesichtspunkte ein, die
ich im Jahre 1840 bereits angedeutet habe, bemerke nur, dafs damals
schon diese Erscheinung in drei der wichtigsten Elementen des Erdfesten,
der Kalkerde, der Thonerde und des Eisens, vielleicht auch im Golde!)
nachgewiesen werden konnte und auf jenen Tafeln abgebildet worden ist.
Wie grofs das Feld dieser Erscheinungen ist habe ich öfter nicht
ohne Verwunderung bemerkt. Dafs es melonenartige kopfgrolse Kugelbil-
dungen in geschichteten Gebirgen giebt ist eine schon viel gekannte
Thatsache, ob aber nicht unter dem Namen der schaalenartigen Ablösun-
gen sich weit grofsartigere Morpholithbildungen verbergen ist noch un-
erledigt. Die höchst auffällige Ablösung der einzelnen Ringe bei Brillen-
steinen von einander ist von mir an den ägyptischen durch mitgebrachte
Exemplare unzweifelhaft erkannt und es mag wohl bei Beurtheilung der
neuerlich so viel Aufsehen erregenden Feuersteingeräthe der Steinzeit von
Wichtigkeit sein, im Gedächtnifs zu behalten, dafs es viele Hornstein- und
Feuerstein-Morpholithe giebt, welche in concentrische, mit scharfen Rän-
!) Ich unterlasse nicht hierbei rücksichtlich des in dieser Beziehung noch unsiche-
ren Goldes zu bemerken, dals ich in einer Sammlung von gröfseren Goldproben aus
Australien ein sehr auflälliges, mehrere Zoll grolses, blattartiges Stück sah, welches die
wunderliche Form eines Adlers hatte, das aber der fremde Besitzer als Curiosität selbst
hoch hielt. Mir schien dasselbe wohl eine, jener auf Taf. XXXX in der Mierogeologie
vergleichbare vogelartige Bildung zu sein, die doch nun wohl durch Einschmelzen zer-
stört worden ist, bei weiterer Aufmerksamkeit aber wohl anderwärts wieder ähnlich zur
Anschauung kommen wird.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 117
dern versehene Schaalen zu zerfallen geeignet sind. Die bei Theben mas-
menhaft gefundenen, von Herrn Lepsius 1870 beschriebenen Feuerstein-
geräthe verlangen wegen des schon 1828 von mir nachgewiesenen Vor-
kommens grofser Schichten morpholitischer Hornsteine im dortigen Po-
Iythalamien-Kalke eine darauf bezügliche Nachforschung. Dafs in diesen
Morpholithbildungen gewisse, die Substanz, in welcher sie sich entwickeln,
nicht atomistisch sondern auch in gröberen Theilen ordnende, gesetz-
mäfsige Kraft vorhanden ist, wurde 1840 angezeist und ihre Wirkung
mit Abwechslung rechtwinkliger Achsenbildung und concentrischer Um-
schliefsung in der Microgeologie auch bildlich dargestellt.
Den zierlichen Thongebilden von Tunaberg ähnlich bewahre ich
auch einen von mir selbst gefundenen Feuerstein der Insel Pöhl bei Wis-
mar von etwa 64 Zoll Gröfse auf, dessen Sphinx-artige, auf Taf. II abgebil-
dete Gestalt ebenso auffällig und offenbar eine gesetzliche Bildung, kein
blofses Naturspiel ist. Dafs solche Morpholithe kettenartig sich wieder-
holen hat schon Parrot bemerkt und im den Formen, welche man Löss-
Püppchen oder Löss-Männchen zu nennen pflegt, ist die Wiederholung
und mehr oder weniger regelmäfsige Fortbildung augenartiger Gestalten
die Ursache der wunderlichen Form. Parrot nennt dieselben Monotypen
und Polytypen.
Für das mikroskopische Leben haben alle diese Verhältnisse in
sofern eine wichtige Beziehung als der Mangel ihrer Berücksichtigung zu
grofsen Irrthümern führt. Obwohl schon seit langer Zeit 1836 die fein-
sten Theilchen der Schreibkreide als sehr feine gekörnte elliptische Schei-
ben festgestellt worden waren, die als morpholithische Elemente des Krei-
dekalks angesprochen wurden, so sind doch in der neuesten Zeit auch
diese Körperchen unter dem Namen Coccolithes von vielen Naturforschern
unter die Thiere gestellt worden, obschon Niemand bisher einen Hohl-
raum in denselben oder in ihren Theilen nachgewiesen, worin ein Thier
wohnen könnte und auch Niemand zwei dieser Schaalen als zusammenge-
hörige Thierwohnung gefunden hat. Es scheint sogar dafs bei dem
Namen Bathybius wieder dieselben Dinge zu neuem Aufsehen gelangt sind.
Was nun aber am meisten bei diesem Vortrage zur Geltung zu
bringen ist, das ist die höchst auffällige Erscheinung atmosphärisch ge-
tragener sehr grolser Mengen solcher unsichtbar kleiner Morpholithe,
11S Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
deren terrestrischer Ursprung noch nirgends nachweisbar ist. In dem als
Passatstaub verzeichneten, 1834 bei Jrkutzk als die Tageshelle verdun-
kelnd, ohne Sturm gefallenen Meteorstaube hat Staatsrath Dr. Weisse
in Petersburg zuerst viele Körperchen erkannt, die er für Bruchstücke
von zelligen Polythalamien erklärt und Rotalia globulosa und R. senaria
nennt. (Bullet. phys. math. d. St. Petersbourg T. IX. Taf. IM. Diese
scheinbaren Polythalamien sind von mir schon 1851 aus demselben Staube
in den Monatsberichten als Morpholithe verzeichnet. Ich habe deshalb
für nützlich und nöthig gehalten auf Taf. II dieses mögliche Passatstaub-
verhältnifs abzubilden und hier umständlich zu erläutern. Vielleicht ver-
hütet die Anschauung auch manches im Entstehen begriffene Eozoon.
Neben den meteorischen Kalk-Morpholithen von Jrkutzk sind noch
die schwarzen, meteorisch getragenen Eisenbläschen!) unzweifelhaft doch
Meteorolithen, welche in den Monatsberichten 1858 von mir erläutert
wurden. Diese hatten eine mannigfach morpholithische Gestaltung und
wurden vom Magneten lebhaft angezogen. Beide Erscheinungen bilden
jetzt das erfahrungsmäfsige Bereich der meteorischen Morpholithe. In
wie weit die von Schreibers erkannte pyramidale ?), einem Kugelseg-
ment ähnliche Gestaltung wahrer Metoriten durch Zerplatzen einer ur-
sprünglichen Kugelform bedingt ist, bleibt unerledigt. An eine von Dr.
v. Braun in Gotha 18643) erläuterte Erbsen- und Rogenstein- ähnliche
Kalk-Bildung mit strahliger und eoncentrischer Struetur ist dabei weder im
heifsen noch im kalten bewegten Wasser zu denken (vgl. Monatsb. 1843 p. 105).
Wenn hiermit die Frage über die Möglichkeit von Morpholith-
Bildungen in der Atmosphäre eine bejahende Antwort erhält und auch
die Hagel- und Graupelbildung ein analoges Beispiel darstellt, so ist für
den möglicherweise morpholithischen Drachenstein von Luzern, der den
alt griechischen runden Baetylien (arab. Aben dir) der frühesten Heilkunde
1) Reichenbach’s, des phantasiereichen Erfinders des Od, in Poggendorff's
Annalen gegebene Erläuterung der meteorischen Eisenbläschen durch Zerstieben von glü-
henden Meteorsteinen erklärt die Morpholith-Eisenbildung nicht. Die Darstellung auf
Taf. I. ist dazu bestimmt, weitere Vergleichungspunkte morpholithischer Gestaltungen
verschiedener Mineralsubstanzen zu vermitteln.
2) Humboldt, Kosmos Bd. I. 1845. p. 125.
3) Beitr. z. Kenntn. d. sphäroid. Concretionen des kohlens. Kalkes v. Dr. W. E.
v. Braun. Halle 1864.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 119
gemäls benutzt worden ist, ein Anhalt gewonnen. Rücksichtlich dieses
Drachensteins sind meine 1849 ausgesprochenen Wünsche durch Schwei-
zer Gelehrte mehrfach in Erfüllung gegangen, indem Dr. Feierabend
in Luzern 1862 in einer dortigen schweizerischen Naturforscher Gesell-
schaft und Dr. v. Fritsch die in Luzern vorhandenen Dokumente von
Neuem umständlicher geprüft und in der Züricher Zeitschrift 1864 aus-
führlich besprochen hat. Eine Durchsägung dieses 450 Jahre alten an-
geblichen Meteorsteins würde über seine Rogenstein-artige oder morpholi-
thische Natur weiteren gründlichen Aufschlufs geben. Die Gesetze, nach
denen sich die Morpholithe entwickeln, verursachen sehr verschiedenar-
tige Gestaltungen und schliefsen sich in sofern den Urystallbildungen an,
als sie in der einen Richtung regelmäfsig abgeschlossene Einzelformen
(monomorphisch) mehr oder weniger vollständig bilden, in der anderen
Richtung in rechtwinkliger oder vielseitiger Ausstrahlung die dendritische,
scheinbar vegetirend sich fortbildende Orystallbildung nachahmen. Zu
den monomorphischen Gestalten gehören die Kugelsteine, Augensteine
und Nierensteine. Zu den ästigen (cladomorphischen) gehören die sich
reihenweise mehr oder weniger vollständig fortbildenden, wie die Stiel-
kugeln, Zungensteine, Spindelsteine, Brillensteine, Kettensteine, Schnabel-
steine, Strahlensteine, Doppelzungensteine, Hammersteine, Taubensteine,
Lössmännchen, Lösspüppchen, Flechtsteine (Textilarien-artig), Spiralsteine
(Rotalen-artig). Alle diese, bisher für Naturspiele gehaltenen Bildungen
sind (dendritischen Schneeflocken ähnliche ?) gesetzmäfsige Formen.
Zwar sind bisher die Verirrungen in morpholitischer Beziehung in
der Richtung der sogenannten /matra-Mollusken und der Rotahen-artigen
Augen- und Kettenstene ohne grofsen Einflufs geblieben, allein die
neueren Beobachter haben jene Verirrungen bereits in einen so grofsen
Maalsstab gebracht, dafs voraussichtlich Partheiungen sich zu bilden mehr
als begonnen haben, welche einen unabsehbaren Zwiespalt in das so
wichtige Bereich der künstlich verstärkten Sehkraft tragen. Nicht nur
die Kreide-Morpholithe als Coceolithes, sondern auch der Tiefgrund der
Meere ist in Formenkreise gezogen worden, denen eine bestimmte Ge-
staltung fehlt und die man zum Wiederaufbau einer generatio spontanea
aus Urstoffen benutzen zu können glaubt. Ich beschränke mich hier auf
die von mir schon öfter berührten Schwierigkeiten hinzuweisen und ihre
120 Eurkxger: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
weitere Lösung kräftigeren Freunden einer haltbaren Naturforschung zu
empfehlen.
Indem ich diesen Gegenstand hiermit abschliefse, bemerke ich
noch, dafs ungeachtet der unermefslichen Verbreitung der Schreibkreide-
gebirge auf der Erde und der grofsen Leichtigkeit Kreidestaub durch
Stürme emporzuwirbeln, doch noch niemals die feinen Kreide-Morpholithe 1)
bei den vielen Analysen des Passatstaubes zur Erscheinung gekommen
sind, indem die in der Schweiz 1850 und in Rufsland 1849 vorgekomme-
nen denen der so überwiegend verbreiteten Schreibkreide nicht gleichen
und seltene Einzelheiten waren.
IX. Über die atmosphärischen Grenzen des Passatstaubes und
des organischen Lebens.
Ich trage zwar Bedenken aufser den directen Analysen, welche
der eigentliche Gegenstand meiner Mittheilungen sind, über den Aufent-
halt und Ursprung der rothen Staubmeteore ein specielleres Urtheil abzu-
geben, da es aber die Pflicht jedes Beobachters ist, den Zusammenhang der
Erscheinungen, die er seiner Pflege werth hält, ins Auge zu fassen, so
habe auch ich dieser Pflicht zu genügen, selbst auf die Gefahr hin, dafs
mein Urtheil über den Ursprung unter die vergänglichen Schwankungen
der Meinungen, welche die Physiker, Chemiker und Astronomen hinsicht-
lich des Pyrrhins und des Weltstaubes bisher gehabt haben, einst einge-
reiht werde. Ja ich darf mich einer Betrachtung des Urtheils von Arago
nicht entziehen, welcher den kosmischen Ursprung der rothen Staube
und Sande bis zu seinem Ende befürwortet hat.
Die gesammte Erscheinung, welche hier nochmals und in grölsere
Übersicht gebracht ist, hat auf mich bisher nicht den Eindruck einer
kosmischen gemacht, weil die sämmtlichen Bestandtheile den terrestrischen
völlig gleichen. Die Erhebung feinster Trümmersande mit Bacillarien und
1) Diese kleinen, von mir als einfach lichtbrechend und mithin als amorphe Kalk-
theilchen bezeichneten Körperchen hat Hr. Prof. Kaufmann (Giebel u. Siewert Zeit-
schrift f. Naturw. Bd. II. p. 342 1870) als kleine doppelt lichtbrechende rhombo&drische
Elemente bezeichnet, was mich schliefsen lälst, dafs diese Angaben sich auf vielleicht ähn-
liche, aber, den Coceolithen gleich, andere als die von mir untersuchten Objecte beziehen.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 121
Phytolitharien bis in ferne Grenzen der oberen Erdatmosphäre wird so
lange nicht den kosmischen Anforderungen genügen, bis sich nicht in den
entschieden gleichartigen kosmischen und terrestrischen Mineralien der
Meteorsteinmassen, wie dieses neuerlich durch G. Rose’s und Rammels-
berg’s glänzende glückliche Untersuchungen und Zusammenstellungen
festgestellt worden, ebenfalls organische Thier- und Pflanzen-Gestaltungen
auffinden lassen, vielleicht auch durch der Gallionella ferruginea ähnliche
feinste Bildungen eine organische Eisenumbildung erweisbar wird.
So ist denn die ganze Erscheinung bisher auf den Raum be-
schränkt, welcher zu dem Attractions- und täglichen Rotations-Kreise des
Erdplaneten gehört. Ja es läfst sich noch näher vielleicht eine Beschrän-
kung so bezeichnen, dafs die sämmtlichen Erscheinungen deshalb in das
Gebiet der täglichen Erdumdrehung um ihre Achse gehören, weil es der
Passatwind ist, welcher im Atlantischen Ocean nach Aussage der Schiffer
mit der Ercheinung in Verbindung steht. Diese von mir 1847 aufge-
stellte Ansicht hat auch, wie im Eingange bereits bemerkt worden, die
Zustimmung des Verfassers des Kosmos erlangt. Obwohl nun aber diese
Erscheinung der rothen Nebel, vom aequatorialen Amerika an, über die
Capverden und Canarischen-Inseln sich bei West-Afrika anstauend, durch
das Mittelmeer ablenkend, über Mittel-Asien bis China erfahrungsmälsig
zu erstrecken scheint, so fehlt doch einerseits noch immer eine Ergän-
zung des Kreises für die Erddrehung im Australischen und Stillen Ocean
und es ist auffällig, dafs nur die Hälfte der Nordhälfte der Erde und
meist die festländische, an der Erschemung bisher Theil nimmt.
Noch bedenklicher wird eine Verbindung dieser Thatsachen, wenn
man A. v. Humboldt’s von ihm selbst verlassener Vorstellung Raum
giebt, dafs es nach rothen trocknen Trübungen gewisse schaafwolkenartige,
aber durch ihre Durchsichtigkeit characterisirte, weder Mond noch Sterne
wesentlich verhüllende Eigenschaften der obersten Atmosphäre sieht,
welche sich in den Polargegenden ganz besonders zahlreich und wirksam
erweisen. Ja es hat die neueste astronomische Besprechung des Nord-
lichtes!) in seinen wunderbar lebhaften, meist blutrothen Färbungen auf
1!) Prof. Förster theilt in seinem Vortrage vom 3. December 1370 in der geograph.
Gesellsch. z. Berlin die Ansicht mit, dafs die farbige Erscheinung des Nordlichtes durch
Phys. Kl. 1871. 16
122 Eurkngerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
-._
die Möglichkeit polarer Anhäufungen eisenhaltiger Staubtheile sonderbar
genug hingewiesen und die Speetralanalyse ist für Eisenbestandtheile im
Nordlicht ansprechend geworden. Sowohl Humboldt hat dünne Schaaf-
wolken als Substrat des Nordlichtes für wahrscheinlich erkannt, wie auch
Kapitain Rofs in dem Jahre 1842 ebenfalls ein dünnes Wolkensubstrat
beim Südpolarlicht anzeigt. Kapitain Rofs scheint dieses Substrat des
Nordlichtes der Erdeleetricität als durch sehr feine Eisnadeln gebildet sich
gedacht zu haben. Er fand am Südpol oft farblose Polarlichter und
scheint deshalb die bunten Farben für prismatische Lichtbrechungen zu
halten. Die meist herrschenden dieken Nebel in den Polargegenden und
der häufig fallende dichte Schnee mögen grofse Schwierigkeit für die Auf-
fassung fallender oder schwebender Staubnebel hervorbringen. Dafs aber
am Nordpol die abwechselnd rothen Schneefärbungen nicht immer der
Sphaerella nivalis, sondern auch Staubnebeln angehören, ist bereits von
Wrangel und Parry an aufser Zweifel gestellt und neuerlich 1864 durch
v. Middendorff’s Zusammenfassung vermehrt worden. Die von Grube
1840 (Preuls. Provinz. Blätter) in einem umsichtigen Vortrage ausge-
sprochene Meinung, dafs wohl auch die Euglena sanguinea, durch Wirbel-
stürme massenhaft aus Seen gehoben und hoch in die Atmosphäre ge-
wirbelt, als Sphaerella nivalıs im rothen Schnee niederfallen und abge-
das Glühen sehr feiner, in der oberen Atmosphäre schwebender Eisen- und Kohlentheil-
chen erzeugt sein möge, welche der tellurische Magnetismus periodisch durchströmt, so
wie er auch in dem oft vorhandenen Schweife der Sternschuppen solche in der Atmos-
phäre oft zahlreich vorhandene Körperehen annimmt. Diese Vorstellung wird dadurch
begünstigt, dals das zerlegte Licht des Nordlichtes bisher im Spectroskop gewisse Ana-
logien mit dem Lichte des Eisens dargeboten habe.
Nach Prof. Zöllner’s brieflichen Mittheilungen, welcher in einem besonderen
Aufsatz (Bericht d. K. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Leipzig 1870) ausführliche Nach-
richten über die erste Beobachtung der sogenannten Eisenlinien im Nordlicht-Spectrum
18569 durch Winlock in New-York giebt, sind die späteren Beobachtungen auf anders-
artige Linien zu deuten. Die von Prof. Young bei der totalen Sonnenfinsternils vom
7. Aug. 1869 in der Corona der Sonne gefundene Eisenlinie würde nur eine weitere
Stütze für Winlock's Eisenlinien im Nordlicht geben, aber noch nicht alle Schwierig-
keiten entfernen.
Gesetzt aber, dals trockne eisenhaltige Nebel als Substrat des Nordlichtes sich
weiter feststellen lielsen, so gehören doch auch diese Erscheinungen nicht in das kosmi-
sche, sondern in das tellurische Bereich.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 123
lagert werden könne, ist eine Vorstellung, welcher die nicht annehmbare
Identität der Sphaerella nivalis und der Euglena sanguinea zum Grunde
liegt, auf die sich zwar auch Middendorff’s eigene Auffassungen des
rothen Polarschnees beziehen, die aber nur durch jene von Flotow u. A.
ausgehenden Umwandlungs-Vorstellungen von Thieren in Pflanzen hervor-
gerufen worden sind. Diese thierische Natur der EBuglena sanguimea,
neuerlich oft Protococeus pluvialis genannt, ist von Grube umsichtiger
dargestellt worden.
Aufser dem in den rothen Färbungen liegenden Eisengehalt ist
aber auch ein wirklicher verschiedenartiger Kohlenstoffgehalt aus ent-
schieden kosmischen Verhältnissen bereits vielfach zur Sprache gekommen.
Die unzweifelhaften Meteorsteine von Alais, Bokkeveld, Kaba und Orgueil
haben einen so deutlichen Kohlenstoffgehalt zu erkennen gegeben, dafs
die umsichtigsten und sachkundigsten Chemiker, auch Wöhler, die Er-
läuterung dieser Erschemung versucht haben, da sie als unsicher nicht
betrachtet werden konnte. Prof. Rammelsberg spricht sich in seiner
übersichtlichsten Behandlung des Gegenstandes neuerdings folgendermafsen
aus: — „Die Kohle ist vielleicht erst durch Zersetzung der Kohlenstoff-
„verbindung bei ihrem Herabfallen abgeschieden. Letztere ist jetzt nur
in geringer Menge vorhanden und über ihre Natur geben die Untersuchun-
„gen wenig Aufschlufs.“ —!) Derselbe sagt von den kohlenstoffhaltigen
schwarzen und mürben wirklichen Meteorsteinsubstanzen — „sie enthalten
amorphe Kohle und eine organische Kohlenstoffverbindung* —
und unterscheidet dieses in der Einleitung pag. 84 von dem meteorischen
Graphit mehrerer analysirender Chemiker, dessen genaue Unter-
suchung noch wünschenswerth sei. Den Kohlengehalt selbst findet
er auch durch die Vorstellung erklärlich, dafs dieser seit dem Eintritt
der Meteoriten in die Erdatmosphäre hinzugetreten sein könne.
Aufser diesen wichtigen Erläuterungen der Meteorsteine sind auch
die vom Astronomen Prof. Galle in Breslau neuerlich in historischer
Übersicht überaus reichhaltig zusammengefalsten sogenannten Stern-
schnuppengallerten in kurzen Betracht zu ziehen. Das kosmische Verhält-
!) Rammelsberg, die chemische Natur der Meteoriten. Abhandlung d. Ak. 1870,
p- 109.
16%
124 Eununpenre: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
nils der Sternschnuppen und Feuerkugeln ist durch ihre gemessene Ent-
fernung, Geschwindigkeit und ihre, bei Schwärmen, aus einer und
derselben Richtung des Weltraumes entspringenden Bahnen neuerlich
immermehr befestigt worden, und so haben denn die aus ihnen schein-
bar auf die Erde herabgefallenen, meist weilsfarbigen Gallerten ein an-
sehnliches Interesse für die kosmischen Vorstellungen, welche sie schon
bei Chladni erweekten. Da die schwarze Farbe kein nothwendiger Cha-
racter des Kohlenstofles ist, der sich erystallinisch bis zum Diamant ent-
färben kann, so ist der Kohlengehalt der farblosen sogenannten Gallerten,
welchen die chemischen Analysen dieser Substanzen stets aufser Zweifel
stellen, ein um so wiechtigerer Fingerzeig für mögliche kosmische Ver-
hältnisse.
Nun ist zwar die grolse Anzahl der historischen Aufzeichnungen
mit kosmischen Feuerkugeln getallener Gallertmassen zu einer so impo-
nirenden Menge herangewachsen, dals Poggendorff und Galle es be-
denklich finden an deren Wahrheit zu zweifeln, dennoch aber hat Galle
in seiner neuesten Mittheilung vom Januar 1869 samt Cohn die kosmi-
sche Natur irgend einer der Gallerten als feststehend anzusehen nicht für
‘athsam erachtet, indem Galle!) sagt: — „Wenn es indels nicht gelin-
„gen sollte, die vorhandenen Einwürfe gegen die terrestrischen Hypo-
„thesen zu beseitigen, so würde eben nur die kosmische Hypothese zur
„Prüfung vom chemischen Standpunkte aus übrig bleiben; sofern nicht
„andererseits es gelingt, die mehr als zwanzig vorhandenen Berichte über
„beobachtete Niederfälle solcher Materien sämmtlich als irrthümlich nach-
„zuweisen.“ —
So ist denn also aller Bemühungen ungeachtet immer noch bei
den kosmischen Vorstellungen des Organischen nur von Hypothesen die
Rede, und es ist nicht eine Thatsache durch scharfen Beweis festzustellen
möglich gewesen. Bisher ist nur Arago's Urtheil über die rothen Staub-
nebel in der kosmischen Ansicht festgeblieben. Es ist nothwendig auszu-
sprechen, dafs eine Berechtigung dieser Ansicht deshalb fehlt, weil noch
von keiner chemischen Analyse, auch den neuesten italienischen und fran-
zösischen bei Tarry nicht, jener das Meteoreisen characteresirende Nickel-
1) Galle. Schlesische Gesellsch. 1369. Bericht. p. 3.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 125
gehalt nachgewiesen ist. Ja es ist überhaupt der oxydirte Zustand des
rothen Eisenstaubes abweichend von metallischem Meteoreisen.
Andererseits ist es jetzt auffallend, dafs in den vielen, unzweifel-
haft kosmischen Meteormassen durch die chemische Analyse immer nur
die bekannten terrestrischen Elemente zum Vorschein gekommen sind
und dals auch die aus diesen Elementen zusammengesetzten kosmischen
zahlreichen Mineralien ganz überwiegend den terrestrischen gleichen!).
Einzelne eigenthümlich erscheinende Mineralien erlangen auch deshalb
kein besonderes Gewicht, weil auch in den tellurischen Verhältnissen
noch jährlich dergleichen durch die Chemie entdeckt werden. So bleibt
denn die Frage übrig, ob die unzweifelhaft amorph erscheinende Kohle?)
nicht durch sorgfältige Methoden der mikroskopischen Untersuchung doch
auch als organischen Formen zugehörig nachweisbar werde, und so em-
pfehle ich denn der künftigen Forschung die mikroskopische Analyse
sauberer, auch als Substrat des Nordlichtes zu denkender und selbst
wirklich kosmischer Materialien, deren chemische, bisher in ihren Erfolgen
wichtigste Prüfung selbstverständlich jedes Mal gleichzeitig erfolgen muls.
Die Frage über die Grenzen des organischen selbstständigen Lebens
scheint sich der Beurtheilung durch Kleinheit und Durchsichtigkeit
der Naturverhältnisse, ohne Rücksicht auf Gröfsen, zu entziehen und
Leeuwenhoek’s mikroskopische Forschungen, Chladni’s intensive Be-
trachtung der terrestrischen Elemente der Meteoriten, so wie Howard’s
und Klapproth’s Characteristik derselben durch den Nickelgehalt, den
Weg zu bezeichnen, welcher weitere Entwicklung wichtiger Erkenntnisse
bis in ferne Generationen zu vermitteln geeignet ist.
X. Wünsche für weitere Forschungen.
Da die Meteorsteine lange Zeit problematische Körper gewesen
sind und ihre unvorsichtige Geringschätzung der Kenntnifs derselben viel
!) Rammelsberg Abhandl. der Akad. 1870 p. 136.
5 &
?) Ja es ist sogar nicht aufser Betracht zu lassen, dafs die Kohle in zwei Zustän-
den ohne organische Charactere aufzufassen ist, die sich beide der amorphen Kohle an-
schlielsen. Einer derselben ist ein Verbrennungsproduet als Rufs, der andre ein unver-
branntes feuchtes Zersetzungsproduct, Moder. Zum letzteren gehört der Kohlengehalt des
sogenannten Meteorpapiers von Rauden von 1686 und der feinste Braunkohlenmulm.
126 Enrexperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
geschadet hat, so ist eine vertrauenswerthe Untersuchung aller atmosphä-
rischen und kosmischen Stoffe wünschenswerth.
1. Alle Arten von ungewöhnlichen Trübungen der Atmosphäre
miissen noch immer und zwar mit vermehrter Intensität betrachtet werden,
mit sorgfältisster Reinhaltung und Verwahrung vor Zutritt fremden Stau-
bes vor der Prüfung, d. h. sie müssen sofort in reinen Glasröhren in
möglichster Menge aufbewahrt werden.
2. Wie überall ein Zusammenwirken verschiedener Beobachtungs-
methoden zur Feststellung wissenschaftlicher Erkenntnifs nützlich ist, so
hat besonders die mikroskopische Analyse neuerlich immer mehr durch
ihre nieht zerstörende, nur optisch sondernde Eigenschaft in verschiede-
nen wichtigen Beziehungen einen grofsen Erfolg vor der chemischen er-
langt. Die monotone Aufzählung der chemischen Elemente des Scirocco-
oder Passatstaubes hat sich in eine grofe Reihe selbstständiger Lebens-
formen aufgelöst. Um diesen Vortheil der mikroskopischen Methode dem
organischen Leben weiter zu sichern, wird es nöthig sein, aus bewölkter
oder wolkenloser Atmosphäre, zuweilen in geringer Menge, auf reinliche
Unterlagen, Schnee oder Leinwand fallende problematische Substanzen
nicht, wie bisher häufig geschehen, durch alleinige chemische Prüfung auf-
zuzehren, vielmehr sie zum wissenschaftlichen Vortheil stets in drei Theile
zu theilen, damit der eine chemisch, der andere mikroskopisch geprüft
werde, während der dritte für die äufseren Charactere der Substanz auf-
bewahrt bleibt. So hat sich das chemisch unrichtig beurtheilte Meteor-
papier von Rauden 1686 durch theilweise Aufbewahrung bei Berzelius
nach 152 Jahren mikroskopisch erfolgreich erläutern lassen.
3. Bei Meteorsteinfällen sind besonders nicht mehr allein die
Stein- und Eisenmassen, sondern vorzugsweise sogar die damit verbun-
denen Nebelschweife und Staubarten zu beachten, welche im Winter auf
Schnee, im Sommer auf Leinwandbleichen oder großsen Pflanzenblättern
sich gewils oft in meilenweiter Ferne gleichzeitig und in der Bahnrich-
tung ablagern.
4. Bei jedem Höherauch ist der Versuch zu machen durch auf-
sehängte haarige Felle oder wollene rauhe Decken, Segel oder ausge-
hängte Leinwand die die Luft trübende Substanz aufzufangen. Da die
Ablagerung durch Wind und Eleetrieität zuweilen behindert wird, so
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 127
dürfte das Verfahren der Durchtreibung von trüber Luft mit einem Bla-
sebalg durch eine halb mit destillirtem Wasser gefüllte Flasche mit ab-
gesetztem Rohre nützliche Verwendung finden.!) Mit dem Blasebalg läfst
sich auch die Menge der Luft abmessen, welche geprüft worden. Je fei-
ner und sauberer die Instrumente und Behandlungsmethoden sind, desto
sicherer ergiebt sich ein brauchbares Resultat.
5. Bei allen Höherauchverhältnissen scheint die Lufteleetricität
von Einflufs zu sein und zwar in der Art wie bei der Wolkenbildung,
welche seltener die Erdoberfläche als Nebel berührt, vielmehr in einiger
Erhebung davon frei schwebt. Deshalb wird man auf Bergen in gewisser
Höhe erst die atmosphärischen Trübungen antreffen und sammeln kön-
nen, während auf Flachländern und in Thälern nichts abgelagert wird.
6. Am günstigsten erscheinen Schneefälle, deren Eintreten leich-
ter bemerkt und deren Ablagerung leichter und zuweilen in beliebiger
Menge eingesammelt werden kann, wobei die Massenverhältnisse gemessen
werden müssen, sowohl in der Mächtigkeit als in der Ausdehnung. Solche
gesammelte Massen möge man immerfort zu einem Drittheil der Analyse
eines wohl geübten Ohemikers, unter Berücksichtigung vornehmlich der
Meteorstein-Charactere, wie Nickel u. s. w., auch fernerhin überlassen.
Das Übrige ist für die künstlich verstärkte Sehkraft und die Characte-
ristik des Äufseren aufzubewahren und mehrfach zu vertheilen.
7. Da es nun schon einen ansehnlichen Stamm als Maalsstab tür
Abbildungen der Formen und Verbindungen giebt, so sind für die mi-
kroskopische Analyse die zu Grunde liegenden übereinstimmenden Ver-
gröfserungen und gleiche Namengebung dringend zu beachten.
8. Wie beim Höherauch so ist auch auf Schiffen jeder Luttstaub
zu fangen, nur sind zwei Formen desselben zu unterscheiden. Feuchte
staubige Nebel setzen sich leicht an das Segelwerk und sind mit durch
Trinkwasser befeuchtete Tücher oder Schwämme leieht abzunehmen,
welche dann, in einem Waschbecken mit Trinkwasser abgespült, nach
kurzer Zeit den Bodensatz zu sammeln erlauben. Die Erscheinung der
feuchten rothen Nebel veranlafste den Reisenden Professor Meyen bei
den Canarien zu der irrthümlichen Beobachtung eines durch generatio
1) Monatsbericht 1348 p. 440.
1285 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
spontanea entstandenen Pflänzchens, welches er Adrophytum tropieum
nannte, das aber nur die Thauperlen am Segeltuche gewesen zu sein
scheinen. Die andere Form ist der trockene Staub. Diesen erlangt man,
da er überall vom Winde abgeweht wird, durch Aufhängen befestigter
Baumwollenbäusche, in deren inneren Räumen der Staub einen gesicher-
ten Aufenthalt findet. Dasselbe leisten auch die freilich selten hinrei-
chend reinlichen haarigen Thierhäute und Teppiche.
9. Eine direete Messung der Erhebung des atmosphärischen Stau-
bes läfst sich an hohen Schneebergen erlangen, wie z. B. die Schneekappe
des Pie von Teneriffa 11,424 Fuls hoch am 7. Februar 1863 mit rothem
Passatstaub des Dunkelmeeres bedeckt war!) und überdies noch zu beob-
achten erlaubte, dals der Staub von oben herabfallend, nicht aber von
unten hinauf gewirbelt erscheine und von einer kälteren Temperatur be-
gleitet sei.
10. Wo rother Hagel fällt wird der Staubgehalt desselben beim
Schmelzen zu suchen, mithin der Hagel in reichlicher Menge rein zu
sammeln sein.
ll. Wünschenswerth ist, dafs tüchtige Beobachter sich enthalten
mögen durch alleinige Anwendung stärkerer als 300 maliger Vergrölse-
rungen ein deutlicheres Objeet zu erhalten, indem sie dadurch einen ver-
gleichbaren Maalsstab für die früheren Bemühungen verlieren, vielmehr
mit dahin wirken mögen, dafs die Verfertiger von Mikroskopen Objective
von nahe 300 maliger Vergröfserung nicht unterlassen hinzuzufügen.
Selbstverständlich bleibt es Jedem überlassen, zur weiteren Erläuterung
jede Vergrölserung anzuwenden.
12. Es scheint auch von besonderem Interesse zu sein allen Nord-
polfahrern eine Beachtung rother Schneeflächen oder Streifungen älteren
Eises im Nordmeer zu empfehlen und Proben in wohl gereinigten Flaschen
(Rothweinflaschen sind schwer zu reinigen) in ansehnlicher Menge mitzu-
bringen. Solche Beobachtungen werden auch die Vorstellungen des afri-
kanischen Ursprungs weiter berichtigen und die Frage über einen Zu-
sammenhang mit dem Nordlichte weiter erläutern.
1) Siehe historische Nachträge p. 45.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 129
15. Es ist selbstverständlich, dafs seltene Meteorsubstanzen nicht
von Jedem mit dem Mikroskop glücklich analysirt werden, dafs dieses
vielmehr nur einem schon physiologisch geübten und umsichtigen
Beobachter gedeihlich gelingen wird.
XI Schlufs-Übersicht.
Die im Jahre 1847 stattgefundenen Mittheilungen über Passatstaub
und Blutregen haben sich seit jener Zeit folgendermafsen weiter erläu-
tern lassen.
1. Aus der historischen Gesammtübersicht ergiebt sich, dafs der
Gegenstand auch unter den würdigsten Zeitgenossen die grölste Theil-
nahme wach erhalten hat, dafs aber grofse Schwankungen im Endurtheil
stattgefunden haben und noch unberuhigt vorliegen, welche eine weitere
Fortbildung wünschenswerth machen.
2. Zu den 1847 aufgezählten 340 historischen Nachrichten dieser
örscheinungen kommen jetzt noch 196 neue Fälle hinzu, welche zusam-
men die Zahl von 536 Beobachtungen, freilich oft sehr ungleichen,
meist nicht befriedigenden Werthes ergeben, worunter 269 entschieden
rothe Staubmeteore zu sein scheinen, von denen im Jahre 1847 bereits
27 in ihrer Substanz von mir analysirt werden konnten. Seitdem sind
uoch 43 Proben meiner directen Analyse zugänglich geworden, welche
jetzt verzeichnet werden.
3. Die bei den alten heidnischen Völkern als Trauerzeichen der
(Götter betrachteten Blutregen traten in der jüdischen Geschichte als
Drohungen Gottes und als Vorzeichen des Weltunterganges auf, während
sie die mildere christliche Auffassung nur als Mahnungen für frevelnde
Menschen ansehen wollte. Die muhamedanische Zeit verband die un-
mittelbare Schöpfungsgeschichte des Blutes und des Menschen mit den-
selben und die römische Transsubstantiation und Judenverfolsung er-
starkte durch Blutflecken auf Brod und Hostien. Allmälig breitete die Na-
turforschung die Kenntnifs des organischen Lebens über diese Bluterschei-
srolsen un-
nungen aus und schon mit Linn& erwachte eine Vorahnung eines g
sichtbaren Naturlebens. Chladni’s denkwürdige Feststellung der alten,
meist medieinischen Daetylien, als aus dem Weltraume zur Erde kommende
Phys. Kl. 1871. 17
130 Eurxxsgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Meteormassen, brachten ganz neue Vorstellungen in die ernste Wissen-
schaft und am eifrigsten bemühte sich die Chemie durch ihre damaligen
Heroen von Howard und Vaugquelin bis Klapproth und Berzelius
zu ergründen, was und ob nicht auch ein Pyrrhin zu nennender Roth-
stoff der Erdatmosphäre oder des Weltraumes die Lösung des alten Räth-
sels weiter anzubahnen im Stande sei. Der rothe Schnee der Baffıns-Bay
gab 1818 die ernste Basis für die irrigen Vorstellungen des Pyrrhin.
4. Nachdem immer reichere historische Sammlungen zusammen-
getragen waren, glaubte Ruhland 1812 alles Material für diese Erschei-
nungen und zugleich für die Meteorsteine in der Erdatmosphäre allem zu
finden, aber die schon längst vorhandenen Kenntnisse wolkenartiger Nebel
im Weltraume, welche schon Keppler’s Phantasie so lebhaft beschäftigt
hatten und immer neue Bestätigungen selbst in den Störungen der Welt-
körper-Umläufe gewannen, nöthigten die rein terrestrischen Vorstellungen
gänzlich zu verlassen und den kosmischen Meteorsteinen, Sternschnuppen
und Feuerkugeln ihr Recht einzuräumen. Hierdurch wurde der chemi-
schen Analyse lange Zeit ein alleiniges Vorrecht gesichert.
5. Die sich immer weiter ausbildenden Forschungen mikroskopisch
verstärkter Sehkraft haben die betreffenden Stoffe zu immer klarerem Ver-
ständnils zu bringen beigetragen und sind jetzt den Resultaten der chemi-
schen Analyse ähnlich erfolgreich geworden. Die ganze Reihe der be-
treffenden Erscheinungen hat sich in drei grofse Gruppen aufgelöst: a) In
niemals von der Atmosphäre getragene, und in theils kleinen, theils gros-
sen blutartigen Flecken auf der Erdoberfläche, auf Schnee oder im Wasser,
sogar in grölstem Maalsstabe in den Oceanen verbreitete vegetabilische
oder thierische Organisationen. b) In blutartig rothfarbige, von der Erd-
atmosphäre getragene, meteorisch aus derselben niederfallende Staubarten.
c) In möglicherweise aus den kosmischen Räumen mit oder ohne Feuer-
erscheinung sich auf der Erde ablagernde, nicht rothe, Erden, Steine
und Gallerten.
6. Bei dem grolsen Naturbilde, welches der „Kosmos“ überra-
schend klar vor Augen lest, sind es vorherrschend die graufarbigen, zu-
weilen die Erde einhüllenden und die Sonne verdunkelnden, scheinbar im
Laute der Erdbahn liegenden Weltwolken, welche theils als dunkle, theils
als lichtschimmernde Stoflanhäufungen sich geltend gemacht haben.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 131
Es treten bis jetzt die rothfarbigen Stoffe in die engeren Grenzen der
oberen Erdatmosphäre zurück, der weiteren Forschung überlassend, welche
jeurtheilung jene rothen trocknen Färbungen einst erlauben werden, die
bei Sternschnuppen und vermeintlichen Kometenschweifen von wichtigen
Autoritäten angezeigt worden sind. Dafs die von Reichenbach poetisch
beschriebene, in Ungarn zur Erde gefallene Weltwolke nur ein aus einem
Sumpfboden stammendes lokales Bohnenerz (Eisenthon) war, ist von mir
1841 (Monatsbr.) und die von Grotthus 1820, als mit den chemischen
Öharacteren eines Weltkörpers versehen, angezeigte schwarze Meteorsub-
stanz ist 1838 von mir mikroskopisch als reiche organische Mischung er-
läutert worden.
7. Die nöthige Sonderung dieser Erscheinungen in ihre wesentlich
verschiedenen Gruppen hat dahin geführt, alle graufarbigen Staubnieder-
schläge der Atmosphäre deshalb von den rothfarbigen streng zu sondern,
weil diese letzteren durch ihre rothe Farbe und Eisenmischung einen,
durch so lange Zeiten und so viele verschiedene Beobachter stets fest-
gehaltenen Character haben, welcher mit Nothwendigkeit auf ein gleich-
artiges, nirgends auf der Erde nachweisbares Ursprungsverhältnifs hin-
weist. Wäre es nur der Eisengehalt und feine Kiessand, welche den
Character geben, so könnten die bekannten zahlreichen Eisenmeteore
Araso’s Vorstellungen eines kosmischen Ursprunges auch wohl dieser rothen
Sande annehmbar erscheinen lassen. Da aber dieser selbe Staub gerade
als Träger reich organischer Lebensformen seit 1844 anschaulich ge-
worden ist, so bleibt nur übrig, entweder diese rothen Staube vom Welt-
raume auszuschliefsen, wie es von mir und auch im Kosmos geschehen,
oder zugleich mit seinem unorganischen Gehalte auch den selbstständigen
und unselbstständigen organischen Gehalt als kosmisch zu betrachten.
8. Würde auch die Mischung sich selbstständig zu entwickeln fähiger
mikroskopisch kleiner Organismen, — den vielfach nun gründlich erwiesenen
terrestrischen Bestandtheilen der Meteorsteine gleich, — für den Weltraum
keine undenkbare Vorstellung sein, so ist doch die durchgehende Über-
einstimmung mit den terrestrischen gleichartigen Formen überaus auf-
fällig und bedenklich, und der ganze Lebensgehalt verliert durch die Bei-
inischung so vieler unselbstständiger Fragmente von grölseren irdischen
Pflanzen, auch mit Ausschlufs der lokalen gefärbten Woll- und Leinfasern
IA
132 Euresgerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
der menschlichen Industrie, seine Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit einer
Entwicklung in den weiteren Welträumen.
9. Es darf ferner als einer der wichstigsten Charactere der roth-
farbigen Staube angesehen werden, dafs in ihren reinsten Verhältnissen so
ausschliefslich und übereinstimmend nur Süflswasserformen und Fragmente
von Landpflanzen erkannt worden sind, so dafs einige geringe und sogar
öfter zweifelhafte Arten von Meeresbildungen der Vorstellung keinen Raum
gewähren, dafs die Spritzwellen des durch Stürme aufgeregten Meeres an
den Küsten irgend welchen annehmbaren gröfseren Antheil an den in der
Atmosphäre getragenen, dem rothen Staube gehörigen Dingen nehmen.
Zugleich aber ist damit die gesammte wasserlose Wüstenoberfläche Afrikas,
eben weil sie weder den Ursprung der kleinen, so eonstanten und zahl-
reichen Wasserformen, vielleicht sogar auch der Poolitharien und Spongo-
lithen, nicht liefern kann, ausgeschlossen, zumal keine der ausgezeichneten,
1856 (Monatsbr.) beschriebenen und abgebildeten Characterformen dieser
Wüsten in dem Dunkelmeerstaube vorgekommen sind.
10. Bei den Betrachtungen der rothen Staubverhältnisse darf auch
die Massenhaftigkeit ihres Niederfalles nicht aufser Acht gelassen werden.
Dafs in einem Tage nach französichen sachkundigen Abschätzungen 1846
bei Lyon 7,200 Öentner des rothen Staubes auf 4000 Meilen gefallen
waren, ist nicht ohne Eindruck geblieben. In den Abhandlungen von 1847
p- 324 (vergl. Monatsbr. 1869 p. 308) sind von mir noch weit gröfsere
Verhältnisse annähernd berechenbar geworden, deren Details verzeichnet
sind. Es liefs sich damals berechnen, dafs ım Atlantischen Dunkelmeere
wohl an manchen Tagen über eine Million Centner in der Luft getragen
würden, und dafs seit Homers Zeit die Erscheinung in den westlichen
Küstenländern Asiens und Afrikas eine wohl stets fortdauernde gewesen.
Ja die neuesten Angaben von den Dardanellen und Sicilien sind ganz
geeignet die Vorstellung der zuweilen plötzlich, ja sogar aus den Afrika
entgegengesetzten Richtungen, fallenden Massen eher zu erhöhen als ab-
zuschwächen.
11. Aus diesen Gründen hat sich neuerlich die Vorstellung ent-
wickelt, dafs die von der ganzen Erdkugel aus allen Ländern in die Höhe
gehobenen, in einer durchsichtigen Staubzone schwebenden Theile zuweilen
in schweren Wolken sich senken, beim Herabsinken durch verschiedene Luft-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 133
ströme sich zu Wirbeln gestalten und somit bei ganz verschiedenen
eyelischen und nicht eyelischen Stürmen, endlich den Boden erreichen.
Dafs im Dunkelmeere die Erscheinung eine fast das ganze Jahr hindurch
andauernde sei hat der französische Admiral Roussin 1817 beobachtet
und 1838 ausgesprochen. Dafs diese Staube sich auf den Pie von Tene-
riffa aus gröfserer Höhe herablassen, nicht aber von den Festlandküsten
hinaufgewirbelt werden, ist 1863 durch v. Fritsch beobachtet.
12. Die scheinbar sich widersprechende Nachricht, nach welcher
Admiral Roussin trotz der trocknen Nebel über 30° vom Horizonte doch
Sternbeobachtungen machen konnte, auch Humboldt die Durchsichtig-
keit trockner Lämmerwölkchen, und die neueren Beobachter des Nord-
lichtes die diesem zum Grunde liegenden Wölkchen für Sterne durchsichtig
bezeichnen, die trocknen höherauchartigen Nebel aber in Italien und auch
zuweilen im Atlantischen Dunkelmeere von den Beobachtern als selbst die
hohe Tagessonne verdunkelnd angegeben werden, mag sich dadurch er-
läutern, dafs in den verdunkelnden Fällen die trocknen Nebel in ungleichen
Höhen mit Wasserdunst vermischt sind, während dieser im anderen
Falle fehlt.
Die neueste Geneigtheit der Physiker und Astronomen dem Polar-
lichte ein aufglühendes Eisensubstrat zum Grunde zu legen, würde zwar
am Passatstaube eine directe Stütze finden und dessen polare Anhäufung
bestimmen, allein die hypothetischen Angaben müssen erst weiterer Nach-
forschung überlassen bleiben.
13. Zu den wichtigen Characteren der rothen Staubnebel, welche
nicht erlauben sie für ein momentan durch einen örtlichen Orkan aufgeregtes
Öberflächenverhältnifs zu halten, gehört der Umstand, dafs sie zu allen
Jahreszeiten historisch gemeldet und den bereits vielen Analysen zufolge in
ihrer Mischung stets gleichartig sind, dafs aber kein Erdstrich nach den
bisherigen Erfahrungen gekannt ist, in welchem nicht die Jahreszeiten
die Oberflächen veränderten.
14. Es darf nicht unterlassen werden auf die Möglichkeit aufmerk-
sam zu machen, dafs die historischen mit Sternschnuppen und Feuerkugel-
artigen Feuer-Erscheinungen, die keine electrischen Blitze waren, beglei-
teten Blutfälle eine zwar bestimmte, aber nur zufällige Verbindung haben
konnten, indem jene kosmischen, in die Erdatmosphäre niederfallenden
134 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Meteore einen Theil des oben schwebenden Passatstaubes bei ihrem Herab-
fallen niederdrückten und deshalb gleichzeitig mit ihm zur Erdoberfläche
herabkamen, ohne dafs irgend eine wesentliche Verbindung zwischen
beiden stattfand.
15. Was endlich die fremden Bestandtheile anlangt, welche als
Polythalamien, Fucoiden-Fragmente und Meeres-Polygastern höchst sparsam,
häufiger aber als weiche terrestrische Pflanzentheile, Schmetterlingsstaub
u.s. w. aufzuzählen gewesen, so liegt es nahe den aufwühlenden, niedrig
gehenden Gewitterstürmen diese unwesentlicheren Bestandtheile zuzuschrei-
ben, welche stets auch die rothe Farbe des Normalstaubes beeinträchtigen
und da, wo diese in Grau verwandelt ist, die Oberherrschaft oder Allein-
herrschaft haben. Solche Mischungen werden immer schwer genau zu
trennen sein, und es wird späterhin noch weiter, wie dies schon hier
geschehen, auf die möglichst reinen, lebhaft roth gefärbten Niederschläge
vorzugsweise die Aufmerksamkeit zu wenden sein.
16. Es giebt den Menschen und Thieren schädliche Trübungen der
Atmosphäre, von denen einige auch mit röthlich gelbem Staubniederschlage
bezeichnet werden. Für diese Art von Untersuchungen ist das Material
bisher nur kärglich beachtet worden. Die von mir in den Jahren 1848
u. 1849 angestellten Untersuchungen über die Atmosphärilien der schweren
Cholera Zeit in Berlin, welche in den Monatsberichten jener Jahre ver-
öffentlicht sind, mögen schon einen mannigfachen nützlichen Maafsstab
für die Beurtheilung der Verhältnisse geben. Nirgends soweit meine Nach-
forschungen reichten, auch selbst nicht in Cairo Aegyptens, gab es da-
mals andere als graue Staubniederschläge, und ich habe aus den vielen
Analysen die Zahl von über 200 Arten beobachteter, atmosphärischer klein-
ster Organismen in Übersicht gebracht. Jene Cholera-Staubarten waren
offenbar nieht mit besonders auffallenden Lebensformen, noch auch mit
den Characterformen des Passatstaubes vorzugsweise erfüllt. In Frank-
reich beschäftigte sich bald darauf 1858 Professor Pouchet mit den mi-
kroskopischen Atmosphärilien, und seine Mittheilungen an das Institut zu
Paris erweckten neue lebhafte Discussionen über die generatio spontanea,
die jedoch mit Milne Edwards scharfsinniger Kritik 1) wieder negativ
1) Annales des Sciences naturelles 1858. T. IX. p. 353.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 135
endeten. Die neuere Vorstellung in England, dafs Sporidien der Gährungs-
pilze die Atmosphäre dicht und vorherrschend erfüllen, hat sich in Deutsch-
land nicht bestätigen lassen und mag, wenn die Beobachtung richtig ist,
eine lokale Erscheinung gewesen sein. Ein Beweis, dafs die genannten
Sporidien keimfähig gewesen, ist nicht gegeben.
17. Ob das rothe Eisenoxyd durch seine Eigenschaft als Bestand-
theil kleiner kieselerdiger Hohlzellen der Gallionella ferruginea sein leichtes
und hohes Schweben in der Atmosphäre begünstigt, habe ich oft ver-
sucht zu entscheiden, allein ich habe zwar die Anschauung eines feinsten
Kiesel- oder Thonmulms erhalten, dessen Eisengehalt und rothe Farbe
sich durch Salzsäure entfernen liefs, aber weder kettenförmige noch deut-
lich hohle Körnchen zu meiner Überzeugung bringen können.
18. Da man fragen darf, warum wohl rothe Eisenstaube in der
oberen Atmosphäre schweben, nicht aber schwarzer, durch seine Feinheit
und scheinbare Leichtigkeit sich auszeichnender Kohlenstaub und amorpher
Rufs in gleichen Verhältnissen erkannt werden, ja warum nicht die Tinten-
regen zahlreicher sind als die des klaren Wassers, so mögen wohl die
Verbrennungs- und Verrottungsprodukte der ganzen Erdoberfläche doch
weit unbedeutender sein, als jene Bildungen des Eisenoxydhydrates des
Passatstaubes, zumal die schwarzen Kohlentheilchen sich erfahrungsmälsig
schon in der unteren Atmosphäre schnell senken. Schwimmenden abge-
lagerten rothen Meteorstaub hat man auch im Atlantischen Dunkelmeere
niemals beobachtet.
19. Es giebt in der Natur ein Schein-Leben, welches unorganische,
den organischen oft ähnliche Gestaltungen bildet, die schon manchmal,
selbst von geübten Beobachtern, als Lebensformen benannt und beschrie-
ben worden sind. Dieses, den Crystallen und den Organismen gleich fern-
stehende, Schein-Leben ist 1840 als Morpholithe bezeichnet worden. Auch
im Meteorstaube der Atmosphäre sind dergleichen unsichtbar feine Bil-
dungen erkannt und haben selbst bei geübten Beobachtern Veranlassung
zu Irrungen gegeben. Ja sie haben als pyramidale Bruchstücke der Me-
teoriten zu der Vorstellung von kugliger Urgestalt dieser geführt und
werden noch zur Erläuterung des Luzerner Drachensteins in Betracht
gezogen werden müssen, während die terrestrischen Erbsen- und Rogen-
136 Enrenpers: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
stein-Kugeln anderen Bildungsgesetzen anzugehören scheinen. Zur Erläu-
terung soll Taf. Il. dienen, deren Erklärung zu vergleichen ist.
20. Für den gewöhnlichen Luftstaub ist auf Tafel IT aus beiden
Erdhälften ein Einblick gegeben, welcher besonders auf die schaalenlosen
und die den Bacillarieen nicht zugehörigen Gestaltungen gerichtet ist, wobei
die über die ganze Erdtläche verbreiteten Difflugien-Formen in reichere
Übersicht gebracht sind.
21. Da bei diesen Untersuchungen die Grenzen des kosmischen
und terrestrischen Gebietes in den Vorstellungen schon viele Veränderun-
gen erlebt haben, so darf ich nicht unterlassen, aufser dem eisenhaltigen,
von Arago für kosmisch gehaltenen rothen Luftstaube, auch die bei
(alle zweifelhaft gebliebenen kosmischen kohlenstoffhaltigen Gallerten
weiterer Prüfung zu empfehlen. Es wird schon nichts übrig bleiben, um
der Wissenschaft ihr Recht zu thun, als alle kohlenstoffhaltigen Verhält-
nisse kosmischer Meteorkörper nicht nur chemisch sondern auf das schärfste
mikroskopisch zu prüfen, da ja bekannt genug ist, dafs die schwarze Kohle
in ihren Crystallen als Diamant farblos und völlig durchsichtig ist. Ob
es bald gelingen wird als Feuerkugeln herabgefallene Gallerten durch zufäl-
lises Auffangen auf Leinwandbleichen oder auf Schnee so rein zu erhal-
ten, dals eine feine mikroskopische Analyse ein unbedingtes Urtheil er-
laubt, muls günstigen Bedingungen anheimgestellt bleiben. Die Vorstel-
lung, dafs organische Verhältnisse sich erst in der Atmosphäre der Erde
zu Meteoriten gesellen und sich mit ihnen verschmelzen könnten, wird
eine jedenfalls wichtige, wohl nur durch das Mikroskop zu entscheidende
Aufgabe späterer Zeit sein.
22. Da auch die Vorstellungen der Urkohle als Graphit schon
vielerlei Schwankungen unterworfen waren und bei der Moya sich aufläl-
lig umwandelten, so darf die Beobachtung vor immer weiteren Analysen
nicht zurückschrecken, so sehr auch bis jetzt, da die Grenze gesetzt er-
scheint, wo die Atmosphäre der Erde noch die Bildung von Lämmer-
wölkchen erlaubt, welche sich nach Humboldt an den Polen magnetisch
reihenweis ordnen und das Substrat des Nordlichtes bilden.
23. Die wirkliche Durchdringung des Luftkreises und Äthers
von gesichertem organischen Leben hat sich weder bisher m Linne's
Sinne noch in dem Nees von Esenbeck’s durch fortwährende spontane
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 137
unvollkommene Erzeugung aus den in der Luft schwebenden amorphen
Elementen nachweisen lassen. Es ist vielmehr das, auch in den „Ansich-
ten der Natur“ von Humboldt aufgenommene Resultat der schärfsten
Untersuchung gewesen, dals unermefsliche, oft lange Zeit scheintodte
Lebensformen bis in grofse Höhen der Atmosphäre aufsteigen und von
Zeit zu Zeit durch Zurücksinken mit Thau und Regen zur feuchten
Erdoberfläche ihre besonderen Kreisläufe abschlielsen, um sie von Neuem
zu beginnen. Daher kommt es, dafs im Regen der unteren Wasserdampf-
wolken zuweilen volles Leben erkennbar geworden, welches in einzelnen
Regentropfen zu beobachten stets weit seltener möglich war.
24. Während die grofsen Massen der in die Luft geführten Ver-
brennungsproduete und vulkanischen Aschen nur selten im atmosphäri-
schen Staube erkennbar geworden sind, hat sich die Kenntnifs des selbst-
ständigen unsichtbaren Lebens in den Unterlagen der Moose bis in die
Kronen der Waldbäume in beiden Hemisphären erläutern lassen. Die un-
sichtbaren betreffenden kleinen Organismen sind als vollkommen zu ihrer
eigenen Erhaltung und Fortpflanzung organisirte, selbstständige Wesen
darstellbar geworden, und ihre Verbreitung bis in die höchsten kalten
Alpenpässe des Himalaya aufser Zweifel gestellt. Mithin ist dieses Be-
reich des Lebens seit den letzten dreifsig Jahren, wie auch in den geo-
logischen Kreisen der festen Erdmasse die Bacillarien-Gebirge in Mexiko
und Californien bekunden, nicht abgeschwächt, sondern einer immer
größseren Theilnahme würdig und empfehlenswerth geworden.
25. Wie sehr das so wichtige chemische Resultat, wonach in den
wahren Meteoriten nur terrestrische Elemente und auch nur aus solchen
Elementen zusammengesetzte terrestrische Mineralien nachweisbar ge-
worden sind, des Kohleneinschlusses halber auch organische Verhältnisse
mit verstärkter Sehkraft aufzusuchen nothwendig macht, wird die künf-
tige Forschung beschäftigen.
26. Die vorliegenden Verzeichnisse des rothen Passatstaubes
ergeben mit denen von 1847 zusammen einen Reichthum von
460 Arten organischer, dem natürlichen Auge ganz entzogener Formen.
Hierzu tritt noch der oben erwähnte, auf Dächern, Thürmen und in
den Baummoosen der hohen Waldbaumstämme bis auf die höchsten
Alpenfelsen abgelagerte, nicht hier, aber in den Monatsberichten tabella-
Phys. Kl. 1871. 18
>
138 Enkenserg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
visch verzeichnete organische Lebensgehalt, dessen Erweckung in thätiges
Leben oft leicht gelingt. Beides zusammen bildet die nicht mehr hypo-
thetische, sondern nachgewiesene unsichtbare Belebung der Atmosphäre.
Die sämmtlichen Formen der früheren Passatstaub-Analysen sind 1847
abgebildet, und die neuesten wurden in genauen, mit jenen ersten gleich-
artig vergröfßserten Zeiehnungen vorgelegt. Beides zusammen bildet mit
der in der Mierogeologie gegebenen Übersichtstafel eine Grundlage von
Abbildungen, welche sorgfältiger Forschung nützlich sein wird.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben.
formen.
139
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I.
Sämmtliche Figuren sind bei 300 maliger Diameter-Vergröfserung nach der Na-
tur gezeichnet und beziehen sich auf die im Vortrage verzeichneten neuesten Passatstaub-
Bei dieser Tafel ist besonders die Erleichterung der Vergleichung der 285
Formen mit einander beabsichtigt, wozu auch der unten befindliche Maafsstab, wie in
der Microgeologie, beigegeben ist.
Ispahan am 3. Mai 1870.
Text p. 80 u. Tabelle.
. Gallionella granulata
tenerrima
distans?
Fragilaria Rhabdosoma
pinnata?
Eunotia gibberula
amphioxys
. Navicula obtusa
. Pinnularia aequalis? (cfr. P. am-
phioxys)
. Synedra rostrata
Entomon
. Campylodiscus Clypeus? Fragm.
. Lithodontium Aculeus
emarginatum
Platyodon?
Bursa
Jurcatum? (Platyodon?)
Scorpius?
9. Lithostylidium angulatum
21.
Clepsammidium
— curvatum
clavatum
Amphiodon
Fig.25
. Lithostylidium Emblema (cfr. 1847
Taf. Il. ı. Fig. 48.)
— 26. 27. — Serra?
— 23. 29. — Amphiodon
— 30. 3l. — denticulatum
— 32.33. — irregulare
— 34. — quadratum?
— 35. — falcatum (Abh. 18383)
— 36. 37. — sinuosum
— 38. — spiriferum (efr. L. an-
nulatum)
— 39. Taurus (cfr. Abhandl.
13847. Taf. IV. A.
Fig. 65.)
— 40. — rude
— 41. — denticulatum
— 42. Lithochaeta laevis
— 43. Lithostylidium Pes?
— 44. Lithomesites?
— 45. weicher gelblicher Pflanzentheil
— 46. zweitheiliger gelblicher Pflanzensame
— 47. Lithomesites? (Lithostyl. Serra?)
— 48. Spongolithis Tridens?
49.
acicularis?
18*
140 Enurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Fig. 1.
— 3
— 4.6.
— 24.
— 26.
— 27.
— 28.
— 29.
— 30.
— 31.
— 32.
— 33.
— 34.
— 36.
— 37
Dardanellen bis Sieillien am 23. 24. März 1869.
Die einzelnen hierzu gehörigen Örtlichkeiten dieses wichtigen Staubfalles sind in der
Tabelle und im Text p. 60 gesondert verzeichnet.
2. Gallionella lirata
— granulata
_ procera
— decussata
— tenerrima
_ distans
crenata (cfr. @. granulata)
= crenata
—_ distans
. Discoplea atmosphaerica (ob Gallio-
nella?)
= venusta
(efr. D. atmo-
sphaerica)
— atmosphaerica
— sinensis
. Gallionella?
. Coscinodiscus?
. Eunotia amphioxys
— longicornis
— venusta
...—— giübberula
25. — Argus
— Argus (ob E. Textricula?)
Climacidium Triodon
Eunotia Cygnus
Campylodiscus Clypeus
Pinnularia gibba®? (efr. P. decurrens)
Cocconema Lunula
Pinnularia?
Navicula fulva
35. Fragilaria pinnata
_ vulgaris
. Synedra Entomon
— 533. Assula aspera umbonata
— 39. Lithodontium emarginatum
— 40-42. — Bursa
— 43. — triangulum
— 44. —_ Aculeus
Fig.45. Lithodontium rostratum
46. —_ Furcatum
47-49. Lithostylidium annulatum
50 -52. — Amphiodon
53% E= Serra
54. 5. _ Clepsammidium
56 -58. n— biconcavum
59. _ Clepsammidium
60. _ clavatum
61. — curvatum
62. _ clavatum
63 - 65. _ crenulatum
66. Amphidiscus truncatus
67. —_ — # tenuis
68. _ — 2 dentieulatus
69. Lithostylidium Diceros n. sp.
70-72. — denticulatum
73. _ Diceros n. Sp.
74. —_ Rectangulum
75. — Emblema
76-78. — Formica
19. = Hemicyclus n. sp.
80. _ irrequlare
81. _ laeve
82. 83. — obligquum
34. Z— — 2 asperum
85. Lithostylidium Piseis (efr. L. Taurus)
36. _ Pes
87. — quadratum?
88. _ obliquum
89. —_ curvatum
9. — Rhombus
91. 92. — ventricosum
93. _ unidentatum
94. — Trabecula
95. E= rude
96.97. Lithomesites ornatus &
98. Lithostylidium unidentatum
das von der Atmosphare unsichtbar getragene reiche organische Leben. 141
Fig. 99. 100. Lithostylidium sinuosum Fig. 115. Spongolithis flexuosa
— 101. 102. _ Serra — 116. _ aspera?
— 103. Textilaria globulosa — 11% — Rectangulum n. Sp.
— 104. Rotalia aspera — 118. _ obtusa?
— 105. Rotolia? — 119. Lithasteriscus?
— 106. @uttulina meteorica n. sp. oben — 120. — irregularis
— 10. — —_ unten — 121. Pflanzenzellgewebe
— 108. Spongolithis septata? — 122. braune Pflanzenzellen
— 109. —_— aspera — 123. Polythalamien-Fragment
— 110. — Clavus? — 124. sternförmiges Pflanzenhaar
— 11 — canaliculata — 125. poröse Fichtenholzfaser
— 112. _ obtusa — 126. Kalkspath-Crystall
— 113.114. — acicularis
Apulien 1868.
Text p. 83 und Tabelle.
Fig. 1. Campylodiscus Clypeus Fig. 14. Lithostylidium Rectangulum
— 2. Spongolithis aspera — 15. — conieum
—E> _ fistulosa — 16. _ Securis
— 4. Eunotia Argus — 17. —_ erenulatum
— 59. — _ zebrina — 18. u Ossiculum (Amphid.
— 6. Assula aspera umbonata truncatus)
— 7. Sporangium? braun (Gliederfaser) — 19. Gallionella granulata
— 8. Lithostylidium Rectangulum — 20. E= distans
— 9. 10. = erenulatum — 21. _ procera
— 11. Synedra®? Fragment — 22. _ decussala
— 12. Cocconema cornutum (C. gracile) — 23. —_ lirata
— 13. Eunotia Mosis? — 24. _ lenerrima
Janina am 13. April 1870.
Text p. 87 u. Tabelle.
Fig. 1. Synedra Entomon Fig. 12. Campylodiscus Clypeus Fragm.
— 2.3. Navicula Semen — 13. Lithostylidium Serra
—_— 4 — undosa — 14. — crenulatum
— 5. Stauroneis constrieta — 15. Lithodontium furcatum
— 6. Gallionella granulata — 16. Spongolithis obtusa?
ih — procera — 17. Lithomesites ornatus
Ta [ei _ distans — 18. Spongolithis fistulosa Fragm.
— 9.10. Discoplea atmosphaerica — 19 — acicularis
1l. Fragilaria? (Grammatophora?)
142 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Isola di Sora 10. März 1869.
Text p. 68 u. Tabelle.
Fig. 1.2. Gallionella granulata
— tenerrima —
|
Be
Navicula dicephala _
— undosa _
Eunotia Argus? _
. Achnanthes? E=
Eunotia amphioxys —
|
En
un
|
e
— 10. Pinnularia borealis E
— 11. Campylodiscus? Fragm. —_
— 12.13. Lithostylidium Clepsammidium
Schweiz am 15. Januar 1867.
Fig. 14. Lithostylidium obliquum
15. Amphidiseus truncatus
16. Lithostylidium sinuosum
lcie
18.
19-21. —
22. Lithodontium rostratum
23.
dentieulatum
Triceros? (Lyon 1846)
‚Securis
Jurcatum
24. Lithomesites Pecten
Die drei analysirten Örtlichkeiten dieses Staubfalles finden sich in der Tabelle und
Text p. 72.
Fig. 1. Discoplea atmosphaerica
— 2. Gallionella distans — 14.15. _
— 3 —— procera — 16.
— 4. Nawicula Semen — 17.
— 5). — biceps — 18.
— 6. Raphoneis? — 19.
— 7. Fragilaria® (Sıymedra?) _
— 8. Tabellaria Venter —_
— 9. Eunotia amphioays —
— 10. Synedra Ulna e—
— 11. Lithostylidium angulatum (L. denti- —
culatum) =
— 12. = crenulatum —
Verschiedene Passatstaubformen.
20.21. _
22.
23.
24.
25.
26.
27:
Fig.15. Lithostylidium Ossieulum
Pes
biconcavum
Clepsammidium
irregulare
Fusiforme?
erenulatum
Lithodontium furcatum
rostratum
Lithostylidium sinuosum
Serra
Amphidiscus Marti
weicher Pflanzentheil (Samenstaub?)
Da es nicht nothwendig ist, dals von allen einzelnen Passatstaubverhältnissen
sämmtliche Formen immer abgebildet werden und nur besonders auffällige und lehr-
reiche Verhältnisse dies wünschenswerth machen, so sind von den neueren übrigen
Staubfällen nur einige besondere Formen anschaulich zu machen, während die grolse
Mehrzahl in den schon gegebenen Abbildungen mehrfach dargestellt ist.
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 145
Fig. 1. Rhaphoneis? (efr. Surirella) vonPalma Fig. 9. Synedra Entomom. Rom 1864.
— 2. Biblarium? Palma — 10. Naviceula biceps
— 3. Gallionella granulata — 11. Eunotia Monodon
— 4. — distans | — 12. Lithostylidium Cauda Draconis. Ningpo
—5 — decussata Palma — 13. 14. Amphidiseus truncatus
— 6 - lirata | — 15. — chinensis. Ningpo
— 1. —_ procera — 16. Lithostylidium spiriferum
— 8. @omphonema gracile. Palma — 17. Lithodontium furcatum
Tafel 1.
Die Abbildungen dieser zweiten Tafel sind aufser den beiden untersten grolsen
Morpholithen und den schematischen Eisenformen schon in den Jahren 1848 bis 1859
von mir ebenfalls bei 300 maliger Diameter-Vergrölserung nach der Natur gezeichnet,
nur die mikroskopischen Morpholithe sind jetzt unter meiner Anleitung hinzugefügt worden.
Mikroskopische Baumfauna.
Oberhalb sind von der Atmosphäre getragene und auf Baummoosen abgelagerte,
nicht dem Passatstaub angehörige, unsichtbar feine Organismen von Venezuela und
Berlin, besonders in ihren ausgezeichneten, öfter generisch neuen Formen dargestellt.
A. Venezuela.
Fig. 1. 2. Stauroptera dendrobates Fig. 27. Difflugia collaris
— 3.4. Liparogyra circularis _ 23. — Dryas
— 5-8. _ dendroteres _ 29. — squamata
— 9. Einzelglied v. L. dendroteres —_ 30. — longieollis
— 10. 11. Discoplea dendrochaera — 31. Arcella caudicicola
— 12-16. Stephanosira epidendron — 32. Lithostylidium caraccense
— 17-20. == Hamadryas — 33. 34. — spiriferum
— 21-25. Porocyelia dendrophila _ 35. —_ hispidum
— 26. Difflugia reticulata — 36. — apicatum
B. Berlin.
Fig. 1-3. Bursaria triquetra Fig. 7-10. COyelidium arborum
— 4-6. — arborum — 11. Trachelius dendrophilus
Die terrestrischen Arcellinen.
Als zweite mittlere Gruppe ist eine Zusammenstellung zahlreicher Gestaltungen
der Difflugien gegeben, welche ein reicher Bestandtheil der Polygastern-Classe und speciell
144 Eunenpera: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
der Arcellinen-Familie, als schaalenführende Amöbeen, von mir verzeichnet sind. Es sind
im Ganzen in der Mierogeologie, in den Abhandlungen und Monatsberichten seit 1830
I15 Arten dieser Formen von mir beobachtet und namentlich aufgeführt. Von den
Gattungen Arcella und Diflugia sind in den Passatstaubverhältnissen 1847 und 1871
1? Formen beobachtet worden. So schien es denn angemessen die auffälligsten dieser von
mir verzeichneten Formenarten der ganzen Erdoberfläche vor Augen zu stellen, um die
atmosphärisch getragenen dadurch zu erläutern. Von den 115 Formen-Arten sind fol-
gende 23 in den verschiedenen Erdtheilen am zahlreichsten vertreten und können mithin,
da mehrere von ihnen auch in dem Meteorstaube der Atmosphäre aufgefunden worden
sind, als eosmopolitisch angesehen werden, wie folgendes Verzeichnils angiebt.
Mg. — Microgeologie 1854. Ab. — Abhandlungen d. Akad. 1841.
Inf. — Infusionsthierchen 1838 und * bedeutet die Abbildung.
5 & ae
ce Se
u ee En e | KR:
1. * Inf, Arcella aculeata . » . + + + ar Er
23, Mg mstrialanı Auen ld Ar + |) + + ar er
3, * nE — dental en —_ + _ uu +
4. * Mg 2 — HEnchelys (hyalina) . .| + + + a u I „<=
5. Na. — - 8 dilatata . .| — — + = ae
6. *Ng — veoms neo + 1 + os au
.*M& 39 — M@lobulus. | + je Ar a
3... Ng 7 — gramlata . 2: 2. . | — | BER I Ne r SE ae
9,*Me. — Megastoma . » x. _ + + -
10. * Mg. — reticulata => + — 2r> ch EL
11. * Ma — valganis co. N + | + + ee a ul
12. * Mg Difftugia areolata . » | + | Fb | +1 +
13, * — assulata Taf. Il. Fig.4.5.| — | + — ur ‚A
a — cancellata Taf. II. Fig.3.| — ers _— | + >]
15, ° — ciliata Taf, II. Fig. 26. .| + | + a, | ee u
16. * Ab. — Lagnma .» x ss sh — | + + | #+ |
17. Me. — laws. 2 22. .| + + + — + |
18. * Mg. — "TDiostonma , 2. N + + En I |
19. * Mg. — Dligedon . . 2... + + + => ar Su
20. * Inf. — proteiformis © x 2. .]| — + AN .
21. * Me. — Seminulum -.: x sh + + u | N a
22. Me. 3 — stridlata » x x... | + a Es lVE
3393 — tessellata Taf. Il. Fig. 32. | — | + rn +
das von der Atmosphäre unsiehtbar getragene reiche organische Leben. 145
Aufser den hier verzeichneten 10 im Passatstaub beobachteten Formen gehören
noch zu diesen Difflugia cellulosa, die nur in Asien und Amerika und Arcella costata,
welche noch in keinem terrestrischen Oberflächenverhältnifs aufgefunden worden ist.
Beide sind 1847 und in der Mierogeologie abgebildet. Die sämmtlichen hier abgebildeten
Difflugien, mit Einschluls der in Venezuela vom Luftstaube getragenen, beziehen sich auf
die in den Monatsberichten und in der Mierogeologie verzeiehneten Örtliehkeiten. Viele
der hier nicht abgebildeten Arten der Arcellinen sind schon in der Mierogeologie 1854,
in den Abhandlungen 1847, 1558 und 1869 und in dem Monatsberichte 1856 abgebildet,
welche daselbst verglichen werden können. a
Zugleich wird hierbei anschaulich, dals die unter dem Namen Assula bei den
Phytolitharien verzeichneten Körperchen, deren Ursprung bisher unbekannt war, mög-
licherweise als Bruchstücke von Difflugien-Panzern sich zu erkennen geben.
Über die Systematik und speeielle Diagnostik der sämmtlichen Formen, welche
hier zu umfangreich sein würde, ist mir vielleicht vergönnt in den Monatsberichten der
nächsten Monate Weiteres mitzutheilen. Vielleicht finden auch meinen Anschauungen be-
freundete Forscher in dem hiermit gegebenen Hinweis auf die übersichtliche Nutzbar-
keit der Microgeologie einen weiteren Vortheil für ihre eigenen Studien.
Da man, von meinen Anschauungen abweichend, die Difflugien auch Rhizopoden
und loraminiferen genannt hat, so ist nur noch daran zu erinnern, dals mehrere Arcel-
linen und auch Difflugien, als gepanzerte Amöbeen, durch Indigo-Futter in ihrem poly-
gastrischen, von dem der Polythalamien sehr verschiedenen Bau erläutert worden sind.
Von den hier abgebildeten ist nur Difflugia Schwartzii von der Insel St. Paul mit einer
verschluckten Nasieula gesehen worden. 1838 (Infusionsthierchen) wurde Arcella vulgaris
mit vielen Indigo Zellen und Navieulis und 1341 (Abhandl. Taf. IV Fig. 34 und 36) Dif-
flugia acanthophora und Arcella hyalina (= Enchelys) mit verschluekten Navieulis abgebildet.
Fig. 1. Difflugia Gillo. Costa Rica, Microg. p. 365.
_ % u Lagena. Siwah, Libyen. Microg. p. 198 cfr. Okak, Labrador. Ab-
handl. 1541. p. 415.
—_ 3. _ cancellata. Libanon, Bischerre aus Polytrichum. Monatsb. 1848.
p- 579.
— 4.5. - assulata. Libanon, Bischerre aus Polytrichum. Mierog. p. 43.
Fig. 5. auch aus Guyana Roraima.
— 6.7. —_ Pila. Libanon, Harissa. Mierog. p. 41.
8. -- Cueurbitula. Altai aus Swertia. Mierog. p. 98.
— 9 — Phiala. Cap Horn. Microg. p. 288.
— 10. - hermitana. Cap Horn. Mierog. p. 238.
— 11. — antarctica. Cap Horn.
— 12-14. — Frauenfeldii, St. Paul. Süd-Ocean. Monatsb. 1861. p. 1102.
— 15. _ Schwartzü. St. Paul. Monatsb. 1861. p. 1102.
— 16. toberti Müller. St. Paul. Monatsb. 1561. p. 1102.
ra — Battloggi. St. Paul. Monatsb. 1861. p. 1102.
— 18. eylindrica. Nicobaren, Oatchull. Miecrog. p. 172. 241.
— 19 — Fallax. Nicobaren, Catchull. Mierog. p. 172.
— 20 missouriensis. St. Louis aus Myriophyllum. Mierog. I. 1856. p. 51.
Phys. Kl. 1871. 19
146 Eurexgere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
Fig. 21. Difflugia Carpio. Indien, Nilgherri. Microg. p. 119. (aus Süd-Amerika Mierog.
p- 331.)
— 22.23. — binodis. Guyana Roraima. Microg. p. 331.
— HR, = purpurescens (roth). Guyana Roraima. Microg. 1854. p. 331.
— 2. — Roraimae. Guyana Roraima. Microg. p. 331.
= 2/68 _ eiliata. Indien, Canara. Monatsb. 1548. p. 379.
— 27a.b. — Carpio. Indien, Canara. Microg. p. 117 und 121.
— 28. — pilosa. Capverden, St. Antonio. Microg. p. 278.
— 99: _ azorica. St. Micha@l, Azoren. Mierog. p. 278.
— 380. - setigera. Indien, Pondichery. Mierog. p. 121.
a3 — strigosa. Neuholland, Plantagenet. Microg. p. 12.
— 32. — tessellata. Cap der guten Hoffnung, aus Eriocaulon. Mierog. p. 253.
— 33. — capensis. Cap der guten Hoffnung, aus Wurzelerde von Scleria.
— 34. _ Hartmanni. Sennäar. Reise des Baron von Barnim 1863. Anhang
p- 79.
Morpholithe, Schein-Örganismen.
Pseudozoen, Bildsteine, Steinpüppchen.
Die dritte Gruppe dieser Tafel stellt unorganische Morpholithe oder jene Schein-
Organismen dar, welche 1840 (Monatsb.) von mir erläutert wurden und die der verdiente
Physiker Parrot als grofse nackte Mollusken unter dem Namen einer /matra-Familie dem
Thierreiche zuzugesellen sich veranlasst fand. Da auch von einem geübten mikroskopischen
Beobachter 1851 mikroskopische Gestalten dieser, den Morpholithen zugehörigen Körper, im
Meteorstaube von Jrkutzk als Polythalamien verzeichnet und abgebildet worden waren,
so veranlafste mich schon 1854 diese Schwierigkeit die ganze Gruppe der Morpholith-
bildungen am Schlusse der Mierogeologie auf besonderer Tafel in Übersicht zu bringen
(vergl. den Abschnitt über die Morpholithe). Die hier gegebenen Abbildungen sollen jene
Reihe nur in ihren ausgezeichneten Formen weiter vorlegen, besonders auf die Elementar-
Substanzen aufmerksam machen, aus denen sie durch die morpholithische Naturkraft sich
bilden und deren genetische Gestaltung erläutern. Es sind deshalb die beiden unteren,
nicht mikroskopischen, grolsen Gestaltungen in halber natürlicher Gröfse zur Ver-
gleichung zugefügt, welche sich denen in der Microgeologie auf Taf. XL in natürlicher
Grölse abgebildeten anschliefsen. Dafs die morpholithischen Elemente der Schreibkreide
im gröfsten Maalsstabe als Coceolithe von übrigens verdienten Zoologen zum Thierreiche
gestellt worden sind, ist in Abschnitt VIII weiter erläutert.
Im vorigen Jahre hat Prof. Vogelsang in Delft die Morpholithe als Globulite,
Margarite, Longulite und als Crystallite wieder in Betrachtung gezogen und auch in
der von mir 1540 angezeigten verlangsamten Bildungsmethode manchen Aufschlufs er-
halten. Die von ihm in den Schlacken nachgewiesenen auffälligen dendritischen Gebilde,
welche auch schon für Organismen angesprochen worden sind, lassen sich mit den Mor-
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 147
pholithen nicht direct vergleichen, weil sie durch Feuereinwirkung zu Stande gekommen
sind. Schon 1836 wurde von mir in Poggendorff’s Annalen Taf. I. Fig. IX. die durch
die Porzellan-Ofen Hitze im Porzellan sich gestaltende, reihenweise Körnchenbildung be-
sprochen und abgebildet, welehe wohl als genetische Grundlage solche Gestaltungen
mit vermitteln mag.
Bei den Morpholithen ist nur noch als characteristisch hervorzuheben, dals die-
selben in ihrer Bildung als eine fortschreitende weiche Masse erscheinen, aber auch im
frischen Zustande niemals an ihren Oberflächen weich, sondern stets überall so hart wie
Crystalle sind, dafs aber von Crystallisations-Faserung noch niemals eine deutliche Vor-
stellung gewonnen werden konnte, wodurch die bekannten strahligen Kugelgestalten sich
von den nicht strahligen Morpholithen scheiden.
1. Meteorische, d.i. atmosphärisch getragene Morpholithe.
A. Kalk-Morpholithe.
Die Figuren I—1l1l sind unter meiner Anleitung aus dem Meteorstaube von
Jrkutzk, in dem sie schon 1849 als solche angezeigt worden waren, in Abbildung darge-
stellt worden. Zur Vergleichung sind die 5 mit Buchstaben verzeichneten Formen der
unteren Reihe aus den Petersburger Bulletins 1851 copirt und hinzugefügt, welche bei
Weisse die Vorstellung von Polythalamien erweckt hatten.
Fig. 1—3. sind einfache, monomorphe, Kugel- und stärkmehlartige Augenbildungen.
Fig. 4—8. sind doppelte, eladomorphe, Brillenbildungen, Fig. 4 und Fig. c. der unteren
Reihe sind Kuastrum-artige Scheinorganismen, die Figg. 6. 7. zeigen einen stark
welligen Rand, dessen massige, nicht hohle, Bildung nicht die Vorstellung einer
Rotalie geben darf.
Fig. 9—11. sind vielästige Kalkpüppchen und zeigen die Ränder mehr oder weniger
wellig, Polythalamien-artig.
Die von Weisse gezeichneten Formen sind folgende:
Fig. a. Zwillingskugel, cladomorph oder ästig, mit unklar strahliger Mitte, mir aber nicht
vorgekommen.
Fig. b. Augenkette, Schein-Nodosaria, mit einer seitlichen Knospung.
Fig. e. Schein-Zuastrum.
Fig. d. Schein-Glandulina.
Fig. e. Schein-Rotalia.
Es ist unzweifelhaft, dafs diese, nach Art der verästeten Dendriten-Crystalle sich
gestaltenden Fortbildungen alle Arten von Polythalamien in soliden unorganischen Massen-
bildungen, welche niemals Zellen sind, nachahmen können, so dafs man Textilarien u. s. w.
bei weiteren Forschungen zu erwarten hat. Auch mögen schon die als Amylum von
verschiedenen Beobachtern im Luftstaube angezeigten, mit coneentrischen Ringen ver-
sehenen ‚Körperchen genauer zu prüfen sein, ob sie durch Säure mit Blasenbildung
auflösbar, also Kalk sind.
192
148 EurEnBErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über
B. Eisen.
Es werden hier die 1856 meteorisch auf ein amerikanisches Schiff im Süd-Ocean
gefallenen hohlen Eisenbläschen in ihren morpholithischen Gestaltungen in Erinnerung
gebracht und auf ihre specielle Erläuterung in den Monatsberichten 1858 hingewiesen.
Fig. 1. ist die natürliche Gröfse jenes, dem Magnete folgenden, schwarzen Eisenstaubes.
Fig. 2. ist eine schaalenförmig gebildete Kugel, von denen die meisten einen in Fig. 3.
sichtbaren, stachelförmigen Anhang führen, Stilkugel.
Fig. 4. ist länglich, in der Mitte eingeschnürt, nach Art der Brillensteine.
Fig. 5. ist nierenförmig, nach Art der Nierensteine.
Fig. 6. ist flaschenförmig.
Die letzteren 5 Figuren sind schematisch hier dem Raume angepafst, aber in dem
Monatsberichte 1858 nach gemessener Vergröfserung abgebildet worden. Ob meine frühere
Vergleicehung derselben mit den Kügelehen der im Sauerstoff Funken sprühenden Stahl-
feder vergleichbar sind, wie Reichenbach später weiter ausgeführt hat, oder ob sie den
vorigen meteorischen Kalkmorpholithen enger anzureihen sind, muls jetzt dahingestellt
bleiben, verdient aber in Erinnerung gehalten zu werden.
II. Terrestrische Morpholithe.
A”. Feuersteinpüppchen von der Insel Pöhl bei Wismar, mit zwei gekreuz-
ten Axen und schnabelartiger, rechtwinklig vortretender neuer Axenbildung. Die augen-
artigen Punkte sind zufällige kleine Vertiefungen. An der Schnabelspitze und anderwärts
ist zu sehen, dals die Masse eine schwarze, an den Bruchrändern durchscheinende
Feuersteinmasse mit einem grauen Verwitterungsüberzuge ist, welcher mit Säure nicht
braust. Die Gröfse der Abbildung stellt die Hälfte der natürlichen Gröfse dar. Die auf-
fällige, etwas abenteuerliche Sphinx-Gestalt schliefst sich an ‚die vogelartige Gestaltung
der Tunaberger Thonmergel-Morpholithe an. Belemnites mucronatus fand sich gleichzeitig.
B*. Thonmergelpüppchen. Dieser 74 Zoll grofse Thonmergel- Morpholith
wurde bereits im Jahre 1840 der Akademie mit vorgelegt (Monatsbericht p. 144), ist
aber noch nicht abgebildet worden. Er ist deshalb hier dargestellt, um die Entwicklung
soleher Formen aus mikroskopischen Elementen anschaulich zu machen, da die
Figuren 6—8. der meteorischen mikroskopischen Kalkbildungen ihn augenscheinlich er-
läutern. Derselbe ist aus 8—9 Bildungeentris a bis % dendritisch zusammengesetzt, ist
an seiner Oberfläche rauh, sandig, von Farbe dunkelgrau und stammt nach Krantz aus
Bergkalk in der Nähe von Dublin. —
In den Passatstaubverhältnissen sind aulser den hier angezeigten mikroskopischen,
noch scheibenförmige Kalkmorpholithe angezeigt, welche den Schreibkreide-Morpholithen
verwandt, aber durch ihre Gröfse und völlig runde Gestaltung verschieden sind. Aufser
diesen Kalkmorpholithen sind noch diejenigen Körperchen aus Kieselsubstanz in Erinnerung
zu erhalten, welche als Lithasteriscus im Meteorstaube von 1803, 1330, 1846, 18347, 1848,
1349 und 1869 unter den Phytolitharien verzeichnet worden sind, wie auch die sämmtlichen
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 149
Spongolithe und auch viele Poolithe eine selbstständige Fortbildung, oft weit über die Gren-
zen der Zellbildung hinaus, in gesetzmäfsigen Zwillingsbildungen erkennen lassen. Wer
sich den Keppler’schen Poesien über die Weltwolken und die Coneretionen der Himmels-
körper aus feinen materiellen Stoffen hingeben will, dem wird die Morpholith-Bildung,
wozu erfahrungsmälsig der Luzerner Drachenstein und die pyramidalische Gestaltung
der Meteorstein-Fragmente nach Schreibers gehören würden, ein Anhalten geben, von
welchem die ruhige Naturforschung bis heut keinen Gebrauch machen kann.
150
EuresBer: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen ete.
Imıhraulktz
Jetziger Stand der Kenntnisse. pag. 1.
. Historische Nachträge. pag. 14.
. Neue Beobachtungen. pag. 60.
. Tabellarische Übersicht aller organischen Formen des rothen, seit 1847 (1849)
analysirten Staubes. pag. 93.
. Über den beobachteten Gehalt des wirklichen, unsichtbaren selbstständigen Lebens
der Atmosphäre. pag. 97.
. Schädliche organische Atmosphärilien. pag. 105.
. Sonderung der Atmosphärilien in schärfere Gruppen. pag. 110.
. Über morpholithische Schein-Organismen der Atmosphäre. pag. 115.
Über die atmosphärischen Grenzen des Passatstaubes und des organischen Lebens.
pag. 120.
Wünsche für weitere Forschungen. pag. 125.
. Schlufs-Übersicht. pag. 129.
. Erklärung der Abbildungen. pag. 139.
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B. Eisen
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Über
die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung
der krystallinischen Schiefer.
Von
v
H= ROTH.
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 15. December 1870 und am 6. März 1871.]
Erster Theil.
D. Lehre vom Metamorphismus gehört zu den in der Geologie am
häufigsten abgehandelten, aber defswegen keinesweges zu den klarsten.
Schon um defswillen, weil darunter die verschiedenartigsten Dinge zu-
sammengebracht werden und dann, weil der Metamorphismus mit den
letzten und schwierigsten Fragen der Geologie in inniger Verbindung
steht, mit den Ansichten über die ersten Anfänge der Erde.
Man hat häufig die Bezeichnung Metamorphismus auf die Verän-
derungen ausgedehnt, welche das einzelne Mineral erfährt, so z. B. auf
die Verkieselung der Gryphaeen, hier ist jedoch nur der Metamorphismus
der Gesteine in Betracht gezogen. Auch bei diesem wird der Begriff
bald in einen sehr weiten bald in einem engeren Sinne gebraucht. Nimmt
ihn Durocher sehr weit (Bull. geol. (2) 3. 546. 1846), der darunter
„ensemble des effets de transformation, de modification de nature ou de
texture, qwont eprouves les roches“ begreift, so umfalst nach Studer
(Lehrb. phys. Geogr. und Geologie 2. 116. 1847) „Metamorphismus im
weiteren Sinne alle die Einwirkungen, welche durch andere Kräfte als
Schwere und Cohäsion auf die Gesteine ausgeübt worden sind. — Meta-
morphismus im engeren Sinne beschränkt sich auf die Umwandlungen
der Gesteine, welche nicht durch Einwirkung der Atmosphäre oder des
Wassers auf die zu Tage liegende Aufsenfläche, sondern, mittelbar oder
unmittelbar, durch Thätigkeiten erzeugt werden, deren Sitz im Innern
152 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
der Erde zu suchen ist.“ Delesse (Etudes sur le metamorphisme Ann.
min. (5) X1. 90. 1857) bezeichnet als Metamorphismus im weiteren Sinne
alle die Veränderungen (alterations), welche die Gesteine erfahren; Nau-
mann (Lehrbuch der Geognosie ed. I. 1850; ed. II. Bd. I. 406 und 718.
1858) nennt im Gegensatz zu den ursprünglichen Gesteinen diejenigen
metamorph, welche seit ihrer ersten Festwerdung Veränderungen
entweder ihrer Masse oder ihrer Struktur oder auch beider erlitten
haben. Er ist jedoch geneigt nur die eigentlichen Umbildungen als
Metamorphismus zu bezeichnen und die durch Einwirkung der Atmos-
phärilien, der Gewässer und vulkanischen Exhalationen verursachten,
mehr oberflächlichen Zersetzungen (Dialysen) auszuschliessen; Dialyse
und Metamorphismus zusammen geben die Alläosologie. Daubree (Ztu-
des et experiences synthetiques sur le metamorphisme et sur la formation
des roches eristallines in Mem. presentes a l Acad. des sciences XV1. 1860)
begreift unter der Lehre vom Metamorphismus die Lehre von dem An-
theil, welchen bei der Bildung der festen Erdrinde das Wasser und das
Feuer gehabt hat. Da sich so häufig die Wirkung beider neben ein-
ander zeigt, so fragt es sich, ob beide Agentien gleichzeitig oder nach ein-
ander thätig waren. Die Reactionen des Erdinnern gegen die Oberfläche
treten in den Thermen, den Vulkanausbrüchen, den Erdbeben täglich her-
vor; das Hervorbrechen der Eruptivgesteine, die Hebung der Bergketten
sind weitere Beweise derselben. Aber aufserdem giebt es noch derartige
Reactionen, welche nur langsame, verborgene, der unmittelbaren Beob-
achtung wegen der Tiefe entzogene Veränderungen hervorgebracht haben
und ohne Zweifel noch hervorbringen. Wahrschemlich nehmen diese Ver-
änderungen mit der Tiefe zu, so dafs sie endlich dort überwiegend werden.
Daubree zieht daher die Verwitterung, die Zersetzung und die
Wirkung der Thermen in den Kreis seiner Untersuchungen über Meta-
morphismus. Nach seiner Angabe hat zuerst Elie de Beaumont den
normalen oder allgemeinen Metamorphismus vom anormalen, speciellen oder
Contaktmetamorphismus geschieden. Daubree nennt den ersteren Meta-
morphisme regional, den letzteren Metamorphisme de juxtaposition.
Die Veränderung, welche bei diesem das Eruptivgestein erfährt,
nannte Fournet (1847 Bull. geol. (2). 4. 243) Endomorphismus, die
auf das durchbrochene Sedimentgestein ausgeübte Veränderung Exomor-
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 153
phismus. Virlet bezeichnet 1844 (Bull. geol. (2) 4. 845) als Roches
d’imbibition die schiefrigen Gesteine, welche in Folge der Durchdringung
mit eruptiven Serpentin- oder Feldspathmassen ihr ursprüngliches An-
sehen verloren haben und jenen Eruptivgesteinen ähnlich geworden sind,
ohne dals dabei immer Schmelzung stattfand. Sie gehen einerseits über
in das Eruptivgestein, andrerseits in die schiefrigen Gesteine; dahin rech-
net er gewilse Ophicaleite, den Verde antico u. s. w.!).
Haughton?) unterscheidet Hydrometamorphismus und Pyrometa-
morphismus. Bei dem ersteren werden ursprünglich geschmolzene und
in diesem Zustande als Gänge und Adern in Vorhandenes ergossene Ge-
steine später in Bezug auf specifisches Gewicht und Anordnung der Mi-
neralien verändert, und zwar durch Wasser, das bei hoher, aber nicht zum
Schmelzen des Gesteines hinreichender Temperatur einwirkt. Bei dem
Pyrometamorphismus werden ursprünglich sedimentäre geschichtete Bil-
dungen durch Hitze verändert und in die sogenannten metamorphischen
Gesteine umgewandelt. Granit, obwohl im Allgemeinen ein hydrometa-
morphisches Gestein, entsteht bisweilen auf pyrometamorphischem Wege.
Dahin gehört der Granit von Donegal (Irland), Norwegen und vielleicht
der schweizer Alpen.
Nach Delesse (Ann. min. (5) 12. 1857, 13. 1858 und Mem. pres.
a l’Acad. des sciences XVII 1861) charakterisirt sich der normale Meta-
morphismus, der oft von unsichtbaren Ursachen herrührt und sich in
srolsem Maafsstabe verbreitet, durch die mehr oder weniger vollständige
Entwickelung der krystallinischen Struktur; dabei wird das Amorphe
krystallinisch, neue Mineralien entstehen. Seine Ursachen sind hohe Tem-
peratur, Wasser, Druck und vorzüglich Molekularwirkungen. Alle Ge-
steine können ihm unterliegen, sie werden dabei bis zu einem gewissen
(rrade plastisch. Am stärksten sind die ältesten Gesteine verändert. Der
Contaktmetamorphismus, welcher von zufälligen, aber sichtbaren Ursachen
herrührt und meist nur auf kleine Entfernungen wirkt, bezieht sich zu-
nächst auf den Fall, wo das eine Gestein eruptiv ist und nicht in un-
merklicher Weise in das durchbrochene Gestein übergeht, umfalst aber
!) Über die Roches d’imbibition s. Fournet in G£ol. lyonnaise. 375. 1561.
?) Journ. geol. Soc. of Dublin IX. 335. 1862.
Phys. Kl. 1871. 20
154 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
sowohl die Metamorphosen, welche im Augenblick des Ausbruches ent-
stehen, als die, welche später eimtreten können, und zwar sowohl die
Veränderungen in der physikalischen als in der chemischen Beschaffen-
heit. Ähnlich werden nach Delesse die Wirkungen zweier eruptiven
oder zweier sedimentären Gesteine auf einander sein. Seine reichen Beob-
achtungen unterstützt Delesse durch zahlreiche Analysen.
Mit Recht legt im Gegensatz zu dieser Ansicht Naumann Nach-
druck auf die erst nach der Festwerdung ausgeübten Veränderungen.
Nach Naumann (l.c. ed II. 1. 718) ist der normale Metamorphis-
mus eine so allgemeine Erscheinung, dafs er oft garnicht beachtet wird.
Er ist die durch eine ganz allgemein wirkende Ursache hervorgebrachte
Umbildung eines Gesteins, welche dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung
betroffen bat und einer gesetzmäfsigen und nothwendigen Phase in der
allmählichen Entwickelung des Gesteins entspricht. Sand und lose Ge-
rölle, welche durch Cement zu Sandstein und Conglomerat umgebildet
sind; Kalkschlamm, welchen eine durchgreifende innere Umkrystallisirung
zu dichtem Kalkstein macht; stark comprimirte Pflanzenmassen, welche
durch einen still und langsam vor sich gehenden Procefs zu Kohle oder
Anthraeit werden; alle diese Massen und viele andere sind Belege für
die Wirksamkeit des normalen Metamorphismus, der zu einer neuen, oft
stärker als vorher krystallinischen Mineralbildung führt.
Gegen den Ausdruck nothwendige Phase in der allmählichen Ent-
wicklung eines Gesteins lassen sich nicht ungegründete Bedenken erheben.
Wenn nothwendig nichts bezeichnen soll, als unsere Erkenntnils des cau-
salen Zusammenhanges zwischen dem Verändernden und der von ihm
ausgeübten Wirkung, so ist er gestattet. Aber nicht jeder Sand mufs
durch ein eingeführtes Bindemittel Sandstein werden, er wird in dem Zu-
stande des Sandes so lange verharren bis Bindemittel herbeigeführt ist,
und wiederum wird jeder so entstandene Sandstein so lange ein festes Ge-
stein bilden bis das Bindemittel wieder aus ihm fortgeschaftt ist. So wenig
aber jeder Sand Sandstein werden muls, so wenig muls jeder Sandstein
wieder Sand werden. Das Gesetzmälsige liegt nur in der Wiederholung
derselben Wirkung bei Eintritt derselben Ursache. Ebenso erscheint die
Einführung des Begriffes Entwickelung, der aus dem Einzelwesen der
organischen Welt hergenommen ist, nicht unbedenklich. Während dort
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 15449)
der Verlauf ein cyclisch vorgeschriebener, regelmäfsig und nothwendig
bei jedem Individuum wiederkehrender ist, wird bei den Gesteinmassen,
wenn man sie einmal als Individuen betrachten will, die Veränderung,
die Erlangung neuer Eigenschaften je nach Umständen sehr verschiedenen
Ablauf nehmen, dessen causalen Zusammenhang wir einsehen können,
aber nicht die Nothwendigkeit des Zutretens der verändernden Ursachen.
Man wird kaum von einer heutigen Torfmasse sagen dürfen, dafs sie
einst sich zu Steinkohle entwickeln werde, da sich in dieser Umbildung
weder eine Steigerung noch eine Abnahme der Eigenschaften erkennen
läfst, sondern nur eine Veränderung.
Als wichtigste Formen des abnormen oder lokalen, durch nach-
weisliche Ursachen herbeigeführten Metamorphismus unterscheidet Nau-
mann: 1) den durch Verbrennungsprocesse, 2) durch vulk. Gase und
Dämpfe, 3) durch Contakt pyrogener Gesteine !), 4) durch Imprägna-
tion mit Wasser und wässrigen Lösungen herbeigeführten; ferner unter-
scheidet er die Verwitterung, d. h. die Einwirkung von Wasser, Sauer-
stoff und Kohlensäure, dadurch von seinem Metamorphismus auf hydro-
chemischem Wege (4), dafs mit der Verwitterung Verlust an Substanz,
Consistenz und Form verbunden ist. Es erscheint Naumann (l. e. I, 692)
zweckmälsig von den metamorphischen Gesteinen, bei welchen das ur-
sprüngliche Gestein, die Übergänge und die metamorphosirende Ursache
gekannt sind, diejenigen Gesteine als kryptogene abzutrennen, bei wel-
chen diese Kenntnils fehlt, demnach Gesteine von zweifelhafter Entstehung
(l.e. 1. 708) als kryptogen zu bezeichnen. Dahin rechnet er gewisse
(mneilse, die Mehrzahl der Glimmerschiefer, den krystallinischen Thon-
schiefer, die Hornblende-, Chlorit- und Talkschiefer, die mit Glimmer,
Feldspath oder Hornblende gemengten Quarzite und die Kalke der kry-
stallinischen Schiefer.
Ich habe schon früher versucht die einfache Verwitterung, d.h.
die Einwirkung von Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure, von der com-
plieirten Verwitterung zu trennen, welche durch Einwirkung der mittelst
der Verwitterung gebildeten Lösungen bedingt wird, dabei das Verhalten
des Gelöseten und des Restes unterschieden und auf den wesentlichen
1) Metamorphisme par incandescence Boubee 1344.
20*
156 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
Unterschied in dem Verhalten der thonerdehaltigen und thonerdefreien
Mineralien hingewiesen. Ein Unterschied, der um so bedeutsamer wird,
als der Rest der thonerdefreien Mineralien wesentlich alkalıfrei ist; für
den Anbau von Erheblichkeit. Unter Zersetzung suchte ich die Verän-
derungen zusammenzufassen, welche stärkere, dem Erdinnern entstammte
Agentien, oft durch Wasserdampf und höhere Temperatur unterstützt,
bewirken. Dahin gehören Bunsen’s pneumatolytische und zeolithische
Metamorphosen (Pogg. Ann. 83. 1851). Nachdem Daubree (Bull. geol.
(2) 16. 562. 1859 und 18. 109. 1861) gezeigt hatte, dafs Zeolithe sich
schon bei einer Temperatur von 60—70° (Plombieres), selbst von 46°
(Luxeuil) bilden, berechtigt ihr sonstiges Vorkommen zu dem Schlufs,
dafs sie schon bei gewöhnlicher Temperatur entstehen können. Die durch
Zersetzung entstandenen Lösungen üben ähnliche Wirkungen aus wie
die durch Verwitterung und complieirte Verwitterung gebildeten. Alle
diese Vorgänge sind chemische Procefse, deren Verlauf in den meisten
Fällen klar vorliegt und z. Th. durch das Experiment nachgeahmt und
wiederholt ist.
Auf die Verwitterung, Zersetzung und auf Naumann’s normalen
Metamorphismus, soweit er von bekannten Ursachen auf bekannte Ge-
steine ausgeübt wird, ist hier gar keine, auf den abnormen Metamorphis-
mus nur so fern es seine Erkenntnifs überhaupt und die Weite seiner
Wirkungssphäre betrifft, Rücksicht genommen worden. Es handelt sich
vor allen um die kryptogenen Gesteine Naumann’s.
Der Darlegung mag eine historische Übersicht der Lehre vom
Metamorphismus vorausgehn, obwohl Skizzen derselben schon von Oo-
quand, Studer, Naumann, Daubree, Zirkel vorliegen, wenn auch
nicht bis in die neueste Zeit fortgesetzt. Die chronologische Anordnung
ist soviel als möglich beibehalten und Vollständigkeit angestrebt, wenn
auch vielleicht nicht überall erreicht.
Die Lehre vom Metamorphismus konnte erst sich bilden, seitdem
man über die Entstehungsweise der Gesteine nach positiven Beobachtun-
gen und daraus über die Entstehung der Erde begründete Ansichten auf-
zustellen vermochte. Die Mineralogie, die an deren Fortschritt gebundene
Petrographie, die geologische Beobachtung mufsten einen gewilsen Höhe-
punkt erreicht haben, die Hülfe der Chemie mufste der Mineralogie se-
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 157
worden sein, bevor man an die Stelle der rein hypothetischen Behaup-
tung den Induktionschlufs setzen konnte. Erst nach Werner, Füchsel,
Saussure, Pallas, Scheele, Lavoisier u.s. w. war diese Möglichkeit
gegeben. Mit der Erkenntnifs der normalen Lagerungsfolge begann der
Versuch einer chronologischen Geschichte der Erde, mit der Erkenntnifs
des Stoffichen die Frage nach dem Wie, nach der Entstehungs-, und
Bildungsgeschichte. Die Induktion aus dem, was man geschehen sah,
ward begreiflicher Weise, neben dem Experiment, so weit es ausführbar
war, die Brücke zum Begreifen des Vergangenen. Liefs sich diese aus dem
heutigen Geschehen nicht finden, selbst nicht mit Zuhülfenahme der durch
die Induktion sicher festgestellten, älteren Zeiten angehörigen Vorgänge,
reichte die Induktion nicht zu, so mufste die Hypothese aushelfen. Je
weiter zurück in der Zeit die zu erklärenden Vorgänge liegen, je mehr
die Gebilde abweichen von dem heute Entstehenden, je schwieriger und
verwickelter wird die Induktion, und je vorsichtiger wird sie zu Werke
gehen müssen, aber das erscheint nicht als hinreichender Grund um alle
Discussion über die Anfänge der Erde abzuschneiden. Die Fortschritte
der Naturwissenschaft gestatten der geogenetischen Lehre eine gröfsere
Wahrscheinlichkeit zu geben als jemals vorher. Früher ein Theil des
religiösen Mythos, dann ein Stück der Philosophie, später der Knecht-
schaft der mittelalterlichen Theologie verfallen, aus welcher sie dann die
neuere Philosophie befreite, ist, sie jetzt induktiver naturwissenschaftlicher
Behandlung zugängig.
Es ist ein eigenes Geschick, dafs die erste auf positive geologische
Beobachtung gestützte Theorie der Erde, die von J. Hutton, ihn nur
bis zu einer gewissen Stelle führen konnte; bis dahin, wo der leitende
deduktive, teleologische Gesichtspunkt das Weiter verbot, so dals er zur
Lehre vom Metamorphismus gedrängt wurde. Später spiegelt sich ın
dieser die weitere geschichtliche Entwicklung der Geologie ab, in so fern
jeder neue, in die Wissenschaft eingeführte Gedanke, der anscheinend
eine Reihe bis dahin unerklärlicher Thatsachen erläutern konnte, in die
Lehre vom Metamorphismus aufgenommen wird, — oder der rein be-
schreibende Beobachter verzichtet auf eine genetische Theorie überhaupt.
Neben der Annahme einer metamorphischen Entstehungsweise der kry-
stallinischen Schiefer hat sich schon früh die Ansicht geltend gemacht.
\
158 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
die krystallinischen Schiefer seien die ursprüngliche Erstarrungsrinde der
Erde, eine Ansicht, deren Gründe und Wahrscheinlichkeit später darzu-
legen sind.
Es lohnt sich wohl, das System etwas genauer anzusehen, welches
von allen Seiten als Ausgangspunkt der Lehre vom Metamorphismus be-
zeichnet wird. Schon defshalb, weil darin die Anfänge zu Lehren liegen,
deren weitere Ausbildung z. Th. noch heute die geologischen Ideen be-
herrscht. Wird eine gerechte Würdigung rückliegender Anschauungen
schon aus dem Grunde schwierig, weil es nur mühsam gelingt sich die
wissenschaftliche Atmosphäre jener Zeiten klar vorzustellen, so gilt dies
für James Hutton doppelt. Playfair bemerkt in der Vorrede zu
seinen Ilhıstrations of the Huttonian theory (1802, französische Übersetzung
von Basset 1815), „die Dunkelheit der Schriften Hutton’s ist der Grund
der geringen Aufmerksamkeit, welche man diesen scharfsinnigen und eigen-
thümlichen Speeulationen zugewendet hat.“ In der That sind neben dem
Original (Theory of the earth, zuerst 1785 in der Royal Society of Edin-
burgh gelesen, in deren Transactions I. 209—304. 1788 erschienen, später
erweitert in zwei Bänden 1795 herausgegeben) die Illustrationen Play-
fair’s für das Verständnifs sehr nützlich. Viel bekannter und verbrei-
teter als das Original, werden sie viel öfter benutzt als dieses.» Aber sie
geben mehr als das Original, sie sind durch neuere Erfahrungen in man-
chen Punkten ergänzt und verwischen daher in Etwas den Standpunkt
Hutton’s. Von den vier auf dem Titel der Theory angegebenen Theilen
enthalten die beiden Bände nur zwei, der Rest liegt als Manuscript in
Edinburg. Die Worte am Ende des zweiten Bandes: „Es soll jetzt zu-
nächst der mineralogische Theil der Theorie untersucht und es sollen die
Einwürfe widerlegt werden, welche sich aus besonderen Erscheinungen
ergeben“ erlauben einen Schluls wenigstens auf einen Theil des Inhaltes.
Hutton geht von folgender Betrachtung aus: die Erde ist eine
weise eingerichtete Maschine von eigenthümlichem Bau, welcher sie zu
einem bestimmten Zweck geeignet macht, zu dem Zweck nämlich bewohn-
bar zu sein für den Menschen und für Organismen überhaupt. „Die
Erde ist sichtlich für den Menschen gemacht.*!) Daher muls
1) Theory of the earth I. 17. The globe of this earth is evidently made for man.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 159
das Gestein zerfallen (decay) zu einem für Organismen brauchbaren Bo-
den, daher wird der gesammte Detritus in’s Meer geschafft, dort umge-
wandelt und wieder auf die Oberfläche gebracht, um den Kreislauf von
neuem zu beginnen. Die Zerstörung der jetzigen Continente bereitet die
künftigen vor. Die Umwandlung des Detritus geschieht durch die hohe
Temperatur des Innern, durch das unterirdische Feuer !), mag dessen
(Quelle sein, welche sie wolle.“ Das unterirdische Feuer spielt in dem
Haushalt der Erde eine so wesentliche Rolle, und doch ist es bis jetzt
nicht in die Theorien der Erde aufgenommen. Es war vor und seit der
Bildung der heutigen Erde vorhanden, besteht noch jetzt, sogar im Über-
tluls für die Constitution der Erde, aber sehr weise ist gegen alle aus
diesem Überschufs folgende, das System störende Wirkungen ein ge-
eignetes Heilmittel eingeführt.?) Das unterirdische Feuer ist ein
neuer Grundsatz, der als wesentlich in die Theorie der Erde eingeführt
werden muls. ?)*
Überall wird das Land, das harte und feste Gestein allmählich,
wenn auch mit der äufsersten Oekonomie*#), vom Wasser und den At-
mosphärilien mechanisch und chemisch zerstört; das so entstandene lose
Material (Steine, Kies, Sand, Erden, Thone°) wird schliefslich in die
Tiefen des Meeres geführt, ebenso der für die Organimen allein brauch-
bare, aus der Zerstörung des Festen entstandene Boden (soll). Durch die
fortschreitende Zerstörung des Festen würde der Zweck der Erde, be-
wohnbar zu sein für Menschen und Organismen, verfehlt 6) werden, wenn
ib. I. 4. Our sense of wisdom in its formation must depend of its fitness for this purpose
(to be a habitable world) ef. I. 6. 223. II. 184. 546.
') 1.239: Internal heat, subterraneous fire or a certain cause of fusion, by what-
ever name it shall be called, and by whatever means it shall have been procured.
SE NZAAN CH. 12:
3) I. 280 und 12.
*) 11. 153. 197. The land is naturally wasted, though with the utmost oeconomy.
ch 12.197.
») 1. 95. ef. I. 15. The destruction of our land is inevitable ef. II. 97., I. 373.
gradual decay of solid land. II. 557. necessary prineiple of dissolution and decay und
sonst an vielen Stellen.
%) Daher keine grofse Flut, bei welcher ohne ein Wunder das ganze System leben-
der Wesen zu Grunde gegangen wäre I. 273 und II. 184.
160 Rorm über die Lehre vom Metamorplismus
es nicht einen Compensationsprocels!) gäbe, welcher die Abnutzung der
Maschine ausgleicht. Wir sehen aus den eingeschlossnen marinen Resten,
dafs 7; oder 7,5 der uns bekannten festen Erdschichten auf dem Meeres-
boden gebildet sind?), und zwar aus den losen, dorthin geführten Mate-
rialien. Dort werden sie, weit ab von dem Bereich unserer Beobachtun-
gen?) umgeändert (changed), sie werden fest, zu Gesteinen (consohdated),
ihre Zwischenräume werden ausgefüllt, die poröse Struktur wird durch
Schmelzung beseitigt, Bindemittel und fremde Substanzen werden einge-
führt im geschmolzenen Zustand oder aus condensirten flüchtigen Sub-
stanzen *), die Schichten werden mehr oder weniger erweicht oder ge-
schmolzen und gelangen endlich durch die Ausdehnung (expansion), wel-
che die unterirdische Hitze auf sie ausübt, auf die Oberfläche. Im
Meeresgrunde unter Beihülfe eines ungeheuren Druckes?) wird durch das
unterirdische Feuer und nur durch dieses das ursprünglich lose Material
in harte und feste Schichten umgeändert. Alle Mineralien sind wirklich
geschmolzen, alle lassen die Einwirkung der hohen Temperatur und des
hohen Druckes erkennen: die Salzlager, die Kalke mit ihren „Verzahnun-
gen“ (indentation) ®), die Feuersteine?), die Kohlen ®), die Bergkrystalle
mit Wassertropfen®). Zwar ist es schwer von diesen Operationen eine
deutliche Vorstellung zu gewinnen, weil wir sie auch nicht annähernd
2) I. 221. cf. I. 550.
2) I. 26. cf. I. 216 u. fgl.
>) 11. 97. The strata are consolidated in the mineral regions far beyond the reach
of human observation. ef. I. 389 Changed by operations proper to the mineral regions.
#4) 1. 49. Foreign matter may be introduced into the open structure of strata in
form of steam or exhalation, as well in the fluid state of fusion.
5) 1.140. Without attending to this great prineiple (such compression as shall
prevent the decomposition of the constituent substances, by the separation of the more
volatile from the more fixed parts) in the mineralizing operations of subterraneous fire
it is impossible to conceive the fusion and concretion of those various bodies, which we
examine when brought up to the surface of the earth. ef. I. 94.
6) 1.76, 101, 133. Brought into fusion by subterraneous heat without suflering cal-
eination. ef. I. 159.
7) I. 58.
s) I. 612. The production of coal from vegetable bodies — is made by heat and
by no other means, as far we know.
2) :1993:
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 161
nachahmen können, aber man muls doch aus den Wirkungen, der Schmel-
zung der Mineralien, der Bildung von Spalten und Gängen !), auf ein
unterirdisches Feuer schliefsen. Es hebt, zerbricht, faltet, dislocirt durch
die von ihm bewirkte Ausdehnung (expansıon) die nothwendiger Weise
ursprünglich horizontalen oder doch fast horizontalen ?), auf dem Meeres-
boden gebildeten Schichten und bringt sie endlich, je nach dem verschie-
denen Material und dem Grade der Einwirkung des unterirdischen Feuers
zu verschiedenen Gestenen umgewandelt, auf die Oberfläche. Zu diesem
Zweck ist das unterirdische Feuer vorhanden, im Überflufs damit ein
Zukurzkommen vermieden werde, aber es sind auch Mittel ausgedacht,
den Überschufs abzuleiten®). Das sind unsere Vulkane. Sie dienen,
ohne Selbstzweck zu sein, dazu, die unnöthige Hebung des Landes und
die gefährlichen Wirkungen der Erdbeben zu hindern.
(Greschmolzene Massen, den Laven der Vulkane analog, haben sich
als unterirdische Laven #), als nicht ausgebrochene Laven ?) in die noch
untermeerischen Ablagerungen ergossen und sich, bald der Schichtung
parallel, bald als mehr oder weniger vertikale Gänge (dykes), in die Schich-
ten eingedrängt, sie hebend und die Lagerung störend, und zwar ent-
weder während die Schichten noch auf dem Meeresboden lagen oder wäh-
rend der Vorgänge, welche die Hebung des Landes über den Meeres-
spiegel bewirkten.®) Bei der späteren Hebung des Landes finden wir
!) Die Erzgänge entstehen durch Dämpfe, welche sich gelegentlich in den Spalten
des Gebirges verdichten (I. 162). Sie üben dabei eine ungeheure Kraft aus und bewirken
Dislokationen und Zerbrechungen (Il. 132 und 135). Oder die Erzgänge entstehen durch
Einpressen flüssiger Massen von unten her (1. 394); cf. II. 543.
2), 1. 127. 11. 544.
>) 1.146. A vuleano should be considered as a spiracle to the subterranean furnace,
in order to prevent the unnecessary elevation of land and fatal effects of earthquakes;
and we may rest assured, that they, in general, wisely answer the end of their intention,
without being in themselves an end.
*) 1. 154. These subterraneous lavas. cf. II. 416 über die Formen derselben nach
Abwitterung der Umgebung.
>») 1. 160. Unerupted species of lava.
°) U. 508. Unerupted lavas, which had been made to How among the strata
of the earth, when either at the bottom of the sea, or during those operations, by which
this land was erected above the level of the Ocean; cf. II. 520: Granite raising up the strata
and bringing them to the light. Ferner „Monts granit* — invade in a fluid state the
Phys. Kl. 1871. 21
162 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
-
diese in das schon festgewordene und erhärtete Gestein eingedrungenen
Massen entweder in die nicht gestörten Schichten einfach eingeschaltet
oder als Gänge, welche die Schichten gestört und gebrochen haben.
Zu den unterirdischen Laven!) gehören die Trappe, der Whinstone,
der Basalt, die Porphyre, die Granite, welche alle in einander Übergänge
bilden ?). Als Beweis für die hohe Temperatur der unterirdischen Laven
dienen die in der Nähe des Whinstones verkoakten Kohlenlager 3) und
die zu Ooak oder Cinder veränderten Steinkohlen, welche als Ein-
schlüsse in Whinstone vorkommen #). Andere Einschlüsse in den unter-
irdischen Laven sind vielfach geändert, gehärtet und geschmolzen. °)
Demnach hat Alles denselben Ursprung, Alles, was wir jetzt von
festen Theilen der Erde sehen, ist früher auf dem Meeresboden gewesen,
Nichts ist in seinem ursprünglichen Zustand 6), Alles hat Änderungen er-
litten, Alles ist in einem fortdauernden Kreislauf (salutary eireu-
lation). Aber es ist auch Stabilität in den Gang der Maschine gebracht:
für die gegenwärtige Ordnung der Dinge (present order of things)
ist weder ein Anfang abzusehen noch ein Ende’). Die Maschine
ist vollkommen, ihres Schöpfers würdig. Sie bewahrt sich selbst gegen
strata from below, when they were under water; and which masses had served to raise
the country above the level of the Ocean; ef. 1. 152: The strata appear to have been
broken and the two correspondent parts of those strata are separated to admit the flo-
wing mass of whinstone; cl. 1. 155: The strata are not broken, the whinstone is inter-
jected in form of strata, having various degrees of regularity and being of different
thickness.
!) Da sie unter grolsem Druck erstarrt sind, so können sie (und ihre Mandelsteine)
Zeolithe und Kalkspath enthalten, welche in den Larven der Vulkane nicht vorkommen
1.156. Die bei dem Aufhören des Druckes aus dem Kalk entweichende Kohlensäure
bewirkt das Aufkochen (ebullition) in den Vulkanen und die Bildung der Bimsteine und
Aschen. Der Kalk bedingt die Verglasung. I. 157.
?) 1. 317. They graduate into each other and may be considered as the same.
>») 1. 604. burning without smoke. Wohl der erste Nachweis des Contakt-
metamorphismus durch hohe Temperatur des Durchbrechenden.
*) 1. 611. In the harbour of Ayr a whinstone dyke traverses the coal strata and
includes some of that substance in the state of coaks or einder.
5) 1. 158. And this had been performed by heat or fusion.
°%) 1. 254. There is nothing to be found in an original state, so far as we see, in
the construction of this earth; ef. I. 3753. 11. 157. 560.
°) 1. 200. We find no vestige of a beginning, no prospect of an end; cf. II. 469.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 163
jeden Unfall, welcher ihren Zweck vereiteln könnte !), sie arbeitet stätig
und gleichmälsig mittelst des Systems von Zerfall und Erneuerung?)
(system of decay and renovation), sie hat immer die Kraft der Jugend
und die Vollkommenheit des reifsten Alters®). So ist also die Theorie
der Erde auf die gröfsten Katastrophen gegründet, welche die Erde
treffen können, nämlich Hebung vom Meeresboden aus bis zu den höch-
sten Theilen der Continente, und Wiedereinsenken, Begrabenwerden unter
das Wasser, aus welchem die Erde aufgestiegen ist. #)
Über den Zustand der Dinge, bevor die jetzige Erde auf dem
Meeresboden gebildet wurde und sich dann aus dem Meere erhob, spricht
Hutton sich folgender Maafsen aus. „Ich erkühne mich nicht, den Anfang
der Dinge zu beschreiben, ich nehme sie, wie ich sie jetzt finde?). Von
dem Zustande ausgehend, in welchem die festen Theile der Erde jetzt
gefunden werden, habe ich Zustände, in denen sie vorher gewesen
sein müssen, zu verfolgen gesucht®). Die Beschaffenheit des jetzigen
Landes lehrt, dafs es aus der Zertrümmerung eines ähnlichen hervorging;
das Thierleben in der alten See war nicht verschieden vom jetzigen 7);
die Steinkohle zeigt, dals eine Pflanzenwelt vorhanden war.®) Es mag
unendliche Zeit gedauert haben, ehe unsere jetzigen Continente entstan-
den, eine ebenso unendliche Zeit, bis die früheren Oontinente fähig wurden
!) 1. 275. That wise construction, by which this earth is made to answer the pur-
pose of its intention and to preserve itself from every aceident by which the design of
this living world might be frustrated.
2) 11.563.
3) I. 539:
+) 11. 445. cf. I. 198. We suppose a due proportion to be always preserved of
land and water upon the surface of the globe, for the purpose of a habitable world, such
as this which we possess. We thus, also, allow time and opportunity for the translation
of animals and plants to occupy the earth.
°) I do not pretend to deseribe the beginning of things; I take things such as I find
them at present. I. 173.
%) It is from this actual state in which the solid parts of the earth are found,
that I endeavoured to trace back the different states in which they must have been.
I. 234.
‘) Humphry Davy’s Kritik der Ansichten Hutton’s über die Bildung der Sekundär-
ablagerungen in Consolation of travel.
8) 1]. 175 und 195.
21
164 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
Organismen zu beherbergen. Es folgt auch, dafs die von uns bewohnte
Welt zusammengesetzt ist aus Materialien nicht der Erde, welche der
jetzigen unmittelbar vorherging, sondern der Erde, welche wir von der
jetzigen ausgehend, als die dritte betrachten !). Sie ging nämlich dem
Lande voraus, welches sich, während unser jetziges Land noch im Ocean
lag, schon über dem Meere befand. So folgt eine Reihe von Welten auf-
einander, und es ist vergeblich weiter rückwärts zu blicken über den Ur-
sprung der Erde, rückwärts hinaus jenseit des nothwendigen Fortganges
der gegenwärtigen Ordnung?). So kommen wir zu einer Periode, hinter
welcher wir keine andere entdecken können. Das ist die Grenze unserer
rückblickenden Anschauungen ?). Eine Theorie der Erde, welche Wahr-
heit anstrebt, kann nicht weiter zurückgehen #). Und wenn wir voraus-
blicken, wie können wir das Ende des weisen Systems absehen, welches
so vollständig die Zwecke seines Schöpfers erfüllt“? >)
Über die sogenannten primitiven Gesteine äufsert sich Hutton in
folgender Weise. „Man hat Granit, Gneils, Glimmerschiefer als primitiv
ausgegeben, als Gesteine, welche einen anderen Ursprung haben als die
übrigen. So weit sie geschichtet sind, liegt in der Schichtung (stratifi-
cation) ein Beweis für den Absatz aus Wasser®). Wofern Granit massig
ist 7) und ungeschichtet ähnlich wie Whinstone, Trapp, Basalt, ist er wie
diese „im Innern der Erde geflossen und durch Änderung des Platzes
sichtbar geworden“). Granitgänge sind von der nahen Hauptmasse
in die geschichteten Schiefer als unterirdische Lava eingedrungen ®). Die
wellenförmige (waved) Struktur der alpinen Schiefer zeigt, dafs diese Ge-
steine, obwohl sie nicht in Fluls waren, doch solchen Grad von Weiche
DEal199: \
2) 1. 277. Necessary progress of actual things. ef. II. 257.
°») I. 223 und 224.
#) 1. 251. This present order alone is what we have to reason upon.
5) II. 564. „limitation of our retrospect as well as prospect.“ cf. I. 224.
6) I. 316.
?) 1. 316. Granite in mass or irregular in its construction.
s) 1. 317. Having flowed in the bowels of the earth and thus been produced by
the change of place.
») I. 318.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 165
erreichten, dafs die ursprünglich graden Schichtungslinien in die welligen,
bisweilen sehr stark gekrümmten Linien umgeändert werden konnten !).
Primitive Gesteine giebt es überhaupt nicht; alle Gesteine, die Granite,
die verschiedenen Schiefer u. s. w. entstanden in der angegebenen Weise ?).
Auch nachdem Hutton in Glen Tilt Granitgänge beobachtet hatte (1785),
hielt er an dieser Ansicht fest (Trans. R. Soc. Edinb. Ill. 1794).
Als Gründe für die Existenz des primitiven Gebirges werden an-
gegeben: 1) der Mangel an Versteinerungen in den Kalken des primitiven
Gebirges, 2) der Mangel an Schichtung, 3) die Vertikalstellung der ge-
schichteten Massen ?). Enthalten die sogenannten primitiven Gesteine
wirklich keine marinen Reste, so beweiset das nicht, dafs sie nicht im
Meer gebildet sein können. Denn die Spuren der Organismen können
durch manche nachfolgende Operationen der Mineralregion verwischt sein,
und dafs solche Operationen, vielleicht mehr als ein Mal in demselben
Gestein, vorgegangen sind, geht aus dem jetzigen Verhalten dieser Massen
zweifellos hervor *#) Aufserdem wechsellagern (we find alternated) Sand-
steine mit organischen Resten oft mit solchen, welche keine organischen
Reste enthalten °). Besteht auch für die Reihenfolge der Dinge und für
die Cireulation der Materie auf der Erdoberfläche eine bestimmte Ord-
nung, so können doch auch heftigere Zerstörungen unsere Continente
treffen, welche wie auf Pfeilern ruhen. Die unteren Massen können öftere
und stärkere Veränderungen erfahren haben; ihre Struktur, ihre Lage,
ihre Härte kann in höherem Grade verändert sein als gewöhnlich 6). Die
stärker veränderten Schichten sind gewöhnlich stark geneigt, sie stehen
oft vertikal. Hutton unterscheidet diese Bildungen als alpine strata, schistus
mountains, elevated country, primary mountams?) von dem low oder flat
country, den secondary strata. Als Drittes kommt hinzu, was in beliebiger
1) 10318.
?) I. 319. Nature has formed the granite upon the same principle with that of
any other consolidated stratum. ef. I. 323 und 449.
3) 1.320.
#) 1.325.
5) I. 364.
6) I. 371—376. 389.
7) 1.423. 427—438. 11. 47.
166 Rorn über die Lehre vom Metamorphnsmus
Form oder Qualität später die Bildungen durchsetzt, sei es als Basalt,
Porphyr, Granit oder nur als ein Metall, eine kieselige Substanz, ein
Spath!). Manche Stücke des festen Erdkörpers können im Vergleich mit
anderen weniger veränderten als früher gebildet betrachtet werden, als
primär im Gegensatz zu den secundären ?); aber alle sind auf dieselbe
Weise gebildet. Die Grenzfläche der gehobenen Schichten wurde vom
Meer abgewaschen, denn die Hebung geschah ja unter dem Meeresspiegel,
und nun konnten sich horizontale Schichten später auf die gehobenen
auflegen. Oder die gehobenen Schichten konnten nach ihrer Hebung
über den Meeresspiegel der Verwitterung unterliegen und wieder unter-
sinken, wo dann die Auflagerung neuer horizontaler Schichten erfolgte ?).
So liegen daher horizontale Schichten auf den gehobenen und oft Con-
glomerate und Puddingsteme an der Grenze der gehobenen und gefalteten
alpinen Schiefer und der horizontalen low country strata. Aber weder
der Mangel an Schichtung, eine Wirkung des stärkeren Schmelz-
processes, noch die Vertikalstellung der geschichteten Massen, ein Resul-
tät der stärkeren Hebung, berechtigen für das sogenannte Urgebirge einen
anderen Ursprung anzunehmen als für das übrige Gebirge. „Alles was
wir an festen Theilen auf der Erde sehen, mit Ausnahme der lockeren,
durch das Wasser jetzt entstehenden Absätze, ist auf dem Meeresboden
gebildet, dort verändert und dann an das Tageslicht gehoben. Die der
Zeit nach ältesten Bildungen mag man primär nennen, die folgenden se-
eundär #), aber primitive Gebirgsarten giebt es nicht.“
1) 1. 597. Thirdly, that which has been of posterior formation to the strata which
it traverses, in whatever shape or quality; whether as a mountain or only as a vein;
whether as a basaltes, a porphory or a granite, or only as a metal, a siliceous substance,
or a spar. ?
2) 1.323. 371.
>) 1.435. 449. 453. 470.
!) Über die von Pallas (Observations sur la formation des montagnes 1777) als ter-
tiär bezeichneten Ablagerungen (what, according to the present fashion of mineral phy-
losophy, he has termed „montagnes primitives, secondaires et tertiaires* I. 360), spricht
sich Hutton dahin aus, dafs die darin enthaltenen marinen Reste aus festen und ähnlich
wie alle übrigen gebildeten Gesteinen ausgewittert sind und mit den Knochen und Skeleten
der Landthiere zusammen vom Flufswasser gemischt wurden. Die tertiären Schichten von
Pallas sind also Süfswasserabsätze und bilden keine Ausnahme von dem Gesetz.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 167
Die auffallenäste Erscheinung bei Hutton ist die starre Conse-
quenz in der Durchführung der von ihm angenommenen Grundsätze.
Sie bringt ihn zu einer bisweilen durchaus scholastischen Behandlung des
Gegenstandes. Fern davon, dafs seine Theorie dem theologisch - ortho-
doxen Interesse dienen sollte — er mulste sich (I. 222) gegen den Vor-
wurf des Atheismus verwahren — ist der teleologische Gesichtspunkt!) der
entscheidende und seine Methode wesentlich deduktiv ?). Hutton denkt
von dem Experiment als Beweis für seine Theorie sehr gering. Er tadelt?)
„die Männer, welche über die grofsen Operationen im Mineralreich ur-
theilen, nachdem sie ein Feuer angezündet und auf den Boden eines
kleinen Tiegels gesehen haben.“ Er glaubte nicht, dafs eine Schmelzung
des kohlensauren Kalkes unter Druck, wie seine Theorie sie verlangt und
wie er sie voraussetzt, herstellbar sei; er verwarf den Vorschlag Sir
James Hall’s diesen Versuch anzustellen, der bei seinem nothwendigen
Mifslingen die hinreichend festgestellten Sätze in Mifskredit bringen könne ®);
der Beweis durch das Experiment schien ihm unnöthig. Dennoch ent-
hält Hutton’s Theorie, verglichen mit den früher vorhandenen °), einen
wesentlichen Fortschritt. Die Zeitgenossen nannten das neue System,
im Gegensatz zu dem bis dahin fast allgemein geltenden neptunischen,
das plutonische®). Die Einführung des unterirdischen Feuers und des
Druckes in die Geologie, ohne die Mitwirkung des Wassers auszuschliefsen,
ist Hutton’s Werk und sein grofses unbestrittenes Verdienst, wenn er
auch dem Entstehen auf nassem Wege ein zu kleines Gebiet anwies.
.
Die fast ängstliche Scheu den Anfängen der Erde nachzugehen,
1) 1.161. Gold und Silber findet sich nicht überall, da sie für ein bewohnbares
Land nicht nöthig sind, aber Eisen kommt überall vor und oft in der Verschwendung,
welche seinem Nutzen entspricht. ef. I. 11. „der Zweck von Elektrieität und Magnetismus
in der Oekonomie der Erde ist noch nicht entdeckt.“
?) Die Theorie über den Granit war lange vorher fertig, ehe er die „Instantia erueis“
am Glen Tilt sah. Playfair Works IV. 73.
3) I. 291. ce 11.367.
4) Sir James Hall. Transact. R. Soc. Edinb. VI. 74. 75. cf. Playfair IV. 62.
„In his view of the matter no other proof (als die Theorie) seemed necessary.“
5) Hutton’s Kritik derselben s. I. 271. Seine Widerlegung der Werner’schen
Ansichten ist in England als „final extinetion of that german romance“ bezeichnet worden.
6) Nach Playfair Works I. 145. rührt der Name von Kirwan her.
168 Korn über die Lehre vom Metamorphismus
die gänzliche Negation der morphologischen Weltanschaung fällt um so
mehr auf, als Kant schon 1755 „die Naturgeschichte und Theorie des
Himmels“ veröffentlicht hatte und nach Playfair (Works IV. 61) die
Theorie Hutton’s erst nach 1760, sicher vor 1783 datirt. Wahrschein-
lich kannte (l. c. 88) Hutton!) die Monadenlehre von Leibnitz; ohne-
hin konnten ihm nach seiner Investigation?) of the principles of know-
legde and of the progress of reason from sense to science and philosophy
(3 Bde. 1794) derartige Ideen nicht fern liegen.
Hutton’s Theorie ist die letzte der zahlreichen, vor dem Auf-
schwung der Naturwissenschaften entstandenen, geogenetischen Ansichten,
aus welcher noch heute Anschauungen erhalten geblieben sind. Play-
fair wendet die Bezeichnung osservatore oculatıssimo auf Hutton an,
dessen geologische Untersuchungen in Schottland, England, Frankreich
und in den Niederlanden den ausgezeichneten Beobachter beurkunden. ®)
Er gebraucht das Wort metamorphosirt erst, nachdem er es
(1. 501. 504) aus de Carosi (Sur la generation du sılex. 1783) als „de-
gres de metamorphoses de la marne en stlex* citirt hat, aber ıhm scheint
(1. 526) diese „chymical transmutation* höchst unverständlich, und das
Wort kehrt defshalb später nicht wieder. Wenn Patrin (J. de physique
1791) von einer inneren Arbeit (travarl interne) redet, welche durch das
in's Innere der Gesteine dringende und gewifs nicht reine Wasser be-
wirkt wird, so nennt Hutton (l. 555) diese Voraussetzung eine phan-
tastische ®).
In die geltende Terminologie übertragen, sind also nach Hutton
alle festen Gesteine ursprünglich Sedimente, welche durch hohe
Temperatur unter hohem Druck und zwar auf dem Meeresboden ver-
ändert wurden, sie sind also sämmtlich marin. Die Schmelzung kann
dabei soweit gehen, dafs die untersten Schichten feurig flüssig in die dar-
über liegenden, schon fest gewordenen eingetrieben werden, so dals sie
1) Playfair IV. 88. He paid little regard to authority in matters of theory.
?2) Playfair IV. 92. gibt eine kurze Übersicht des Inhaltes.
53) Hutton war der erste, der auf die Eindrücke der Krystalle bei plutonischen
Gebirgsarten (zuerst bei Schriftgranit) hinwies und daraus auf Schmelzung schlols.
4) ef. 1. 529. „a mineral metamorphosis, which certainly is not found in any other
part of the world.“
und die Entstehung der krystallimischen Schiefer. 169
als submarine Eruptivgesteine das Überliegende durchbrechen und durch
ihre Temperatur verändernd einwirken können. Bei geringerem Grade
der Erweichung und dem grofsen Druck wird die Schichtung in dem frü-
heren Sediment erhalten bleiben; so in den krystallinischen Schiefern,
Die krystallinische Bildung überhaupt kann nach Hutton nur durch
Schmelzung bewirkt werden, nirgend durch Krystallisation aus wässriger
Lösung.
Es ist kein geringes Verdienst Hutton’s, dals er so grofsen Nach-
druck auf die Wirkungen der jetzt vorhandenen Ursachen legt, wenn er
auch einen Theil derselben verkennt, namentlich den bei der Bildung
fester Sedimente, der Mineralien der Mandelsteine u. s. w. in Betracht
kommenden. Die Lehre, dafs nur die noch heute wirkenden Kräfte (actual
causes) zur Erklärung der geologischen Erscheinungen zu verwenden sind,
der Actualismus, führt ıhn, wie seine Nachfolger, zwingend zum Meta-
morphismus. Er lehnt es vollständig ab über den Ursprung des Central-
feuers eine Ansicht zu geben, er nimmt es einfach als gegeben, da er es
für seine Theorie nothwendig braucht. Die cycelische Reihe der Kata-
strophen steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner teleologischen
Anschauung.
Ist es nach diesen Ausführungen gerechtfertigt in dem Ultraplu-
tonismus Hutton’s die Grundlage der jetzigen Lehre des Metamorphismus
zu sehen? Geht sie von Hutton aus, so hat er der Wissenschaft damit
ein Danaergeschenk gemacht.
Die Anschauungen der Erklärer und Nachfolger Hutton’s spricht
Playfair in seinem Leben Hutton’s (Transaet. R. Soc. of Edinburgh
Vol. V. 1805; Works 1822. IV. 50) dahin aus: „Hutton wollte nicht den
ersten Anfang der Dinge erklären, für ein solches Wagnils (attempt)
war er zu gut geschult in den kegeln einer gesunden Philosophie. Er
beschränkte daher seine Speculationen auf die Veränderungen, welche die
irdischen Dinge seit Eintritt der gegenwärtigen Ordnung erfahren haben.“
In seinem Bericht über den Compte rendu par Institut de France (Edin-
burgh Review 1809; Works IV. 370) drückt er sich folgender Maalsen aus:
„Wenn die Geologie den Ursprung der Dinge behandeln will oder rück-
wärts gehen bis zu einer Periode, wo die Zusammensetzung der Mineral-
körper verschieden war von der jetzigen, so stimmen wir damit überein,
Phys. Kl. 1871. 22
170 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
dafs das Ganze eine unphilosophische Illusion ist; denn die Grundsätze,
welche auf unsere Erfahrung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge ge-
gründet sind, können nicht auf das angewendet werden, was vor Her-
stellung dieser Ordnung bestand.*
Nachdem der lange und erbitterte Streit über die Entstehung zu-
nächst der jüngeren Eruptivgesteine, besonders der Basalte, ob plutonisch ob
neptunisch, ausgekämpft, die normale Lagerungsfolge der Sedimente genauer
festgestellt war, und namentlich durch Cuvier und Brongniart, die
erste bedeutungsvolle Verbindung eines Zoologen und eines Geologen, die
Palaeontologie zu ungeahnter Höhe sich entwickelt hatte, waren die An-
sichten über die Entstehung der plutonischen und vulkanischen Eruptiv-
gesteine und über die Entstehung der Sedimente ziemlich allgemein an-
genommen. Nur die Reihe der ältesten Sedimente, das Übergangsgebirge,
bot durch seine Verbindung mit den krystallinischen Schiefern noch immer
ein schwer zu erklärendes Problem, welches durch den engen Verband
des Gneisses mit Granit noch verwickelter wurde. Die Veränderungen,
die im Laufe der Zeiten durch genügend bekannte Ursachen ein Sedi-
ment erfährt, waren von vielen Seiten untersucht; die Beschäftigung
mit den Vulkanen hatte auf die Wirkungen hoher Temperaturen und auf
den Einflufs der Gase und Dämpfe geführt; zahlreiche Versuche über
Schmelzung der Gesteine, darunter die von Sir James Hall unter An-
wendung hohen Druckes, die von Gregory Watt, Gerhard u. s. w.
waren ausgeführt; die Lehre vom Centralfeuer war von vielen Seiten be-
stätigt, erweitert und angenommen.
Schon 1806 hatte Heim (Geol. Beschreibung des Thüringer Wald-
gebirges Il. Abth. 5. 121) die Umänderung der Kalke in Dolomite von
„elastischen Dämpfen und Gasen“ abgeleitet; Leopold von Buch sprach
18221) ähnliche Ansichten aus, nach welchen Dolomite Kalksteine seien,
welche „durch Zutreten von kohlensaurer Magnesia aus dem Innern her-
1) Nöggerath. Das Gebirge in Rheinland-Westphalen III. 281.
L. von Buch war 1814 vor der Reise nach den Canaren in England. Bei der
Sorgfalt, mit welcher er die Litteratur verfolgte, kann man seine Bekanntschaft mit Hut-
ton’s Arbeiten kaum bezweifeln.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 171
vor zu der neuen Form umgewandelt wurden. Augitgesteine bewirken
diese Veränderung.“
Hier zum ersten Mal treten das plutonische Prineip der Gebirgs-
theorie, die Hebungstheorie, und die Theorie des Metamorphismus im
Zusammenhang auf, der später namentlich durch Elie de Beaumont
so sehr erweitert wurde.
Schon früher waren neben hoher Temperatur Gase als Agens ein-
geführt. Nach Breislak (Instit. geol. Parıs 1818. I. 581—385) ist die
Schieferung kein Grund gegen die Annahme eines feurigen Flusses, da
entschieden plutonische Gesteine Schieferung zeigen. Die krystallinischen
Schiefer sind ihm daher plutonischen Ursprungs!). Da die Erstarrung
unter Gasentwicklung vor sich ging (I. 361), wobei die Gasströme plötz-
lich eine grolse Wärmemenge entzogen, so konnten während der Erstar-
rung die Lösungen des Zusammenhanges (separations de continwite) je
nach den verschiedenen Umständen der Erkaltung und den verschiedenen
Impulsen der Gasströme verschiedene Richtungen, die vertikale, geneigte,
oder die horizontale, annehmen.
Hier werden also die Gase zur Erklärung der Schichtenstellung
der krystallinischen Schiefer verwendet. Breislak nimmt auch an, dafs
etwa kaustisch gewordener Urkalk (l. 418) — der Urkalk ist ihm nach
der Lagerung plutonischen Ursprungs — wiederum Kohlensäure aufnahm
aus den bei der Abkühlung entwickelten Gasströmen.
Die Verbindung der krystallinischen Schiefer mit mineralogisch
ähnlichen und ebenfalls schiefrigen Gesteinen hatte um diese Zeit zu zwei
gegenüber stehenden Ansichten geführt. Nach der einen sollten alle diese
Gebilde rein neptunischen Ursprungs sein, nach der anderen die krystalli-
nischen Schiefer den plutonischen Ursprung des Granites theilen. Der
Entwicklung der Gase und ihrer Einwirkung auf Bildung, Beschaffenheit
und Umänderung der Gesteine war vielfach gedacht worden. Der nächste
Schritt lag also nahe: die neptunische Entstehung der krystallinischen
Schiefer mit Werner festzuhalten und den Gasen und Dämpfen, welche
schon Hutton in seine Theorie eingeführt hatte (s. S. 161), eine hervor-
ragende Stelle bei der Bildung der krystallinischen Schiefer zuzuschreiben.
1) Ebenso die Granite 1. c. I. 360. 370.
3 Rormn über die Lehre vom Metamorphismus
Diesen Schritt that Boue. Er hatte seine seit 1817 in Schottland, dem
Vaterlande Hutton’s, angestellten Beobachtungen in dem Essar geologique
sur TEeosse 1820 niedergelegt und brachte die Anschauungen Hutton’s
nach Frankreich und Deutschland mit. Es war begreiflich, dafs er von
Hutton das Centralfeuer und den Druck aufnahm, ohne jedoch das
ganze System Hutton’s anzuerkennen, von welchem ein Theil durch die
späteren Untersuchungen unhaltbar geworden war, ähnlich wie ein grofser
Theil des Werner’schen Systems. Der Ansicht, dafs die krystallinischen
Schiefer einfach plutonischen Ursprungs, die krystallinische Erstarrungsrinde
seien, stehen nach Bou&!) vier Einwürfe entgegen: die Schichtung, welche
sich bei keinem sicher plutonischen Gesteine wiederfindet; der Übergang
der Gneifse und Glimmerschiefer (Urthonschiefer ist nach Bou&@ nicht vor-
handen ?) in Zwischengesteine (roches intermediatres, Thonschiefer, talkige,
quarzige, glimmerige Schiefer und Grauwacke); die Kalke der Urschiefer,
welche Übergänge zeigen in fossilhaltige Kalke; endlich die Möglichkeit,
alle Erscheinungen der krystallinischen Schiefer auf eine andere Weise zu
erklären, welche zugleich den chemischen, physikalischen und geologischen
Daten anscheinend genügt. Nach Bou&’s Ansicht ?) bewirkten die Agen-
tien, welche die Ausbrüche der granitischen Gesteine vorbereiteten oder
begleiteten, nämlich hohe Temperatur und Gasausströmungen aus dem Erd-
innern, in den aus Trümmern der ältesten Gesteine oder der Erstarrungs-
rinde entstandenen Schiefern allmählich und unter mehr oder minder
hohem Druck eine Art feurigen Flusses, ähnlich wie ihn de Dr&e (Journal
des mines No. 139. 1808 #) beschreibt. Die Elemente der Schiefer büfsten
dabei einen Theil ihrer Cohäsion ein, ihre Gemengtheile entfernten sich
von einander: in die so entstandenen Zwischenräume schoben sich die
1) Mem. geol. sur le Sud-ouest de la France. (Ann. d. sc. natur. II. 415. 1824)
„la eroüte ignee oxidee et cristallisee des masses qui composent linterieur du globe ou
l’enveloppe de ce noyau central.“ cf. Edinb. phil. J. 1823. Juli und Bull. soc. geol. 14. 417.
1843. und Essai sur l’Ecosse p. 455.
2) J. dephysique Bd. 94. 301. 1822. „Je nie qu’il y ait une formation de schiste
argileux primitif.“ On doit regarder le schiste argileux comme un premier groupe du
terrain intermediaire. ib. 401.
3) Ähnlich in Leonhard Taschenbuch f. d. gesammte Mineralogie. 21. II. p. 1. 1827.
*) Textur und Vertheilung der Gemengtheile sind nach halber oder ganzer Schmel-
zung unverändert erhalten.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 175
Produkte der Gasemanationen, die Sublimate ein. So konnten in gewissen
durch die Cohäsion bedingten Grenzen chemische Verwandschaften in
Wirkung treten und die Gesteine während der Schmelzung und langsamen
Abkühlung kıystallinisch werden ohne wesentliche Zerstörung der ur-
sprünglichen Blätterstruktur (structure fewlletee primitive). Nach dieser
gewagten Theorie (theorie hardıe) „würde der Grad der Krystallinität von
der Gröfse der genannten Einwirkungen abhangen und die Identität der Ge-
mengtheile in Granit und krystallinischen Schiefern sich leicht erklären.
Die Urkalke werden keine organische Reste enthalten, weil diese in die
Masse eingeschmolzen wurden, die Mineralien der Urkalke von dem Grade
der Reinheit der Kalke oder von ihrer Mengung mit Thonschiefer her-
rühren, der Graphit von kohligen, durch hohe Temperatur veränderten
Partien. Wollte man einwenden, dafs diese Theorie Gesteine als vorhan-
den gewesen voraussetzt, von denen man keine Spur mehr findet, so ist
zu erinnern, dafs ja auch die ältesten Sedimente Brocken von Gesteinen
einschliefsen, welche man anstehend nicht kennt.“
Der zuweit getriebene Plutonismus Hutton’s hatte Bou& zu der
wenn auch modifieirten neptunischen Ansicht zurück geführt, neben wel-
cher er den feurigen Flufs der Eruptivgesteine beibehielt. Es war ein Ver-.
mittelungsversuch, bei dem es sich zunächst um die krystallinischen Schie-
fer handelt. Noch 1866!) spricht sich Bou& dahin aus, dafs der Meta-
morphismus der krystallinischen Schiefer ein langsamer, lange fortgesetzter,
chemischer Procefs war, welcher bei einem gewissen Druck vor sich ging.
Im entschiedensten Gegensatz gegen alle geltenden Ansichten trat
Keilhau auf, in der schärfsten Opposition gegen das bisher Angenommene.
Selbstständige geologische Untersuchungen führten ihn zu einer Ansicht,
die fast ganz isolirt geblieben ist, wie sie denn ihrer Natur nach keine
Anhänger gewinnen konnte. Sie erinnert an die romantische Schule der
deutschen Litteratur, der das Wunder gesetzmäfsiger und erklärlicher er-
scheint als das gewöhnliche Geschehen.
Keilhau (1823—1850?) gelangte zunächst durch die geologische
‘) Bull. geol. (2) 23. 302. 1866.
2) Aulser Aufsätzen im Magazin for Naturvidenskaberne und in Pogg. Ann. seit
1823 namentlich in „Darstellung der Übergangsformation in Norwegen“ 1824, Nyt. Mag.
174 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
Untersuchung von Norwegen!) zu der Ansicht, dafs sehr viele massige
Gebirgsarten nur transmutirte — nach Substanz und Form umgewandelte
— Sedimente sind, so dafs sich Übergänge zwischen beiden verfolgen
lassen. Diese Transmutation fand durch eine ruhig fortschreitende Thätig-
keit in den starren Massen statt ohne Mitwirkung eines ungewöhnlichen
Wärmegrades oder von Gasen und Sublimationen; sie ist nicht an die
Nähe ungeschichteter, sogenannter vulkanischer Gesteine gebunden. Da
nach Keilhau Granit in Urgneils übergeht?), so ist dieser Granit um-
gewandelter Gneils, so fern nämlich diese Gebirgsart damals in der Gneils-
form vorhanden war; es brauchten nämlich damals nur die Massen vor-
handen zu sein, aus deren Umwandlung später Gneils hervorging. Das für
Gmeils Geltende ist auf alle krystallinischen Silikatschiefer und auf ihre
Kalke auszudehnen; sie alle haben sich auf dieselbe Weise gebildet wie
Granit, Porphyr u.s. w.; es wurden, wenn auch nicht nachzuweisen ist
wie es geschah, auf hydrogenem Wege entstandene Absätze bei gewöhn-
licher Temperatur transmutirt. Soweit die Transmutation chemisch un-
erklärlich ist, folgt daraus nur, dafs die Chemie die zur Erklärung noth-
wendige Entwicklungsstufe noch nicht erreicht hat?). „Der Thonschiefer,
das zur ausdrücklichen Bekräftigung der Transmutationstheorie aufbe-
wahrte Glied des Urgebirges, ist der Inbegriff der wenigen Schichten, welche
in verhältnilsmälsig wenig verändertem Zustand erhalten wurden. Die
Unterlage der Gmneilsformation kann möglicher Weise sedimentärer Ent-
stehung, vielleicht auch wirkliches Urgebirge sein d. h. die Erstarrungs-
rinde, zu welcher der Gmeifs nicht gehört.“
f. Nat. I. 1835; Gaea norvegica 1833—1S51, und Nyt. Magaz. IV. 1845. 267—331. In
Professor B. M. Keilhau’s Biographie von ihm selbst. Christiania 18357. das Verzeich-
nils der Schriften.
!) Es ist kaum nöthig auf die späteren Arbeiten von Kjerulf hinzuweisen, durch
welche die stratigraphischen Verhältnisse ihre genaue Darlegung erfuhren.
2) „Die Granitification, welche unstreitig hauptsächlich den Übergangsthonschiefer
traf, ist doch an vielen Punkten sogar über die Grenzen jenes Schiefers hinaus in die
nächsten Theile der Gneifsformation hinein geschritten.*“ Des Herrn Dr. von Dechen
Gutachten mit Anmerkungen von B. M. Keilhau. Christiania 1840. 25. „Der Granit
des Cheistiania-Territoriums ist hauptsächlich eine Epigenie des Übergangsthonschiefers“
ib. 64.
3) Ähnlich Coquand (Bull. geol 2. 335. 1841).
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 175
Niemals ist das Geheimnilsvolle der Transmutation bestimmter aus-
gesprochen als von Keilhau. Er ıäfst sie physikalisch betrachtet durch
einfache Molekularaktion bewirkt werden und ohne sich um das che-
misch Unmögliche zu kümmern. Er nimmt an, dafs die chemischen Ele-
mente nicht einfach, sondern zusammengesetzt sind, und dafs die wirk-
lichen der Zahl nach geringen Elemente in andern Verhältnissen zu-
sammentretend neue Körper erzeugen können. Weil ihm das Verständnifs
fehlt, mufs die Wissenschaft irren. Dabei ist sein Ausgangspunkt eine
lokale Untersuchung, eine allgemein gültige Theorie will er nicht auf-
stellen. Berzelius, von Keilhau aufgefordert, spricht sich (Jahresb.
eingereicht 1837. 396) sehr entschieden gegen Keilhau’s Hypothese aus
und fügt (Jahresb. eingereicht 1841. 564.) hinzu: „Mit diesen Bemer-
kungen ist es nicht meine Meinung geologische Metamorphosen zu läug-
nen; ich habe damit nur auf die Nothwendigkeit aufmerksam machen
wollen, dafs man sie nicht auf etwas ausdehnt, was nach unseren gegen-
wärtigen Begriffen unreimbar ist, mit dem Vorgeben, dafs es in Zukunft
ein Mal reimbar werden kann.“
Zu ganz ähnlichen Ansichten wie Keilhau gelangte Keferstein
(1829—1834!). Nach ihm entstehen vermittelst innerer Thätigkeit der
Erde durch Umbildung aus verschiedenartigen stratificirten Gesteinen
die krystallinischen Schiefer, Granit, Porphyr, Basalt u. s. w., je nach dem
Grade der Umwandlung. Dabei wird hohe Temperatur, Erweichung, An-
schwellen der Masse und Erhebung erzeugt, die krystallelektrische Thätig-
keit der Theilchen wird angeregt und diese ordnen sich anders. Auch
Keferstein steht fast isolirt mit diesen Ideen.
Die Untersuchungen der schweizer, savoyischen und französichen
Alpen hatten um 1826—1828 Studer und Elie de Beaumont zu der An-
sicht geführt, dals die Metamorphose zu krystallinischen Schiefern sich dort
nicht auf die Umwandlung der ältesten Sedimente beschränke, sondern auch
viel jüngere Gesteine betroffen habe. Sie kommt dort nach Studer entfernt
von jedem krystallinischen Feldspathgebirge vor und es „lassen sich weder
1) S. auch Bull. geol. 7. 197. 1836.
176 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
durch Wärme des Erdinnern oder erhitzter Massen noch durch Dämpfe
die Erscheinungen in den Alpen genügend erklären.“ 1)
Die Sedimentgesteine der Alpen haben nach Studer?) durch Ein-
wirkung der bei dem Hebungsprocels thätigen Agentien so viele und
so grolse Veränderungen und Epigenirungen erfahren, dafs man beinah
in Verlegenheit gerieth, wo man noch ein Sedimentgestein in einem ur-
sprünglichen Zustand aufsuchen sollte.
Nach Elie de Beaumont sieht man in den Alpen die Sekundär-
schichten allmählich die von ihrer Bildungsweise herrührenden Charaktere
verlieren und andere annehmen ohne jedoch die Schichtung einzubülsen:
„ähnlich wie man an einem halbverkohlten Scheit die Spuren der Holzfasern
weit über die Stellen hinaus verfolgen kann, welche noch die natürlichen
Charaktere des Holzes zeigen. “?) Er schreibt *) die stark krystallinische
Struktur im Innern der Granitmassen, welche im Gegensatz steht zu der
fast vollständigen Dichte an ihren Berührungsstellen mit Sekundärgesteinen,
einer trotz der fast vollständigen Starrheit eingetretenen Molekularbewe-
gung zu (morumement interieur malgre leur solidite presque complete), welche
während des langen Zeitraums bis zur vollständigen Erkaltung eintrat.
Ähnliches zeigt eine lange Zeit bis zur Weifsglühhitze, also nicht bis zum
Erweichungspunkt erhitzte Stange aus Schmiedeeisen: sie wird grob
krystallinisch und brüchig, so weit sie erhitzt war, während das Übrige
den ursprünglichen fasrigen Bruch behält. Auch die Umbildung von Se-
dimenten jeden Alters zu krystallinischen Schiefern (zu Glimmer-, Talk-
schiefer, zuckerkörnigem Kalk und oft selbst zu Gneils) kann ohne voll-
ständige Schmelzung vor sich gehen, die Schichtung bleibt erhalten und
der allmähliche Übergang zu dem nicht Umgeänderten sichtbar.
1) Lehr. phys. Geogr. und Geologie II. 119. 150. 1347. s. Zschf. Miner. 1827. 1.
Jahrb. Miner. 1840. 546; 1844. 185; 1847. 176; 1866. 705. cf. 1855. 183. „Die aus-
gezeichnet krystallinische Entwickelung von Silikaten in der Höhe deutet darauf hin, dafs
die Umwandlung nicht von unten her, sondern von Aulsen nach Innen fortgeschritten sei.“
2) Geologie der westlichen Schweizeralpen. 1334. 19. cf. 224. 228.
3) Ann. sc. natur. 15. 362. 18283. („Comparaison aussi claire que profonde.*
Daubree).
4) Ann. min. (3) 5. 62. 1834.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. RT
„Die innere Erdwärme und andere chemische Einwirkungen haben
ohne vollständige Schmelzung zu bewirken unter Beibehaltung der Schich-
tung die ältesten, über der Erstarrungsrinde liegenden Sedimente durch
Metamorphismus krystallinisch gemacht und ihren mineralogischen Bestand
umgeändert; so entstanden Glimmer- und Talkschiefer, körnige Kalke
und oft selbst Gneils!).“
Noch 1847 ist Elie de Beaumont?) „sehr geneigt zu glauben.
dals viele Glimmerschiefer und Gneifse metamorphischen Ursprungs sind.
Das Sediment, aus dem gewisse metamorphische Granite und Gneifse ent-
standen, kann von älteren Graniten herrühren, und der Ursprung der
ersten Granite, der mit ihnen verbundenen alten Gneifse und Glimmer-
schiefer ist nicht sehr verschieden. Um die metamorphische Entstehung
der Gmneilse und Glimmerschiefer zu erklären, muls man zugeben, dafs
hohe Temperatur bei der Entstehung der Granite eine wesentliche Rolle
gespielt hat.“ Er spricht sich auch noch 1855?) für die metamorphische
Entstehung der glimmrigen und talkigen Quarzite und Kalke aus. Diese
Ansicht theilt auch Rozet*#). Ch. Sainte-Claire Deville und Gran-
deau sprechen sich 1859 für die metamorphische Entstehung?) der
slimmrigen oder chloritischen, Quarz- und Feldspathknauer führenden
Schiefer des Massivs des St. Bernhard aus.
Seit 1837 ist A. Sismonda®) der Ansicht, dafs viele für primitiv
gehaltene Gesteine der Alpen (Gneils mit grofsen Quarzknauern, grüne
Schiefer mit Quarz, und ähnliche, glimmerhaltige Kalke führende Gesteine)
metamorphosirte Sedimente sind. Er nimmt an, dafs wenig primitives
Terrain auf der Erdoberfläche erhalten ist. Noch 1867 erhält er?)
durch einen Abdruck von Zquwsetum an einem diluvialen Gneilsstück von
1) Dufrenoy und Elie de Beaumont Explic. de la carte geol. de la France
I. 41—42. 1341. s. auch 120, 316, 327.
?2) Bull. geol. (2) 4. 1301.
2) 1b: (2), 12.7563.
4) ib. 232 und 252.
5) ib. (2) 13. 136.
6) Bull. geol. (2) 12. 67. 1856.
”) Mem. Acad. Se. Torino (2) Tom. 24. 11. Der Infralias der Alpi acquapen-
denti in Piemont ist in Glimmerschiefer und Gneils metamorphosirt.
Phys. Kl. 1871. 23
178 torn über die Lehre vom Metamorphismus
Rezzasco in der Brianza Bestätigung für seme Memung. Auch Credner!)
betrachtet die krystallinischen Schiefer der Tauernkette als metamorphi-
sche Gebilde. Stur?)läfst nach der Trias in den Centralalpen zwischen
dem Hochgolling und dem Venediger eine metamorphosirende Kraft auf-
treten, welche aus alten Schiefern und Grauwacken den Oentralgneifs und
seine Schieferhülle bildet.
Pichler?) nimmt die Tyroler krystallinischen Schiefer für umge-
wandelte Sedimentschiefer. „Gneifs, Glimmerschiefer, Thonglimmerschiefer
sind die Namen von Gattungen, denen wir nicht immer den der Species
beifügen können; dies wäre nur dann möglich, wenn wir überall wülsten,
aus welcher Formation sie durch Metamorphose entstanden.“ Volger®)
gelangt vorzugsweise durch Studium der alpinen Vorkommen zu dem
Satze „dafs aus emem und demselben sedimentären Kalkstein durch innere
Umbildung hier ein Pyroxen- oder Amphibolgestein, dort ein Granat- oder
Epidotgestem, dort wieder ein Quarz- oder Feldspathgestein sich ent-
wickelt hat.“
In dem äufserst verwickelten Gebirgsbau der Alpen den Zusammen-
hang der einzelnen, so vielfach gefalteten, verworfenen, über einander hin-
veschobenen Schichten und Massen zu bestimmen wird noch lange eine
der schwierigsten Aufgaben der Geologie bleiben. Ob es gerathen ist,
serade von diesen verwickelten Erscheinungen ausgehend allgemein gül-
tige Hypothesen aufzustellen, erscheint fraglich. Billigerweise mülste die
Theorie die Gebirge mit einfachstem Bau als Ausgangspunkte nehmen.
Ob es ferner nothwendig ist für die als metamorphisch bezeichneten, al-
pinen Gesteine Umänderungen anzunehmen, deren Ursache eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Stein der Weisen hat, wird noch lange eine offene
Frage bleiben. Nur eine wiederholte Untersuchung und Vergleichung
mit anderen Gegenden wird entscheiden können, ob nicht einfache Zer-
störung und Zertrümmerung wohlbekannter Gesteine das mineralogische
Verhalten und einen Theil der Lagerungsverhältnisse erklären kann.
1) Jahrb. Min. 1550. 556.
2) Jahrb. Reichsanst. 5. 852. 1554.
3) Beiträge zur Geognosie Tyrols 1859. 133.
+) Neue Denkschriften der allgem. Schweizer Ges. f. ges. Naturk. 14. 1859.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 179
Spätere Verwitterung, oft sehr complieirter Natur, mag dann in den Al-
pen, wie überall, vielfache Veränderungen hervorgerufen haben, zu denen
noch die Contaktmetamorphosen hinzukommen. Manche Gesteine wie
Glimmer-, Chlorit-, Talkschiefer liefern nach ihrer Zertrümmerung und
Zermahlung sedimentäre Gesteine, welche mineralogisch den ursprüng-
lichen vollständig gleichen. Aufserdem mögen Eruptivgesteine, welche
bekannter Maafsen keineswegs jedes Mal Oontaktmetamorphosen hervor-
rufen, nebst ihren Tuffen, ferner schiefrige Granite, und in Folge der
Faltungen ächte, ursprüngliche, krystallinische Schiefer eingeschaltet sein.
Eine ganze Reihe von Mineralien entsteht auf mehr als einem Wege;
manche sind als Contaktmineralien charakteristisch, treten vorzugsweise
in Sedimentkalken auf und sind daher kalkhaltig. Eine Nothwendigkeit
jedem grobkörnigen Kalk Metamorphosen zuzuschreiben, liegt nicht vor:
dieser Ansicht huldigt auch Cordier!).
Hier zum ersten Mal tritt der Metamorphismus zur Erklärung der
Bildung jüngerer Gebirgsmassen auf; es handelt sich nicht mehr allein
um die Umwandlung der ältesten Sedimente oder der krystallinischen
be
Schiefer.
Wie die Lehre vom Metamorphismus der krystallinischen Schiefer
in Deutschland wirkte, zeigt am besten Fr. Hoffmann. (Übersicht der
orographischen und geognostischen Verhältnisse vom nordwestlichen
Deutschland 1830). „Wenn wir es auch sebr begreiflich finden, wie sich
Thonschiefer, Grauwackenschiefer u. s. w. in der unmittelbaren Nähe des
Granites in Gesteine umwandeln können, welche dem Gmneifse und dem
Glimmerschiefer sehr äbnlich sind, so behält es doch etwas selbst der
lebhaftesten Einbildungskraft Widerstrebendes, auch die ungeheuer mäch-
tigen und über tausende von (@uadratmeilen verbreiteten Gneilsgebirge,
Glimmerschiefer-, Talkschiefermassen, in welchen die Granite oft nur sehr
vereinzelt hervortreten, für Produkte eines ähnlichen Procefses zu halten“
(l. ec. 415). Zwischen Bräunsdorf und Riechberg (bei Freiberg, Sachsen)
findet er „wirklich die sogenannten Schiefer der Urzeit mit deutlichen
Conglomeraten des Übergangsgebirges in wechselnder Lagerung“ und ist
nun „sehr geneigt, die zwischen Gmeilsschichten und Glimmerschiefer
1) Bull. geol. (2) 7. 67..1836.
180 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
eingelagerte Grauwacke für einen unversehrt gebliebenen Streifen vom
Schiefergebirge zu halten, welcher unter günstigen Umständen von der
Umwandlung, die die angrenzenden Schichten erfahren haben, verschont
wurde.“ „Ja man wird vielleicht einst noch finden, dafs eine und die-
selbe Schicht sich im Streichen aus Grauwacke in Gneifs übergehend ver-
folgen läfst“ (p. 418). In emem Gebiete des Fichtelgebirges, „wo nichts
an das Auftreten von Graniten, Syeniten, Porphyren oder verwandten Ge-
steinen erinnert (p. 421), findet er „das merkwürdige Beispiel einer wenig-
stens 4 Meilen lang zwischen zwei Gneifsverbreitungen von beträchtlicher
Ausdehnung steckenden, unversehrt gebliebenen Thonschiefermasse des
Überganggebirges, und durch alle sie begleitenden Erscheinungen erfährt
wohl die Ansicht von der merkwürdigen Entstehungsweise der Gmneils-
gebirge eine auffallende und erwünschte Bestätigung“ 1) (p. 426).
Die Tyrannei, welche die herrschende Idee über einen eminenten
Geist ausüben kann, ist wohl nirgend so stark ausgeprägt als in dieser
Darstellung Hoffmann’s. Was zehn Seiten vorher „der lebhaftesten Ein-
bildungskraft widerstrebt*, gilt nun als bewiesen. Das Wunderbare bei
dieser Umwandlung, „die unversehrt gebliebenen Thonschiefer“, durch
welche die metamorphosirende Kraft hindurchgeht ohne eine Spur zu
hinterlassen, während sie das Darüberliegende in Gneils umwandelt, er-
regt keinen Anstofs mehr.
Noch in seiner italiänischen Reise?) (1829—32) ist Hoffmann
geneigt, den dortigen krystallinischen Schiefern neptunische Entstehung
zuzuschreiben und die Veränderung mit dem Auftreten der Granitgänge
im Gneils in Verbindung zu setzen. In seiner Geschichte der Geologie
(1834—35) tritt die Lehre vom Metamorphismus nur in einzelnen An-
deutungen hervor. Sie war um diese Zeit noch nicht genug ausgebildet
um einen grolsen Platz beanspruchen zu können.
Sir Charles Lyell kehrt in seinen Principles of geology being an
attempt to explain the former changes of the earth's surface by reference
1) Vergl. Naumann Jahrb. Min. 1863. 1. 531. und Lehrb. II. 159. 1862. und
Gümbel Jahrb. Min. 161. 257. und 1863. 515. Gümbel erklärt die Erscheinung
durch Überkippung, die sich bis ins Gebiet der Gneifsformation fortsetzt.
?2) Karsten und v. Dechen Archiv 13. 362. 1839.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 181
to causes now in operation (Bd. 1ll. 1833) zu der schottischen Doktrin,
zu Hutton zurück. Den noch jetzt wirkenden Ursachen (restrieting us,
in the first instance to known causes, p. 3; an anderen Stellen causes now
in action, existing causes, actual causes of change) legt er das überwie-
gende Gewicht bei. Er ist Hauptvertreter des Actualismus. Da ein Theil
der ältesten, der sogenannten primären Gesteine geschichtet und geschie-
fert ist wie die wohlbekannten Sedimente, so kann man — nach dem
Satze, dals gleiche Wirkungen auf gleiche Ursachen schliefsen lassen
(p. 367) — kaum bezweifeln, dafs sie ähnlichen Ursachen wie die Sedi-
mente ihren Ursprung verdanken. Auf der bewohnbaren Oberfläche der
Erde, so weit sie wenigstens der Beobachtung zugänglich ist, sieht man
analoge Bildungen nicht entstehen (p. 11). Man mulfs also die Struktur
der geschichteten primären Gesteine darauf zurückführen, dafs in grofser
Tiefe unter der Oberfläche die geschichteten Sedimente durch geschmol-
zene Gesteine, durch hohe Temperatur in einen halbflüssigen Zustand
übergeführt, eine neue Anordnung ihres Materials erfuhren, wobei
Schichtung und lamellare Struktur erhalten blieb, während die Spuren
der Organismen verschwanden (p. 13). Trennt man die unveränderten
Sedimente und die vulkanischen Gesteine ab, so bleibt eme dritte Gesteins-
gruppe übrig, welche ihre jetzige Form und Struktur nicht auf der
Oberfläche der Erde erhalten haben kann, und diese nennt Lyell nach
ihrer Entstehnng hypogen (netherformed rocks). Sie umfalst die unge-
schichteten plutonischen Gesteine (wie Granit) und die veränderten ge-
schichteten (wie Gneils), welche von ihm als metamorphische Gesteine
bezeichnet werden (p. 375). Denn Gneils und alle geschichteten Gesteine
müssen ursprünglich an der Oberfläche oder auf dem jetzt mit Wasser
bedeckten Theile derselben abgesetzt sein und wurden erst dann krystal-
linisch, wenn sie unter Druck durch hohe Temperatur in den Regionen
und unter denselben Bedingungen verändert wurden, wo die plutonischen
Gesteine gebildet werden (p. 374). Will man die gesammten hypogenen
(resteine nicht aus Schlamm, Thon, Mergel, Sand, Kies, Kalk und anderen
jetzt noch entstehenden Absätzen sich bilden lassen, so mufs man zu der
Hypothese greifen, dafs chemische Ursachen früher mit gröfserer
Energie als jetzt wirkten und dafs durch ihren Einflufs stärker kry-
182 toru über die Lehre vom Metamorphismus
stallinische Schichten niedergeschlagen wurden, welche Behauptung un-
philosophisch und mysteriös ist (p. 377).
Gneils und Glimmerschiefer sind nichts als durch Hitze umgeänderte
Sandsteine; Thonschiefer ist umgeänderter Schieferthon; stärker verän-
derter Schieferthon liefert Hornblendeschiefer; Kalkstein den körnigen
Kalk. Weil fast überall die hohe Temperatur von unten nach oben wirkt,
also die untersten Lagen am stärksten verändert, so liest Thonschiefer
über Hornblendeschiefer, Glimmerschiefer, Gneifs. Sekundäre Schichten
sind, wenn auch nicht oft, zu metamorphischen umgewandelt, und hypo-
gene Gesteine, ungeschichtete wie geschichtete, entstanden stets während
gleicher Zeit in gleicher Menge (p. 377). Da der Zerfall und die Wieder-
erzeugung durch Wasser (process of decay and reproduetion by aqueous
agency, Wiederholung von Hutton’s Worten) an der Oberfläche der Con-
tinente und auf dem Meeresboden ein fortdauernder Vorgang ist, während
die hypogenen Gesteine in der Tiefe gebildet oder nach und nach von
den vulkanischen Heerden in die Höhe gehoben werden, so mufs das
relative Alter der sichtbaren plutonischen und metamorphischen Ge-
steine, verglichen mit dem der unveränderten Sedimente, durch das Ver-
hältnils zwischen zwei Kräften bestimmt werden: der Kraft, welche die
hypogenen Gesteine hebt, und der Kraft, welche durch das Wasser die Erd-
oberfläche zerstört und erneuert (p. 380). Die metamorphischen Gesteine
müssen also das Unterste jeder Reihe von Sedimenten bilden, da die Wir-
kung der vulkanischen Hitze von unten nach oben geht; die hypogenen
Gesteine einer Gegend können jedoch sehr verschiedenen Alters sein.
Der grölste Theil der sichtbaren hypogenen Gesteine scheint älter zu
sein als die Kohlenformation, weil in dieser Brocken von Granit, Gneifs,
Glimmerschiefer, Thonschiefer liegen. Seit der Tertiärzeit sind die hypo-
genen Gesteine, welche jünger sind als das Kohlengebirge, auf die Ober-
fläche gekommen, und erst später werden dahin die der Sekundärzeit,
noch später die tertiären und recenten Hypogengesteine gelangen, zu einer
Zeit, wo die jetzt sichtbaren Sedimente entweder vom Wasser zerstört
oder metamorphisch geworden oder niedergeschmolzen sind zu plutoni-
schen und vulkanischen Gestemen (p. 382).
„Wir finden keinen sicheren Beweis für den Anfang, obwohl die
dafür aus der Analogie geschöpften Gründe unerschüttert bleiben. Wenn
und die Entstehung der krystallimschen Schiefer. 185
auch das jetzige System der Veränderung (present system of change)
nicht von Ewigkeit her gedauert hat, so liest darin kein Beweis für die
Voraussetzung, dafs wir den Anfang entdecken werden. Die Annahme,
dafs die Beweise für Anfang oder Ende eines so grofsen, harmonischen.
für Myriaden lebender Wesen so zweckmäfsig eingerichteten Systems im
Bereich unserer Untersuchungen oder selbst unserer Speculationen liegen,
erscheint durchaus unvereinbar mit einer richtigen Schätzung des Ver-
hältnisses zwischen der begrenzten menschlichen Einsicht und den Attri-
buten eines unendlichen und ewigen Wesens“ (p. 385).
Sehr wenig abweichende Ansichten spricht Lyell noch im Manual
of elementary geology (Ed. V. 1855. 603) aus. „Eine im Innern der Erde
in unbekannter Tiefe vorhandene, thermische, hydrothermische, elektrische
oder anderweitige Einwirkung, analog der, welche sich in der Nähe in-
trusiver Granite zeigt, hat im Laufe unbegrenzt langer Zeiten, bei Ab-
lagerungen von vielen tausend Fufs Mächtigkeit Halbschmelzung (state of
semifusion) hervorgebracht, so dafs die Schichten bei der Abkühlung
krystallinisch werden konnten ähnlich wie Gmeifs; Granit entstand bei
höherem Grade der Einwirkung, bei vollständiger Schmelzung, und so
erklärt sich der Übergang von Granit und Gneifs.*
Noch später 1871 in den Students elements of Geology nennt
Lyell die Bildungsweise der metamorphischen oder geschichteten krystalli-
nischen Gesteine dunkler als die der auf nassem Wege gebildeten, der pluto-
nischen und der vulkanischen Gesteine. Er rechnet zu den metamorphi-
schen Gesteinen Gneils, Glimmer- und Thonschiefer, Chloritschiefer, Horn-
blendeschiefer, Marmor und Ähnliches. Er nimmt an, da sie geschichtet
sind und aus Wechsellagerung von Gesteinen bestehen, welche in Farbe.
Zusammensetzung und Mächtigkeit wechseln genau wie die Versteinerungen
führenden Absätze, dafs sie der Hutton’schen Theorie entsprechend als
Sedimente aus Wasser abgesetzt und dann durch unterirdische Hitze so
verändert wurden, dafs sie eine neue Struktur annahmen. Versteinerungen
führende Schichten sind bei Contakt mit Granit bis auf 1 Meile weit
aus erdigen Gesteinen in entschieden krystallinische umgewandelt, Kalke
mit Muscheln und Corallen in weilsen Marmor, harte Thonschiefer (clays)
in Glimmerschiefer oder Hornblendeschiefer, wobei jede Spur organischer
Reste zerstört wurde.
184 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
Kennen wir auch nicht genau die Art des umwandelnden Einflusses,
so hat er doch gewisse Analogieen mit dem, welchen vulkanische Hitze und
Gase hervorbringen. Der Procefs kann daher als plutonisch bezeichnet
werden, weil er in den Regionen entstanden zu sein scheint, wo pluto-
nische Gesteine gebildet werden, und bei ähnlichen Verhältnissen des
Druckes und der Tiefe unter der Erdoberfläche. Stark erhitztes Wasser
oder Dampf, welche geschichtete Massen unter hohem Druck durch-
drangen, haben zweifellos Theil an der Bildung der krystallinischen Struk-
tur, und es ist klar, dafs diese Einflüsse auf ganze Bergmassen eingewirkt
haben (p- 8).
Alle die 4 oben genannten Gesteinsgruppen sind gleichzeitig ge-
bildet und ihre Bildung mag noch jetzt in grofsem Maafse fortgehen
(They have all been produced contemporaneously, and may even now be in
the progress of formation on a large scale (p. 9).
Die Granite und metamorphischen Gesteine sind nicht die erst-
gebildeten, nicht primitiv, wenn auch ein Theil älter ist als die ältesten
Verstemerungen führenden Schichten (p. 100); die unteren Theile der
Erdrinde sind oft modificirt und ganz verändert durch vulkanische und
andere unterirdische Ursachen, während Darüberliegendes unverändert
blieb: ähnlich wie der Pfeilerrost unter einem Hause erneut wird, wäh-
vend das Haus selbst ungeändert bleibt.!) So ist es mit der bewohn-
baren Oberfläche der Erde: sie bleibt oben dieselbe, während ın der Tiefe
Festes flüssig wird und beim Erstarren eine neue Textur annimmt. In
diesem Sinne sind die plutonischen und metamorphischen Gesteine zu-
sammen hypogen, ein Name, der keine chronologische Beziehung enthält.
Unter dem Huron, das wesentlich aus Quarziten und grünen chlo-
ritischen Schiefern besteht und Geschiebe (pebbles) des Laurentian ent-
hält, liest discordant das Laurentian, dessen oberer Theil wieder discor-
dant auf dem unteren ruht. Das Eozoon canadense beweiset für metamor-
phische Bildung des Laurentian, die jedoch vollendet sein mulste vor
Absatz des Hurons, wie die im Huron vorhandenen Geschiebe beweisen
(p. 476— 477).
1) Vergl. $. 165.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 185
Sir R. Murchison’s Fundamentalgneifs in Schottland, auf dem das
Untercambrische und verschiedene metamorphische Gesteine discordant
liegen, entspricht höchst wahrscheinlich im Alter einem Theil der srofsen
nordamerikanischen Laurentiangruppe (p. 477). Der Einflufs der unter-
irdischen Hitze reicht vom Krater jedes thätigen Vulkans in unbestimmt
grolse Tiefen, so dafs je nach der Tiefe vulkanische und plutonische Ge-
steine zugleich entstehen müssen, die ersteren an der Oberfläche, die an-
deren in der Tiefe (p. 535 und 547). Zwischen der Krystallisation eines
plutonischen Gesteins in der Tiefe und seiner Emporsteigung auf die Ober-
fläche müssen gewöhnlich eine oder zwei geologische Perioden liegen.
Recente oder pliocäne Granite sehen wir also nirgend auf der Oberfläche.
„Flysch (oberer Theil der Nummulitenformation) wird von plutonischen
Gesteinen durchbrochen und in krystallinische Schiefer der hypogenen
Klasse umgeändert. Der talkige Granit oder Gneifs des Mont Blane
ist geschmolzen oder plastisch gewesen, nachdem der Flysch im Meer ab-
gesetzt war. Die Frage in Bezug auf das Alter dieses Granites ist nicht,
ob er secundär oder tertiär, sondern ob er eocän oder miocän ist (P.552).“
Gregory Watt’s Versuche (Phil. Tr. 1804) zeigen, dafs ein Ge-
stein vollständiger Schmelzung nicht bedarf um eine neue Anordnung
der Gemengtheile zu bedingen. Die plutonische Umänderung wird be-
wirkt nicht durch Hitze allein; Gase, Dämpfe und heifses Wasser mit
Salzgehalt, hydrothermale Aktion helfen mit dazu (p. 568). (Heilse und
kalte Quellen mit Kohlensäure beladen und besonders mit Flufssäure, die
oft in kleinen Mengen vorhanden ist, sind mächtige Ursachen der Zer-
setzung (p. 568): charged with carbomie acıd and specially with hydrofluorie
acıd! Verwechslung mit Fluorsalzen!) „Die metamorphischen Schichten
sind in einer Periode abgesetzt und krystallinisch geworden in einer andern
(p- 581). Hitze, Dampf oder Wasser kann durchgängigere Schichten ver-
ändern, so dafs die Gemengtheile sich neu ordnen, während die anliegenden
Schichten dem heifsen Gas oder Wasser keinen Durchgang erlauben, oder
auch defshalb ungeändert bleiben, weil sie weniger leicht schmelzbare oder
zersetzbare Mineralien enthalten. Daher wechseln in den Alpen sandige
und kalkige Schichten mit Bändern von granitischen, Gneils ähnlichen
Gesteinen (answering in character to gneiss p. 582). Tertiärschichten
können metamorphische Struktur erhalten nach Ebenen, welche parallel
Phys. Kl. 1870. 24
186 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
der Schichtung sind (p. 582), aber der Metamorphismus ist in den Alpen
nicht an die unmittelbare Nähe der Granite gebunden. Eine azoische
Zeit nimmt Lyell nicht an (p. 587).
Man sieht, wie eng Lyell’s Ansichten 1833 sich anschliessen an
die von Hutton ausgesprochenen. Die zwei Grundgedanken Hutton’s
sind beibehalten: der heilsame Kreislauf von neptunischer zu plutonischer
Einwirkung, welche den periodischen Wechsel in der Beschaffenheit der
Erdoberfläche bedingt, und der Grundsatz, dafs die Geologie keinen An-
fang der Dinge zu erkennen vermöge. Die Ansicht Hutton’s, dals alle
Sedimente erst durch plutonische Einwirkung auf dem Meeresboden zu
festen Gesteinen werden, ist als unhaltbar aufgegeben, und die Umwand-
lung auf die jedesmaligen untersten Schichten beschränkt, von denen
ein Theil zu Eruptivgesteinen metamorphosirt wird. Neben der Abwehr
der ultraneptunischen Ansicht fehlt jede Angabe über die Entstehung
des Centralfeuers, das, wie bei Hutton, einfach als gegeben angenommen
wird. Die Schwäche der Argumentation liegt namentlich in dem Satz,
dafs gleiche Wirkungen auf gleiche Ursachen schliefsen lassen. Die Summe
einer Reihe kann aber aus ganz verschiedenen Faktoren bestehen; eine
Erscheinung, die bei der Vielheit der zu Einer Wirkung zusammentreten-
den geologischen Ursachen überall wiederkehrt. Niemand wird in dem
Satze, dals bei Nichtannahme des Actualismus die Voraussetzung einer
früher anders gearteten chemischen Causation nothwendig werde, eine
Stütze für den Actualismus erblicken können, da die chemischen Kräfte
bei Änderung der Bedingungen, unter denen sie auftreten, eben andere
Wirkungen üben. Es ist nur nöthig, an die Änderung der chemischen
Verwandtschaften bei Änderung der Temperatur zu erinnern. Viel rich-
tiger und sicherer als der Satz Lyell’s, dafs alle hypogenen Gesteine
aus Thon, Schlamm, Sand, Mergel u. s. w. entstanden sein müssen, ist
die Umkehrung dieses Satzes dahin, dafs alle Sedimente aus „hypogenen*
Gesteinen entstanden sind, da sie Bruchstücke derselben enthalten und
die Verwitterung alle Tage die Beweise für die Entstehung der Sedimente
aus den „hypogenen* Gesteinen liefert. Nimmt man freilich mit Lyell
die Sedimente als Ausgangspunkt und fügt daran die Lehre von Actua-
lismus, so muls man auf irgend eine Weise, sei sie noch so künstlich,
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 187
aus ihnen die Eruptivgesteine und die krystallinischen Schiefer durch
„Metamorphose“ hervorgehen lassen.
Hatte Lyell 1833 die Sekundärschichten nur sparsam dem Meta-
morphismus unterworfen gefunden, so läfst er ihn 1871 auch die tertiären
Gesteine ergreifen. Die schwierige Deutung der alpinen Gesteine wird
durch die kaum haltbare Theorie der Nichtpermeabilität beseitist oder
richtiger umgangen. Die Theorie des Kreislaufes, ohne bestimmt aus-
gesprochen zu sein, leuchtet durch die ganze, viel stärker als früher auf
das Faktische beschränkte Darstellung hindurch, die jede Diskussion über
Entstehung der Erde geflissentlich vermeidet.
Edward Hitchcock (Feport on the geology of. Massachusetts.
Amherst 1833) ist der Ansicht, dafs Granit die erste Erstarrungsrinde
bildete!). Aus dem Detritus derselben und aus dem einiger anderer
ebenso alter Gesteine entstanden die sogenannten primären geschichteten
Gesteine (stratified primary rocks), die krystallinischen Schiefer, wie Gneifs
Glimmerschiefer, Talk-, Hornblendeschiefer, Serpentin. Sie waren Sedi-
ınente, welche durch hohe Temperatur ohne die Schichtung zu verlieren
krystallinisch wurden oder sogar geschmolzen wurden und eruptive Form
annahmen wie Serpentin?). Glimmerige, grobe, aus Zertrümmerung des
Granites entstandene Sandsteme?) sind wahrscheinlich das Ursprungs-
gestein des Gmeifses. Wo dieser mit Hornblendeschiefer wechsellagert,
wechsellagerte ursprünglich Thonschiefer mit dem Sandstein; wo Glimmer-
schiefer und Gmneils wechsellagern, fehlten in einem Theile des Sedimentes
die Elemente zur Bildung des Feldspathes.
Hiteheock betont im Gegensatz zu Hutton und Lyell die
Ansicht vom Anfang und vom Ende. Wenn die der Erde innewohnenden
chemischen Kräfte durch den Willen ihres Schöpfers losgelassen würden,
so würden sie das Ende der Erde bewirken. Mit dem Maafse der heute
thätigen Kräften allein sei die Geschichte der Erde nicht zu erklären.
Also ein Protest gegen Hutton’s Fundamentalsätze, gegen Lyell’s
eben entwickelte Theorie der actual causes, daneben die metamorphische
nn 12c.29l10:
2) 1.c. 350 und 373.
’) „resulted from the disintegration of granite* 1. c. 409.
24*
188 Roru über die Lehre vom Metamorphrsmus
Bildung der krystallinischen Schiefer, und eine aus feurigem Flufs erstarrte,
aus Granit bestehende Rinde.
Sedgwick und Murchison erklärten 18421), die krystallinischen
Gesteine des Taunus seien durch plutonische Procefse umgewandelte
Schichten der rheinischen Grauwacke, ©. F. Roemer (1844) und Du-
mont (1848 und 1852) machten für die betreffenden Taunus- und Ar-
dennengesteine dieselbe Annahme, während für die Taunusgesteine nach
Sandberger und List (1850) die Metamorphose durch Umsetzung auf
nassem Wegs erfolgte.
Murchison?) hält seit 1851 die Thonschiefer, Chlorit- und Glimmer-
schiefer der südlichen Hochlande Schottlands für metamorphosirtes Unter-
silur, die Chlorit-, Glimmerschiefer und Quarzite von Anglesea und Westir-
land für veränderte Grauwacke. Später (1858) unterscheidet er?), an
der Nordwestküste Nord-Schottlands Fundamentalgneifs, gleichen Alters
mit Logan’s Laurentiansystem und zwar dessen unterem Theil*), von den
sicher metamorphischen, darüberliegenden, zuweilen in Gneils verlaufenden
Glimmer- und Chloritschiefern. Noch später (1862) nimmt Murchison )
auch den Gneils von Böhmen und Baiern als Repräsentanten des Funda-
mentalgneifses.
Die nicht ganz leicht verständlichen Ansichten, welche seit 1833
Fournet vertrat, entnehme ich der Geologie Iyonnaise 1859. Ihm ist
der Glimmerschiefer „compose impur et rebelle de l’ensemble des elements
repousses de Tinterieur ü Vexterieur du globe*, die erste Erstarrungsrinde.
Es mufste eine Art oberflächlicher Schlacke entstehen und sich beladen
mit einigen der Elemente der glühenden atmosphärischen Hülle, in deren
Berührung sie sich bildete; sie mufste schiefrig werden wie Alles, was
das Wasser umlagert). Unter dieser Schlackendecke gingen in der Tiefe
die regelmälsigen Krystallisationen vor sich, welche den Granit lieferten.
Dieser alte, normale Glimmerschiefer besteht nur aus dunkelem Glimmer,
1) Angaben, entnommen dem Aufsatz Lossen’s in Zt. geol. Ges. 19. 523 u. flg. 1867.
2) Quart. J. geol. Soe. 7. 168. 1851.
3) Quart. J. geol. Soc. 15. 359. 1859.
#) Geol. mag. 2. 101. 1865. 5) Quart. J. 19. 357. 1863:
8) 1. e. 170. cf. 210. „les mieaschistes — les produits de la grande &limination des
heterogeneites chaotiques.”
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 189
dem höchstens Granat, vielleicht noch Kies und dünne Quarzhäutchen
beigemengt sind. Die Quarzlinsen wurden später plutonisch injieirt. !)
„Der wahre alte Gmeils ist ein exomorphosirter Glimmerschiefer; exomor-
phosirt, unmittelbar oder später, durch den Granit, der sich ruhig unter
der Glimmerschieferdecke entwickelte*?). Wie die Feldspathisirung ?)
der Glimmerschiefer in der Nähe der Granite eintritt, so beladen sich die
Gesteine in der Nähe der Syenite (oder ihrer degradations) mit Horn-
blende #). Fournet setzt alle diese Erscheinungen in nächste Verbin-
dung mit den bei der Cupellirung beobachteten, welche seinen Ausgangs-
punkt bilden. Glimmerschiefer, wie der des St. Gotthard, mit wenig oder
gar nicht gefärbtem, dünnblättrigem Glimmer nennt Fournet „micachistes
nacres“?). Sie sind jünger als der normale Glimmerschiefer und bilden
Übergänge in Chlorit-, Quarz-, Thonschiefer; sie lehren, dafs sie zu einer
Zeit entstanden, wo die Tendenz zur Krystallisation und der Einflufs der
hohen Temperatur sich sehr vermindert, der des Wassers sehr zuge-
nommen hatte, so dafs die Rolle des letzteren der ähnlich wurde, die
es seitdem in den sekundären und tertiären Bildungen spielt ®).
Gewisse Melaphyre und ähnliche Gesteine hält Fournet für meta-
morphische Bildungen, endo- und exomorpher Entstehung, gebildet aus
dem Nebeneinander von Quarzporphyren und Syeniten einerseits, siluri-
schen und cambrischen Thonschiefern andererseits ?).
Den normalen Metamorphismus hält Fournet für eine beschränkte
Erscheinung, die mit allen Wirkungen des Contaktes complicirt ist®).
Virlet betrachtet (Bull. geol. 8. 306. 1837 und ähnlich in früheren
Mittheilungen ?) den Granit als erste Erstarrungsrinde; auf diese schlu-
1) 1.c. 185—189. „epanchements plutoniques.* cf. 369 und Bull. geol. (2) 16.
256. 1359.
2), 1uc. 371. 3) =]. c. 69. 66. 5) beanldiE
ya Nlilk
SyFalesalkib.
”) 1.e. 369 cf. Bull. geol. (2) 16. 246. 1859.
s) ib. 256.
”) Bull. geol. 6. 320. Er führt 1. ec. 316. elektrochemische Thätigkeit, vielleicht
durch hohe Temperatur entstanden, als Agens der Transmutation auf, welche in dem
festen Gestein thätig wird.
190 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
gen sich dann Sedimente nieder, welche durch das Centralfeuer in kry-
stallinische Schiefer, Quarzit u. s. w. oder bei dem höchsten Grade der
Umänderung in gewisse Granit- und Porphyrvarietäten, in Pegmatit, Pro-
togin, Euphotid, Diorit, Amphibolit und andere sogenannte plutonische Ge-
steine umgeändert wurden. Aufserdem findet sich in der Nähe oder im
OContakt der feurigtlüssigen Gesteine eine Umänderung, entweder einfach be-
ddingt durch die hohe Temperatur oder, wie gewöhnlich in der Nähe hoher
Bergketten, verbunden mit längerer oder kürzerer Einwirkung chemischer
Agentien wie Entwicklung von Gasen und flüchtigen Stoffen. Er bemerkt,
dafs die Überlagerung durch spätere mächtige Schichtensysteme Steigerung
der Temperatur in den ältesten Absätzen bewirken mulste. Später lälst er
den Quarz gasförmig oder geschmolzen hervortreten (Bull. acol. (2) 1. 746.
1844) und fügt (l. ec. 829) hinzu, dafs der Grad der Metamorphose desto
stärker wird je mehr Gänge aller Art an Zahl zunehmen. Noch später
kommt Virlet!) zu der Ansicht, dals die Dauer oder die Stärke der Me-
tamorphose die Umbildung der Sedimente zu Gneils oder Granit bedingt
und dafs überhaupt keine primitiven Gesteine auf der Erdoberfläche
vorhanden sein können d.h. keine, die nicht entweder chemische oder
molekulare Umbildung seit der Erstarrung der Erdkruste erfahren haben.
Diese Umänderungen gehen nicht nothwendig bei hoher Temperatur vor
sich, es findet keine Erweichung statt, aber das Wasser spielt dabei eine
grolse Rolle.?) Er nimmt an®), dals alle Quarzlinsen oder Quarzmandeln
in Gmeils, Glimmer- und Thonschiefer späteren Injektionen ihren Ur-
sprung verdanken, ähnlich wie schon (1845) Fournet angenommen hatte
und Elie de Beaumont t) wenigstens für einen Theil der Quarzlinsen
der Glimmerschiefer für wahrschemlich hält.
Joh. Nep. Fuchs), welcher annimmt, dafs dem krystallinischen
Zustand immer der amorphe vorausgehen muls, stellt sich der Urzustand
der Erde, zu dem es jedenfalls gekommen sein mulste, bevor die Gebirgs-
bildung beginnen konnte, folgender Maalsen vor. Während Kalk und
1) Bull. geol. (2) & 500 un. fg. 1847.
2) ib. (2) 15. 122—127. 1858.
>) ib. (2) 1. S33. 1844. und 3. 15. 1846.
t) Bull, geol. (2) 4 1307. 1847.
5) Gelehrte Anzeigen der Akad. d. Wissensch. in München. 1833.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 191
der gröfste Theil der Magnesia mit Kohlensäure verbunden (Kalkreihe)
die Hauptmasse des aufgelöseten Theiles der Gebirge bildeten, bildete die
Kieselreihe (Kieselsäure theils für sich als gelatinöse Substanz, theils mit
den Basen verbunden) die unauflösliche Masse der Gebirge im amorphen
und festweichen Zustande. Der Beginn der Krystallisation, durch die Er-
scheinung des Lichtes bezeichnet !), machte Wärme frei, die bis zur Glut
steigen konnte, und so entstanden aus dem amorphen Festweichen die
Gebirgsarten, hier Granit und Porphyr, dort Glimmerschiefer und Quarz-
fels u. s.w. Die älteren und gemensten, in einander verlaufenden Glieder
der Kieselreihe sind nur Varietäten Einer Formation. Da das Gewässer
bald ruhig bald bewegt war, so entstanden deutlich und undeutlich ge-
schichtete Gebirgsarten. Als das Gewässer, nicht mehr durch die fest-
weiche Masse gefesselt, sondern frei geworden, unruhig und stürmisch
ward, konnten sich die späteren Glieder der Kieselreihe nicht mehr so
vollkommen und deutlich ausbilden. Diese Unvollkommenheit beginnt
beim Thonschiefer, der nichts ist als ein Granit mit sehr kleinen und
undeutlichen Gemengtheilen. Was man sekundäre Gebilde nennt (Sand,
Sandstein und Thon) ist gröfseren Theils auf ähnliche Weise wie die
älteren Gebirge der Kieselreihe entstanden und eine Fortsetzung derselben.
(Juarzsand, Sandstein und Thon, in der Regel mit einander gemengt vor-
kommend, stehen oft in solchem Verhältnifs zu einander, dals sie bei
günstigeren Umständen wahrscheinlich den schönsten Granit gegeben
hätten, in den man sie zuweilen übergehen sieht. Die sogenannten Kry-
stallkeller des Granitgebirges und die (Quarzkrystalle in den Mandelsteinen
entstanden aus gallertartiger Kieselerde, daher sind die Einschlüsse im
Bergkrystalle möglich.
Berzelius bezeichnet diese Theorie als eine Dichtung, welche nur
der Geschichte der Geologie angehören kann. (Jahresber. für 1838. 744.)
Es ist die Theorie des nassen Breies, welche geologisch in den heutigen
Laven, im Öontaktmetamorphismus, in den Gängen u. s. w. ihre Wider-
lesung findet.
') „Die Erde war also damals ein selbstleuchtender Körper.*
192 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
Der Metamorphismus bei Fuchs bezieht sich nur auf die Struktur,
nicht auf die chemische Beschaffenheit, und der geologische Gesichtspunkt
tritt hinter den chemischen vollständig zurück.
Als ein sehr merkwürdiger Versuch die Erscheinungen des Meta-
morphismus zu erklären ist Leopold von Buch’s Profil durch die „be-
rühmten Westgothländischen, festungsartigen Berge,“ die Kinnekulle, den
Billingen, Mösse-, Hunne- und Halleberg zu erwähnen. Er schreibt am
I. März 1842 darüber an v. Leonhard (Jahrb. Min. 1842. 282.). „Ich
war auf Halle- und Hunneberg, auf der Kinnekulle bei Lindkjöping und
sah vor mir die vielen Basaltbedeckten westgothischen Berge und die
Transitionsschichten unverändert darunter, und immer nur wo der Basalt
sie bekrönt. Der Gneifs aber berührt diese Transitionsschichten nie, son-
dern bleibt überall mit deutlichem Rande in der Entfernung zurück.
Jeder Basaltberg aber, das wissen wir jetzt, denke ich, ziemlich gewils,
ist das Ausgehende eines Ganges, eines Stockes, einer grolsen Masse,
welche unter den bedeckenden Schichten sich ausdehnt. Sollte wohl
dieser unter der Oberfläche sich fortziehende Basalt die silurischen Schich-
ten vor dem überall weit umherwirkenden Metamorphismus beschützt und
sie später unverändert zu Tage erhoben haben? Gewils ist das eher zu
glauben, als an eine Weeführung einst zusammenhängender Schichten zu
denken, welche uns doch keine Erklärung geben würde, warum denn eben
der Basalt nur auf dem Gipfel solcher Schichten ruhen könne, warum
niemals auf Gneils.*“ Den Grund, welshalb der Granit nicht auch die
von basaltischen Formationen (Trapp) bedeckten Transitionsgebirgsarten
in Gmeils umgeändert hat, findet L. v. Buch in der sogleich zu erwäh-
nenden Abhandlung in Folgendem: „Die basaltischen Formationen, welche
sich sogar weit unter dem Granit ausdehnen können, verhindern die ver-
ändernden Stoffe, mit welchen der Granit hervortritt, auch auf die den
Basalt bedeckenden Transitionsgebirgsarten zu wirken. Sie können daher
nur dort aus den Transitionsschiefern Gneils bilden, wo der Basalt in der
Tiefe aufhört und nicht mehr das Hervorbrechen des Granites hindert.
Gmeilsgewölbe können also sich da erst wieder erheben, wo der Basalt
in der Tiefe verschwunden ist und dem Granit Platz gemacht hat.“
Die am 15. December 1842 in dieser Akademie gelesene, 1844
gedruckte Abhandlung „Über Granit und Gneufs“ wiederholt dieselben
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 193
Anschauungen über diese Berge. Sie enthält (S. 7) die Worte: „dafs
nämlich aller Gneufs, so weit er sich auch ausdehnen mag und wenn er
auch, wie im Norden, grolse Länderstrecken einnimmt, dafs dieser Gneuls
durch Einwirkung des hebenden Granites und der mit seiner Erhebung
verbundenen Stoffe aus Schiefern entstanden sei, welche durch Ein-
dringung der verändernden Stoffe umgewandelt worden sind ohne doch
im Ganzen ihre schiefrige Forın zu verlieren, das ist jetzt eine allen Geo-
gnosten so geläufige und von den Meisten als glücklich durchgeführte
Hypothese angesehene Meinung, dals sie als völlig bekannt vorausgesetzt
werden kann. Der Gneufs der kleinen Blasen und Hügel in Finnland
würde hiernach vom Eismeer bis zum nördlichen Ufer des Finnischen
Meerbusens aus silurischen Schichten der Transitionsformation entstanden
und umgewandelt worden sein.“
L. v. Buch sieht bei Gothenburg und Stockholm den Oligoklas
auftreten „in Gängen und Stöcken durch Gneufs und Granit und durch
alle Gänge des Letzteren, welche in Gmneufs aufsetzen.“ Man sieht bei
Ytterby „deutlich sein Erheben aus dem Boden herauf, man sieht das
Aufwerfen des darüber liegenden Gneufses und das Eindringen der leicht-
beweglichen Masse in alle Spalten, Klüfte, Schiefern und Risse des er-
hobenen Gesteins. In der Mitte des mehr als 80 Fufs tiefen Bruches
hängt noch jetzt eine wohl 20 Fufs hohe Masse von Gneuls, gänzlich
von den darauf liegenden Gneufsschichten getrennt, und von allen
Seiten vom weilsen Oligoklas umschlossen. Die Schiefer dieses Gneuls-
blockes sind von unten herauf, wie dıe Blätter eines Buches, in Fächer-
form von einander gerissen, und die Zwischenräume erfüllt, trennend und
spaltend, das weilse Gestein. Oben hängen die Schiefer noch dicht an-
einander und werden durch keinen Oligoklas von einander geschieden.
So ungefähr hat man sich die Veränderung vorzustellen, welche aus silu-
rischen Schichten Gmneufs gebildet hat. Wie hier der Oligoklas, so
dringt der Feldspath aus dem Innern zwischen den Blättern
der Schiefer und wird von der durch hohe Temperatur zu Glimmer
veränderten Masse der Schiefer umwickelt.* Da diese ganze Oligoklas-
Phys. Kl. 1871. 35
194 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
gebirgsart später als der Granit erschienen ist. so hat sie keinen Antheil
an der Bildung des Gmeilses. !)
Im Silur sind also die zur Bildung des Glimmers nöthigen Ele-
mente und der Quarz als soleher vorhanden; damit Gmeifs entstehe, mufs
der Feldspath herbeigeschaft werden. Er dringt also aus dem Innern
auf. verliert dabei seine Continuität, zertheilt sich in einzelne Partien
und wird umwickelt von dem zu Glimmer veränderten Silur. In dem Be-
weisstück schiebt er sich freilich als eontinuirliche Lage in den Gneils
hinein. ohne sich zu zertheilen. Und wie diese Einschiebung des Feld-
spathes von unten her bei söhlig liegenden Gneilsschichten mit der söh-
liveen Lage der Schieferung zu vereinen sein möchte, ist schwer ein-
zusehen.
Dasselbe gilt auch für „die verändernden Stoffe“. mit denen der
Granit hervortritt. um das Silur in Gneifs umzuwandeln. Auch sie bilden
den Feldspath immer der Schieferung parallel, nie bezeichnen sie den
Weg, den sie genommen, durch die Bildung desselben.
Gesteine von demselben Masnesiagehalt wie Trapp und Augitpor-
phyr üben an verschiedenen Stellen ganz entgegengesetzte Wirkung aus.
In den Alpen bewirken sie die Hebung und Dolomitisirung der Kalke;
in Westgothland. wo sie so lange mit dem Silur in Berührung sind,
dals sie es gegen die Granitemanationen schützen, heben sie nicht, sie
lassen auch noch den Orthoceren-Kalkstein vollständig ungeändert, ob-
wohl sie ihn durchbrechen. Der Schutz, den ein Eruptivgestein gegen
des anderen Wirkung gewährt, ist wohl nie wieder in Anspruch ge-
nommen worden, und er ist das Bezeiechnende ın diesem Aufsatz, der die
Verbreitung metamorphischer Ansichten um das Jahr 1842 so ausdrück-
lieh eonstatirt.
J. D. Dana?), Anhänger der Theorie der gegenwärtig wirkenden
Ursachen, sieht zwar in der Schieferung der Gneifse und Glimmerschiefer
keinen Beweis für ihre sedimentäre Entstehung, schreibt jedoch gewilsen
nicht schiefrigen Graniten sedimentären Ursprung zu und hält bei dem
) Mer mz19.
2) Sill. Am. J. 45. 104—129. 1848.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 195
Metamorphismus nicht für das Wirksame hohe Temperatur, sondern
heifses Wasser !).
Manche Gneifse und Glimmerschiefer, so wie gewisse Granite sind
nach ihm metamorphisch, da thonige Sedimente bei erhöhter Temperatur
Glimmer, Glimmerschiefer, Gneils liefern können. Wo Metamorphismus
eintritt, wirkt die hohe Temperatur vermittelst des Wassers, das, durch
die Eruption selbst erhitzt, als leicht beweglich weithin Wirkungen aus-
üben kann, denn die Wärmeleitung der Gesteine ist viel zu gering als
dafs eine etwas mächtige Schicht durch hohe Temperatur allein verändert
werden könnte, man muls erhitztes Wasser zu Hülfe nehmen. Durch
dieses entstehen aus den erdigen die körnigen Kalke, durch Magnesia-
haltiges heifses Wasser die Dolomite und Serpentinlager, durch Wasser
mit Magnesia- und Kieselsäuregehalt talkige und chloritische Gesteine;
diese alle sind hydrometamorphischen Ursprungs.
Von den in den ältesten Zeiten hervorgetretenen Eruptivgesteinen
(Granit, Syenit u. s. w.) wurde durch das Wasser Sand abgespült und rund
um die Eruptionscentren ausgestreut; das Wasser, durch dieselbe oder
spätere Eruptionen erhitzt, änderte vermöge seines Gehaltes an Magnesia,
Kieselsäure und anderen Substanzen diese Sande zu krystallinischen
Massen um.
Hier tritt die heilse Salzlösung zum ersten Mal als Hauptagens
des Metamorphismus auf; von nun an wird sie häufig als wesentlich in
die Lehre eingeführt.
In dem Manual of Geology 18632) sind Granit, Gneifls, Glimmer-
schiefer, Thonschiefer, Chlorit- und Hornblendeschiefer, Syenit, Hyperit,
Diabas, Feldspathporphyr, Hornblendeporphyr, Euphotid metamorph, aber
Feldspathtrapp, Porphyr, Melaphyr, Diorit und die jüngeren Eruptiv-
gesteine sind „ıyneous rocks“ (p. 86); die azoischen Gesteine (krystallini-
sche Schiefer zunächst) entstanden aus älteren azoischen Sedimenten,
ursprünglich horizontal im Meere abgelagerten Trümmern der ältesten
Erstarrungsrinde. „Diese ist jetzt zwischen den später krystallisirten,
!) Nach Angabe von Dana hatte schon früher Silliman in der Americanischen
Ausgabe von Bakewell’s Geology auf diese Wirkungsweise Rücksicht genommen.
?) Das sehr merkwürdige Capitel über Cosmogony beginnt p. 741.
In
zo)
196 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
den jetzigen azoischen Sedimenten so versteckt (disguised) oder so tief
unter ihnen begraben, dafs man sie nicht erkennen kann“ (p. 143). „Der
Ausdruck azoisch schliefst Abwesenheit von Organismen ein, aber nicht
nothwendig der des niedersten Grades.“ Beweise dafür sind nach Dana
die Kalke, der Graphit u. s. w.; „wahrscheinlich entstanden Pflanzen
früher als Thiere“ (p. 146). Ursache des Metamorphismus ist unterirdi-
sche Hitze und Wassergehalt, gewöhnlich, wenn nicht immer, verbunden
mit Druck. „Feuchtigkeit ist wesentlich, weil trocknes Gestein ein Nicht-
leiter der Wärme ist (wie die Ziegelsteine lehren) und auch wegen ihrer
chemischen Wirkung bei höherer Temperatur“ (p. 707). Bei der Meta-
morphose braucht Schmelzung nicht einzutreten, meist ist sogar nur eine
verhältnifsmälsig niedere Temperatur nöthig, 300—1200° F., aber lange
Dauer derselben erforderlich“ (p. 707).
Nach Forchhammer!) ist der gröfsere Theil der skandinavi-
schen Gmeilse offenbar so entstanden, dals eruptive Granitmassen Natron-
und Kalidämpfe mit sich führten, welche die umgebenden erhitzten sedi-
mentären Schiefer durchdrangen. So entstanden Alkalisilikate, welche bei
hinreichend hoher Temperatur krystallisirten und je nach der Höhe derselben
Granit oder Gneifs bildeten. Weiter entfernt von der Quelle der alkalischen
Dämpte wird sich sehr wenig Feldspath bilden, da alles Kalı zu Glimmer
sich umsetzt, welcher häufig weils ist, während das Eisen mit Thon- und
Kieselerde zu Granat zusammengeht, der im Glimmerschiefer den Feld-
spath des Gneilses vertritt. Noch weiter ab vom Granit wird nicht ein-
mal mehr Glimmerschiefer sich bilden. da es an Alkalı fehlt, und das
letzte Glied der Metamorphose wird ein glimmeriger, verhärteter Thon-
schiefer sein. Forchhammer läfst auf diese Weise aus dem Alaunschiefer
bei Bugten, Christiania, Gneils entstehen, dessen Kiese den Ursprung aus
kiesigem Thonschiefer nachweisen.
Die nächste Frage bei Annahme dieser Theorie würde die sein,
weshalb nicht überall und stets der immer mit demselben Habitus auftre-
tende Granit seine Umgebung mit Alkalisilikaten erfüllt, wefshalb gerade
nur der skandinavische Granit reich gewesen sein soll an Alkalidämpfen.
Aber selbst wenn man diese Ausnahmestellung für den dortigen Granit
!) Rep. Brit. Assoc. for 1844. 166.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 197
zugiebt, wozu nur in der Theorie, nicht in der Wirklichkeit ein Grund
vorliegt, so bleibt noch als sehr gewichtiger Einwurf die Thatsache übrig,
dals der skandinavische Granit selbst keine Spuren der Entwickelung von
Gasen und Dämpfen aufweiset, er ist dort ein ebenso compaktes Gestein
wie überall. Die Ansicht, dafs der Granit, etwa wie geschmolzenes Glas,
durch in der Hitze abgebenes Alkali die Metamorphose bewirkt habe, ist
nicht haltbar, da er dann überall Umänderungen hervorgebracht haben
mülste und diesem Verhalten entsprechend auch die ganze Reihe der an
Alkalı reichen jüngeren Eruptivgesteine dieselbe Wirkung geübt haben
müfste, wofür keine einzige Thatsache vorliegt.
Nach Durocher!) findet sich der Metamorphismus vorzugsweise
da, wo Sedimente und plutonische Gesteine einander nahe treten. Im
Allgemeinen ist dabei die Temperatur nicht hoch gewesen, Halbschmel-
zung oder Erweichung kommt nicht vor, in den festen (Gesteinen fand
Molekularbewegung statt, ähnlich wie bei der Cementation des Eisens.
Aber die Umänderung traf nicht alle Schichten einer Gegend gleichmälsig,
wenig veränderte Schichten wechsellagern mit stark veränderten.?) Den
einfachsten Fall bildet einfache Änderung der Textur, ein Blättrig- oder
Körnigwerden, es entstehen keine neuen Mineralien. Oder die im Sedi-
ment pulverig vertheilten Mineralien (wie Feldspath und Glimmer) zogen
sich an und bildeten Krystalle, so dafs sich Feldspath- oder Glimmerhal-
tige Gesteine entwickelten. Bei dem dritten verwickeltsten Fall entstan-
den neue chemische Combinationen, entweder aus den im Sediment vor-
handenen chemischen Elementen (so bilden sich Chiastolithe, Staurolithe,
Öouzeranit, Dipyr) oder das metamorphosirende Gestein lieferte die fehlen-
den Elemente selbst, wie z. B. Granit die zur Feldspathbildung nöthigen
Alkalien #). Als nothwendige Bedingung ist zu betrachten lange Dauer
der Erwärmung und des Druckes, wobei das Eindringen von Dämpfen
nur conjekturalen Werth hat, aber die Mitwirkung thermo - elektrischer
Ströme angenommen werden muls. Ist also der Metamorphismus die
1) Bull. geol. (2) 3. 546—657. 1846.
2), 1 e. 643.
3) 1. c. 625. On eomprend que tr&s souvent, dans la formation du gneiss, le gra-
nit aura dü ceder la matiere alcaline necessaire & la regeneration du feldspath.
198 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
Wirkung langsamer Aktionen, so scheint doch höhere Temperatur nöthig,
welehe Keilhau mit Unrecht ausschliefst.
Sieht man die Thonschiefer und die feinkörnigen Grauwacken in
der Nähe grofser Granitmassen allmählich. Glanz und blättrige Struktur
annehmen bis endlich die Blättehen alle Charaktere des Glimmers, Talkes
oder Chlorites zeigen, ohne dafs jedoch die Schichtung verloren geht, so mufs
ınan schlielsen, dafs höchst wahrscheinlich die krystallinischen Schiefer meta-
morphosirte Sedimente sind.t) Die Wechsellagerung und Übergänge von
Gneils in Glimmerschiefer, die in beiden vorhandenen Kalke, Quarzite und
Graphite zeigen, dals beide auf dieselbe Weise entstanden sind; das gilt
wenigstens für einen Theil der Gneifse, nämlich soweit sie nicht schiefrige
(ranite enthalten.
Die Granitinseln mancher Gneils- und Glimmerschiefer sind zu
unbedeutend, um ihnen die Umwandlung zuschreiben zu können; man
ınufs also annehmen, sie sei bewirkt durch ein in der Tiefe liegendes
(ranitbad (bamn de granıte?), welchem auch die vorhandenen Granitgänge
entstammen. Es gibt also aufser dem lateralen Metamorphismus, dessen
Produkte als Zone die sichtbaren plutonischen Massen umgeben, dessen
Wirkung ausstrahlt von den plutonischen Massen, einen unterirdischen,
von unten nach oben wirkenden vertikalen Metamorphismus, dessen
Grund die hohe Temperatur des Erdinnern ist.) Die Wirkungszone
der Granite, welche lateralen Metamorphismus hervorrufen, hat im Mit-
tel in Norwegen 1200 Meter Breite, in den Pyrenäen erreicht sie eine
Breite von 4000 Meter.*)
„Wahrscheinlich ist der skandinavische Gneils das älteste Sediment,
das aus der dünnen, wenig festen, granitischen Erstarrungsrinde entstand;
daher senkten sich die Gmeilsschichten in die unterliegenden heilsflüssigen
Massen ein, zerbrachen, falteten sich und wurden aufgerichtet, während
der Granit sich überall injieirte. Es giebt in Skandinavien keinerlei Über-
sang zwischen der Gmneilsformation und dem Silur, beide sind schnei-
Danlzcs2oll.
2) 1. c. 612. 622
3) lac648.
4) 1urcaı6A6:
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 199
dend durch petrographische Beschaffenheit und discordante Lagerung ge-
schieden, und wenn auch der Granit das Silur modifieirt hat. nie wird
es dem Gneifs ähnlich.!)
In Norwegen und Finnland liegt zwischen Gneifs und Silur die
sogenannte Urthonschiefer-Formation, welche Thonschiefer. oft Glimmer-
und Hornblendeschiefer, selbst Gneifs, aufserdem Grauwacke, Öonglome-
rate (poudingues), Quarzite und Kalke einschliefst. Bald lagert sie con-
eordant mit dem Urgneifs, welcher bisweilen Thonschiefer, Glimmerschie-
fer und Quarzit enthält, bald lagert sie mit dem Urgneils discordant.
Eine scharfe petrographische Trennung zwischen der Gneifsformation und
dem nächst jüngeren Sediment ist daher nicht ausführbar; ein weiterer
Beweis für den sedimentären und metamorphischen Ursprung des Gnei-
fses.?) Bei dem Thonschiefer, welcher aus stärker zermahlenem und zer-
setztem Detritus entstand als der Gneifs und seltner Granit aufweiset als
dieser, ist daher der geringere Grad der Metamorphose erklärlich.
Die Gneifse in Schweden und Finnland verdanken ihren Ursprung
wohl den Granitgesteinen, „welche die Gneilsformation gebadet und sich
nach alien Richtungen in dieselbe ergossen haben“; für die norwegischen
Gneilse dagegen und die der Berggegend, welche Norwegen und Schwe-
den trennt, mufs man, da in ihnen nur seltene und geringere Granitmassen
zu Tage treten, den Einflufs unterirdischer Ursachen annehmen. Gadoli-
nit, Orthit u. s. w. gehören nicht dem Gmeifs an, sondern den Gängen
und Adern von grobkörnigem Granit. ?)
Bei dem ÜOontakt eines massigen oder pyrogenen Gesteins mit
einem geschichteten Gesten kann ein Theil der Elemente des ersteren
!) 1. e. 620 u. 646. Nach Bayle (l. c. 538) führt der schwedische Gneils an
manchen Punkten Spuren von organischen Stoffen und wird von Elie de Beaumont
als stark metamorphosirtes Sediment betrachtet.
Axel Erdmann hält (J. Min. 1864. 643) den von ihm Protogingneifs genann-
ten Gneils der Provinz Dalsland für metamorphosirten Grauwackenschiefer.
„Wenn wir grofse Strecken des sogenannten Terrain primitif mit regelmäfsigen
Kalklagern erfüllt sehen, so ist das ein Beweis, dafs diese Strecken nicht primitiv sind.“
Kjerulf Geol. des südl. Norwegens 1857. 33. cf. 109.
a)e 172621
®) 1. ce. 623.
200 Rorm über die Lehre vom Metamorphrsmus
sich in die letzteren einführen; nicht blos alkalische oder kieselige, sondern
auch fertig gebildete metallische Substanzen !), wie Eisenglanz und Mag-
neteisen, gelangen durch „Diffusion oder Transsudation“ in die geschich-
teten Massen, wobei sie sich oft der Schichtung conform ablagern.
Risenglanz, Magneteisen, Granat u. s. w. brauchen nicht Gasgestalt anzu-
nehmen um die benachbarten Gangwände zu durchtränken. Manche
Gmeilse in der Nähe der Granite entstanden wahrscheinlich durch Trans-
fusion des Feldspathes in die schiefrigen Gesteine; ähnlich können, we-
nigstens in einigen Fällen, Topas, Smaragd, Turmalin und andere Mine-
valien, welche oft Nester in den Schiefern bilden, durch eine Transfusions-
erscheinung entstanden sein Ihr Auftreten sieht eher nach einem Mole-
eulartransport aus als nach einer Injektion. ?)
Magnesiahaltige Emanationen scheinen seit den ältesten und bis in
die neuesten Zeiten stattgefunden zu haben. In der Nähe der Eruptiv-
sesteine, noch der Basalte der Auvergne und Südfrankreichs, sind die
Kalke in Dolomite umgeändert. Wie die Magnesia in die Kalke einge-
führt wurde, ist eine untergeordnete Frage, denn Cementation kann ent-
stehen bei Contakt mit festen oder gasigen Cementen. Die scharfsinnige
Hypothese des Eindringens der dampfförmigen Magnesia quer durch die Ge-
steinsspalten hat nur den Vortheil, die Umänderung grolser Massen schnell
vor sich gehen zu lassen.®) Die Ersetzung eines Theils des Kalkes durch
Masnesia bleibt ein chemisches Problem, ein Räthsel.*) Die letzte, mit den
Ursachen des Metamorphismus verbundene Erscheinung ist das Auftreten
der Thermen, „die Thermalität der Quellen scheint mit der Zeit zu er-
löschen; die nur in den ältesten Epochen gehobenen Gegenden, wie Skan-
dinavien, Nord- und Westfrankreich, haben keine Thermen.“ °)
An die Stelle plötzlicher und grofser Temperaturerhöhung setzt
Durocher „die sekuläre Erwärmung, welche vielleicht nie die Dun-
1) „Les substanees metalliques ont chemine A travers les roches, sans que celles-ci
aient eu besoin d’entrer en fusion. 1. c. 636.
ce. 639641.
e. 879580.
ce. 644.
ec. 641.
a).
)ı
SE
x
h
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 201
kelrothgluth erreicht hat,“!) und erklärt die Umwandlung durch Öementa-
tion in festem, nicht erweichtem Gestein, durch Ersatz von Molekul zu
Molekul, betrachtet sie jedoch wesentlich als eine Oontakterscheinung.
Wo der Contakt nicht sichtbar ist, wird eine unterirdische Berührung,
ein „Granitbad“ angenommen, denn „der Granit ist es vorzugsweise, der
in den geschichteten Sedimenten neue Mineralien hervorbringt.”)
Durocher spricht an vielen Stellen aus, dafs man die Thatsachen
annehmen müsse, wenn auch die vollständige Erklärung fehle. An vielen
Punkten, wo sie Durocher vermilst,?) läfst sie sich wohl durch die
Wirkung der Lösungen liefern, welche aus der Verwitterung und Zer-
setzung hervorgehen, so z. B. bei der Verkiesung und Verkieselung der
organischen Reste, an anderen Stellen durch den Satz, dafs dieselbe Wir-
kung von mehr als nur Einer Ursache herrührt, wenn auch vollständige
Erklärung bis jetzt nicht überall zu geben ist. Wie alle Metamorphiker
bleibt auch Durocher betreffs der Entstehung der krystallinischen Schie-
fer den Beweis schuldig, warum diese nothwendig metamorphisch sein
müssen. Und wieder müssen die Versteinerungen führenden Quarzite der
Bretagne, welche mit nicht veränderten Thonbänken (bancs d’argile)
wechsellagern, metamorphe Sandsteine sein; freilich fügt Durocher vor-
sichtig hinzu: „Es scheint, dafs, wenn der Metamorphismus, der diese
Gesteine hervorbrachte, unter Wirkung der Hitze sich entwickelte, die
Erhöhung der Temperatur eine sehr geringe war.“*) Durocher selbst
ist weit entfernt davon, seine Theorie als alle Erscheinungen erklärend
zu betrachten. Die Verschiedenheit der Einwirkungen der Granite in
verschiedenen Gegenden entgeht ihm nicht, die Ursache derselben er-
scheint ıhm geheimnilsvoll.®) Während in Norwegen der postsilurische,
verhältnifsmälsig kieselsäurearme Granit zunächst Kieselsäure an die Schie-
fer abgiebt, bringt der postsilurische Granit der Bretagne in den Schie-
fern Glimmer und Chiastolithe hervor; in den Alpen veranlalst der Granit
1) 1. ec. 643. „flux de chaleur seculaire.“
2) 1. ce. 629.
3) 1. ce. 644.
+) 1. e. 604.
5), 12.0.2028;
IV
>
Phys. Kl. 1871.
902 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
weithin Bildung von Gneifs, Glimmerschiefer und talkigen Gesteinen, aber
weder Verkieselung noch Chiastolithbildung. Wenn der norwegische Gra-
nit Quarz abgegeben hätte, so mülste entfernter von den veränderten Schie-
fern sein Quarzgehalt zunehmen, aber das ist nicht der Fall. Ähnliches
gilt nach Durocher, wenn auch nicht so schlagend, für die übrigen
plutonischen Gesteine.!)
Durocher nimmt nicht an, dafs das Flülsigwerden des Granites
durch seine geringe, weniger als 4 0 betragende Menge Wasser erleich-
tert werden konnte.?) Aber ihm sind doch die eruptiven Gesteine feurig-
flüssig aufgestiegen, er giebt sie nirgend für metamorphosirte Sedimente
aus. Seine Theorie der Transfusion und Transsudation, den Erscheinun-
sen der Öementation entnommen, erscheint zur Erklärung der Metamor-
phose grofser Gebirgsmassen als eine sehr kühne Hypothese und ist unzu-
länglich bewiesen. Man kann z. B. nicht die Feldspathe oder die Glimmer
der Granite als Quelle der Alkalien für die Feldspathbildung in den Gneifsen
in Anspruch nehmen, da die Analysen in ihnen keinen Mangel an Alkalien
nachweisen, so lange man unverwitterte, frische Mineralien untersucht.
Die zahlreichen Beobachtungen Durocher’s behalten trotzdem grofsen
Werth.
Den weitesten Umweg zur Erklärung der Bildung der krystallini-
schen Schiefer schlägt G. Bischof in seinem Lehrbuch der chemischen
und physikalischen Geologie (ed. I 1847 —1854; ed. 11. 3. Bd. 1863—
1866) ein. Der Verfasser der „Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers“
(1837) nimmt den feurigflüssigen als den Anfangszustand der Erde an.
Es ergiebt sich ihm, dafs „aus der angenommenen Existenz eines primä-
ren Feldspathgesteins die Bildung aller Gesteine, welche man zu den Ur-
gesteinen zählt, abgeleitet werden kann. Durch Metamorphosen gingen
aus diesem Muttergestein massige granitische Gesteine hervor, durch Ero-
sion wurde aus demselben dem Meere das Material zur Bildung der Ur-
schiefer zugeführt.“3) „Der Granit kann nur auf hydrochemischem Wege
1) ]. c. 629.
2) Bull. geol. (2) 4. 1033. 1847. Ausgesprochen im Gegensatz zu Scheerer's S. 205
angeführten Ansichten.
3) Ed. U. Bd. 3. 269.
und die Entstehung der krystallimschen Schiefer. 203
entstehen“!); „auf dem Meeresboden kann keine Stelle gedacht werden,
wo noch das ursprüngliche Gestein, welches vor allen sedimentären Bil-
dungen existirt haben muls, zu finden wäre.“?) „Nur zwei Mineralien,
Leueit und Augit, sind es, die auf plutonischem Wege gebildet werden
können); die krystallinischen Gemengtheile der krystallinischen Gesteine
sind ausschliefslich auf nassem Wege gebildet.“*) Sogar in den Laven
wird der bei der Erstarrung etwa unkrystallisirt gebliebene Theil „durch
die Durchdringung mit Meteorwassern krystallinisch. Es ist sogar denk-
bar, dafs Krystalle, welche in der erstarrenden Lava unvollkommen aus-
gebildet wurden, durch die später auf nassem Wege fortschreitende Kry-
stallisation zur vollständigen Ausbildung kamen.“°) Wenn in Sedimen-
ten in Folge der eingetretenen Krystallisation „ein Reinigungsprocels*
stattfindet, d.h. „das ausgeschieden wird, was die Krystalle nicht brau-
chen können,“ so wird das Ausgeschiedene, sofern es löslich ist, von den
Gewässern fortgeführt. Was zur Bildung krystallisirter Mineralien fehlt,
ergänzen die Gewässer.6)* Auf diese Weise wird es begreiflich, „wie
an die Stelle der kohlensauren Kalkerde die Hauptgemengtheile des Gnei-
(ses treten können“?) und „aus einem Kalkstein kann daher ein Granit
oder Gneils werden.“ ®)
Bischof’s ultraneptunische Ansicht, fast das genaue Gegenstück
der ultraplutonischen Hutton’s, will nach Naumann’s Ausdruck „eine
Hysterokrystallisation auf hydrochemischem Wege“: „lang dauernde Durch-
wässerung der Gesteine (wobei das Wasser alles etwa Fehlende zuführt)
bewirkt substanzielle Veränderung und Umkrystallisirung“, und zwar bei
gewöhnlicher Temperatur. Folgerecht gehört es für Bischof „zu den
unbegreiflichen Dingen, wie die Hypothese einer plutonischen Metamor-
1) ib. 270.
2) ib. 274.
3)» ib. 254.
4) ib. 262.
5) ib. 2. 304. ef. 107 u. Ed. I. Bd. 2. 2197: Für die Sanidine im Arsostrome,
Ischia, würde sich eine Bildungsdauer von mehr als 500 Jahren ergeben.
6) ed. II. Bd. 3. 243.
7), »ib.88.
3) ib. 34.
26*
204 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
phose ganzer Gebirge in der Geologie Platz greifen konnte.) Die mei-
sten der sogenannten Oontaktwirkungen rühren unzweifelhaft davon her,
dafs da, wo sich zwei verschiedene Gesteine berühren, der Zutritt der
Gewässer erleichtert ist.“ ?)
Man darf als den Ausgangspunkt der Ansichten Bischof’s die
Pseudomorphosen bezeichnen, welche der neptunischen Betrachtung geo-
logischer Vorgänge so ausgezeichneten Vorschub leisten. Der Chemiker
Bischof räumt jedoch der Erörterung der geologischen Thatsachen ®)
einen viel zu kleinen Theil ein und gar keinen, wenn Widersprüche für
seine Ansichten daraus folgen. Als die bedeutsamste Erscheinung tritt
der Umweg zur Bildung der krystallinischen Schiefer hervor, der erst ein
amorphes oder doch nur ähnlich wie die Lava mikrokrystallinisches Feld-
spathgestein, dann dessen Umbildung zu Granit, dann eine Verwitterung des
Granites fordert und endlich aus dem neu entstandenen Sediment die
krystallinischen Schiefer ableitet. Dafs sich die Bildung derselben in spä-
teren Epochen nicht wiederholt, schreibt Bischof dem Mangel an Alka-
lien in den späteren Absätzen zu.*) Er läfst aus Thonschiefer Gneifs
entstehen; wenn dann der gebildete Feldspath in Quarz und Glimmer zer-
legt wird, entsteht Glimmerschiefer:; dieser kann daher aus Gneifs hervor-
gehen, aber nicht umgekehrt. Wird 'Thonschiefer in Gneifs oder in
Glimmerschiefer umgewandelt, so scheidet sich Kieselsäure aus, aber in
letzterem Falle mehr als in ersterem, daher mehr Quarz im Glimmer-
schiefer als im Gneils.?) Die mit beiden wechsellagernden Hornblende-
schiefer entstehen so, dafs die ursprünglichen 'Thonschiefer vorzugsweise
Kalk, Magnesia und Eisenoxydul enthielten. ®)
1) Bd. 3. 189.
2) ib. 188.
>») Bd. 2. 736. „Wir können keinen einzigen volleültiven Beweis für die Entstehung
x - {e} >
auch nur eines einzigen Glimmerblättchens auf pyrogenem Weg finden.“ Und der Glimmer
der Vesuvlaven? Uber Olivin vergl. Bd. 3. 286.
5
HABT. 8. 271:
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 205
Besteht Bischof’s grofses unbestreitbares Verdienst in dem Nach-
druck, den er auf chemische Prozesse, besonders der Verwitterung und
Zersetzung lest, so hat er diesen eine ungebührliche Ausdehnung gegeben,
so weit, dafs er Ursache und Wirkung häufig umkehrt.
Scheerer!), der die schon 1825 von Poulett Serope?) aufge-
stellte Ansicht eines feurigwässrigen Flusses der Lava für Granit wieder-
aufnimmt, läfst bei dem langsamen Erkalten endlich das Wasser mit sehr
hoher Temperatur, aber doch flüssig, und unter sehr hohem Druck aus
dem Granit hervortreten, beladen namentlich mit Kieselsäure und ande-
ren gelöseten Substanzen. Diese Lösungen erklären z. Th. den Contakt-
metamorphismus. Sieht man die Thonschiefer durch eindringenden Gra-
nit wohl gefaltet, aber nicht zerbrochen, so spricht das für eine gewisse
Plastieität in Folge ihres Wassergehaltes; sind sie durch Granit in Gneils
und granitische Gesteine umgewandelt, so spricht das für Umänderung
bei Gegenwart von Wasser, hoher Temperatur und entsprechendem
Druck.
Scheerer nimmt an, dafs die primitiven krystallinischen Schiefer
unter Wasser und starkem Druck geschmolzen sind. „Die plutonische
Theorie vermag mit Hilfe des polymeren Isomorphismus und des Para-
morphismus ein Bild von der Entstehung der krystallinischen Urgebirgs-
arten zu entwerfen, welches genauer mit den in der Natur angetroffenen
geognostischen und petrographischen Verhältnissen übereinstimmt als dies
bis jetzt von irgend einer anderen geologischen Theorie hat erreicht wer-
den können.“?) „Man kann in Skandinavien eine Thonschiefer- und
Kalksteinbildung von ihrem ersten Absatze an bis dahin verfolgen, wo
sie als Gneils und krystallinischer Kalk mit mancherlei fremdartigen Mi-
1) Bull. geol. (2) 4. 494—495. 1847.
?) Considerations on voleanos p. 110: „aqueous vapour — which lava contains and
to which alone its liquidity is owing.*
Auch Elie de Beaumont nimmt für Granit nicht einen feurigen Fluls an. Bull.
geol. (2) 4. 1311. 1847. Zu demselben Schlufs gelangt Sorby (Jahrb. Min. 18561.
771) und Gruner (Bull. geol. (2) 23. 110. 1866) hält Granit, Quarzporphyr, Trapp „für
hydropyrogene Gesteine, in denen überhitztes Wasser als energisches Lösungsmittel oder
mächtiges Flufsmittel wirkte.*
3) Der Paramorphismus. Braunschweig 1854. 69.
206 Rorn über die Lehre vom Metamorphrismus
neraleinsehlüssen auftritt. Diese — uns nun nicht mehr als accessorisch,
sondern als genetisch bedingt erscheinenden — Mineralien entwickeln sich
aus Bestandtheilen, welche in der Kalk-Thonschiefermasse theils ursprüng-
lich vorhanden waren, theils erst später hinzugekommen sind. Wärme
ist jedenfalls, daneben Wasser bei der Metamorphose von Thonschiefer
und Kalkstein zu Gmneils und Marmor thätig gewesen.“1) Scheerer ist
jedoch geneigt einem Theil des skandinavischen Gneilses das Privilegium
der Aboriginität zu wahren.
Den grauen erzgebirgischen Gneils hält Scheerer 1853?) für ein
an Ort und Stelle metamorphosirtes Gebilde, während der rothe, noch
an den Granit sich anschlielsende Gneifs bei seiner Metamorphose zugleich
mehr oder weniger eruptiv wurde.
Die Entscheidung, ob die krystallinischen Schiefergesteine (Gneils,
Glimmerschiefer), welche in den westlichen Alpen die Granite und Syenite
zunächst umgeben, nur metamorphische oder zum Theil Urschiefer sind,
hält Scheerer 1858 für schwierig.3) Später (1862) *) weiset Scheerer
für die erzgebirgischen Gneilse die metamorphische Entstehung ab. „Sie
bildeten eine vollkommen homogene, plutonisch flüssige Masse, die mög-
licher Weise mehr Wasser enthielt als jetzt. Chemische und physische
Wirkung von Wasser, hoher Temperatur und Druck sind die Hauptagen-
tien, welche die chemische Masse dieser Gesteine in der Weise bearbei-
teten, dafs dieselbe dadurch den Charakter des Gneilses annahm.“
In dem Aufsatz „über die chemische Constitution der Plutonite*
1866 rechnet Scheerer die Gneilse zu den Plutoniten, welche mit den
Metamorphiten „als Übergangsstufen aus den wässrig sedimentären Gebil-
den (Neptuniten) in die feurig eruptiven (Vulcanite) fungiren.* Plutonite
und Vuleanite zusammen umfassen „sämmtliche ursprünglich geschmolzene
und später zum Theil eruptiv gewordene Silikatgebilde.* „Selbst die
Laven können nicht als rein vulkanische - feurige-Gebilde angesehen wer-
1) Zs. geol. Ges. 4. 45. 1852. et. Karsten und von Dechen Archiv 16. 134. 1342
und Paramorphismus p. 115.
2) Jahrb. Min. 1554. 44.
®) Berichte d. Kgl. Sächsischen Ges. d. Wissenschaften. 10. 91 u. fig.
*) Zs. geol. Ges. 14. 119—120. 1862.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 207
den. Auch sie, als geschmolzene Massen, entstiegen dem Krater in einem
wasserhaltigen Zustande; nur pflesten die Umstände nicht der Art zu
sein, dals dieser Wassergehalt bei der Erstarrung der Laven als ein che-
mischer Bestandtheil in ihnen zurückgehalten wurde.“ Die Plutonite, in
dieser Beziehung genetisch von den Vulkaniten nicht trennbar, befanden
sich, obgleich ursprünglich als geschmolzene Massen auftretend, hierbei
unter der gleichzeitigen Mitwirkung des Wassers, welches noch gegen-
wärtig als chemischer Bestandtheil in ihnen angetroffen wird. Scheerer
hält also den wässrigfeurigen Flufs für alle plutonischen und vulkanischen
Gesteine fest und bedingt den Unterschied zwischen ihnen durch die Art
ihrer Erstarrung. Nachdem Scheerer seine 9 chemischen Gesteinstypen
so gebildet hat, dafs er den dritten Theil des Sauerstoffs vom Wasser
zum Sauerstoff der Basen RO addirt, weil 3 Atome Wasser in der che-
mischen Rolle von 1 Atom MgO, FeO, MnO, CaO auftreten, gelangt er
dahin, die Gneuse, Granite, Bunsen’s Normaltrachyt u. s. w. zu den
Plutoniten zu rechnen, dagegen Augitporphyr, Bunsen’s Normalpyroxen-
gestein, Gabbro-Hypersthenit, Diorit, Dolerit, Basalt u. s. w. als Vulcanite
aufzufassen. Läfst sich geognostisch gegen diese Trennung sehr Gewich-
tiges einwenden, so ändert sich auch, wenn man den Wasserstoff als Vertre-
ter der einwerthigen Elemente (Kalium, Natrium u. s. w.) in manchen der
früher als wasserhaltig betrachteten Mineralien auffalst, in anderen die
Aufnahme des Wassers als Wirkung der Verwitterung anerkennt, das
chemische Bild sehr bedeutend.
Nach B. Cotta!) kann dichter Kalkstein oft durch Wärme stär-
ker erweicht werden als die ihn einschliefsenden Gesteine und dann in
diesem erweichten Zustande, der Form nach eruptiv, in die Umgebung
eingeprelst werden, so dafs er aufser regelmäfsigen Lagern Gänge, Ver-
ästelungen und stockförmige Massen zu bilden vermag. Damit ist kry-
stallinisch körnige Erstarrung und die bekannte Contaktbildung verbun-
den. Cotta hält es für möglich, dafs Thonschiefer und Schieferthon mit
seinen Kalksteinen in glimmerhaltigen körnigen Kalk, welcher parallel der
Schieferung liegt, umgewandelt wird. (Zaunhaus in Sachsen, Wunsiedel.)
1) Zs. geol. Ges. 4. 47. 1852 und schon früher seit 1834. (Jahrb. Min. 37 u. 329.)
208 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
Wo den thonigen Sedimentgebilden Kalk fein eingemengt war, entsteht
Hornblendeschiefer. !)
„Die krystallinischen Schiefer mit Ausschluls manchen Gneilses
(schiefrigen Granites) sind das letzte Resultat jenes sehr allgemeinen Um-
wandlungsprocesses, der alle diejenigen Sedimentablagerungen betroffen
hat und noch fortwährend betrifft, welche durch neuere Ablagerungen
mehr oder weniger stark bedeckt wurden. — Dadurch wurden die be-
deekten Schichten nicht nur erhöhtem Druck, sondern auch erhöhter
Temperatur ausgesetzt.“ — Druck und Wärme, vielleicht auch noch in
Verbindung mit Wasser, bewirken die Umwandlung. Wo also krystalli-
nische Schiefer die Erdoberfläche bilden, sind sie erst wieder gehoben
und ihrer Bedeckung beraubt. In den Alpen sind nicht nur die alten
Sedimente verändert, sondern auch noch Juragesteine z. Th. zu krystal-
linischen Schiefern geworden und später durch sehr energische Hebungen
blosgelegt. In den Alpen erscheint überhaupt die Skala der Umwandlun-
gen gleichsam etwas höher heraufgerückt.?) „Die krystallinischen Schie-
fer sind nicht durch erste Erstarrung der Erdmasse gebildet, so viel ist
sicher. * ®)
Die ersten Arbeiten über Metamorphismus von Delesse sind vom
Jahre 1851.) Ich entnehme das Folgende seinen schon angeführten
Etudes sur le metamorphisme des roches 1861. Er hält die krystallinischen
Schiefer für metamorph; ihr Eisenglanz ist nicht durch Infiltration oder
Dämpfe eingeführt, das Eisenoxyd des Sedimentes krystallisirte im Augen-
blick des Metamorphismus, wobei die Blättchen sich nach der Schieferung
orientirten. Ihr Magneteisen rührt von dem Eisenoxyd her, das nicht in
die Masnesia-Eisensilikate einging, sondern reducirt und krystallinisch
wurde.°) Aller Graphit stammt von organischer oder bituminöser Sub-
stanz. Ihre KRalke sind ebenfalls metamorph und der Grad der Krystallini-
tät hängt ab von dem Grade des Metamorphismus der sie einschlielsenden
I) Jahrb. Min. 1851. 572.
*) Jahrb. Min. 1562. 674.
>) ib. 678.
%) Sur l’origine des caleaires erystallins et notamment du calcaire du gneiss. Bull.
&sol. (2) 9. 138.
5) Btudes p. $S u. 9.
und die Entstehung der krystallimschen. Schiefer. 209
Gesteine.!) Da Delesse die Ausstolsung gewilser Substanzen und die
Zufuhr aus nächst gelegenen Gesteinen im Augenblick des Metamorphis-
mus für möglich hält (ohne freilich das Wie anzugeben), so wandern die
Mineralien in einem Gestein oder in das nächste mit Leichtigkeit.?)
Aus Magnesia haltigem Thon wird Talkschiefer; enthält er noch
Eisen, Chloritschiefer; aus Thon mit Kalk, Magnesia und Alkalı wird Horn-
blendeschiefer. _Amorpher thoniger Schiefer liefert Glimmerschiefer, bei
Überschufs von Kieselsäure quarzreichen Glimmerschiefer; war reichlich
Alkalı vorhanden oder wurde es zugeführt, so entstand Gmeils. Dieser,
ein Zwittergestein zwischen geschichteten und eruptiven Gesteinen, mulste
im Moment, wo er krystallisirte, mehr oder weniger plastisch werden und
konnte daher als Eruptivgestein auftreten.?) Schliefslich sind nach De-
lesse alle plutonischen Gesteine metamorphischen Ursprungs und auf
Kosten der metamorphischen Gesteine entstanden, in welche sie Übergänge
bilden. Diese gehen aus den Sedimenten hervor und werden zu plutoni-
schen Gesteinen, wenn der Metamorphismus den höchsten Grad erreicht. *)
Ein entsprechendes Sediment wird Hornblendeschiefer und dieser wird
eruptiver Diorit, oder ein Sediment wird Gneifs und dieser wird erupti-
ver Granit.
Da es seit den ältesten Zeiten vulkanische Gesteine (wie Trachyt
und Dolerit) gegeben haben muls, so erklärt Delesse ihr Fehlen oder
ihre Seltenheit in den älteren Sedimenten durch den allgemeinen Meta-
morphismus, der sie in die entsprechenden plutonischen Gesteine unter Ver-
lust der zelligen Textur und des Glasglanzes ihrer Mineralien umgewan-
delt hat.) So wurde aus Trachyt Granit, gerade umgekehrt wie L. von
Buch aus Granit Trachyt entstehen liefs. Die plutonischen Gesteine entgehen
dem allgemeinen Metamorphismus keineswegs, sie krystallisiren von neuem
(ebenso wie die von ihnen durchbrochenen Gesteine), ändern ihre Struk-
tur im Grofsen und Kleinen, es entstehen neue Mineralien, während an-
I), SL ICT AT.
2) l. ec. 56.
3) 1.202,80:
a kelke
SIT 1.C. 27
WD
|
Phys. Kl. 1871.
2310 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
dere verschwinden. Da sich die plutonischen Gesteine mit denselben
Charakteren in allen metamorphischen Terrains wiederfinden, müssen sich
die letzteren in allen geologischen Epochen gebildet haben.)
„Sonach ergibt sich, die plutonischen Gesteine sind nicht
die Ursache, sondern eine Wirkung des Metamorphismus,?)
aber sie üben selbst wieder einen örtlich beschränkten Contaktmetamor-
phismus auf ihre Umgebung aus.“
„Bei Annahme feurigflüssiger Entstehung der Erde muls die erste
Erstarrungsrinde vulkanisch sein. Sie wurde zum Theil durch die heftige
Einwirkung des econdensirten, ursprünglich dampfförmigen Wassers zer-
stört und lheferte Sedimente von sehr grofser Mächtigkeit. Diese begrei-
fen den ganzen unseren Untersuchungen zugängigen Theil der Erdrinde,
wie sie auch alle Elemente zu den eruptiven und vulkanischen Gesteinen
enthalten. In diesen ersten Sedimenten bildeten sich durch Wirkung des
Wassers, Druckes, der Hitze und Molekularbewesungen die Mineralien, und
je nachdem die krystallinische Struktur sich mehr oder minder entwickelte,
war das entstehende Gestein Gneils oder Granit.“®) Als normale d. h.
nicht metamorphosirte Gesteine gibt es also für Delesse nur Sedimente.
Sie können z. Th. krystallinisch sein wie Anhydrit, Gyps, Kalk, Dolomit,
Quarz; z. Th. amorph wie Thon, Mergel, Schieferthon, Thonschiefer,
Eisenoxydhydrat. Aber alle Gemenge aus krystallinischen Silikaten, aller
Kalk mit Silikaten, aller krystallinische Anhydrit, Gyps, Kalk soweit er
in metamorphischen Gesteinen eingeschlossen ist, die Quarzschiefer, der
Jaspis sind metamorphisch, mögen die ersteren als krystallinische Schie-
fer, als eruptive oder als vulkanische Gesteine auftreten.
Daneben ist noch die Ansicht von Delesse zu erwähnen, dafs
Wasser schmelzbare und unschmelzbare Gesteine plastisch macht.*) „Un-
ter Druck und Wasser kann im Innern der Erde Quarz erweicht und
selbst plastisch werden.“5) „Damit sich die Mineralien des Granites ent-
Dr 21176.728.
EC.
De
4) Bull. geol. (2) 15. 732. 1858.
5) Etudes. 52.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 211
wickeln konnten, ist nur ein wenigplastisches Magma nöthig. Wasser,
unterstützt durch den Druck und sekundär durch nicht übermäfsig hohe,
sicher unter der Rothglühhitze liegende Temperatur, hat diese Plasticität
bewirkt.“ 1)
Auch bei Delesse bilden die Sedimente den Ausgangspunkt trotz
der Annahme einer feurigflüssigen Erstarrungsrinde.
Daubree?) hält für wahrschemlich, dafs die erste, aus feurigem
Fluls erstarrte, ohne Mithülfe flüssigen Wassers entstandene Erdkruste
von dem bei Erniedrigung der Temperatur flüssig gewordenen Wasser,
„dem Wasser des Uroceans“ (de cet ocean primitif) durchdrungen wurde,
so dafs sich ihre Beschaffenheit durch metamorphische Thätigkeit änderte
und krystallisirte Mineralien entstanden, ähnlich wie bei Daubree’s be-
kannten Versuchen in den Röhren.?) „Der nasse Weg und der trockne
Weg gingen also unter diesen extremen Bedingungen neben einander her,
Lösung und Neubildungen wechselten, und so entstanden massige Gebires-
arten — Granite — und Gebirgsarten mit Anzeichen von Sedimentirung
— krystallinische Schiefer — welche im engsten Verband mit einander
stehen. Ausschliefslich auf trockenem Wege entstandene Gesteine darf
man auf der Erde nirgend zu finden hoffen. Die ersten Absätze blieben
lange in einem weichen Zustande, sehr günstig zur Entstehung der Schie-
ferung, welche vielleicht seitlichem Druck ihre Entstehung verdankt.
Zweifellos geben die vorsilurischen krystallinischen Schiefer Kunde von
der einstigen hohen Temperatur der Erdoberfläche und der später ertolg-
ten Temperaturabnahme. Der Actualismus reicht nicht aus ihre Entste-
hung zu erklären, sie sind ein Beweis gegen ihn.“
Sind also nach Daubre&e die krystallinischen Schiefer metamor-
phischer Entstehung, zeigen sie sogar den Metamorphismus in seiner stärk-
sten Wirkung, so sind sie ihm doch nicht umgewandeltes Silur. Ihre
Umwandlung war vor dem Absatz des Silur vollendet. Der Weg Dau-
1) Bull. geol. (2) 15. 776. 1858.
2) 1. c. Etudes 1860. 121. Ebenso im Rapport sur les progres de la geologie ex-
perimentale. 1567.
3) 1. e. 121. „de m&me que dans nos tubes.* Über Daubree’s Versuche s. Ann.
min. (5) 12. 1857 und Bull. geol. (2) 15. 93. 1858.
6
1
2312 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
bree’s ist kürzer als der von Bischof, aber das Gelingen seiner Ver-
suche, bei denen wasserfreie Silikate neben wasserhaltigen auf nassem
Wege bei hohem Druck dargestellt wurden, verleitet ihn, dieselbe Ent-
stehungsweise den krystallinischen Schiefern zuzuschreiben. Es ist eben
so sicher, dafs bei hoher Temperatur ohne Gegenwart jeden Wassers kry-
stallisirte Mineralien entstehen können, als dafs Gase und Dämpfe bei dem
Erstarren der krystallinischen Schiefer (und des Granites) gegenwärtig
waren; eine freilich ungeheuer geringe Menge von Gasen und Flüssig-
keiten ist eingeschlossen in den Mineralien derselben. Aber daraus folgt
nicht, dafs die krystallinischen Schiefer in der von Daubre&e angenom-
menen Weise entstanden. Wenn Chloritschiefer mit Turmalın dafür spre-
chen sollen, so bleibt die Möglichkeit oder richtiger die Wahrscheinlich-
keit, dafs der Chlorit späterer Verwitterung seine Entstehung verdankt.
Die hohe Temperatur, bei welcher er das Wasser abgibt, ist kein Beweis
für das Gegentheil, da der sicher als Verwitterungsprodukt auftretende
Speckstein dasselbe Verhalten zeigt. Wenn auch Augit auf nassem Wege
bei hohem Druck sich bildet, so folgt daraus nicht, dafs aller Augit (Py-
roxen!) auf diese oder auf ähnliche Weise entstanden ist.?)
Daubrde nimmt an, dals grofse aus Sedimenten bestehende Mas-
sen, in denen keine Eruptivgesteine auftreten, metamorphosirt sein kön-
nen. Wenn silurische und devonische Thongesteine schiefrig werden,
Chlorit führen oder Feldspath, Quarzadern zeigen, wenn die Sandsteine zu
Quarziten werden, so sind sie metamorph, „denn sie können ursprünglich
diese mineralogische Beschaffenheit nicht gehabt haben.“ 3) Noch stärker
tritt die Metamorphose in den talkigen, grünen und Hornblendeschiefern,
im Talkgneils, Quarzit und den glimmerigen Kalken der Alpen hervor. Sie
und ähnliche krystallinische Gesteine sind metamorph, weil, ähnlich wie
dem Contaktmetamorphismus,
1) die untergeordneten Gesteine in sicher sedimentären Gebirgsar-
ten analoge Zusammensetzung zeigen wie die in den krystalli-
nischen Massen: so Kalk, Dolomit, Gyps, Quarzit, Talk- und
1) Rammelsberg, Zs. geol. Ges. 20. 34. 1868.
2) Daubree l. c. 110.
3) 71.202260.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 213
Chloritschiefer. Ferner ist, wie Bischof gezeigt hat, die che-
mische Zusammensetzung gewisser Übergangsthonschiefer nahe
dieselbe wie bei Gmeils und Granit.
2) weil unbezweifelte allmähliche Übergänge vorhanden sind zwi-
schen krystallinischen und geschichteten, Versteinerungen füh-
renden Gesteinen. Besonders in den Alpen, wo in wenig ver-
änderte Sedimente krystallinische Gesteine eingeschaltet sind.
3) weil bei der Contaktmetamorphose die Krystallisation nicht im-
mer die Spuren der organischen Reste verwischt hat. (Granat,
Hornblende, Epidot, Dipyr, Chiastolith, Axinit.) Die bekann-
ten Silikatblöcke der Somma zeigen die Möglichkeit der Umän-
derung.
4) weil man in sehr krystallinischen Feldspath- und Glimmerge-
steinen Pflanzenreste findet. So in den feldspathhaltigen Grau-
wacken von Thann, den Schiefern von Bussang, Vogesen, der
„pierre carıde* der Loire.!)
Gegen den ersten Grund ist der Satz anzuführen, dafs viele Mine-
ralien auf nassem und trocknem Wege entstehen können. (Quarz, Epidot,
Magneteisen, Flulsspath, Schwerspath sind Beispiele dafür.
Gegen Bischof’s These ist zu erinnern, dafs die chemische Iden-
tität oder fast vollständige chemische Identität eines Gemenges von Quarz
und Thon mit einem Gestein aus Quarz und Feldspath doch nichts weiter
beweiset, als dafs der verwitterte Feldspath wenig Alkalı und keine Thon-
erde abgegeben hat. Aber diese chemische Identität ist sicher kein Be-
weis für die physikalische und genetische.
Wenn beı dem zweiten Grunde die Lagerungsverhältnisse unzwei-
felhaft gleichzeitige und gleichgeartete Ablagerung beweisen, wenn nicht
etwa spätere Einschiebung und Dislokation statt fand, so würde dort die
Frage, ob Metamorphose vorliege noch zu erörtern sein. Immer bliebe
dann noch zu entscheiden, ob das dort Gefundene auch für die grofse,
überall gleichmäfsig und reich entwickelte Formation der krystallinischen
Schiefer nothwendig Geltung haben mufs.
314 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
Gegen den dritten Grund ist zu sagen, dafs, wenn in Sedimentge-
steinen die genannten Mineralien bei der Contaktmetamorphose entstehen,
damit ein Beweis für diese Entstehungsart geliefert ist. Aber der Schluls,
dals Mineralgemenge, in denen jene Mineralien vorkommen, darum umge-
ändert sein müssen, läfst für dieselbe Wirkung stets eine und dieselbe
Ursache voraussetzen. Die Metamorphose kann erst dann als vorhanden
angenommen werden, wenn die Möglichkeit der ursprünglichen Bildung,
als der einfachste Fall, durch geologische und chemische Gründe ausge-
schlossen ist.
Der vierte Satz zeigt wiederum, dafs Mineralien, die oft auf feu-
rigflüssigem Wege entstehen, auch auf nassem Wege entstehen können.
Ob nicht Einsehlüsse für gleichzeitige Bildungen genommen wurden, könnte
nur die genaueste Untersuchung jedes einzelnen Falles lehren.
Hohe Temperatur allein kann nach Daubr&e so mächtige Ablage-
rungen nicht verändert haben, schon die Gleichmäfsigkeit der ausgeübten
Wirkung spricht dagegen; Gase und Dämpfe (Chlor-, Fluor-, Borverbin-
dungen u.s.w.!), Druck und vor Allem überhitztes Wasser haben mitgewirkt.
Daubree hat durch Behandlung von Klingenberger Thon mit
Wasser von Plombieres bei hoher Temperatur und Druck perlmutterglän-
zende, weilse, hexagonale, doppeltbrechende Blättchen dargestellt, die wie
Glimmer aussehen. Sie sind schmelzbar, werden durch Salzsäure ange-
griffen, welche Thonerde auszieht; zur quantitativen Analyse war jedoch
die Menge zu gering. Es erscheint ihm sehr wahrscheinlich, dafs die
Substanz ein „einaxiger Glimmer oder ein Chlorit ist.“?) Daubree
drückt sich so vorsichtig aus, dafs man nach seinen Angaben nicht be-
haupten kann, er habe wirklich Glimmer oder Chlorit dargestellt. Nach
seinen Versuchen verliert sibirischer Kaliglimmer, behandelt wie der Thon,
kaum seine Durchsichtigkeit. Daubree geht gewils zu weit, wenn er
allen Quarz, den der eruptiven und der metamorphischen Gesteine, der
Gänge, auf nassem Wege entstehen läfst,3) weil er ihn auf diese Weise
1) Vel.In C.R. 29. 227. 1849 u. Ann. min. (4) 16. 129—156. 1849, C. R. 32. 625.
1851 u. ©. R. 39. 153. 1854 die von Daubre&e angestellten Versuche zur künstlichen
Nachbildung von Mineralien.
)alatcE 93:
3) 1. c. 105.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 215
erzeugt hat. Die Quarze der Liparitlaven sind ein schlagender Beweis
gegen diese Behauptung. Ebenso wenig beweiset die Gegenwart wasser-
haltiger Silikate, Zeolithe u. s. w. in Basalt und Phonolith eine Mitwir-
kung des Wassers bei Entstehung des Gesteines; die mikroskopischen Un-
tersuchungen haben vielmehr mit Sicherheit gelehrt, dafs die Zeolithe
Produkte späterer Veränderung sind.
Wenn Daubree das Wasser bei den feurigflüssigen Eruptivgestei-
nen „eine Art wässriger Schmelzung, die bisweilen durch den Druck blei-
bend wurde,“!) bewirken läfst, wenn er sogar der Volumenvermehrung
durch den Einflufs des Wassers eine Wirkung auf die Eruption der Pho-
nolithe und Basalte zuschreibt,?) oder vom Constitutionswasser der Eruptiv-
gesteine redet, so darf man diese Ansichten sicher als übertrieben und
nicht in der Natur begründet bezeichnen. Dafs bisweilen Wasserdämpfe
die Ausbrüche der älteren Eruptivgesteine begleiteten, während sie in den
Vulkanen die gewöhnliche Erscheinung sind, läfst sich durch manche Er-
scheinungen belegen (Predazzo u. s. w.), aber die hydroplutonischen Con-
taktwirkungen der älteren Zeiten sind viel weniger zahlreich als die rein
plutonischen.?)
Wenn wie in gewissen Theilen der Alpen (Graubünden) die obe-
ven Gebirgspartien metamorphosirt sind und die darunter liegenden nicht,
1) 1.c. 109 „sorte de fusion aqueuse rendue quelque fois persistante par la pression“.
2ytalike. N:
3) Das Vorkommen granatführenden Opals in der Nähe der Granitgrenze im west-
lichen Theile von Elba bezeichnet vom Rath (Zs. geol. Ges. 22. 644) als „überzeugend
für die hydroplutonische Contaktwirkung des Granites“. Der schwarze Opal verdankt
seine Färbung der Einmengung einer rothbraunen Substanz (Nisenoxydbydrat). Eng mit
diesem Vorkommen verbunden ist das Auftreten von Scrpentin (der grünen Schiefer) und
Granatgestein. Der Serpentin führt „lichtgelbe Flecke, wahrscheinlich von zersetztem
Granat herrührend.* Da Serpentin zu Opal verwittert, so erscheint die Herleitung d
Opals aus verwittertem Serpentin [Studer (Bull. geol. (1) 12. 299. 1841) spricht dieselbe
Ansicht aus] viel wahrscheinlicher als die aus einer hydroplutonischen Contaktwirkung de
Granites. Aus dem analogen bekannten Vorkommen bei Meronitz, wo neben granatfüh-
rendem Halbopal von Reuss noch „halb aufgelöseter, schmutzig olivengrüner Serpentin
mit Pyrop und Talk* aufgeführt wird, ergiebt sich derselbe Schlufs, den überdies die
Analysen von Wertheim (s. Rammelsberg Handb. der Mineralchemie. p. 134) bestätigen.
Auch Reuss (Karsten u. v. Dechen Archiv 11. 308. 1835) „scheint bei Meronitz der
Serpentin das Muttergestein der Pyrope zu sein.*
216 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
so schreibt Daubrede diesen Unterschied der Verschiedenheit der Tem-
peratur zu. „Wasserfreie Silikate erzeugen sich im Wasser leicht nur bei
bestimmten Temperaturen; bei anderen werden sie zerstört, “1)
In den Zecherches geologiques dans les parties de la Savore, du
Piemont et de la Sursse vorsines du Mont-Blane, Paris 1867, Bd, 3. p. 317
schliefst sich Alphonse Favre bezüglich der Entstehung der krystallini-
schen Schiefer vollständig den Ideen Daubree's an, „Alle krystallini-
schen Gesteine sind unter dem Bintluls des Wassers auf Kosten der Lava
gebildet, welche das erste feurigtlüssige Gestein war und ist (la seule roche
ignde), Sie bildete die erste Hülle um den noch flüssigen Erdkern, sie
hätte man immer als primitiv bezeichnen sollen.“?) Nach Favre's An-
sicht hat man in den Savoyer Alpen die Rolle der geheimnilsvollen, Me-
tamorphismus genannten Kraft, der man oft die Bildung der Krystallini-
schen Schiefer zuschreibt, sehr übertrieben ,®) und mit Unrecht schreibt
man dem Metamorphismus alle die Wirkungen zu, von denen man sich
keine Rechenschaft geben kann.*) Kr findet jedoch Eozoon in den ser-
pentinischen Kalken, welche dem Gneils im Mattenbach und den Abfällen
der Jungfrau angehören, und nimmt daher an, da ferner Graphit stets
und Kalk fast stets organischen Ursprungs ist und beide Mineralien in
den krystallinischen Schiefern sich finden, dals diese jüngeren Ursprungs
sind als man gewöhnlich annimmt. ®)
T. Sterry Hunt®) nimmt den Metamorphismus im Sinne von Hut-
ton und Boues alle keystallinischen schiefrigen Gesteine sind durch Um-
änderung chemischer und mechanischer Sedimente entstanden, welche der
Hauptsache nach aus Sandsteinen, Schieferthonen und Kalksteinen beste-
hen. Auch alle eruptiven (intrusiven) Gesteine sind nach Hunt verän-
derte und vom Platz gerückte (displaced) Sedimente und stammen her
S) Lo 328 wm 329, La confusion qui a souvent et faite entre los grös houillors
ot les roches ditos primitives a encore vomplique la question du mötamorphisme.
ı) 10 880,
N) ı o& 997,
8) Goologieal Survey of Canada 1857. 476 Ag, namentlich in Geology of Canada
1S68 und an anderen Orten. (Journal of Geol, Soc, of Dublin 1864)
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer, 217
von den unteren Partien der geschichteten Erdrinde, nicht unterhalb der-
selben.!) Manche, wahrscheinlich alle bis jetzt als eruptiv betrachteten
Gesteine (wie Granit, Gabbro, Serpentin, Hyperit, Diorit u. s. w.) sind
nichts als an Ort und Stelle veränderte Sedimente, welche, zur Zeit ihrer
Umbildung mit Wasser imprägnirt, durch dieses und unter Beihtilfe einer
erhöhten Temperatur plastisch wurden, die überliegenden Schichten durch-
brachen und die Form von intrusiven Gesteinen annahmen. Weil sie
unter hinreichendem Druck erstarrten, behielten sie ihren ursprünglichen
mineralogischen Charakter, im Gegensatz zu solchen Gesteinen, welche,
wie die Laven, nahe der Oberfläche und unter schwachem Druck fest
wurden.) Der Metamorphismus geht durch Wasser und hohe Tempera-
tur vor sich, welche letztere, dem Erdinnern angehörig, tief begrabene
Sedimente trifft.?) Der Metamorphismus ist, wofern er regional auftritt,
nicht an die Nähe eruptiver Gesteine gebunden; er kann alle Sedimente,
die tertiären eingeschlossen, *) treffen und erzeugt je nach ihrer Zusam-
mensetzung und des im Wasser Gelöseten verschiedene Gesteine?) Intru-
sive Gesteine rufen als örtliche Quellen hoher Temperatur lokalen Meta-
morphismus hervor.®)
Die Hauptrolle bei dem Metamorphismus, der Umwandlung der
mechanisch im Sediment vertheilten Silikate zu krystallisirten Mineralien,
denn gewisse chemische Kräfte waren früher in höherem Mafse thätig als
jetzt,?) spielt im Wasser gelösetes Alkali-Carbonat, welches bekanntlich Kie-
selsäure (auch die in Form von (Juarz auftretende) als Alkalısilikat in Lö-
sung bringt. Die Lösung wirkt auf die erhitzten Gesteine ein, wird von
den Oarbonaten der Erden zerlegt und bildet aus diesen Silikate der Er-
den. Das wieder hergestellte Alkalicarbonat löset aufs Neue Kieselsäure
und dieser Procefs wiederholt sich fortdauernd, so dafs wenig Alkalı-
earbonat grolse Massen von Erdcarbonaten umwandeln kann. So entstehen
1) Sill. Amer. J. (2) 36. 218. 1863.
?) Geology of Canada 643.
3) ], c. 580 u. 585.
“) ]. 6, 869
6) 1. c. 580
6) 1. c. 583.
?) Journal geol. Soc. of Dublin. t. 10. p. 2. 85. 1864.
Phys. Kl. 1871. 28
218 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus
Augit, Hornblende, Olivin, Wollastonit und, wenn Thonerdesilikat in hin-
reichendem Maafse zugegen ist, Feldspath, Glimmer, Labrador, Granat,
Chlorit. In ähnlicher Weise bilden sich alle krystallmischen Mineralien,
welche die geschichteten und ungeschichteten Gesteine zusammensetzen.
„Das Problem, wie aus Sand, Thon und Erdearbonaten in den Sedimen-
ten die verschiedenen Silikate entstehen, welche die krystallmischen Ge-
steine zusammensetzen, ist also gelöset.“1)
„Die grofse Laurentische Formation, die ältesten bekannten Ge-
steine der Erdrinde enthaltend, ist nirgend in unverändertem Zustand ge-
funden. Sie bedeckt in Canada ungefähr 200,000 Quadratmiles?) und
besteht in ihrem unteren Theile aus Orthoklasgneifs mit Quarziten und Kal-
ken, in ihrem oberen ungleichförmig aufgelagerten Theile hauptsächlich
aus Anorthositgesteinen, Glimmer-, Hornblende-, Grünsteinschiefer, Serpen-
tin, Syenitgneils und Syenit, auch Magneteisenlager fehlen nicht. Alle diese
Gesteine sind evident veränderte Sedimente. Den indirekten Beweis dafür
liefern die Lager von Graphit, Magneteisen, Eisenoxyd, Metallsulfureten
und Apatit. In Europa kennt man als Äquivalent der grofsen Laurenti-
schen Formation nur den primitiven skandinavischen Gneifs und Murchi-
son’s schottischen Fundamentalgneifs; vielleicht gehören hierher auch die
krystallinischen Gesteine Grönlands.“ ®)
Hunt denkt sich die etwa wie Dolerit zusammengesetzte Erstar-
rungsrinde der Erde durch heifse saure Regen in (relösetes zersetzt, das
sich im Meer angesammelt hat, und in thonigkieselige Sedimente. Der
Kern der Erde ist fest, darüber folgt plastisches sedimentäres Material
und über diesem liegen die uns bekannten Sedimente. Durch feurig-wäls-
ige Schmelzung wird das plastische untere Sediment in Eruptivgesteine
und Lava umgeändert, welche die oberen Sedimente durchbrechen. Die
gesammten vulkanischen Erscheinungen gehen also in dem unteren plasti-
schen Sediment vor sich.*)
Die Arbeiten von Dana und Bischof bilden die Grundlagen der
1) Quart. J. geol. Soc. 15. 489. 1859.
2) Geology of Canada p. 47.
3) Geology of Canada 586 u. fig. cf. 22—49.
4) Sill. Amer. J. 1861. (2) 31. 412.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 219
Ansichten Hunt’s, welcher die Erstarrungsrinde vollständiger Zersetzung
überliefert, um dann die Sedimente zu metamorphosiren und zwar durch
heifse Salzlösungen und erhöhte Temperatur, durch hydroplutonische
Processe.
H.0. Sorby!) gelangt durch die mikroskopische Untersuchung von
Glimmerschiefern zu der Annahme, dafs sie früher Thonschiefer gewesen
seien, welche bei Anwesenheit von Wasser und höchst wahrscheinlich bei
erhöhter Temperatur durch einen Krystallisationsprocels umgewandelt
wurden.
Aus der von ihm „rippledrift“ genannten Erscheinung folgert Sorby
1563?) den mechanischen Absatz aus Wasser. Da er sie in Glimmer-
schiefer findet, so mufs der Glimmerschiefer ein Sediment sein. Diese
enthielt ursprünglich Sandkörner und war wahrscheinlich ein Absatz von
mehr oder weniger unreinem Sand und Thon. Die krystallinische Struk-
tur wurde erst nach dem Absatz gebildet, in manchen Fällen nachdem
mechanische Bewegungen die Schieferung (slaty cleavage) hervorgebracht
hatten.
J. Geikie?) betrachtet die metamorphischen untersilurischen Ge-
steine von Öarrick, Ayrshire, als gebildet durch hydrothermale Wirkung
und leitet ihre mineralogische Verschiedenheit hauptsächlich ab von ur-
sprünglicher chemischer Verschiedenheit, nicht von Infiltration fremder
Substanzen zur Zeit des Metamorphismus.
Bekanntlich treten manche Arten mehrerer Hauptabtheilungen des
Thierreichs plötzlich in den ältesten bekannten, Versteinerungen führenden
Schichten auf. Da Darwin) nach seiner Theorie der natürlichen Züch-
tung durch Auslese (natural selection) „für zweifellos hält, dafs alle Arten
derselben Thiergruppe von Einem Stammindividuum (progenitor) abstam-
men, z.B. alle Silurtrilobiten von einem Kruster, der lange vor der Silur-
1) Edinburgh new phil. J. (2) 1856. 4. 339.
2) Quart. J. geol. Soc. 19. 461. 1863.
3) ib. 22. 534. 1866.
*) On the origin of species by means of natural selection (ed. I. 1859. 306—309,
ed. V. 1869. 373—383). cf. ed. V p. 572: „I believe that animals are descended from at
most only four or five progenitors and plants from an equal or lesser number.“
YA
220 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
zeit lebte und wahrscheinlich von jedem bekannten Thier verschieden war,
so muls vor dem Absatz der ältesten silurischen oder eambrischen Schich-
ten eine lange, lange Zeit verflossen sein, während welcher schon Orga-
nismen die Erde erfüllten.“ Er kann keine hinreichende Antwort auf die
Frage geben, warum wir aus diesen von ihm angenommenen ältesten Zei-
ten an Versteinerungen reiche Ablagerungen nicht finden. „Man kennt
zwar nenerlichst monocotyle Pflanzen und einige andere organische Reste
aus den untercambrischen Schichten; Phosphorsäure haltige Knauer und
bituminöse Substanzen verrathen das organische Leben jener Zeiten; das
Kozoon in den Laurentischen Schichten ist ein wichtiger Beweis dafür,
aber dennoch bleibt die Schwierigkeit grofs. Es erscheint nämlich nicht
wahrscheinlich, dafs die ältesten Ablagerungen gänzlich weggeschwemmt
wurden (worn away by denudation) oder dals ihre Versteinerungen durch
Metamorphismus ganz unkenntlich geworden seien, denn dann hätte man
von den zunächst im Alter folgenden Bildungen nur geringe Überbleibsel
gefunden und zwar in theilweise metamorphosirtem Zustand. Aber das
russische und nordamerikanische Silur lehren, dafs nicht nothwendig der
Grad der Denudation und des Metamorphismus mit dem Alter zunimmt.“
Dennoch kommt Darwin endlich zu dem Schlufs, „dafs die vorsilurischen
Ablagerungen vollständig metamorphirt in den nackten, so grofse Land-
striche bedeckenden, metamorphischen Gesteinen erhalten sind“ 1) oder
„dafs sie noch im Meer begraben liegen.“?) Er spricht von den wenigen
Geologen, welche in den metamorphischen Schiefern und plutonischen
Gesteinen den ursprünglichen Erdkern sehen ,?) nimmt mit Lyell an,
dals der Metamorphismus im Meer bei hoher Temperatur und unter gro-
(sem Druck vor sieh ging, und rechnet zu den metamorphischen Gestei-
nen aufser den krystallinischen Schiefern auch Granit, Diorit u. s. w.*)
Die Theorie der Progenitors, so folgerecht sie erscheinen mag,
zwingt Darwin seme Zuflucht zu nehmen entweder zum Metamorphis-
mus oder zu einem im Meer verborgenen Unbekannten. Selbst wenn sie
1.0.8383.
3 l. c. 419.
l. ec. 360 „primordial nucleus of the globe.*
I
. 0.860 u. 383.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 221
richtig ist, verkleinert sie das Räthsel der Entstehung der organischen
Welt nur der Zahl nach, sie löset es nicht, aber der maafsvolle Ton der
nicht dahin, sondern nur auf die historische Continuität der organischen
Welt gerichteten Darstellung berührt überall höchst wohlthätig. Gäbe
man selbst den Metamorphismus der krystallinischen Schiefer und das
Vorhandensein der Progenitors in denselben zu, so würden diese Gesteine
eine Unterlage, das Meer einen Boden voraussetzen, welche beide ohne
Organismen wären, und die Entstehung der Progenitors nach dieser azoi-
schen Zeit bliebe ein ebenso grofses Problem als das Aufhören des Me-
tamorphismus vor dem Silur.
Edw. Hiteheock!) bemühte sich 1861 zu zeigen, dafs gewisse
Conglomerate durch Verlängerung, Abplattung und Metamorphose der
Geschiebe und ihres Bindemittels in Talk-, Glimmerschiefer und Gmneils
verwandelt werden. Mechanische Gewalt, Druck, hohe Temperatur oder
eine andere die Schichten erweichende Ursache verbunden mit chemischer
Einwirkung sollen diese Wirkung hervorbringen.
Schon Rogers?) hat die Unwahrscheinlichkeit dieser Ansicht durch
schlagende Gründe nachgewiesen.
Nach Zirkel?) zeigt sich das vorzugsweise silurische Übergangsge-
birge der Pyrenäen an den Granitmassivgrenzen oft mit sekundären Mi-
neralien beladen oder vollständig zu Thonglimmerschiefer, Glimmerschie-
fer, auch wohl Gmeifs metamorphosirt; die spärlichen Kalksteine sind kry-
stallinisch körnig geworden. Weil krystallinische Schiefer nur da auftre-
ten, wo Granite erscheinen, so ergiebt sich die Beziehung beider, aber an
manchen Contaktlinien ist keine krystallinische Metamorphose erfolgt,
an den Granit grenzt bisweilen Schiefergebirge mit echt sedimentärem
Habitus. Unter den krystallinischen Gebilden waltet Glimmerschiefer
weitaus vor, Talk- und Chloritschiefer fehlen fast ganz, Gneils ist spar-
sam, Hornblendeschiefer wird erwähnt.*) Der metamorphische Ursprung
mancher Glimmerschiefer wird durch Einlagerungen von (uarzsand und
1) Sill. Amer. J. 1861. 31. 372.
2) ib. 440.
3) Zs. geol. Ges. 19. 175. 1867.
4) ib...182.
222 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
Kieselschiefer bewiesen.!) Die grölste Breite der Umänderungen beträgt
11 Kilometer; freilich sind in dieser Zone 12 bis 15 kleine Granitstöcke
vorhanden, welche vermuthlich die Umwandlung weiter ausgedehnt haben
als es das grofse, 13 Kilometer im Durchmesser haltende Granitmassiv
vermocht hätte. An der Süd-, Ost und Südwestseite desselben erscheint
keine Umwandlung.
„In der Nähe des Granites enthält der Glimmerschiefer häufig
zahlreiche oneilsartige, selbst granitartige Partien. An und für sich kann
es, wenn man von dem Granit die umwandelnde Kraft ausgehen lälst,
nicht auffallen, dafs dieselbe mnerhalb einer dazu fähigen Masse Produkte
erzeugte, die ihm selbst ähnlich sind.“ ?)
In seinem Lehrbuch der Petrographie (1866 Bd. 2. 508) lälst Zir-
kel neben metamorphischen Gneifsen ursprüngliche Gneilse zu. „In allen
Fällen, auch bei den ursprünglichen Gmneifsen, dürfte es wahrscheinlich
das Wasser gewesen sein, welches sowohl die Ausbildung der Gneilsmi-
neralien aus einem plastischen, vielleicht hydatopyrogenen Magma als ihre
Umbildung aus klastischen Gesteinselementen bewirkt hat.“ (l. e. 509.)
Für weitaus die meisten Glimmerschiefer und noch mehr für die Thon-
glimmerschiefer nimmt Zirkel metamorphische Entstehung an, für die
Hornblendeschiefer läfst er es unentschieden, die Chlorit- und Talkschie-
fer scheinen ihm nur Sedimente oder umgewandelte Sedimente sein zu
können. (l. e. 513.)
Die Architektur der grofsen Schieferformation, die Wechsellage-
rung, die überall constanten Zwischengesteine, untergeordneten Gemeng-
theile und Übergänge lassen diese Auffassung als kaum zulässig erschei-
nen, mindestens für die Hornblende-, Talk- und Chloritschiefer
In dem „Westöstlichen Durchschnitt durch das nördliche Schott-
land“ (Geol. Skizzen von der Westküste Schottlands) scheint Zirkel
der Augenblick für ein endgültiges Urtheil über die genetischen Ver-
hältnisse des dortigen Fundamentalgneilses noch nicht gekommen. Nur
1) vgl. auch Nogues: Note sur les sediments inferieurs et les terrains ceristallins des
Pyrendes-Orientales. Bull. geol. (2) 20. 719. 1865. Nach Nogues sind auch die dorti-
gen Melaphyre metamorph.
2 E90:
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 223
Ein Grund gibt nach Zirkel Anlafs, auch hier umgewandelte Sedimente zu
sehen: die Einschaltung eines Lagers von körnigem Kalk. Dagegen macht
der Titanitgehalt der Gneifse und die Thatsache, dafs die etwaige Metamor-
phose schon vor Beginn der Cambrischen Periode beendigt gewesen sein
muls, ihm die Umwandlung zweifelhaft.!)
Soweit das Argument für die Metamorphose vom Kalk herrührt,
ist schon früher seine geringe Tragweite erörtert. Der Titanitgehalt läfst
sich als Beweis gegen die Metamorphose nicht gebrauchen, so lange alle
Chloritschiefer für metamorphisch gelten, denn diese führen (s. Zirkel
Petrographie I. 311) in den Salzburger Alpen und am Gotthard Titanit.
Auch die sogleich zu erörternde Nothwendigkeit, zwei durch die Cam-
brische Zeit getrennte Metamorphosen anzunehmen, könnte für einen Me-
tamorphiker kaum in Betracht kommen.
Nach Osten hin folgen über den steilen Schichten des Gneilses-
von ihm getrennt durch nahezu horizontal gelagerte cambrische Conglo-
merate und darüber discordant gelagerte untersilurische Quarzite und
Kalksteine- quarzige und glimmerige Thonschiefer, welche je weiter man
nach Osten vorschreitet, desto mehr unversehens krystallinisch slimmer-
schieferartig werden. Darüber ruht discordant das Devon. Diese centralen
gefalteten krystallinischen Schiefer hält Zirkel für die metamorphosirte
hangende Partie des Untersilurs. „Keinesweges folgen allemal die kry-
stallinischen Schiefer unmittelbar auf Quarzit und Kalkstein, sondern oft-
mals stellen sich zunächst concordant gelagerte, gewöhnliche klastische
Thonschiefer ein, welche, allmählich gegen Osten glimmerig werdend, in
die Glimmerschiefer oscilliren; in letzteren kommen auch noch Schichten
von ganz sedimentärem Habitus vor.?)“ Wie diese Umwandlung beschaf-
fen war, vor Absatz des alleruntersten Devons mufste sie vollendet sein,
denn die im Osten überlagernden devonischen Grundconglomerate enthal-
ten Glimmerschiefer in seinem heutigen Zustand.>)
„Die Metamorphose, welche sich sonderbarerweise im westlichen
Theil nur auf einzelne Schichten erstreckte, hat weiter gegen Osten das
I) Zs. geol. Ges. 23. 193. 1871.
a), oc. 121.
3) .]. c. 122.
224 Rom über die Lehre vom Metamorphismus
ganze Schieferterrain erfalst.1) Da das unterste Untersilur (Quarzit und
Kalkstein) und die eambrischen Schichten vom Metamorphismus unver-
sehrt gelassen sind, so schliefst Zirkel, die Metamorphose sei von Ost
nach West vor sich gegangen ?); sie hat auch nach Zirkel mit Eruptiv-
gesteinen keine Verbindung.
Sieht man in Jona Thonschiefer (mit dolomitischem, Serpentin
führendem Kalk) an den Fundamentalgneifs sich lehnen und dann jen-
seit des Sundes in Mull dieselben Glimmerschiefer auftreten wie in den
centralen Hochlanden (wo sie nach Zirkel aus Untersilur metamorpho-
sirt sind), so kann man sich kaum des Gedankens erwehren, dafs man
trotz aller Faltungen ein einfaches Profil vor sich habe: Glimmerschie-
fer, Thonschiefer (mit Kalk) und die dazu gehörigen Hornblendegneilse
und Hornblendeschiefer (wie gewöhnlich mit Kalk), denn der sogenannte
Fundamentalgneifs ist überall reich an Hornblende und oft arm an Feld-
spath. Dafs ein Theil der Thonschiefer und der „halben Glimmerschie-
fer“ sedimentär sein mag, erscheint höchst wahrscheinlich. Vielleicht
würde eine Vergleichung mit den Gesteinen von Donegal, Nordwestirland,
wo nach Haugshton Glimmerschiefer mit Quarziten, Kalken und Titanit
enthaltenden Gesteinen auftreten, und mit Norwegen, wo ganz ähnliche
(resteine vorliegen, weiteren Anhalt gewähren.
Nach ©. W. ©. Fuchs?) liest in den Pyrenäen zwischen Granit
und den alten Sedimenten an vielen Orten ein schmaler bis breiter Saum
von metamorphischen Schiefern. Die Umwandlung, deren Ursache unbe-
stritten der Granit war,?) ist an der Granitgrenze am stärksten, nimmt jedoch
nicht constant ab; weniger stark und stärker veränderte Schichten wech-
seln oft mit einander ab, und die ersteren sind dem Granit oft näher
als die letzteren. Die Produkte der Umwandlung sind Andalusit- und
Chiastolithschiefer und Gneilse; die letzteren bilden zahlreiche Übergänge
in Granit. Die Metamorphose bestand zunächst in Molekularumlagerung,
die dann durch chemischen Stoffwechsel unterstützt wurde (Zufuhr von
Kieselsäure und Alkalı durch Wasser von mälsig erhöhter Temperatur).
3) J. Min. 1870. 878. a) ce. 878,
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 225
Die Metamorphose der dichten grauen Kalke zu weilsen körnigen ergreift
entweder das ganze Gestein gleichmäfsig oder geht nur von einzelnen
Stellen aus. Diese Umänderung ist nicht durch molekulare Umlage-
rung zu erklären, sondern durch Imprägnation mit kohlensäurehaltigem
Wasser.!)
In diesem letzteren Falle hätte wenigstens der Granit nicht viel
mit der Metamorphose zu thun. Nach Fuchs ist der Granit selbst aus
den am stärksten metamorphosirten Schichten hervorgegangen, da allmäh-
licher Wechsel zwischen Gneils und Granit sich vielfach wiederholt; der
Granit ist das Centrum der Umwandelung.
Dies ist die Vereinigung der Theorien von Durocher und von Bi-
schof, Molekularumlagerung und lange Durchtränkung mit Wasser, wel-
ches alles Fehlende herbeiführt. Die Annahme, dafs „die Metamorphose
sich nur in einer Tiefe des Erdinnern vollziehen kann, in welcher schon
an und für sich die Temperatur eine mälsig erhöhte ist,“?) weicht ab
von Bischof und weiset auf die älteren Hypothesen zurück. Von
Contaktmetamorphose in dem Sinne, dafs hohe Temperatur des Eruptiv-
gesteins die Umwandlung bedingt, kann nach Fuchs hier nicht die Rede
sein, da der Granit der Pyrenäen (und des Harzes) nicht eruptiv ist.
C. Lossen®) hält die krystallinischen Schiefer des Taunus für
Sedimente, welche, aufgerichtet durch die gebirgsbildende Ursache des Rhei-
nischen Schiefergebirges, auf wässerigem Wege umkrystallisirt wurden,
wahrscheinlich unter gleichzeitiger Einwirkung zahlreicher heifser, Kiesel-
säure und Basen zuführender Quellen. Er möchte es „als allgemeines Ge-
setz aussprechen, dafs die meisten echten krystallinischen Schiefer —
also nicht die schiefrig entwickelten Massengesteine — theils im Contakte
mit Eruptivgesteinen, theils ohne solchen, immer aber in Folge der all-
gemeinen dynamischen gebirgsbildenden Processe auf nassem Wege um-
krystallisirte Sedimente seien.“ Im Gmeifs, nicht im Thonschiefer, scheint
ihm die Grenze zwischen Sediment und Eruptivgestein zu liegen, aber
oeoeben.
doch die Möglichkeit einer Erstarrungsrinde aus feurigem Flufs ges
Dr 1207808.
2) 1 c. 87%
3) Zs. geol. Ges. 19. 697—699. 1867.
Phys. Kl. 1871. 29
226 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
Die Rinde zählt ihrer Bildung nach zum Granit, dessen schiefrige Form
eben so Gneils genannt wird wie der feldspathhaltige Glimmerschiefer ;
der Glimmerschiefer ist der Architypus der krystallinischen geschichteten
Gesteine. Die Umwandlung hält gleichen Schritt mit der Grölse der
Umwälzungskatastrophen der betreffenden Schichtensysteme. Das Alter
der Sedimente kommt dabei nicht in Betracht, da die Umwandlungen in
der Schweiz bis in die Ablagerungen der mittleren Tertiärzeit reichen.
In dem Aufsatz „Metamorphische Schichten aus der paläozoischen Schich-
tenfolge des Ostharzes“ (Zs. geol. Ges. 21. 321. 1869) bezeichnet Los-
sen es „als eine festbegründete Wahrheit, dafs dieselben Gesteine, welche
als krystallinische Oontaktschiefer an Eruptivgesteinen beobachtet werden,
auch in den ausgedehnten, unabhängigen, krystallinischen Schiefergestei-
nen vorkommen.“ „Die letzte Ursache dieser (nicht aller) Contaktmeta-
morphosen war eine rein mechanische, welche sogleich oder späterhin
von chemischen Folgen begleitet wurde.“1) „Das mechanische Eindrin-
gen der Eruptivmasse hat einseitig einen chemischen Krystallisations-
procefs in den durchbrochenen Sedimentschichten hervorgerufen oder
eingeleitet.“ ?)
E.Kayser?) findet „die Annahme der sogenannten hydatopyrogenen
Bildungsweise der Diabase ganz geeignet, die Contaktmetamorphosen im
Harz zu erklären.“ „Drangen aus dem durchwässerten Magma heilse,
mit mannichfachen Stoffen, besonders mit Natronsilikat beladene Wasser
unter hohem Druck in die angrenzenden, wahrscheinlich noch plastischen
Sedimente ein, so scheinen alle Bedingungen selbst zu viel tiefgreifende-
ren Veränderungen gegeben zu sein, als sie in den Harzer Diabascontakt-
gesteinen vorliegen. Quellthätigkeit in Begleitung und als Nachspiel der
Diabaseruption hat vielleicht durch lange Zeiträume hindurch gewirkt.“
Kayser nimmt an*), dafs die verschiedene Ausbildung der Con-
taktgesteine des nördlichen und südlichen Zuges von körnigem Diabas im
Harze vor Aufrichtung der Schichten erfolgte, d. h. als die Trennung in
2) ib. 324.
3) Zs. geol. Ges. 22. 161. 1870.
ı Lie 12.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 227
eine Nord- und in eine Südhälfte noch nicht geschehen war. Diese Dif-
ferenz wird erklärlicher, „wenn nach Aufrichtung der Schichten und Aus-
bildung der Centralaxe — vielleicht in Folge des Auftretens des Grani-
tes — noch bedeutende metamorphische Vorgänge allgemeiner Art statt
hatten, die aber nur einseitig im Norden der Axe thätig waren.“
Das ist die Verbindung der Theorien von Scheerer, Daubree,
Hunt. Die jetzigen Vorgänge in Island, wo heilse Quellen mit Gehalt
an Kieselsäure und Natron mit Thon zusammentreffen, wo aber niemals
in Folge dieses Zusammentreffens Feldspath, Chlorit, Glimmer entsteht,
liefern keine Stützen für die von Kayser ausgesprochene Ansicht, frei-
lich fehlt hier „der hohe Druck“!
Die Theorie Kayser’s, aufgestellt zum Behuf der Erklärung eines
einzelnen Falles, kann zunächst nicht einmal auf alle körnigen Diabase
ausgedehnt werden. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob nicht
eine andere, weniger verwickelte und allgemein gültigere Erklärungsweise
auch für die Harzer Vorkommnisse zulässig ist.
Nach H. Credner!) liegen in der huronischen Formation der
Oberen Halbinsel von Michigan zwischen 2 Diabaslagern, von denen das
obere etwa 2300 Fuls mächtig und in seiner Westnordweststreichungs-
richtung über 6 Meilen verfolgbar ist, etwa 300 Fufs mächtige Schiefer-
porphyroide, Feldspathparagonitschiefer, Paragonitschiefer und Chlorit-
schiefer. „Die Grenze dieser petrographisch so durchaus verschiedenen
Gesteine fällt überall mit einer Schichtenfläche zusammen.“?) „Aus der
Wechsellagerung und der Schichtung der Schieferporphyroide ergiebt sich
der Schlufs auf sedimentäre Entstehung von selbst“,3) aber die Hypothese
eines allgemeinen Durchwässerungsmetamorphismus erscheint darnach un-
wahrscheinlich. „Zur Deutung devonischer und silurischer Schieferpor-
phyroide darf man vielleicht die Einwirkung von Mineralquellen auf lockere
noch schlammartige Meeresniederschläge annehmen.“*) Die (analysirten)
Gesteine bestehen wesentlich „aus Orthoklas, Quarz und Natronglimmer.“
1) Jahrb. Min. 1370. 972.
2), 12.02.9831.
3) 120.998
2) 21:0:0:984.
228 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus
Letzterer enthält freilich auf 7,2 & Kalk und 1,2 $ Magnesia nur 3,0 8
Natron, 0,3 2 Kalı und 1,5 9 Wasser, ferner nur 8,6 & Thonerde und
2,6 9 Eisenoxyd, zeigt also sehr geringe Übereinstimmung mit den bis-
her untersuchten Natronglimmern.
Ob sieh die so ungeheuer mächtigen Diabaslager, über deren Erup-
tivität keine Beweise beigebracht werden, und „die Schieferporphyroide*“
nicht einfacher als Faltung der unterlagernden krystallinischen Schiefer
auffassen lassen; etwa als Glieder der Anorthositformation des Laurentian ?
Die Wechsellagerung verschiedenartiger Gesteine und die Schichtung spre-
chen mehr dafür als dagegen.
Die jüngste allgemeine Theorie des Metamorphismus von C. Mon-
tagna!) schreibt der dynamischen Elektrieität?) «dem Blektromagnetismus
und Blektrochemismus alle metamorphischen Erscheinungen zu. „Etwa
5 der Granite und Granitgesteine sind neptunischen Ursprungs und ge-
schichtet, der Rest ist das Produkt aus alten metamorphosirten Laven;
die organischen Reste im Granit sind um so deutlicher als die Gemeng-
theile kleiner werden.“ „Die Zeichnung der Oberflächen von Sagenaria
findet sich auf dem Glimmer des alpinen Gneilses; Gmeils, Glimmer und
Thonschiefer zeigen auf Quarz, Feldspath, Glimmer Spuren von Pfllanzen-
vosten, welche sich fast immer auf Lepidodendron beziehen lassen. Das-
selbe gilt für Syenit, Porphyr, Serpentin, Diorit, Turmalinfels, für die
Granaten der Gneilse u. s. w.“ Die Gänge von Granit?) u. s. w. ent-
stehen so, dals, in Folge dynamischer Störungen in der Lagerung, zwei
verschiedene Sedimente in einander eindringen, etwa in Spalten, und dann
zu verschiedenen Gesteinen umgeändert werden, eins etwa in Granit, eins
etwa nur zu Gmeils, Glimmerschiefer oder Serpentinschiefer.
1) Nouvelle Theorie du metamorphisme des roches fondee sur les phenomenes de
tossilisation des animaux et des plantes de tous les Äges geologiques. Naples 1869,
?) p. 100, „Un geologue qui regarderait un depöt de grös ou de psammite trampe
par la matiöre organique de milliards d’individus y venfermös, comme une assemblage
d’un grand nombre de piles söches d'un nouveau ordre, ne pourrait &tre taxd de poöte,
p. 102, cf p. 64. 74. 785, 88, 100. 107.
®) p. 80,
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 229
Montagna’s Abbildungen zeigen, dafs er in den Erscheinungen,
welche die Oberflächen verwitternder Mineralien bieten, Pflanzenreste ge-
sehen hat. Dieser Theil seiner Theorie möchte sich am leichtesten er-
ledigen.
Wirft man über die Geschichte des Metamorphismus einen Ge-
sammtblick, so sieht man ihn von Schottland ausgehen und durch Leo-
pold von Buch und Boud nach Deutschland gelangen, während etw:
gleichzeitig Keilhau in Norwegen ähnliche Ansichten aufstellt. In der
Alpengeologie, in welche den Metamorphismus schon L. v. Buch einge-
führt hat, gelangt er sodann durch Elie de Beaumont und Studer zu
hervorragender Geltung, wie die Namen Rozet, Sismonda, Uredner,
Stur, Pichler, Volger bezeugen; in Deutschland wendet sich Fr.
Hoffmann der Lehre zu. Wenn L. v. Buch sie um 1842 als fast allge-
ınein angenommen bezeichnet, so sind bis dahin und auch später vorzugs-
weise englische, amerikanische und französische Geologen ihre Vertreter:
Lyell, Fournet, Virlet, Dana, Durocher, Daubree, Delesse, A.
Favre, Sterry Hunt, Darwin, Hitchcock. Erst mit G. Bischof,
Scheerer und Ootta um 1847 beginnt sie in Deutschland Boden zu
fassen und scheint sich seitdem dort auszubreiten. Ist der Ausgangs-
punkt bei Hutton die teleologische Betrachtung, so heftet sie sich spä-
ter vorzugsweise an höhere Gebirge mit verwickeltem Bau: Schottland,
Skandinavien, Alpen, Italien, Pyrenäen, wo die Ungeduld den Beobachter,
der aus Mineralogie, Chemie und Physik nicht schnell genug die Erklä-
rung aller Thatsachen ableiten kann, zu der kühnen Theorie des Meta-
morphismus treibt. Oder schwer zu deutende Beobachtungen in ein-
zelnen Gegenden führen dahin wie bei Keilhau, Forchhammer, Zir-
kel, ©. W. C. Fuchs, Lossen, Kayser, H. Credner. Nur Lyell
als Actualist, Darwin als Vertreter der Evolutionstheorie der Organis-
men und J. N. Fuchs als Vertreter des Amorphismus gehen von allge-
meineren Standpunkten aus. Fast überall sieht man den Verband des
Granites und der krystallinischen Schiefer (oder den Contakt von Erup-
230 Roru über die Lehre vom Metamorphismus
tivgesteinen mit Sedimenten) als die Folie der Theorie durehschimmern,
so dafs sich die Ansicht über die Anfänge der Erde und das Auftreten
der Eruptivgesteine überhaupt fast überall als Hintergrund wiederfindet.
Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint eine Erörterung des allgemeinen
Verhaltens der krystallinischen Schiefer der nächste Schritt sein zu müs-
sen um die Frage zu erhellen.
und die Entstehung der krystallinischen Schiefer.
Inhalt.
Begriff des Metamorphismus bei Durocher, Studer, Delesse, Naumann,
Daubree
Fournet Endo- und Tiomiorpiiieknen LEERE rn . 2
Normaler und abnormer er Haughton Hydro- a Pyromera
morphismus h BR ohlindr. Mr ih
Hutton 1795 (Pl aylair 1602) Uraplutonismns; Corkraltäuek: De
Actualismus. ee)
Heim 1506. Gase nd Dämpfe, ändern Kalke in Dolomite um.
L. v. Buch 1322. Dolomitbildung und Hebungstheorie.
Breislak 1818. Schieferung kein Grund gegen plutonischen an der
krystallinischen Schiefer. Gasströme helfen die Schichtenstellung bedingen,
Bou& 1822. Die krystallinischen Schiefer sind Sedimente, Bpachmoleen durch
hohe Temperatur und Gasströme des Erdinnern. IR Erna 5
Keilhau 1523—50. Geheimnilsvolle Transmutation in starren ee eine
Mitwirkung erhöhter Temperatur oder von Gasen. ES ET.
Keferstein 1829—34. Umbildung vermittelst innerer Thätigkeit der Erde. .
Elie de Beaumont 1826—56. Sedimente jeden Alters
Studer 1326—56. | werden in den Alpen zu
(Rozet, Sismonda, Credner, Stur, Kalter krystallinischen Schie-
Volger). fern umgebildet.
Fr. Hoffmann 1830—35. Krystallinische Schiefer sind umgewandelte Sedi-
mente. Der unversehrt Be EBeDe zwischen Gneiss steckende Thonschiefer
des Fichtelgebirges. : aha) wur isst. Harah Hauch;
Lyell 1855—71. Rückkehr zu Hakton) Metamorphische Gesteine — verän-
derte geschiehtete Gesteine. Actualismus. . ha Mer, #
E. Hitcheock 1833. Erstarrungsrinde aus Granit. Krystallinische Schiefer
sind durch hohe Temperatur umgeänderte Sedimente. Antiactualist.
Sedgwick und Murchison 1842. (C. F. Roemer, Dumont, Sandberger,
List.) Taunusschiefer sind metamorph. RO EIER?
Fournet 1333—59. Erstarrungsrinde aus Glimmerschiefer. Gneiss ist exo-
morpher Glimmerschiefer. Ausgangspunkt die Cupellirung. Jar
Virlet 1836—58. Erstarrungsrinde aus Granit. Eleetrochemische Thätigkeit
bei der Transmutation. a ee
J. N. Fuchs 1838. Amorphismus. Kırystallisation des nassen Breies.
L. v. Buch 1542. Aus Silur wird Gneiss; Aufdringen des Feldspathes aus
dem Innern. Basalt der Tiefe schützt gegen Umänderung durch Granit. .
231
Seite
150— 152
152
176— 175
179
150
157
155
138
159
190
232 Roru über die Lehre vom Metamorphismus etc.
J. D. Dana 1843—63. Heilse Salzlösung ist Hauptagens. Granit, Gneiss
u. s. w. sind metamorph. . » .».. . ER OR:
Forchhammer 1344. NE des Granie wandeln in Skandinavien
Sedimente in Gneiss um. . . Sie © er ler et OBERE.
Durocher 1846 (Bayle, Axel niünem Kjerulf). Comrentktiin in nicht er-
weichtem Gestein bei säcularer Erwärmung und Druck. Das Granitbad.
Transfusion des Feldspathes. . ». 2.2... s Same RS
G. Bischof 1847—66. Feurigflüssiger Kifenrernsthnl Fiystarokryatallice-
tion auf hydrochemischem Wege bei gewöhnlicher Temperatur. Das
‚Wasser (liefert, das ORehlende.urs aus ee sr >
Scheerer 1847—66 (Sorby, Gruner). Feurigwässriger Fluls der Vulkanite
und Plutonite. Nicht alle Gneisse sind metamorph. Wasser, hohe Tem-
peraton, Druck, nu yes ae ve nn
B. Cotta 1847—62. Die krystallinischen Schiefer sind Remo. Drake
Wärme, vielleicht auch Wasser. . . .» RR r \
Delesse 1851—61. Die krystallinischen Schiefer und ale utonischen Ge
steine sind metamorph. Wasser macht plastisch. . © 2 2 222...
Daubr&e 1857—67 (vom Rath). Die krystallinischen Schiefer sind meta-
morph, aber nicht aus Silur. Metamorphose bewirkt durch überhitztes Was-
ser, Gase und Dämpfe. Antiactualist. 5 im. en era lenge
Alphonse Favre 1367. Anschluls an Daubree. Die Erstarrungsrinde Lava.
In den Alpen Rolle des Metamorphismus übertrieben. . . 2. 2...
T. Sterry Hunt 1857—63. Ausgangspunkt die Sedimente. Heilse Salzlö-
sung Hauptagens des Metamorphismus. . 2 2 2 nn.
Sorby 1856. Glimmerschiefer ist metamorph. . . . . - 8
Geikie 1863. Untersilur von Carrick auf hydrothermalen ı We ege N
Darwin 1859—69. Die Progenitors führen zur Lehre des Metamorphismus
für. das. Vorsllurseter 0 0 0 DR RE a er
E. Hitchcock 1861. Conglomerate liefern durch Metamorphose, Abplattung
u. s. w. Talkschiefer, Glimmerschiefer und Gneiss. . 2 2 2 202002.
Zirkel 1866—67. Metamorphose zu krystallinischen Schiefern in den Pyre
näen durch Granit bedingt. In Nordschottland werden zwei Metamorpho-
sen nöthikiens suhlaner Saint Hohe VER Ee BRENNT Re Er
C. W. C. Fuchs 1870. Metamorphose zu krystallinischen Schiefern in den
Pyrenäen durch Granit bedingt, der Granit selbst metamorph., . x...
Lossen 1867—69. Die Taunusschiefer sind Sedimente, welche auf wässri-
gem Wege umkrystallisirt wurden. Die nn paläozoischen
Schichten des Ostharzes. » = 2 2 22.0. Ser: BERNER Tr
Kayser 1870. Die hydatopyrogene Bildungsweise de Dinkase erklärt die
betreffenden Contaktmetamorphosen des Harzes. . . IH. Kir
H. Credner 1870. Das Huron der oberen Halbinsel von Michigan entstand
aus.Sedimentens znark:, eulisl meist a Ann alte rd
Montagna 1869. Organische Reste in Granit, Porphyr, Gneihs UN BIW.
Nachtrag
zur
Übersicht der organischen Atmosphärilien.
Von
ee
H”" EHRENBERG.
[Vorgetragen am 19. Juni in der Sitzung der phys.-math. Klasse, durch Zusätze
erweitert am 27. Nov. 1871.]
l. Systematische und geographische Studien über die
Arcellinen.
ca die Meinungen über den thierischen Character der Bacilla-
rien, der scharfen Characteristik ihres Ernährungssystems und der aus
Mündungen ihrer Schalen hervorragenden einziehbaren Bewegungsorgane
ungeachtet, immer von Neuem sich theilen, sind die Arcellinen des atmo-
sphärischen Staubes und aller Oberflächen -Verhältnisse der Erde als un-
zweifelhaft thierische, vielfach complieirte Organismen mit Übereinstim-
mung der Beobachter im Thierreiche befestigt. Ich habe schon 1838 in
dem Werke „die Infusionsthierchen“ ausgesprochen, dals der erste Beob-
achter einer Form der Arcellinen, Leon Leelere, 1815 eine richtige An-
sicht der systematischen Stellung dieser Formenart bei den Infusorien
auszusprechen nicht verfehlte und dafs, wie es so oft geschieht, nur erst
besonders diejenigen späteren Systematiker, welche ohne oder ohne reich-
haltige eigene Beobachtung urtheilten, über die systematische Stellung
dieser Formen in Uneinigkeit geriethen. Die Difflugien wurden zu den
Anneliden (Richard), den Bryozoen (Lamarck), den Räderthieren (Oken
bei Melicerta) und neuerlich zu den Foraminiferen gestellt. So sind bis
in die neueste Zeit von einigen systematisirenden Schriftstellern die For-
men der Arcellinen theils unter die Polythalamien als Foraminiferen, theils
unter die Polygastern als Rhizopoden vertheilt worden, wie es besonders
bei Claparede geschehen, während bei Pritchard nach M. Schultze
Phys. Kl. 1871. 30
934 EHRENBERG:
die kalkschaligen Cornuspiren, welche den Mangel von kalkschaligen Poly-
thalamien im Sülswasser verwischen würden, bei den Arcellinen auf-
geführt sind.
Aulser der Difflugia von Leclere 1815 wurden schon in den
Jahren 1820 bis 1825 von mir neue Materialien auch für diese Familie
der Organismen in Afvıka gesammelt, welche aber viel später erst mit
verzeichnet sind. Im Jahre 1829 wurde auf der sibirischen Reise mit
Alex. v. Humboldt in Tobolsk Difflugia proteiformis Leclere und Ar-
cella vulgaris in Tobolsk und Catharinenburg Sibiriens beobachtet und
1830 als erste asiatische Formen mit den beiden europäischen Formen
Arcella dentata und A. aculeata in den Abhandlungen der Akademie ver-
zeichnet. Hierauf hat ein sehr fleilsiger Beobachter in Paris, Felix Du-
jardin, im Jahre 1836 und 1837 in den Annales des Sciences natur. die
neue Difflugia globulosa‘) Duj. und eine neue Gattung Trinema?) ver-
zeichnet. Letzteres dürfte jedoch kaum von Arcella hyalina abweichend
sein, wie bereits in den Abhandlungen von 1841 p. 444 von mir ange-
deutet worden. Auch die Arten der Gattung Gromia Duj. des Sülswassers
mögen den Arcellen angehören, da ihr Ernährungsapparat nicht erläu-
tert Ist.
Im Jahre 1838 wurden in dem Buche „die Infusionsthierchen als
vollendete Organismen“ 9 bis 10 Arten der Arcellinen von mir beschrie-
ben und abgebildet, die Ernährungsorgane bei allen Arten von Arcella
übereinstimmend mit dem polygastrischen Typus ihrer Organisation dar-
gestellt und die Anwesenheit einer contractilen Blase angezeigt.
Im Jahre 1840 habe ich in den Monatsberichten mitgetheilt, dafs
der glückliche und reichhaltige mikroskopische Beobachter jener Zeit,
Werneck, bei Salzburg eine Difflugra Ampulla in seinem Briefe an mich
unter dem Namen Ampullaria als neues Genus angedeutet und mir durch
Zusendung lebender Formen im Sumpfwasser Gelegenheit gegeben, die
Charactere bis auf den Speiseinhalt selbst zu betrachten, was mich ver-
anlalste, sie 1840 a. a. OÖ. p. 199 nicht als besonderes Genus, wohl aber
als besondere Species anzuzeigen und auch die bei Berlin von mir auf-
1) Annales des Seiences 1837 Serie II. Taf. 9. Fig. 1.
2) Annales des Sciences 1836 Serie 11. Taf. 9. Fig. A.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilen. 235
gefundene Drfjlugia spiralis fester zu begründen. In dem Vortrage über
die Süd- und Nordamerikanischen kleinsten Formen !) sind noch andere
neue Arcellen und Difflugien von mir namhaft gemacht worden. Unter
16 amerikanischen Arten, 9 Arcellae und 7 Difflugiae waren neue Arten:
Arcella americana, A. constriela, A. ecorns, A. disphaera, A. huınata, A.
Nidus pendulus und A. Pileus; Difflugia areolata, D. acantophora, D. denti-
eulata, D. Lagena, D. laevigata und D. striolata.
Im Jahre 1841 hat Dujardin in der Suite de Buffon „Infusoires“
9 Arten Arcellinen, sämmtlich aus Europa, verzeichnet, darunter auch die
Gattung Euglypha specieller festgestellt.
Von Neuem besonders anregend wurden im Jahre 18452) die
Beobachtungen Schlumberger’s, welcher 7 Arten der Arcellinen aus den
Wässern des Jura und der Vogesen beschrieben, von denen er zwei zur
Gattung Difflugia, 1 zur Gattung Gromia und 4 in vier neue Genera
vertheilt hat. Die beiden Difflugien, D. depressa und D. gigantea haben
angeblich zahnlose Mündungen, aber sgetäfelte Schalen. Es bleibt im
Zweifel, ob die Zähnchen an der Mundöffnung im frischen Zustande viel-
leicht wegen Durchsichtigkeit und Schleimumhüllung übersehen wurden,
da sie im abgetrockneten Zustande oft deutlicher hervorzutreten pflegen
Die Erfüllung mit vegetabilischen Speisetheilchen ist bei D. depressa an-
gezeigt. Gromia hyalina scheint die von mir 1838, Infusorienwerk Taf. IX
Fig. VI, als Arcella hyalına abgebildete Form. Die vier neuen Genera
Schlumberser’s sind:
1. Lecquereusia jurassica, durch kleine, in die Schale verwebte
Bacillarien characterisirt, sonst der Difflugia proterformis bis auf einen
verdünnten und gekrümmten Hals ähnlich. Da aber bei Arcella aculeata
‘xemplare mit und ohne eingewebte Bacillarien vorkommen, so ist die
Sicherheit des Gattungs-Characters zweifelhaft und die Form würde zu der
Abtheilung Cortieella gehören. Auch hier sind verschluckte Bacillarien
und Pflanzentheilchen im Innern beobachtet.
!) Abhandlungen der Akademie 1341.
?) Annales des Sciences nat. 1845 T. III Ser. III p. 254.
50%
236 EHRENBRRE:
2, Ovphodena marganitacea Schl. Die kleinen Perlreihen der Schale
dieser Form erinnem einzeln an Assula umdonata. Sie würde in die Ab-
theilung Zuglypha (edentata) gehören, wenn man nicht aus den perlarti-
gen Kunötchen noch eine besondere Gattung festzustellen geneigt ist, Die
von mir Cyphrdiem aureolum genannte, ebenfalls gelbe Form scheint von
dieser verschieden zu sein, Eine Abbildung von Uyphoderia margaritacea
ist von Schlumberger nicht, aber 1856 von Fresenius!) gegeben,
welche eine Frankfurter Form betrifft, die er mit der aus den Vogesen
für einerlei hält, Die Gestalt dieser Art schlieist sich sehr nahe an die
von mir beobachtete und 1856 verzeichnete Diflugia uneinata aus Texas
an, deren Zellseulptur der Oberfläche zwar bei stärkerer Vergrölserung
nicht deutlich sechseckige Zellen zeigt, aber unter günstigeren Verhältnissen
sich vielleicht doch als gleich gebildet ergiebt.
3, Dreudodiiiluna graecilis ist eine mit sandartigen Theilen durch-
webte Schale mit runder ungezahnter Öffnung. Diese Form gehört zur
Abtheilung Corticella.
4 Sphenodena lenta ist neben reihenweis getäfelter Oberfläche
durch eine kammartig zusammengedrückte Mundöffnung characterisirt, wie
sie bei Difklugta Carpro und D. binodis von mir beobachtet worden ist, die
aber beide nicht reihenweise sondern netzartige Täfelchen, eine mit, die
andere ohne Zähnchen am Munde zeigen. Aus dieser Verschiedenheit der
Steuetur geht hervor, dals der zusammengedrückte Mund nicht wohl der
Character einer besonderen Gattung sein kann, zumal es bei fast allen
gezahnten Formen sehr schwer ist eine Aufsicht des Mundes zu erlangen,
wodurch der Mangel einer vollen Rundung oft annehmbar wird. Sphe-
noderia lenta gehört zu Zuglypha.
Im Jahre 1845 wurde von Weilse im Bull. d. St. Petersd. T. IV
Arcella uneimata und dieselbe Form gleichzeitig von mir im Monatsber.
1845 verzeichnet.
Im Jahre 1847?) (1844—1849) wurden von mir 4 Arcellae und
2 Dirflugiae, darunter die fragliche neue Form A. costata im Passatstaub
verzeichnet. Im Jahre darauf 1848 habe ich aus dem niederen Luft-
1) Abhandl. der Senkenb. nat Gesellsch. Bd 2 Taf, NH Fig. 3— 36.
2) Abhandl, der Akad, 1S47,
Nachtrag zur Übersicht der organischen Amosphärilien. 237
staube von Europa, dem Libanon und Venezuela 18 verschiedene Arcel-
linen, 11 Difflugien, 7 Arcellen, angeführt, darunter als neue Arten: Ar-
cella comdieieola, A. constrieta, A. granulata, Diffluyia Bructeri, D. can-
cellata, D. cilata, D. collarıs, D. Dryas, D. retieulota, D. squamata.
Im Jahre 1849) ist eine Reihe hierher gehöriger Untersuchungen
von Perty publieirt worden, welche die in der Schweiz bis in die Hoch-
gebirge und in Öberitalien vorkommenden etwa 11 Arcellinen betreffen,
neue Namen waren: Difflugia acaulis?), D. pyriformis, D. Bocillariaorum,
Arcella stellaris, A. wirıdis, Euglypha loevis und E, setigera. In dem Aus-
zuge?) aus seinem 1852 publieirten Werk: „Zur Kenntnifs mikroskopischer
Lebensformen u. #. w.* Bern 1852, sind noch als weitere neue Arten der
Schweiz von ihm hinzugefügt: Arcella hemisphoerica, A. Okenn, Difflugio
curvata und D. minime,
Im Jahre 1852 %) haben Felix Dujardin in Paris und ihm zufolge
Boulengey in Rennes verschiedene Difflugien, Arcellen und Euglyphen
in feuchten Moosen am Fufse der Bäume, also wohl aus dem niederen
Luftstaube, in Frankreich beobachtet, welche die von mir 18487) aus
Venezuela, Berlin und vom Libanon angezeigten ähnlichen Erfahrungen
weiter bestätigen und speciell auch auf die Arcellinen hindeuten,
1853 habe ich in den Monatsberichten aus den Alpen der Schweiz
und Baierns 15 meist bekannte Arten Arcellinen, 7 Arcellen, 8 Diffiugien,
verzeichnet. In demselben Jahre theilte Ferd. Cohn®) seine Beobach-
tung der Oopulation zweier Schalen mit der Mundöffnung bei der neuen
Difflugia Heliv Cohn mit, während Schneider 18547) eine Knospung
bei Difflugia Enchelys zu erkennen glaubte.
Im Jahre 1854 wurde die Mierogeologie publicirt, in welcher von
mir 48 Arcellinen, 23 Arcellen, 25 Difflugien, aus Asien, Afrika, Amerika
!) Naturf, Gesellsch. zu Bern 1849.
2) Der Name „ocaulis“ ist nicht glücklich gewählt, da von einem Stengel bei Arcel-
linen überhaupt keine Rede sein kann.
#) Mittheil. d. naturf. Gesellsch. in Bern 1852 p. 60.
#) Annales d. Sciences nat. Vol. XVIII 1852 p. 240,
5) Monatsb. d. Berl. Akad. 1848.
€) Siebold u. Kölliker’s Zeitschr. Bd. 4. 1853 p. 261.
7) Müller’s Archiv 1854 p. 205.
238 EHRENBERG:
und Australien verzeichnet und 21 Formen, 10 Arcellen, 11 Difilugien,
abgebildet wurden,
In dem nämlichen Jahre 18541) hat Max Schultze bei Gelegen-
heit der interessanten Beobachtung der von ihm Zagynis baltiea (I. e. Taf. I
Fig. 7. $) genannten Meeresform von Greifswalde eine neue Familie der
Lagynıda unter den Monothalamien der Rhizopoden p. 56 beschrieben,
wozu er eine grölsere Anzahl anderer schon bekannter Genera gezogen
hat. In diese Familie rechnet er auch kalkschalige Formen, wie seine
neue Gattung Squamulıra, Ovulina D’Orbigny und ähnliche. Es hat aber
dieses Verfahren die Schwierigkeit, dafs hierdurch kalkschalige mit kiesel-
schaligen und häutigen Formen in ein und dieselbe Familie vereinigt werden,
wodurch die Gestaltungen der Meeres-Polythalamien (Foraminiferen) auch
eine Stelle in den Sülswasserbildungen, von denen sie bis dahin durch
ihren Mangel in der Schreibkreide u. s. w. ausgeschlossen waren, erlangen
würden. Im sleichen Jahre 1854 habe ich versucht im den Monatsbe-
richten und 1855 in den Abhandlungen der Akademie bei Gelegenheit
der Erläuterung der Grünsande über den Organismus der Polythalamien
im Gegensatz zu den Polygastern meine Erfahrungen mit mir noch jetzt
berechtigt erscheinenden Gründen unterstützt auszusprechen, welche in
den Abhandlungen 1852 p. 216 ausführlich zusammengefalst sind. Ziehe
ich aber die blos chitinhäutigen und kieselschaligen Formen der Arcelli-
nen ab, so bleibt auch die Gattung ZLagynıs so nahe bei Difilugia der
Arcellinen stehen, dafs ich Bedenken trage sie davon zu entfernen. Sehr
leicht und ohne Zwang reiht sich auch diese Zagynıs baltica dureh structur-
lose Haut und zahnlosen Mund an die Abtheilung Zrassula an und ihr
Vereinigen mit Schlumberger’s Üyphoderia durch Stein und Frese-
nius ist behindert durch den Mangel einer Structur der Schale.
Im Jahre 1856?) hat Carter, damals Assistenzarzt in Bombay,
eine gröfsere Reihe sehr verdienstvoller Untersuchungen über die west-
asiatischen mikroskopischen Organismen veröffentlicht, in denen beson-
ders die Amöbeen und Arcellinen intensiv beobachtet sind. Diffluga in-
euspis Carter, 1. ec. Tab. VO Fig. SO, hält Fresenius für D. oblonga
1) Max Schultze, über den Organismus der Polythalamien. Leipzig 1854.
2) Annals and Mag. of nat. hist. Tome XVII 1856 p. 221.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphänrilen. 239
Ehrb., was ich nicht unbedingt anzunehmen veranlafst bin, da ich eine
dreilappige Mundöffnung, welche nicht glücklich dreispitzig (trieuspis) ge-
nannt worden ist, bei D. oblonga nicht erkannt habe und welshalb die
asiatische, auch in der Gestalt eisenthümliche Form vielleicht doch eine
besondere ist. Was Kuglypha alveolata Carter anlangt, so erscheint mir
auch diese Form, deren innere aber noch unklare Organisation von Carter
reichhaltiger dargestellt ist, l. c. Tab. V Fig. 25—36, defshalb von der
europäischen wesentlich verschieden, weil die Täfelung nur am Halse in
vielen Zeichnungen angegeben ist und am Körper fehlt. Besonders wichtig
wäre seine Beobachtung einer angeblichen, noch zu bestätigenden, vielleicht
doch nur scheinbaren Copulation.
In demselben Jahre 1856 hat Bailey!) die ersten zwei oceani-
schen Formen dieser Familie an den nordamerikanischen Küsten ver-
zeichnet, Diffugia marima Bailey und Cadium marınum Bailey. Letz-
teres ist hier als Difflugia (Lirella) Baileyi nach meinen eigenen 1861?)
veröffentlichten Untersuchungen aus der Davisstralse aufgenommen und
auch die Zahl der oceanischen Formen durch die Difflugia membranacea
daselbst von mir vermehrt worden.
Im Jahre 1857 hat Professor Stein in den Sitzungsberichten der
Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften neue Beobachtungen über die
Sülswasser-Rhizopoden veröffentlicht, welche er in Gymnica, Monocyphia
und Arcellina abtheilt. Zu den ungepanzerten Gymnicıs rechnet er als
Amöbeen Amoeba und ÜUhaetoproteus und als Actinophryna Actinophrys und
Actinosphaerium. Zu den Monocyphien als Coryeinen Corycia Duj. und
als besondere Abtheilungen der Difflugien: Gromia D uj., Difflugia Leelere,
Euglypha Duj., Sphenoderia Schlumb., Hyalosphenta Stein et Grunow,
Uyphoderia Schlumb. Zu den Arcellinen rechnet Stein Trinema Duj.,
Arcella Ehrb. und Centropyzis Stein. Die noch wenig beobachtete, aus
Lebermoosen 1852 entwickelte Gattung Coryeia Duj. ist vielleicht als Pam-
phagus von Bailey in dem Americ. Journ. Vol. XV. Serie Il 1853 ausführ-
licher dargestellt, und gehört zu den schalenlosen Amöbeen. Lieberkühnta
Ölap. u. Lachm. 1859, vielleicht auch Pelobrius Greef 18703) scheinen
1) Amer. Journ, of Sc. and Arts. Serie 2. Tome XXII p. 3. Taf. I Fig. 2. 7.
2) Monatsbericht der Berl. Akademie 1861 p. 280.
3) Sitzungsb. niederrh. Ges.
240 EHRENBERG:
sich als amöbenartige grofse Formen hieran anzuschliefsen. Die Einrei-
hung der Gattungen Gromia und Uyphoderia (Lagynis) zeigen an, dals
der Verfasser die zu den Foraminiferen gestellten Formen richtiger in der
Nähe der Difflugien stehend sich vorstellt und durch die Gattung Aya-
losphenia vermehrt er diesen Kreis verwandter Formen. Was seine Ab-
theilung Arcellina anlangt (ich übergehe das Übrige), so ist es schwer
einen wichtigen Unterschied aufzufinden, welcher die Vorstellung dieser
Abtheilung als wesentlich von Monocyphia verschieden begründet. Auch
hier hat der Verfasser einen eigenen generischen Namen für die von mir
aufgestellte Arcella aculeata als Centropyxis eingeführt, während die Rand-
stacheln dieser Form zuweilen sehr zahlreich und wieder bei einzelnen
Exemplaren sehr unregelmäfsig in Gestalt, Länge und Zahl sind, ja nicht
selten als ganz fehlend (Arcella ecornis?) sich zu erkennen geben.
Im Jahre 1858 wurden von mir in den Abhandlungen der Aka-
demie p. 426 bis zu den höchsten Pässen des Himalaya (bis 20,000 Fuls
Höhe) 7 Arten Arcellinen beobachtet, 3 Arcellen, 4 Diflugien, darunter
als neue Art Difjlugia alpieola.
In demselben Jahre 1858 haben Claparede und Lachmann neue
Studien über diesen Gegenstand veröffentlicht. Die Arcellinen sind von
ihnen als mit einer Schale versehene Amöbeen meinen frühesten Vor-
stellungen gleich aufgefalst worden, allein sehr abweichend von meinen
Auffassungen sind die Polythalamien und Polyeystinen mit den Polygastern
als Rhizopoden zusammengefafst und die Bacillarien ausgeschlossen wor-
den. Beide Beobachter stimmen darin mit meinen Darstellungen überein,
dafs an Einfachheit der Substanz dieser so oft Sarcode genannten Thier-
körper nicht zu denken sei, vielmehr die von mir in Steinkernen der
Polythalamien-Kalke und im Grünsande der Vorwelt 1839 und 1846 be-
sonders 1847 in den Monatsberichten nachgewiesene, sehr zusammenge-
setzte, auch von Carter zum Theil berichtete Structur anzuerkennen sei
(Etudes sur les Infusoires p. 420).
Die Arcellinen theilen die obigen Verfasser als Abtheilung der
Amöbeen der Rhizopoden in 3 Genera: Arcella, Echinopyxıs und Difflugra.
Unter Arcella verzeichnen sie 2 Arten, Arcella vulgaris und A. patens,
letztere als neue Art. Die Zerspaltung der Arcella vulgarıs durch Perty
in mehrere Arten, sowie die beiden neuen Arten von Perty, A. hemi-
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 241
sphaerica und A. viridis und auch A. uneinata von Weilse werden von
ihnen als Varietäten der Arcella vulgaris besprochen und zu diesen Varie-
täten auch die 1838 als A. dentata von mir abgebildete Form gerechnet.
Die besondere Gattung Cyphridium aureolum ist von ihnen unbeachtet ge-
blieben. Was die Kehinopyxis aculeata der Verfasser anlangt, so ist diese
schon vor ihnen von Stein Üentropyxis genannt worden. Ich selbst halte
beide Namen für generisch ungerechtfertigt, weil die Randstacheln meist
sehr unregelmälsig an Grölse, Gestalt, Abstand von einander und an Zahl
niemals übereinstimmen, oft abgebrochen, daher geöffnet, zuweilen nur
als geringe Knötchen vorhanden sind, sowie sie auch ganz zu fehlen schei-
nen, wo dann nur die Unregelmäfsigkeit der Gestalt sammt der Structur
der Schale diese Art von A. vulgarıs verschieden erscheinen läfst.
Was die von mir 1838 (Infusionsthiere) beschriebene und abge-
bildete Arcella hyalina anlangt, so sind öfter die Vorstellungen von neue-
ren Beobachtern, auch die von Fresenius, auf die von mir umständlich
beobachtete Form, wo sie abweichen, in keiner Weise anwendbar, und
diese Besonderheiten von Lokalformen mögen vielmehr Verwechslungen
mit der Gattung Gromia hervorbringen. Dagegen ist eine einflufsreiche
Beobachtung von Claparede und Lachmann mit besonderer Theil-
nahme festzuhalten, zufolge welcher die Arcella vulgaris ihre Schale
wechseln soll, wodurch sie die grofse Variation dieser Art erläutern. Es
mag dies eine jener Oysten-Umbildungen sein, deren weitere Beobachtung
die Systematik der Arcellen und Diftlugien, wenn sie stattfindet, noch
sehr wesentlich umändern kann, mir aber nicht vorgekommen ist.
Von Difflugien erwähnen die Verfasser aufser den von mir aufge-
führten D. proterformis Leel., D. acuminata, D. oblonga, D. spiralis, D.
Ampulla, D. Enchelys und D. Lagena noch D. pyriformıs Perty, D. Ba-
cillariarum Perty, D. Heliw Cohn, D. depressa und D. gigantea Schlum-
berger. Aulser den nach ihnen bei Berlin häufigen D. proteiformis, D.
acumanata und D. pyriformis haben die Verfasser keine der Formen selbst
beobachtet und halten D. oblonga wohl mit Unrecht für eine ihrer Schlamm-
hülle beraubte D. pyriformis. Der Charakter der Gattung Difjlugia wird
in der constanten Bedeckung der Schale mit Schlamm erkannt. Eine grofse
Zahl von nahe verwandten Formen wird unter dem Namen Zuglypha in
der ganz anderen Abtheilung der Schalen führenden Actinophrynen ver-
Phys. Kl. 1871. öl
949 EHRENBERG:
zeichnet, von denen Claparede nur die eine Art Euglypha tuberculata
Duj. 1841!) gesehen hat. Einige von Claparede und Lachmann zur
Familie der Actinophrynen gestellte Formen sind Pleurophrys und Trı-
nema. Trinema Acinus Duj. 1836 wird für einerlei gehalten mit der von
mir 1838 beschriebenen und abgebildeten, 1835 beobachteten Difflugia
Enchelys. Die mir etwas zu spät bekannt gewordene Gattung Trinema
wülste ich auch jetzt von jener Difflugia Enchelys, die aber später doch
durch seitliche Öffnung den Charakter und Namen einer Arcella erhalten
hat, nicht zu unterscheiden. Eine Bemerkung der beiden Verfasser, dafs
Trinema Acinus Duj. = Difflugia Enchelys Ehrbg. im Jugendzustande die
Öffnung vorn und im Alter seitlich habe (pag. 456), enthält eine für die
Systematik wichtige, aber noch nicht weiter bestätigte Ansicht.
Die im Jahre 1863 erschienene Systematik in Carus und Ger-
stäcker’s Handbuche der Zoologie verzeichnet die Arcellinen bei den
Amöbeen der Infusorien und enthält nur die Formen der früheren Beob-
achter, hat aber die Gattung Cyphidium wie seine Vorgänger ganz weg-
gelassen. Die Einreihung der Lagynis bei den Foraminiferen als Rhizo-
poden und deren weite Entfernung von den Difflugien schliefst sich an
die Vorstellungen von Clapar&de und van der Hoeven an.
Bei den grolsen Schwierigkeiten der verschiedenen Beobachtungs-
methoden und besonders der verschiedenen Ansichten über die einfache
Grundsubstanz oder grolse Organisation der hier in Betracht kommen-
den Naturgegenstände, habe ich für nützlich gehalten zur geographi-
schen Übersicht und zur Erläuterung des von der Atmosphäre getragenen
organischen Lebens von allen den Zerwürfnissen der Systematiker Ab-
stand zu nehmen und vielmehr in der Abhandlung vom Februar genaue,
von mir selbst in früheren Jahren gezeichnete Abbildungen der zu beur-
theilenden Formen mitzutheilen und allesammt unter den einfacheren Na-
men Difflugia und Arcella zusammenzustellen. Auf der beigehenden Tafel
ist diese Charakteristik anschaulich gemacht.
Die neuesten Fortentwicklungen der sich immer zusammengesetzter
gestaltenden und auffällig zierlich gewebten Struetur der für einfach ge-
haltenen Bacillarien-Schalen durch Otto Müller, wie es im Sitzungsber.
1) Dujardin, Suite de Bufon Infusoires p. 251 Pl. 2 fig. 7. S.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 245
der Berliner naturf. Gesellschaft vom Oktober d. J. dargestellt ist, zeigt
deutlich an, dafs eine grolse Berechtigung vorliegt, in allen diesen mikro-
skopischen Formen die Grenzen der Organisation ihrer Substanzen einer
noch immer tiefer gehenden Forschung zu empfehlen.
Nach den historischen, so viel als mir möglich war, vervollstän-
disten Bemühungen vieler Beobachter ist das folgende, die gegebenen und
mir bekannt gewordenen Specialnamen zusammenstellende Verzeichnifs der
sämmtlichen, auf der ganzen Erdoberfläche in Erfahrung gebrachten For-
men-Arten der Arcellinen in Übersicht gebracht worden. Eine einge-
hendere Kritik der Synonymie für Europa mufs ich späterer Bemühung
überlassen, da die Beobachter sich bis jetzt noch nicht über die Stärke
der anzuwendenden Vergröfserungen oder auch des anwendbaren Organi-
sations-Typus geeinigt haben. Nur die von mir selbst stets bei 300 mali-
ger Diameter-Vergröfserung betrachteten und durch Präparate zur wieder-
holten Prüfung festgehaltenen und benannten Formen erlauben bisher
eine gesicherte Vergleichung, wenigstens der Schalen der in verschiedenen
Erdgegenden und in der Atmosphäre vorhandenen Arten.
Die bisherigen systematischen Anordnungen der Arcellinen leiden
an dem Mangel einer physiologischen Einsicht in den Bau des Organis-
mus ihrer Weichtheile. Es soll dies kein Vorwurf für mühsame Beob-
achter sein, da auch ich selbst eine nur erst theilweise Erkenntnifs
erlangen konnte, vielmehr mag es auf die noch vorliegenden Schwierig-
keiten bei Schalthieren hindeuten, welche eben eine befriedigende Syste-
matik noch nicht erlauben. Hauptsächlich fehlt noch meist der Nach-
weis, ob das Ernährungssystem sich dem vielzelligen Bau der Polygastern
oder dem einfachen schlauchartigen Bau der Polythalamien anschlielst,
was bei lebenden, durch Farbenahrung am sichersten allgemeiner festzu-
stellen sein wird. Erst nach Feststellung dieses am wenigsten schwieri-
gen und feinen Organsystems werden sich die schon hier und da erkann-
ten, aber noch unklaren vielen Complicationen ordnen lassen, welche
auch Schultze bei Lagynis, Carter bei Euglypha alveolata u. A. an-
gezeigt und abgebildet haben. Ob die vier bandartigen Organe im Grunde
bei Lagynıs mit den vier Spiralbändern bei Diflugia spirigera des bairi-
schen Hochgebirges gleiche Functionen haben, ist weiter zu ermitteln.
Das oft behauptete Ineinanderfliefsen der Pseudopodien gleich einer haut-
31”
244 EHRENBERG:
losen Flüssigkeit hat mir auch in der neueren Zeit, ungeachtet der Strö-
mungsanzeigen, nur stets den Eindruck einer optischen Schwierigkeit ge-
macht, welche durch das erfolgende Entwirren und Zurückziehen der
einzelnen Theile mir stets unzweifelhaft wurde.
Versuch einer systematischen Anordnung der Arcellinen
nach eigenen Beobachtungen.
I. Arcella (Kapselthierchen).
Loricae apertura laterali aut media, infera, pseudopodio simplici
aut multiplici plano aut tıliformı.
1. 4A. Homoeochlamys.
Loriea inermis suborbieularis aut oblonga, laevis aut subtiliter sine
ordine punetata, aut nebuloso-maculata, interdum costata.
a. orbiculares. b. oblongae.
A. Homoeochlamys angulosa A. Homoeochlamys americana
== —— dentata — = constricta
—— —_ discoides — — costata
-- En ecornis _ — Disphaera
— _ Globulus — — Einchelys
— — hyalına 1838 = — — gramulata
Gromia hyalina Schl.; an Gromia — — lunata
oviformis Duj., Gr. Jhumatılis Duj., — — patens
Gr. Dijardın! Schultze, Trinema — _ rostrata
Acinus Duj.)? En — uncinata.
2. 4. Sticholepis.
Lorica inermis orbieularıs aut oblonga, areolarum aut assularum
seriebus ornata.
a. orbieulares. b. oblongae.
A. Sticholepis Prleus A. Sticholepis caudicreola
— — stellarıs _ _ Megastoma — Eugly-
— —_ vulgaris pha pleurostoma? Carter
— —- Nidus pendulus
— — retreulata.
— — serlata
LO
ng
og
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien.
3. 4A. Centropyzis Stein 1857.
Lorica varıa aculeata aut setosa.
A. Centropyxis aculeata = Echinopywis Clap. 1859
_— — cirrhosa
— — Diadema.
4. 4A. Heterocosmia.
Lorica inermis, superficie areolis sine ordine caelata, suborbieularis
aut oblonga.
a. orbiculares. b. oblongae.
A. Heterocosmia cellulosa A. Heterocosmia Arctiscon
— — Mierostoma _ — guatimalensis
— = peristieta — _ Nigritarım
— — stellata? (imcerta) — — Pyrum.
5. 4A. Oyphidium.
Lorica inermis non areolata, tuberculis obsita, pseudopodio sim-
plice dilatato nee filiformi.
A. Cyphrdium aureolum = Arcella aureola Griffith.
II. Difflugia (Schmelzthierchen).
Lorica varia urceolari aut lageniformi, interdum curvata et unci-
nata, non numquam limo incrustata, apertura frontali, pseudopodio sım-
plice aut multiplice attenuato, filiformi aut ramoso.
1. D. Exassula.
Lorica inermi oblonga, ovata aut subglobosa, varia, superficie laevi
simplice aut irregulariter punctata, apertura dentata aut edentata.
a. edentatae. Lagynis. b. dentatae. Ürossopyxis.
D. Exassula Aretiscon D. Exassula azorica
— — baltiea(LagynisSchultze) — — Zattloggi
— — globulosa — — dentieulata
== — granulata — — fallax
R Ba = # BER: 17,2
Bi. en
D. Exassula hyalina BT
— 0 — lamıs
ae
— — _ lrostoma _ N ü
— ..— membranacen — .— prorolepta u‘
i — — oblonga — — Pirurson
— .— paocifica — .— Sehwartzü 3
i 5 — — Phiala
— — Roraimae |
r — 0 pingera dot PoR
— .— tmeuspis
2%. .D. Assulina,
Loriea inermi oblonga ovata aut subglobosa, varia, apertura laevi
aut dentata, superficie areolarum aut assularum seriebus ornata.
@ odentatao, Hologlypka. d. dentatae. Zuglypha.
D. Assulina adunca D. Assulina alpicola
— 0 — alabamensis — — alveolatalarternecDuj.
— .— Ampulla — .— Amphora
— — assulata — .— antarchea
— .— carolinensis — .— reolata — Eugl. ale.
— — Öyrtocora Duj. ex parte
— — depressa — ..— capensis
— .— Dryas — — Qteurbitula
— — Harman — — eylindırea
— — lenta (Sphenodera — — @üe.
Schlumb. 1845) — — Floridae
— — Lepteolepis — .— moluccensis
— — Tieata — — 0Oligeodon
— — Maerolenis — — rectangularıs
— .— margarltacea (= Üy — — Robert Müller
- phoderia Schlumb) — — Seelandica
— .— manıma — .— Semimulum
— .—. squamala — 0 — tessellata.
— — wnemnata — .— tubereulata Duj-
Nachtrag
3. D. Setigerella.
zur Übersicht der orgamischen Atmosphärihen.
247
Loriea setosa aut aculeata, oblonga ovata aut suhglobosa, super-
ficie varia,
dine assulis areolıs aut cellulis retieulata.
D.
Species notae omnes dentatae.
Setigerella acantophora
_ eihiata
_ prlosa
—_ sehgera
— strigosa.
4. D. Reticella.
— KEuglypha alveolata Duj. ex parte
— Kngl. setigera? Perty
Lorica inermis oblonga, ovata aut subglobosa, superfieie sine or-
dr
edentatae, Allodietya.
D. Reticella asterophora?
annlata
Bructeri
Carpio
cellulosa
collaris
Lagena
las
missouriensis
5. D. Cortieella,
b.
dentatae, Odontodietya.
D. Retieella binodis
cancellata
globularis
hispaniea
longieollis
Pıla
reheulata,
Lorica inermis oblonga, ovata aut subglohosa, simplex aut spiralis,
erusta aliena mutabili obducta.
D,
da.
edentatae. Leequereusia,
Cortieella acıminata
gigantea
gracilis ( Pseudodifflu-
ga Schlumb.)
Jurassica (Leequereusva
Schlumb. D. curvata Perty)
proteiformis
pyriformis
spiralis
b.
dentatae,
D. Corticella caucasiea,
248 EHRENBERG:
6. D. Lirella.
Lorica inermis oblonga, superficies Iiris longitudinalibus ornata.
a. edentatae. (adium. b. dentatae. Fucadium.
Cadium D. Lirella serrata
marınum AN
N - striolata
— b. atlantıc «| Bailey
D. Lirella Barleyı a. polarts
Diagnostik der bisher noch nicht speciell characterisirten
Arcellinen.
1. Difjlugea adunca. Lorica lageniformis, anteriore parte curvata
attenuata, apertura terminali obliqua edentata, postica parte turgida
parum umbonata. Assularum minimarum seriebus angustis in diametro
maximo transverso 19—24 conspieuis. Long. z5” lat. 15". Icon in
Tab. Il ı Fig. 8.9. E Tscharbuhur Su Caucasi, cefr. Mierog. p. 108.
Diffl. aduncae in Oası Hammonis libyca frequentis Icon in Tab. II
Februario mense D. Lagenae nomine designata est. D. Lagena vera nus-
quam nisi in Nova Fundlandia Americae borealis reperta est. D. adunca,
praeter Libyam in Caucaso, Kurdistania et in Himalayae montibus frequens
oceurrit. Caucasica forma fig. $ hujus tab. exarata est et lineamen-
tum speeiminis ex Himalayae montibus in eadem Tab. Fig. 9 addı-
tum est.
2. D. alabamensis. Lorica ovato-oblonga, utrinque subaequaliter
attenuata, antica parte truncata, ibique apertura lata edentata insignis.
Superficies subtiliter seulpta punetorum, an squamularum, subquadrata-
rum subtilium seriebus obliquis longitudinaliter ornata. Series fere 20.
Longit. z", lat. 25". Icon in Tab. Ill ı Fig. 10. In Alabamae Settilliby
Creek, limo, efr. Mieros. Il 1856 p. 18.
3. D. Amphora. Lorica oblonga, media parum turgida, postica
parte rotundata, fronte parum contracta truncata, apertura lata dentata.
Superficies seriebus longitudinalibus et transversis im quincuncem positis
subtiliter tessellata. Seriebus longitudinalibus 14 conspieuis. Dentes
in ambitu oris 14. Longit. 745”, latit. 4". Icon in Tab. IH ı Fig. 17.
Ex Insulae Celebes Moluecensis humo.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 249
4. D. anmulata. Lorica ovata pyriformis, anteriore parte m col-
lum breve, plicis transversis 6—7 annulatum producta, frontis apertura
late truncata edentata, corpore extra collum subgloboso. Superficies
laxe et irregulariter retieulata. Long. 5" lat. 5". In insulae Porto-
rico filicum humo semel cum D. /awa frequentiore observata. Icon in
Tab. Il ı Fig. 19. Ofr. Mierog. p. 355.
5. D. antarctica. Lorica elliptico oblonga, postico fine rotundato,
ostio antico late truncato, dentium obtusorum serie numero 8 conspicuo-
rum (16?) ornato. Superficies dense areolata, seriebus quineuncialibus.
Long. 51." latit. 745". In longitudine 15 numerantur series. Habitat in
terra humida Americae Australis Cap Horn. Icon in Tab. II Fig. 11.
6. D. Arctiscon. Lorica majore oblonga areis irregularıbus saepe
turgidis aegre conspicuis Jaxe reticulata, postica parte late rotundata, an-
tica parte late aperta lacera, dentibus 4 latis irregularıbus magnis lobata.
Long. 15" lat. 4"
Icon in Tab. IH ı Fig. 2. Incerta species, cfr. Microg. p. 108.
. Ex Himalayae Asiae regione superiore 6—8000' alta.
7. D. assulata. Lorica pyriformis, postica parte late rotundata,
frontem truncatam versus sensim attenuata, apertura frontalı edentata.
Superticies late assulata, seriebus fere 5 longitudinalibus et fere 13 trans-
versis prope aperturam angustioribus. Longit. Z" latit. 47". E monte
Libano in Polytrıcho ad pagum Bischerre. Icon in Tab. II Fig. 4.
Ejusdem Tabulae figuram 5 ad eandem speciem cujus assulae fron-
tales valde differunt, revisa D. carolinensi referre non haesito. Difflugiam
carolinensem a libanotica altera parum recedere certum est hine eam ad
D. carolinensem nune adlegavi. Ufr. Microg. p. 49. 331.
8. D.? asterophora. Lorica urceolaris parum altıor quam lata,
apertura maxima frontali margine edentato suberenulato. Superficies laevis.
Fundus internus corpusculis stellatis globosis plurimis faretus. Long. 514"
latit. 75”. Ex insula Trinidad Antillarum. Icon in Tab. Il ı Fig. 18.
Incertae speciei 3 specimina vidi. Lorica cum corpuseulis luce
polarisata non colorantur. Cf. Microg. p. 355.
9. D. azorıca. Lorica ovata, altero fine rotundato, altero fron-
tali truncato. Superficies irregulariter et subtiliter punctata, ostio frontali
lato edentato. Longit. „," latit. 25". Ex insula San Michael Azorica.
Icon Tab. II Fig. 29. Ofr. Microg. 1854 p. 278.
Phys. Kl. 1871. 32
m
.
250 EHRENBERG:
10. D. Badleyi. Loriea ovata, altero fine rotundato, frontali fine
brevi collo intlexo uneinato, apertura rotunda laevi terminali subimfera
parva. Superficies liris longitudinalibus angustis fere 12 (24). Longit. zu"
latit. 345”. E maris Groenlandiei fundo Davisstralse vocato, Monatsber.
1861 p. 280. Icon in Tab. Il ı Fig. 29.
Hane speciem Bailey detexit et Cadır marin! nomine et icone illu-
stravit (Americ. Journ. 1856 p. 3 Tab. I Fig. 2). Eodem 12 (24) lirarum
numero instructam e Kamtschatiko 900—2700 fath. (5400 —16,200 ped.)
alto fundo. Similem formam in atlantici maris (Golfstrom) fundo 24 (48?)
lineis angustioribus instructam notavit. Equidem in maris Groenlandiei
(Davisstralse) fundo 6000—9240' alto 5 specimina eum Kamtschatieis bene
convenientia observavi. Hine duae formae ejusdem speciei in memoria
tenendae sunt, quarum una varietas a. polarıs in Groenlandico et Kam-
tschatico mari, altera b. atlantica in mari ad Floridam? desit.
11. D. Battloggi. Lorica elliptico-ovata, utrinque aequaliter ro-
tundata, laevis, apertura frontalis lata, dentieulis raris cire. 4 conspieuis
insignis. Longit. 34”, latit. 44”. Ex insula St. Paul Oceani Australis.
Icon in Tab’ II Fig. 17. Cr. Monatsber. 1861 p. 1102.
12. D. binodis. Lorica elongata lageniformis, postica parte rotun-
data turgida, antica parte attenuata recta, colli lateribus utrinque nodulo
insignibus, apertura compressa edentata. Superficies inaequaliter distinete
reticulata, areolis in direetione transversa media eire. 11. Longit. Zu”,
latit. „15 — 715”. E Guiana angliea Americae meridionalis. Icon in Tab. II
Fig. 22.25. Cfr. Mierog. 1854 p. 331.
13. D. capensıs. Loriea gracilis lageniformis, postica parte rotun-
data, collo longo sensim valde attenuato truncato. Apertura frontalis denti-
eulis eonspieuis 3 (an igitur 6). Superficies in seriebus obliquis eleganter
assulata, assulis prope aperturam minoribus, series assularum utrinque in
longitudine 14, in maxima latitudine obliqua 6. Longit. 54" latit. 24".
Icon in Tab. II Fig. 33. In humo Sclerrae ex Afrika australi capensi.
13. D. carolinensis. Lorica pyriformis oblonga, frontem versus
attenuata truncata, postica parte turgida late rotundata, frontis apertura
medioeri edentata. Superficies assularum quadratarum seriebus longitu-
dinalibus 3—5 ornata, in transversa directione 11 series numerantur, fron-
tem versus parum angustiores. Longit. „,” latit. „JL”. Icon in Tab. IH ı
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 251
Fig. 14. E Carolinae australioris (Americae borealis) humo. Öf. Mierog. II
1856 p. 69.
Haec forma cum asiatica Libani, D. asswlatae varietate, Tab. II
Fig. 5 adeo convenit ut conjungendae videantur. D. assulata Libani colli
assulis multo tenuioribus specie differre nunc censeo. Elongatus habitus
americanae formae levioris momenti videtur.
14. D. Carpio. Lorica ovata plus minus turgida, ad aperturam
breviter attenuata ostiolo compresso inermi. Superficies irregulariter reti-
culata, areolis utrinque in Z" fere 5—8. Long. 4, — 25" latit. ,— 4".
Icon in Tab. II Fig. 27. 21. Habitat fig. 27 in Canara Indiae orientalis
(efr. Microgeologia p. 119 et 121 —= Diff. Lagena B Carpio) et fig. 21
in Nilgherri Indiae orientalis humo (ef. Mierog. p. 117 D. Lagena B steno-
stoma = D. Lagena 3 Carpio) in enumeratione generali ibid. p. 121.
15. D. caucasica. Lorica ovato-pyriformis, fronte in collum breve
producta late truncata, aperturae dentibus 6 conspieuis, postico fine late
rotundato. Corporis tota superficie particulis irregularibus arenaceis an-
gulosis obsessa. Semel observata forma ex Tscharbuhur Su, Turkestaniae.
Longit. Z5" latit. 45". Icon in Tab. IIl ı Fig. 28.
16. D. cellulosa. Lorica subrotunda, apertura parva subeonstrieta
edentata. Superficies cellulis amplis irregulariter areolata, lineis singula-
riter erenulatis. Longit. 7/5" latit. 5”, 6 cellulis in longitudine, 5 in
latitudine. Ex pulvere atmosphaerico silesiaco 1848. Of. Abhandl. 1847.
Icon 1847 Abh. Tab. VI ım Fig. 70, Mierogeologie 1854 Tab. XXXIX u
Fig. 26.
17. D. Oueurbitula. Lorica fusiformis, media turgida utrinque ob-
tuse attenuata, apertura frontali dentieulis 6 conspieuis insigni. Super-
ficies ubique laevis. Longit. 54" latit. 71,”. Ex alpe Altaica Prochodnoi
prope Riddersk in Swertiae a me ipso collectae humo cum 5 aliis Dif-
Jlugus Berolini observata. fr. Mierogeologie 1854 p. 94. Icon 1871
Tab. II Fig. 8.
18. D. eylindrica. Lorica eylindrica utrinque subtruncata, aper-
turae frontalis eoaretatae denticulis conspieuis 7. Superficies areolarum
seriebus angustis longitudinalibus et obliquis instructa, areolae longitudi-
nales conspieuae 10. Longit. Z;" latit. 5”. Ex insula Catschull, maris
997%
I)
352 EHRENBERG:
Nieobariei Indiae. Chr. Mierogeologie p. 172 et 241. Icon 1871 Tab. II
Fig. 18.
19. D. Oyrtocora. Loriea elongata, erassitie subaequali, fronte in-
eurvata obtusa, apertura ampla inflexa sublaterali, dentieuli nulli. Super-
fieies irregulariter areolata, areolae conspieuae in 15” fere 6. Long. 35"
latit. 915”. Habitat in Guiana anglica ad fuvium Barımam. lcon in
Mierogeologie 1854 Tab. NXXIV v Fig. 7. fr. Mierog. 1854 p. 331.
Arcellae habitum prae se fert sed apertura frontalis obliqua reetius
diei videtur quam infera,
20. Difplugia fallax. Lorica ovata urceolaris postico fine sub-
aeuto, fronte late truncata, aperturae latae 6 (12?) dentieuli eonspieui
acuti. Superficies laevis. Long. 45” lat. 515”. Icon in Tab. II Fig. 19.
Cfr. Mierog. 1854 p. 172.
D. Cueurbituelae alpestri aftınis forma ex insula Nicobarica Cat-
schull Indiae aequatorialis.
21. D. Floridae. Loriea oblonga urceolaris parva subeylindrica,
postica parte rotundata, fronte truncata, dentieulis 6 conspieuis acutıs.
Superticies subtiliter areolata, in seriebus conspieuis 8 longitudinalibus,
areolae 6 in quavis longissima serie. Long. 54” lat. 515”. Icon in Miero-
geologie 1854 Tab. NXAIV vı Fig. 3. Cfr. Monatsb. 1853 p. 266. Ha-
bitat in Florida Americae septentrionalis.
22. D. Frauenfeld. Loriea lageniformis amplior adunca, collo eur-
yato tereti valde attenuato, apertura truncata orbieulari edentata. Super-
leon mn Tab. II 1871
m
fieies laevis plicatilis. Longit. 515” latit. bh
Fig. 12—14.
Collum aduneum interdum hamiforme, color loricae flavus, collo
fusco nigricante. Habitat in insula St. Paul oceani australis (cfr. Mo-
natsbericht 1861 p. 1102).
23. D, Gillo. Loriea ampla lageniformis, ventre subgloboso, collo
erasso eylindrico truncato, apertura ampla edentata. Superficies obsolete
assulata, assularum seriebus latis aegre conspieuis in collo aperturam
versus distinetioribus obliquis, in longitudine 17, in direetione transversa 5.
Longit. 1y” latit. 715”. Icon in Tab. II Fig. 1. Habitat in Americae
centralis Costa Rica, efr. Mierog. 1854 p. 36.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien. 253
24. D. globularıs. Lorica ovato-globularis, apertura frontali lata
dentata, dentieulis 4.. Superfieies tenuiter in seriebus transversis tabel-
lata praeter primas aegre conspieuis. Conspieuae in serie transversa fere
4—5 numerantur. Longit. „4 latit. 45". Icon in Tab. II ı Fig. 24.
Cfr. Mierog. 1854 p. 339.
D. Pila Tab. Il Fig. 6. 7 libanotica areolis distinetis et dentium
numero majore dilfert.
25. D. granulata, Lorica amplissima ovata, postica parte latissime
rotundata, frontalı breviter attenuata truncata, apertura eireuları edentata
lata. Superfiecies dense et irregulariter subtilissime punctato-granulata.
Longit. 15" latit. 51”. E Norwegia. Similes formae ex Armeniae mon-
tosis a me in Micrologia 1854 p. 26 indicatae sunt.
26. D. Hartmann. Lorica elongata pyriformis, aperturam versus
sensim attenuata, ostiolo constricto, aspero? non dentato. Superficies assu-
larum aegre conspieuarum seriebus longitudinalibus et obliquis ita notata,
ut series obliquae tamquam dentieulatae appareant. Assulae longiores
quam latae parum distinetae superficiem eleganter vestiunt. Haee forma
inter characteristicas Africae notabilis est. Longit. „1,", latit. maxıma
posterior 15", ostioli 545". Unieum speeimen. Haec diagnosis priori
praeferenda est Zleisebericht des Baron v. Barnim, Berlin 1863, Anhang
p. 79. Icon in Tab. II 1871 Fig. 34.
D. Helix Cohn a D. spirali spirae ambitu quadrupliei differre legitur.
27. D. hermitana. Lorica ampullacea parte posteriore subglobosa,
frontem versus in collum longius attenuata, fronte truncata apertura lata
inermi. Superficies irregulariter et subtiliter granulata. Longit. 54"
latit. 35". D. gramulatae affınis. Icon in Tab. II 1871 Fig. 10. Habitat
in Americae australis promontorio Cap Horn vocato, cfr. Mierogeologie
pag. 288.
28. D. hyalina. Lorica oblonga utringue rotundata, apertura
parva in fronte media rotunda edentata. Superfieies laevis. Longit. 5,"
latit. 55”. Icon in Tab. IlLı Fig. 3. Habitat in Venezuela (Monatsb. 1848
p. 215). Similis forma ex Australiae insulis Sandwich (Mierog. p. 10).
29. D. laevıs. Lorica linearis, gracilis, leviter elavata, postica parte
rotundata sensim in frontem truncatam attenuata, apertura terminali
254 EHRENBERG:
laevi edentata. Superficies tota laevis. Longit. Z" latit. 15". E Te-
nesse ad Mississipi fluvium Americae borealis, cf. Miron og. p. 12. 33.
D. Lagena Libyae Ehrb. cf. D. adunca.
30. D. laxa. Lorica ampullacea pyriformis, media turgida, parte
postica rotundato -attenuata, frontem versus sensim constrieta, ore trun-
cato edentato. Superficies laxe et irregulariter cellulosa, cellulis angu-
losis in media transversa linea fere 14. Longit. 5", latit. „4. Fre-
quens in Hemionitidis humo in Portorico. 9 specimina observata. D. an-
nulatae , en rotunda etiam, valde affınis esse videtur. Icon in
Tab. III ı Fig. 22.
31. D. Leptolepis. Lorica ovata, frontem versus attenuata trun-
cata, apertura laevi. Superficies assularum minorum, seriebus obliquis
ım Al DR
eleganter sculpta, in „15 5—6 assulae quadratae, laeves. Longit.
latit. „]/”. E Canara Indiae et ex Roraimae Guianae Americae esimlke
humo. Utraque forma in Microgeologia 1854 p.121. D. tessellatae B no-
mine notata est, de quo ulteriores observationes decident.
32. D. lineata. Lorica ovata parva D. Ohgodontis habitu, aper-
tura frontali obliqua edentata. Superficies lineis obliquis subtiliter assu-
lata, assulae quadratae, in zona media distinctiores, in reliqua parte ob-
soletae (muco involutae?), in directione transversa recta fere 7. Longi-
tudo 15”, latit. 745". Unicum servatum speeimen. Ex insula St. Paul
Oceani australis, efr. Monatsb. 1861 p. 1002 Tabelle.
53. D. Liostoma. Lorica oblonga non ventricosa, fronte Ran
apertura frontis latitudine. Superficies laevis. Longit. „4, latit. 15"
Cfr. Mierog. 1854 p. 233. Icon in Microg. Tab. XXXVII xxı Fig. 3.
Cfr. Diffl. hyalinam apertura parva differentem, a Diffl. laevi ha-
bitu differt.
34. D. longreollis. Lorica elongata clavata frontem versus sensim
in eollum longius attenuata, fronte truncata, denticulis rotundatis 6 con-
spieuis. Ostii areolae lineares 6 in totidem dentes An a
areolis amplis irregularibus diffusis notata. Longit. „-", latit. 514”. Icon
1871 in Tab. II Venezuela Fig. 530. Habitat in Venezuela Re australiai
cfr. Mierog. 1854 p. 33
35. D. Macrolepis. Lorica ovata suborbicularis parva, frontis trun-
catae apertura lata edentata. Superficies areolis paucis magnis, in longi-
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 255
tudine et in latitudine 3 ornata. Longit. 15" latit. -45”. Habitat sub
muscis in humo Terrae del Fuego Americae. Icon in Tab. III ı Fig. 12.
Cfr. Microgeologie 1854 p. 289.
36. D. missouriensis. Lorica amplior oblonga, fronte uncinata,
apertura suborbiculari edentata terminali, sed ob curvaturam lateralı.
Superficies irregulariter cellulosa, cellulis magnis forma varia, in 514"
fere 6. Longit. „4" latit 75". Icon in Tab. II Fig. 20.
Habitat in America septemtrionali ad fluvium Missouri prope St. Louis
in Myriophyllo, ef. Mierog. 1856 Bd. II p. 51. In medio speeimine pieto
assulae nonnullae dilapsae sunt. Haec species cum D. Frauenfeldü, D.
Baileyi, D. Cyrtocora aliisque Arcellae characterem mentitur.
D. oblonga Novae Fundlandiae in Abhandlungen 1841 enumerata
ad D. collarem referenda est, de qua iconem in hac tab. UI r fig. 21 Na-
viculis repletam offero.
37. D. pacrfica. Lorica amplissima ampullacea, postica parte tur-
gida rotundata, collo longo latoque in frontem truncatam abeunte, apertura
latissima laevi. Superficies ubique laevis. Valde pellueida luce permeante
flavicans. Longit. „4 latit. Z-". Ex insulis Chonos Americae australis in
mari pacifico. Icon in Tab. Il ı Fig. 7. Cum D. Arctisco omnium cogni-
tarum specierum longissima forma. Üf. Microg. 1854 p. 294.
38. Diffl.? paradoxa. Incerta ulteriori examini subducta species
hine delendum nomen. Üfr. Microg. 1854 p. 355.
39. D. Phriala. Lorica ampla subglobosa, collo subito constrieto
amplo tamquam stipitata, fronte truncata, apertura lata terminali eden-
tata. Superficies ventris dense irregulariter granulosa, collo laevi. Lon-
gitudo Z5", latit. Z", longit. colli „". Icon 1871 in Tab. I Fig. 9.
Habitat in humo Americae antarctici Cap Horn vocati promon-
torii. Cfr. Mierog. 1854 p. 288.
In uno specimine granula superficiei majora oblonga et minus
crebra erant.
40. D. Pila. Lorica globosa parva, apertura frontali ampla acute
dentata, dentibus in toto ambitu I—10. Superficies areolata, areolis
diseretis rotundis in series 5 transversas dispositis. In quavis serie media
cellulae 5. Longit. et latit. 35”. Icon in Tab. II 1871 Fig. 6.7. Ha-
bitat in monte Libano ad Harissam, cfr. Mierog. p. 41. Haec species
256 EHRENBERG:
propter frontem non productam ad Arcellas proxime accedit sed ostio
dentieulato et eellulis Difflugus affınior est.
Huie similis species americana D. globularıs nomine enumerata et
pieta est.
41. D. pilosa. Lorica oblonga frontem versus sensim leviter atte-
nuata, fronte truncata, aperturae latae dentibus 6 (12) acutis. Super-
fieies eleganter assulata, assulis oblongis quadratis in series longitudi-
nales 8 (16) et transversas reetas 9 dispositis. Ommnes assulae umbilico
parvo medio insignes sunt, pars lorieae postica late rotundata, setis in-
aequalibus eiliata. Long. zZ” latit. 245”. Icon in Tab. II Fig. 28.
Habitat prope St. Antonio insularum promontorü viridis, Capverden
vocati Africae, Ufr. Mierog. 1854 p. 278.
42. D. prorolepta. Lorica elongata stiliformis, postica parte rotun-
data, antieca parte sensim levissime attenuata, fronte truncata, aperturae
dentibus 4 (8). Superficies laevis. Longit. 4” latit. 45". Icon in
Microg. Tab. NXXIV vu Fig. 3. Ex Japonia, efr. Mierog. p. 152. Tria
speeimina, forma congruunt.
43. D. purpurescens. Lorica ampla ovata, frontem versus sensim
attenuata truncata, apertura lata edentata. Superficies eolore purpures-
eens, subtilissime granulato-nebulosa. Longit. 5" latit. 4". Icon 1871
in Tab. II Fig. 24.
Habitat in America australi ad Roraimam fluvium Guianae anglicae,
ef. Microg. 1854 p. 331.
D. pyriformis Perty 1852 (Zur Kenntnils ete. p. 187 ob. Abth.
Fig. 9). Si revera D. oblonga inerustatione detersa ex D. pyriformi ori-
retur, quod Claparöde et Lachmann affırmant, D. pyriformis nomen
delendum esset.
44. D. reetangularıs. Lorica ovato-oblonga, postica parte rotun-
data, fronte late truncata, aperturae latae, dentes 9 conspieul. Super-
fieies areolarum seriebus angustis longitudinalibus 18, areolis in quincun-
cem dispositis. Longit. 75" latit. 715”. Ex Americae centralis Costa
Rica et Veragua in /ilicum humo. Icon in Tab. II ı Fig. 16. Cf. Mierog.
1854 p. 365.
45. D. Robert! Müller. Lorica ovata subglobosa, frontem versus
attenuata truncata, apertura lata, dentibus 5—6 (10—12) insignis. Super-
Nachtrag zur Übersicht der orgamischen Atmosphärtlien. 257
fieies in seriebus curvis eleganter tessellata, assulis rhomboidibus, seriebus
eurvis 12—13. Longit. 715" latit. 74". Icon 1871 in Tab. II Fig. 16.
Habitat in insula St. Paul maris anta.tetiei, ef. Monatb. 1861 p- 1102.
46. D. Roraimae. Lorica permagna clavato-lageniformis, ventre
oblongo sensim in collum longum abeunte, frontis truncatae apertura
ampla edentata. Superficies simplieiter nebulosa. Longit. 1; latit. 44".
Icon 1871 in Tab. II Fig. 25.
Habitat in America meridionali ad Roraimam Guyanae, cf. Mierog.
1854 p. 321.
47. D. Schwartzü. Lorica urceolaris ovata brevis, fronte late trun-
cata, aperturae marginae aspero edentato. Superficies subtilissime nebu-
losa et rugulosa. Longit. 745" latit. zZ". Icon 1871 in Tab. I Fig. 15.
Habitat in insula St. Paul maris antaretiei, ef. Monatsber. 1861
p- 1102. In uno specimine devorata Naweula observabatur.
48. D. Semen. A D. Seminulo alpium aperturae dentium defeetu
differre visa est. Semel observata. Dentium observationis diffieultate in-
certa species. Sub graminibus in Americae australis Terra del Fuego,
efr. Mierogeologie 1854 p. 289.
49. D. seriata. Lorica obtusa elongata, postica parte rotundata,
fronte late truncata, aperturae dentibus in ostii ambitu 15. Superficies
lineis angustis 18 in series longitudinales exarata, septis transversis non
eonspieuis. Long. 1," lat. 51". Valde affınis est D. striolatae. E Libano
Syriae ad Haddet in museis, efr. Microg. p. 42. Icon in Tab. II ı Fig. 30.
50. D. setigera. Lorica subeylindrica, postico fine rotundato, ibi-
que setis crassis inaequalibus flexuosis (5) insigni, frontis truncatae aper-
tura lata subobliqua, dentieulis 11 subacutis. Superficies eleganter areo-
lata, assulis subquadratis umbonatis tamquam granorum, seriebus obli-
quis reetisque longitudinalibus ornata. Series longitudinales 9, series
obliquae 11. Longit. 54," latit. 215". Icon 1871 in Tab. II Fig. 30.
Habitat in Pondichery Indiae, ef. Microg. 1854 p. 121. Cum
areolae parum distinete sint non distingui potuit utrum setae ex mediis
assulis an ex interstitis assularum originem ducant.
D. striata = D. striolata.
51. D. strigosa. Lorica ovato-urceolaris, frontem versus sensim
attenuata, frontis truncatae apertura lata dentata. Superficies setis ap-
Phys. Kl. 1871. 33
958 EHurENBERG:
pressis ubique sine ordine strigosa, setae reetae subaequales diseretae
acutae in latitudine maxima fere 19. Longit. 515" latit. 5. Icon 1871
in Tab. II Fig. 31.
Habitat in Novae Hollandiae Plantagenet, ef. Mierog. 1854 p. 12.
52. D. tessellata. Loriea ovato-pyriformis, frontem versus sensim
attenuata, apertura frontis truncatae lata, assularum termimalium angulis
dentieulata, dentieulis 5 (10). Superficies elegantissime tessellata, tes-
sellae seu assulae majores quadratae et in seriebus omnibus longitudinali-
bus et transversis subobliquis, laeves. Series longitudinales 17—18, in
serie transversa maxima 10. Longit. 74", latit. 34”. Icon 1871 in
Tab. II Fig. 32. Ex Africae Cap. bonae spei in Prieaudli humo, ef. Miero-
seologie p. 253.
Difjlugiae asswlatae Montis Libanı affınis species, aperturae den-
tibus differens. Quae in Mierogeologia nominata est Indiae Diff. tessel-
lata ß praeter dentium defeetum assularum minore magnitudine et majore
numero differt, hie peeuliari D. Leptolepidis nomine designata est.
53. D. uneinata, Loriea ovata eurvata utrinque attenuata, postico
{ine attenuato obtuso, antico in eollum eurvatum abeunte subuneinato.
Prontis truneatae apertura rotunda edentata, Superfieies subtiliter in se-
riebus obliquis angustis areolata, areolis quadratis, areolarum seriebus 11
in nl”. Longit. ty" latit. 41”. Ad Friedrichsberg Status Texas Ame-
ricae borealis in humaik leon in Tab. Ill ı Fig. 18.
54. Arcella Aretiscon. Loriea erassa oblonga, utrinque late rotun-
data, apertura ampla sub fronte posita ovali integra. Superficies laxe et
irregulariter retieulata in 51” 3—4 cellulae retis. Longit. 5L" latit, 14".
E Comorta insula Nieobariea, ef. Mierog. 1854 p. we; 17 1. Eadem in
Himalaya obvenisse videtur. Icon in Tab. Ill ı Fig.
55. A. cellwlosa. Lorieca orbieularis, apertura nn rotunda pa-
rum extra mediam sita, tertiam diametri partem aequans. Superficies laxe
et irregulariter Re cellulis amplis. Diam. „1. Nilgherri Indiae.
Icon in Tab. Il ur Fig.
56. A. a = en eonico-ovata, apertura sub fronte late
truncata transverse ovalı, integra. Superficies irregulariter cellulosa dense
{imbriata eirrhosa. Longit. et latit. „1. Ex Oasis Siwanae Libycae
Confervis, ch. Microg. p. 199. Icon in Tab. Il u Fig. 9
oO
Nachtrag zur Übersicht der onganischen Atmosphänllien. 259
57. A. costata. Lorica oblonga turgida prope aperturam con-
strieta, apertura ampla edentata sub fronte infera, margine tumidulo.
Superficies laevis costis duabus (4?) longitudinalibus in ventre. Longi-
tudo 5” latit. 41”. E pulvere atmosphaerico rubro 1803, Abhandlungen
1847 in conspeetu et Tab. Ir Fig. 52
58. A. Diadema. Loriea suborbieularis complanata, margine den-
tibus inaequalibus obtusis irregulariter ornato, apertura excentrica rotunda,
integra. Superficies laxe et irregulariter cellulosa. Diameter 14," (sine
dentibus). Ex insula Borneo. Icon in Tab. II ıı Fig. 7. 8. Specimina
edentata simul observata sunt, forma suborbiculari eonvenientia, quae ad
Arcellam ecornem eui affınia sunt adlegari possent, efr. Fig. 8.
59. A. discordes. Lorica diaphana orbieularis amplior, apertur:
media dimidium diametrum subaequante eirculari simpliei. Superficies
integerrima laevis, eibo Bacrllarias multas offerente intus repleta. Dia-
meter 5". Uanning River, Novae Hollandiae, ef. Monatsb. 1843 p. 139.
Icon in Tab. III ur Fig.
60. A. galeata e Oapite bonae spei Afrieae in Mierog. p. 288, A.
rostratae affınis, ulterius examinarı non potuit.
61. A. guatimalensıs. Lorica ovata frontem versus attenuata, aper-
tura sub fronte ampla sub-semilunari integra. Superficies irregulariter
laxe retieulata. Longit. "5" latit. 715". E Costa Rica et Veragua Ame-
ricae centralis, cf. Mierog. 1854 p. 364. Icon in Tab. III ır Fig. 16.
62. A. lunata. Lorica oblonga, aut ehbElobosn utrinque late ro-
tundata, apertura sub fronte semilunari ampla integra. Superficies nebu-
losa aut irregulariter laxe retieulata. Longit. ZI," latit. u”. E Nova
Fundlandia Americae borealis. Icon in Tab. II u Fig. 3. 4. Diagnosis 1841
Abhandl. p. 410 publieata novis observationibus parumper mutata est.
63. A. Macrostoma. Inter animaleula mieroscopica cum Proteo
(Hypochthon Laurent!) in caveis Oarinthiacis viventia incerti characteris
Arcella 1859 Monatsbericht p. 772 enumerata est. Haee forma ulseriori
examini se subduxit.
64. A. Megastoma. Lorica oblonga hyalina, Arcellae Enchelydis ha-
bitu, apertura sub fronte ampla quartam fere longitudinis partem aequante
rotunda inermi. Superficies assularum obsoletarum seriebus obliquis (7)
33*
I60 EHRENBERG:
insignis. Ab ore ad finem posteriorem assulae singulae in 515". Longit.
745” latit. 915”. leon in Microg. Tab. XXAIV van Fig. 1.
E
y terris Japoniae, ef. Mierog. p. 241.
65. A. Mierostoma. Lorica orbicularis turgidula, apertura media
quartam fere diametri partem aequante rotunda. Superficies irregulariter
eellulosa, eellulis 15 wi hr diametro, diameter 715". leon in Microgeol.
Tab. XXXVIII xxı Fig,
EB pulvere Bin. insulae St. Vincent 1. Mai 1812, cf. Miero-
seologie p. 361.
A. mierostoma e Kerguelensi insula antarctica apertura sextam ad
oetavam usque partem diametri aequante et superficie fHlava non cellulosa
adeo differt, ut Arcella Kerguelensis pro alıa specie haberi possit.
66. A. Niyritarım. Lorica orbieularis, apertura media ampla hya-
lina, tertiam diametri partem aequante. Superficies subtiliter cellulosa,
eellulis diseretis, maculis nebulosis in toto margine pieta. Diameter 5".
Cf. Monatsbericht 1856 p. 333 fig. 5. E lacu Tschad centralis Libyae.
Ab Arcella Microstoma apertura majore et superficiei cellulis differt.
67. A. peristieta. Lorica orbieularis fusca subtilissime irregula-
yiter punetata, apertura media suborbieulari diametri quartam partem
referente, poris 12—15 simplice ordine eireumdata. Diameter 5". In
Roraimae Guianensis humo 5 specimina obvenerunt, quorum tria pro
A. vulgar! habebantur. Iterato examine haec etiam ad A. peristietam per-
tinent. Of. Mierog. p. 331. Icon in hujus Tab. Il n Fig. 11. 12.
68. A. Pyrum. Loriea parva ovato-pyriformis, frontem versus
attenuata, apertura sub fronte subtriquetra lunata. Superficies subtiliter
punetata nee retieulata, A. guatimalenst affınis. Longit. 4" latit. 4".
BE limo Nili Aegypti, prope Gerf Hussein, cfr. Mierog. p. 192. Icon in
Tab. Il u Fig. 15.
69. A. reticulata. Lorica oblonga a A. Enchelidis habitu, apertura
rotunda medioert sub {ronte. Superficies cellulis magnis sine ordine reti-
eulata, cellulae 5
in Tab. Ill ır Fie. 5
Id.
6 in linea transversa. Longit. 51” latit. 15”. Icon
Habitat ad Auviam Avon River Novae Hollandiae, cf. Mierog. p. 6.
Arcella reticulata in Mierologiae Tab. AXAIV ı 3 Fig. 1 ad Difflu-
giam reteulatam pertinet.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien. 261
70. A. scabra e limo lacus Tschad centralis Africae. Denuo exa-
minando dubia forma. Cf. Monatsbericht 1860 p. 157 in conspeetu 3.
71. A. seriata. Loriea oblonga, apertura sub fronte longitudi-
naliter ovata, superficiei areolae in series obliquas dispositae. Long. 41"
latit. 7". Icon in Tab. Il u Fig. 6.
Habitat ad Port Jackson Australiae, ef. Mierog. p. 12. Fragmen-
tum ejusdem in insulis Mariannis a me repertum.
72. A. squamata —= Difflugra sguamata.
73. A. stellata. Lorica orbieularis depressa eleganter stellata, mar-
ginis dentibus et costis levibus 8 aequalibus. Apertura media eireularis
ampla fere 4 diametri. Superficies irregulariter granulata undulata. Dia-
meter cum dentibus 515". Icon in Tab. Il ı Fig. 10. E lacu Birket el
Kerum provinciae Fajum Aegypti, ef. Mierog. p. 192.
A. stellaris Perty Helvetiae ad A. dentatam Berolinensem pertinere
videtur.
74. A. uncinata. Lorica eurvata fronte subuneinata hanc ab A.
Enchelide distinguit. A. Enchelys apertura sub frontis margine laterali et
forma reeta cognoseitur. A. Enchelys (= D. Enchelys 1838) = A. hya-
Ina —= Trinema Acinus? Duy.
An diese, eine Übereinstimmung und Kürze im Ausdruck bezweckende,
daher lateinische Diagnostik der Arten sind noch folgende Betrachtungen
anzuschliefsen. Die gröfseren getäfelten Formen der Arcellinen zeigen im
todten Zustande öfter Verletzungen ihres Panzers, welche bemerkbar
machen, dafs dıe Täfelchen einzeln sich abtrennen können. Da nun der-
gleichen mikroskopische Körperchen theils im Passatstaube, theils in den
Pflanzenerden nicht selten erkannt werden und von mir schon vielfach
unter den Phytolitharien, zuerst 1847 (Abhandlungen) als Kieseltheile unter
dem Namen Assula laevis nnd A. umbonata oder auch A. aspera, A. hewa-
gona verzeichnet worden sind, so scheint es zweckmälsig, dieser Formen
hier zu erwähnen. Es sind von mir bisher 14 Arten solcher Körper-
chen mit Namen unterschieden worden, von denen wohl die Mehrzahl
auf bestimmte Arten von Arcellinen zurückzuführen sein könnte. Die
Namen sind folgende:
262 EHRENBERG:
1) Assula aspera umbonata Mikr. 1854; 2) aspera B umbili-
cata ibid.; 3) Clypeolus ibid.; 4) heptagona ibid.; 5) hexagona um-
bonata Abh. 1847; 6) laevis lobata 1854; T) laevis umbonata Abh.
1871; 8) Zacera Monatsb. 1861 p. 452; 9) lacintata 1854; 10) lobata
Monatsb. 1861; 11) mucronata; 12) peltata Monatsb. 1861; 13) Poly-
stigma 1854; 14) Turbo Monatsb. 1861.
Noch ist es nicht rathsam, diese Assulas auf Grundformen zurück-
zuführen, dagegen dürfte es wohlgethan sein, sie auch späterhin nicht
zu vernachlässigen. Assıla Polystigma würde eine sehr grofse unbekannte
alpine Form der Arcellinen verrathen. Die von mir gegebenen Namen
mögen als kurze Diagnosen vorläufig hinreichen, da direete Beziehungen
durch das Gröfsenverhältnifs der betreffenden Formen noch Schwierig-
keiten bilden. Die gesperrt gedruckten 9 Formen der Assulae sind in
der Mikrogeologie und in den Abhandl. 1847, 1858 und 1871 abgebildet.
Die Gröfse der 1858 vorgelegten Assula Polystigma erweckte die Vorstel-
lung, dafs dieselbe wohl eine kieselerdige Pflanzenoberhaut sein könnte.
Die sich hier anschliefsende geographische und literarische Über-
sicht aller mir bekannt gewordenen Namen giebt nur im Allgemeinen die
betreffenden Welttheile und die Atmosphärilien dieser Abtheilung an. Eine
noch speciellere geographische Bezeichnung nach den Breiten und Län-
gen, den Polen, den Alpen und dem Tiefgrunde der Meere sind Gesichts-
punkte, welche in der hier befolgten Methode der Mittheilung ihre Be-
rücksichtigung auch schon gefunden haben und der späteren Forschung
leicht zugänglich gemacht sind. Nur folgende Angaben mögen einen Blick
in die noch specielleren Verhältnisse werfen lassen. — Die Arcellinen sind
bisher von den systematisirenden Schriftstellern von den die Atmosphäre
am reichhaltigsten erfüllenden Bacillarien weit abgesondert und letztere
oft in ein anderes Reich der Organismen, das Pflanzenreich, verwiesen
worden. Mögen die hier reichhaltig mitgetheilten vergleichbaren An-
schauungen der Gesammtheit dieser Formen der Erde erkennen lassen,
dafs diese Kluft zwischen Arcellinen und Bacillarien als Thieren und Pflan-
zen fehlt und dafs sie sich in auffälligster Weise durch die mannigfach
ähnliche, sehr künstlich getäfelte Structur kieselhaltiger Schalen überaus
nahe stehen, so dafs mehr die subjectiven, oft höchst complieirten Vor-
stellungen der Schriftsteller als die objectiven Verhältnisse diese Natur-
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 265
körper scheiden. In ganzer Zahl sind hier 148 Formen verzeichnet wor-
den, diese sind in folgender Weise auf die Welttheile vertheilt:
Australien. Asien. Afrika. Amerika. Europa. Atmosphäre.
24. 53. 32. 78. 60. 192;
Die grofse Mehrzahl dieser Formen ist von mir selbst beobachtet,
nur in Europa sind von den 60 Arten etwa 24 von Anderen benannt.
In Amerika waren 3 Formen von Bailey, in Asien 3 von Oarter an-
geführt worden. Nur wenige der von mir benannten Arten sind durch
zufälliges Verlorengehen der aufbewahrten Speeimina ohne Abbildung und
Diagnose geblieben, somit gründen sich die hier gegebenen Darstellungen
nicht auf vorübergegangene Eindrücke, vielmehr auf seit langen Jahren
aufbewahrte Specimina. Nur 5 Formen gehören dem Meere an, Drfflugia
Baileyı a. polaris b. atlantica, D. marına Bailey, D. membranacea Ehrbg.
und Lagynıs baltıca Schultze und sind nach Bailey aus bis 16,000 Fufs
Tiefe, nach meinen Untersuchungen aus 6000— 9240 Fuls, nur Lagynıs
baltica ist von der Küste. Die entferntesten Polarformen sind die der
Falklandsinseln, des Cap Horn, der Chonos-Inseln, sowie von den Kergue-
lens-Inseln und St. Paul gegen den Südpol und die von Grönland und Kamt-
schatka gegen den Nordpol. Rücksichtlich der verticalen Erhebung sind
die Formen des Himalaya bis zu 18,000 Fufs Alpenhöhe zu bemerken.
Unterscheidet man noch solche Formen, welche gleichartig in allen
Welttheilen vorkommen, so sind deren 10, nur in 4 Welttheilen 5, nur
in 3 Welttheilen 12, so dafs 122 Formen mehr vereinzelt sind. Solche
Formen, die nur in einem Welttheile aufgefunden sind und somit den
Welttheil bis jetzt characterisiren, sind folgende:
Australien: Drfflugia Battloggi, D. Frauenfeldü, D. lineata, D.
Roberti Müller, D. Schwartzü, D. Seelandica, D. strigosa; Arcella dis-
cordes, A. seriata.
Asien: D. alpieola, D. alveolata Carter, D. Amphora, D.? caucasica,
D.Cueurbitula, D. fallax, D. moluecensis, D. prorolepta, D. seriata, D. trieuspis;
Arcella Arctiscon, A. cellulosa, A. Diadema, A. pleurostoma, A. rostrata.
Afrika: D. azorica, D. capensis, D. Hartmanni, D. pilosa; A. cir-
rhosa, A. Enchelys B vulgaris, A. Nigritarum, A. Pyrum A. scabra, A. stellata.
Amerika: D. alabamensis, D. annulata, D. antarctica, D.? astero-
phora, D. Baileyi a. polaris, b. atlantica, D. binodis, D. Cyrtocora, D.
964 EHRENBERG:
dentieulata, D. Dryas, D. Floridae, D. Gillo, D. hermitana, D. lawa, D. longı-
colis, D. Macrolepis, D. marina, D. membranacea, D. missouriensis, D. pacı-
fica, D? paradowa, D. Phiala, D. purpurescens, D. rectangularıs, D. Roraimae,
D. uneinata; Arcella americana, A. caudieicola, A. Disphaera, A. galeata,
A. quatimalensis, A. Nidus pendulus, A. peristieta.
Europa: D. acaulıs, D. Ampulla, D. Bacillariarum, D. (Lag.) baltica,
D. Bructeri, D. eurvata, D. depressa, D. gigantea, D. globulosa, D. (Pseudo-
hf.) gracilis, D. Helix, D. hispanıca, D. (Lecqu.) jurassica, D. (Bugl.) laevıs,
D. (Sphenod.) lenta, D. margaritacea, D. minima, D. Proteus, D. pyrıformas,
D. (Eugl.) setigera, D. spirigera, D. (Eugl.) tuberculata; Arcella angulosa,
A. hemisphaerica, A. Maerostoma, A. Okenxi, A. patens, A. stellaris, A. vindıs,
Uyphrdium aureolum.
ll. Historische und analytische Zusätze.
A. Über einen dreitägigen starken Staubnebel bei Semipalatinsk in Sibirien.
Da historische mehrtägige Verdunklungen der Atmosphäre, welche
das Sonnenlicht schwächen oder verdecken, stets eine grölsere Geltung
für kosmische Einflüsse gewonnen haben, indem sie durch ihre Dauer die
Vorstellung von Sonnenfinsternissen ausschlossen, wie es auch im Kosmos
dargestellt ist. so halte ich für nützlich den Staubnebel von Semipalatinsk
zu erwähnen, welcher im Jahre 1856 vom 16. bis 18. Februar stattge-
funden hat. Besonders günstige Verhältnisse haben damals einen kennt-
nilsreichen und zu umsichtiger Auffassung geeigneten Beobachter der Er-
scheinung in dem russischen Lehrer Herrn Abramof gefunden, welcher
in der „Wesnik“ genannten geographischen Zeitschrift in Petersburg 1857
Abth. I p. 5 in russischer Sprache eine ganz ausführliche Mittheilung über
die verschiedenen Nebenumstände publieirt hat. Besonders erhöht und
völlig befriedigend werden diese günstigen Verhältnisse durch den Um-
stand, dals mir eine von demselben gesammelte Probe der Substanz des
damals gefallenen Staubes übersandt worden ist. So gebe ich denn im
Auszug diesen Nachtrag zu weiterer Beurtheilung
Bei Semipalatinsk am Irtisch zeigte am 15. Februar um 6 Uhr
Morgens das Thermometer — 20,5 Grad, bis Mittag war es wolkig, aber
die Sonne schien. Um 2 Uhr Nachmittags hob sich bei südlichem Winde
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ıng der Abkürzungen.
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— &
. 3
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Dann. 78.| Mg. T. XXXVIII vor F. 3. Difflugia prorglepladFhrb. 1854 Ihe® ale Ab. 1871 p. 256.
1.| Ab. 1841 TU IV ı R. 36. Difkugia acanthophora Ehrb. 1841 — » Me Fe a a Aa ln acit
Eualyph Se | a 2 — Proteus Perty 1849 (= D.
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en * e s + Bern u p. 167. ei Ab. 1871 T. II F. 24. _ a 1854 £ en ers 7 Ab. 1871 p. 266.
—_ vella acul, Ehrb. — Centro- 83.| Ab. 171 7.11 Fr. 16 z e.. Melle I: A eg
is Stei Ye 7 R a zZ R len Ab,
3.| 1. 1838 T.IX F. IT, - Be Ehre 1838 I -[ ef] el.) 0» [Bem p4. 84. | Ab. 1871 T.IT F. 26 Venezuela. — retieulata Ehrb. 1848 R BERIEE Mb, nr N D
m u; gewsstege I: 1. |+| +] . [1 1saupamm 85.| Ab. 1871 T. II F. 16. — Roberti Müller Ehrb. 1561 | + : Er nse.
ee SR an ale Ma a u a a PT 86.| Ab. 1871 T. IL F. 25. — Roraimae Ehrb. 1854 : + Kos EDS:
8.| Ab. 1858 T. m F. IV. = ee a . e: . | a= - [| Ab. 1800 p. 248. 87.| Ab. 1871 T. II F. 15. — Schwartzül Ehrb. 1861 ra E« Ab. ee 5 er
oh. ET u. -| | 2) > Jan. 16 p460. | 8%] AB. 1869 To I0o Fr. 23. — Serlandica Ehrb. 1869 = 5 nee ee
& em 2 1841 | | Dj. 1841 p. 2Ö1. 89. | Mg. T.XXXV ZB An R.l. hrb. 1848 35) N re an a P- an
4 = D. acan- . 379.
7.| Carter 1866 tophora | | [ — (Semen Ehrb. 1854 — D. 8e- 23
«| Carter TV R.2—36. aloeolaie G) | minulum) E
8.| Ab. 1871 T. 01 R. 17. Er 2 2) + [Coriert866 p. 243. || 90.| Ab. 1871 T. Utz F. 30, — erfata Ehrh. 1854 A ELBA,
9.| Ab. 1871 T. IITı FR. 11. — Ampulla Werneck 1840 ; ae b | 5 «| Ab. 18207p. 248. 91.| Ab. 1871 T. IT F. 30. — setigera Ehrb. 1854 ar + AED:
N ee En 7 92, 23 r | Ab. 1871 p. 257.
BR 71 DIE R. 19. — anmulata Ehrb. 1854 + Ab, R. En setigera (Buylypha) Perty1849 |
.[ Ab. 1871 TI FR. 11 re Zn [A = D. oliatat |
“11. _ Ehrb. 187 EN er 1 te lc - N
12.| Av. 1871 5 EN Ei en 4 F “| > Jan ıup2a. || 99] Ab. 87a 2.07 8.29 Venezueh. — sguamata Ehrb. 1848 Aha Mi Bera1 BA0fENIUE-
18.| Ab. 1841 Erholen Erbe Big || | = [au ı0rpaa. || 9| As. 1871 7. 00 FR. 25-27. — _ spiralis Ehe. 1840 cfr. Spi- An. Te2Sinanlz-
; ae Kugl. rillina Ab. 1841 p. 412
Pare 2 ERST RE | a ürnte4 — spirigera Ehrb, 1808 ER MRISAO NR:
h in + + | an. 10 "BR 22 5 26
1. ; 18 p. 413. en. rich, Mb. 1853 p. 526,
— n ED. ztrioläk
15. A. 1 mu Ra q A + y) 96.| Ab. 1871 T. II F. 31. — strigosa Ehrb He. 5 ae
16.| Ab. 1871 7. IR. ı8. anein.es 3 Kt - [an 1870 p.240. || 97.) Me. T.XXxIv av s. | — striolata Ehrb. 1841 2 las } EB SST:
17.| Ab. 1871 T. IT R. 29. ESS N- Ka ea a 2 BE ee UST 7 71,7 98.| Ab. 1871 T. IL F. 32. > TR ++ +[ + [Av 1841 p.43.
_ azorica Ehrb. tessellata Ehrb. 1854
18. en: jee3 |. 1#+| | | - [a0 160m BD, Bi a rt | Ab. 1871 p. 208.
19.| Bailey 1856 DT F. 2. a BT PELSALENE || 2 [#1 > [Dem Minimar, 99.| Carter 1856 T. VIL F. 80. | - Arieuspie @.. a ?
a — Baileyi a. re ve 0 Pe ze | 100.| Dyj. 1841 T. 10 F. 7.8 . REN Sara 161.327,
j = ; n TE 7. 8, | — ‚tler Zug ! . 247.
21.| Schulze T.1 RT. 8. beatlanticafrimmBaileyl » | | | + | | - lerI8öß p. 3. || 101.| Av. 1571 T. m 8. 13. Be: -: Be KEuglypkaeDugs 17 1 EEE Duj. 1841 p. 251.
39.| Ab. 1871 Tr F.ı7 — baltica(Lägynis)Schultzelssd| » | » | - | =) + | - [Schuizep 56. jnata Ehrb. 1856 EA IRRE Be I Ab. 1871 p. 258
ab |/Ab, 1871 TI Fi 99.99. 7 Beeegge Elırb. 1861 ea alle 5 |» [Ab. 1870 p. 250.
94.| Ab. 1871 T. IL F. 20. a = ae | Er Ab. 10250 Ancnurap 47
36.| Ab. 187ı .ır mW. 3. -_ 'ructeri Ehrb. 1848 . . =} Mb. 1848 p. 379. 102.| 1. 1838 T.IX F.V 4 ; E
36.| Ab. 1871 TIL R. 33. ee Et 2848 Ale |er Mb. 144B/p. 970. ern Ya Be ei 1000
97.| Av. 1871 TIER. 1. capensis Ehrb. 1854 re Ab. 1891,p.250. || 103.| Av. 1841 T. Im F. 100. = Bu Si 108 1. 1838 p. 133
FEN Ehrb, 4 + er ameriwana Ehrb,. 1841 p- 133.
28.| Av. 1871 7. Ir 8.21.97 = jensis Ehrb. 1856 . - | Ab. 18710 p. 250. 104, een u Ab. 1841 p. 410,
TI F.2 a GERRESTrZIAE ö ++] - | Av. 10Ep 21. anne 2. Vz ne:
dentata Ehrb
29.| Ab. 1971 7. I R. 28. 105.| Ab. 1871 7. 7 } H r -
Aa ee = nen a goevansien Bhrb, TRTI er ir, lan b. 1871 T. In F. 17. — Arctiscon Ehırb. 1854 Bern 1849 P- 126.
gu] am. 1er Tu r.20. — @lluloen Ehrb. 1964 +1 ./+] . |+ [a1 p = aureofe Geifäh o Henfroy Jabg zu ie
- " 20, — | . = ( R F
32.| Av. ı871 T. 11 F. 87. = a En 200 ae E 2 + | Iam.1@s p.320.||.106.| Ab. 18721 7.17 F.31 Yenezusin | — N EhrbateBR
33. | An. 1971 T. 10 8.8. u ne als a I EL ee — cellutosa Ehr MbASA8 p.2
rn jcurbitula Ehrb. 1854 “| = | = [Aw 871 p. 251, || 108.| Ab. 1871 7. In F. 9. Re. a
= curuata Perty 1852 (Lecque- en prhosa Ehrbil Ab. 1871 p. 258.
35.| Ab. 1871 LIT R. 18. Yevala: Jurassica Schlumb.) D . 0 le » | Bern 1552 p. 60. 110.| Ab. 1847 T. Iı F. 39, = ea Eh: Ab. 1871 p. 258.
36.| Mg. I. XXXIV vB. 7 — eylindrica Ehrb. 1854 = “ Ab. 1871 p. 251. u1.|r2 mıX Fvo — costata Ehrb. Ab. 1841 p. 410,
Be h) — Oyrtocora: Ehrh. 1864 n u a6 p. 209 ) — dentata Ehrb. Ab. 1871 p. 2
r \ 2 1 E . 252, gulosa Pert
ei ige Ehrb. mu ä +) | - [Ab 1841 p. 419. 112. | Ab. 1871 T. Ilm F. 7. 8. - Diadena ar
30. | Av. 1871 7.118,98 Venen. — depressa Schlumb. 1845 |.» | + | +» [A.a.se1s45p.254, || 119. | Ad. 1871 7. 10 Fr. 1. es 1. 1838 p. 134.
1. 1898 D.IX RL IV. —" Dryas Ehrb. 1848 let e| - [n.1848 page, || 114 | An. 1841 TVo er. 12 = Ab. 1871 p. 259.
— Enchelye Ehrb. 1898 = Ar- len... Er Düphaera Ei Ab. 1871 p. 259.
40.| Au. 1871 T.10 8. 10. 4 Fear | ea |; 1. 1838 p. 132. 116. | Mg. T. XXXIX an F.4 Be... Be 1 Ab. 1841 p. 410.
“ BEN nr. S. — Floridae Ehrb. 1858 + BE nn Enehelye El UN:
“| Ab. I = m Se Sr | * [Ab.1871 p. 252, 7. 2 :
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enmuı. = m Mae 1845 . | . H +| > [Audısı.1845 p.954. || 119. = 8 Basen }
45.| Ab. ı871 T. IItı F. 24. — Tobut ei Fr :E a Er Ab. 1871 p. 252. 120. = x Be «188
40.| Dyj. 1837 7.8 r. 1. ee HR er K Ab. 1871 p. 259. 121. de hs. m
— IT e Br — galcata Khrb
! Duj. 1837 p.3 192. | Mg. I. XXX r i
— _ gracilia(Pseudodiff.) Schlamb. | "ü 123 et a gaulus Ehrög
1845 | F )
AB. | Ab. N: I +] » [Ardse.1845p 134. | Av. ısrı T #- — granulata Khrl Y -
A| au am mu #6, — granulata Klırb. 1854 [+2 » BE ang 116 2:200. | ass = 177 S.nR- 16. — guatimalensis BARS SE.
1 Ab. 1871 T. IT FM. — Hartanmt Khrb,. 1089 SE TI p. 253, 125. h i Mb. 1848 p. F
0. a . 117 * | = [Abe 1871 p. 258. 126. | 1. 1838 T. IX F.vit. ee er Ab. 1871 p. 259
a Ab. 1671 DIE R.10, = VER K%£ +] » |Siebw.K.Bd.4p.261.
“| Ab. 1871 T, Ita E98 en = 2 "| » JAbIBTı p. 258,
53. 7 E — Aispanica Ehrb, 1871 -I-.| |» e AUPR RL
a Ab. 1871 Tl R.3. arnnia ZI + Ab. 1871 p. 272. 197. | Ab. 1871 T. In Fr. 3.4.
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Er. D) ee epeeresissklun 2 | 129. | Mg. 1. XXXIV vm RE. ı a 2 en Ab. 1871 p. 259
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NR. Ba en N ae || © Ab I8t1 p. 418. Ab. 1871 T. IE R. 19. j Ab. 1871 p. 250.
— lavis (Euglypho) Perty 1849 "A 1 n280, || 131.| A. 18a 1.00 mas. — Nidus Pendulu Ab. 1871 p. 260
- ge ! 132. | Mb. 1856 F. 5. — Nigritarum Eh 35
57. | Ad sa nv r.n. FU rn gr BE ..10 nutans Khrb. MR ». 1841 p. 410.
| 58.| Ab. 1871 T. I ı R.22. ‚agena Ehrb. 1841 let > ara 12 er: Ab. 1871 p. 260.
Fr — fazar Ehe, 1854 Aral se 1 p. 418. || 128. — Okenii Perty 1
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Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilen. 265
das Thermometer bis — 5,0%. Darauf fing ein Südostwind an, der all-
mälig stärker wurde, und die Luft sättigte sich so zu sagen mit Dämpfen
(parani pressyltschalssja wosduch). Darauf zeigten sich mehr und mehr
Wolken. Gegen Abend bedeckte sich der Himmel mit geschichteten
grauen Wolken und von Südosten jenseits des Irtisch aus der Kirgisen-
steppe zog langsam eine dunkle Wolke heran. Der Wind blieb südöstlich,
war aber schwach, und der Himmel überzog sich mit einer einförmig
zusammenhängenden Trübung. Die Farbe der Luft war gelblich und
nicht durchsichtig, so dals es schwer war auf 20 Ssaschehn Contouren
zu unterscheiden und auf 50 überhaupt nichts sichtbar war. Das Thermo-
ıneter zeigte am 16. Febr. 6 Uhr Morgens — 8°, um 2 Uhr Nachmittags
— 2° und um 10 Uhr Abends — 5°. Die Dichtigkeit, Schwere und der
Druck der Luft nahmen allmälig zu, daher beständiges Schwanken des
Barometers.
Um 9 Uhr Morgens 579,50"" bei + 13,0° Correctur 579,34
3 vNachmitt: 581.00 and I 580,05
„10 „ Abends 581,00 „ +135 „580,98.
Am 17. zeigte das Thermometer 6 Uhr Morgens — 7,5°
2 „ Nachmitt. + 0,7
10 „ Abends —-2,0
Am 18. zeigte das Thermometer 6 Uhr Morgens — 3,5°
2 „ Nachmitt. + 2,7
108.22. Abends —-.055
Da die Landschaft mit Schnee bedeckt war, so färbte ein herabfallender
grau gelblicher (siaro djoltowataja) Staub den Schnee und gab demselben,
wo er häufiger war, eine schwärzliche Farbe. Der Umfang dieser Er-
scheinung war oberhalb und unterhalb von Semipalatinsk zu beiden Seiten
des Irtisch bekannt, nach Nordosten 70 Werst und nach Südosten über
160 Werst. Die Sonne stand am graugelben Himmel sichtbar, strahlenlos,
gleich bleichem, hinter Nebel verborgenen Monde. —
Die mir zugesandte Staubprobe von graugelblicher Farbe ergab
kein Brausen mit Salzsäure, war mithin ohne kohlensauren Kalkgehalt.
Der feine Staub ergab bei der mikroskopischen Untersuchung vorherr-
schend feine unorganische Sandtheilchen, während etwa -!; der Masse als
Phys. Kl. 1871. 34
266 EHRENBERG:
Beimischung feiner organischer Theilchen sichtbar wurde und folgende
Bestimmung erlaubte. In 20 Analysen 4 Cubiklinie grofser Mengen fanden
sich 13 Polygastern, 31 Phytolitharien und 6 weiche Pflanzentheile, was
mit 6 unorganischen Theilchen die Summe von 56 namhaften Mischungs-
Elementen ergab.
Polygastern 13. Lithostylidium dentieulatum
Arcella Mierostoma —_ Fusiforme
— lt — laeve
Erumotia amphioxys — obliquum
— Dianae e— ovatım
— gıbba - oblongum
— Librile — quadratum
— rostrata _ Serra
— zebrina - sinuosum
— 2? (singularıs dubia forma) — Trabecula
Pinnularia borealis _ ventricosum
— Legumen — unidentatum
— viridhs — ?
Surirella Cratieula Spongilithis acieularıs
Phytolitharien 31: — aspera
Lithodontium Aculeus — canalicularıs
_ Bursa weiche Pflanzentheile 6.
_ Furcatum Parenchyma plant.
— nasıutıum Pilus laevıs simplex
— Platyodon — yezir base Bulbosus
— rostratum — — hispidus
— Scorprus — — Ormithorrhamphus
Lithosphaeridium vürregulare — — faseieulatus
Lithostylidium Amphrodon Unorganisches 6.
— angulatum Glimmer
_ Bidens Säulen-Crystalle grün
— clavatum _ _ braun
—_ erenulatum = — weils
— eurvatum Strahlendruse kuglich
—_ decurrens Quarzsand.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 267
Aus diesem Verzeichnils geht hervor, dafs der Staub sich an die
sogenannten Passatstaubarten nicht unmittelbar anschliefst, indem die
Gallionellen sowohl, als der reichere Eisenstaubgehalt fehlen. Von den
Polygastern sind Eunotia amphioxys und E. rostrata sehr zahlreich, alle
übrigen Formen selten. Von Phytolitharien sind Lithostylidien überwie-
gend, Spongolithen selten, kein L. Olepsammidium. Alle sind Sülswasser-
formen. Kein Bimsteinfragment.
Obwohl die Characterformen des Passatstaubes diesem lange dauern-
den und massenhaften Staubnebel fehlen, so ist doch andererseits nicht
zu übersehen, dals eine auffallende Übereinstimmung massenhafter orga-
nicher Elemente ihn an die Passatstaubarten anschliefst. Man kann sich
nun wohl vorstellen, dafs die ostasiatische Erdoberfläche sehr überein-
stimmend mit den Bacillarien und Phytolitharien des westlichen Europas
sei, ja man kann die hier gegebene Analyse geradehin als ersten spe-
ciellen Beweis für solche Übereinstimmung ansehen, allein der auffällige
Mangel von asiatischen localen Character-Formen, wie sie von mir für
viele Erdgegenden nachgewiesen worden sind, setzt dieser scheinbaren
Übereinstimmung eine andere Schwierigkeit entgegen, zumal es bekannt
ist, dals die östliche Kirgisensteppe im Monat Februar und wohl auch der
Südosten eine Schneedecke trägt.
Abramof hält die Erscheinung für einen in den fernen östlichen
Kirgisensteppen durch Sturm aufgewühlten Oberflächenstaub, dessen feinste
Theile so weit fortgetragen sind. Ob die Jahreszeit und die nach ihm
selbst mit Schnee bedeckte Oberfläche nieht in südlicher sondern in süd-
östlicher Richtung in jener Gegend eine solche Vorstellung erlaube, mufs
dortigen Reisenden zur Beurtheilung vorgelegt werden. Die von mir ge-
fundenen Elemente des Staubes würden kein wesentliches Hindernils sein,
obschon der Staub unverkennbar viele mit dem Passatstaub übereinstim-
mende Elemente hat. Die von der Kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften für die centralasiatischen Länder im Jahre 1866 meinem Wun-
sche gemäfs der weiteren Theilnahme empfohlenen Nachforschungen haben
in der Behandlung des Gegenstandes durch Abramof ein so glück-
liches Vorbild erhalten, dafs ähnliche Mitwirkungen für Oentral-Asien
weitere Aufschlüsse in schneller Folge erwarten lassen. Ob die durch
gewaltsame Stürme verrufenen Gegenden der Gobi-Wüste, des Lop Noor
34*
2368 EHRENBERG:
Bogdo Oola oder des westlichen, ebenso stürmischen Bolor Dagh diesen
Staubnebel von seinem eigentlichen Ursprunge abgelenkt haben, welche
Möglichkeit schon 1847 in der Abhandlung über den Passatstaub p. 388
angedeutet worden, ist hier nicht weiter auszuführen. Bereits im Jahre
1854 wurden in der Mikrogeolosie 80 Polygastern, 19 Phytolitharien und
| weicher Pfilanzentheil aus dem östlichen Sibirien verzeichnet und auch
aus den atmosphärischen Verhältnissen wurden im Monatsbericht 1851
p- 317, und darnach in den Abhandlungen 1871 33 Polygastern, 39 Phy-
tolitharien und 8 weiche Pflanzentheile verzeichnet, welche hierbei in Ver-
gleichung zu nehmen sind.
Auffällig und erwähnenswerth ist noch der schnelle grofse Tem-
peraturwechsel beim Eintritt des Staubfalles in Semipalatinsk. Da es dort
im Februar an einer libyschen Sahara unzweifelhaft fehlt, aus welcher die
Wärme des Staubsturmes abgeleitet werden könnte und da bis auf sehr
weite Entfernungen hin der Steppenboden mit Schnee dicht bedeckt ge-
wesen sein mag, so dient diese Erscheinung wohl dazu, die Wärme nicht
den dortigen trocknen und wenig eulturfähigen Landstrichen, als vielmehr
den Staubmassen selbst durch Frietion bei der Fortbewegung, oder an-
deren Einwirkungen zuzuschreiben. Um so mehr ist die umständliche
Beobachtung des Herrn Abramof dankbar anzuerkennen.
fe}
B. Uber einen Staubfall im Indischen Ocean bei den Malediven.
Ich habe bereits im Jahre 1857 in den Monatsberichten p. 403
über einen besonderen Staubfall auf ein amerikanisches Schiff zwischen
Ceylon und den Malediven-Inseln in 4° 40’ nördl. Br. und 93° östl. L.
eine kurze Anzeige gemacht. Nach Capitain Maury’s Mittheilung hatte
der amerikanische Schittscapitain F. A. Bursley vom Schiffe Alact unter
dem 27. Februar 1856 folgende Nachricht gegeben: „Ich habe heute eine
Probe eines weilsen Staubes gesammelt, welcher während des Nachmittags
auf mem Deck fiel. Er fiel aus der Luft gleich Schneetlocken hernieder,
und habe ich Derartiges niemals vorher gesehen.“ —
Die mir von Maury zugesandte Probe war ein feiner weilslicher
Luttstaub, welcher mit Salzsäure berührt ein wenig brauste und fol-
sende mikroskopische Elemente in 20 Analysen von je 4 Cubiklinie der
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärihen. 269
Masse erkennen liefs: Pinnularıa wiridis, Lithostyhdlum angulatım, L. denti-
culatum, L. rude, Spongolithis acieularıs Fragment, Dietyolithis?, Litho-
sphaeridium?, Pflanzenparenchym, Faserzellen, Spiralgefäfse, dicotylischer
Pflanzentheil, dieotyle Strahlenzellen, Spaltöffnung einer Epidermis, ein-
faches Pflanzenhaar, Mäusehaar?, blaues Wollhaar, Glimmer, langzellige
Bimsteintheilchen, Schaumsteinsplitter, rauchfarbiger Crystall, smaragderüne
Orystallsplitter. — Die Hauptmischung war deutlich ein feiner Sand, aus
kurzzelligen, Schaumstein- und oft auch langzelligen Bimstem -Splittern
bestehend, mit vielen eingestreuten Glımmerblättchen von goldselber Farbe,
oft in sechsseitigen Täfelehen. Viele Sandkörnehen erschienen als einfach
liehtbrechende, scharfkantige Tafeln von unregelmäfsisem Umrils.
Es geht aus diesen Mischungs-Elementen unzweifelhaft hervor, dafs
dieser weilsliche Staub ein vorherrschend vulkanischer Bimsteinstaub ist.
Die übrigen sandigen unregelmäfsigen Theilchen, welche glasartig durch-
sichtig sind, zeigen bei polarisirtem Lichte vorherrschend prismatische
Farben. Diese sind mithin keine Obsidian- oder Glassplitter sondern Quarz-
theilchen. Zwischen dieselben eingestreut sind noch viel schwarze, als
Magneteisen erscheinende Sandkörnchen. Die beisemengten organischen
Theilchen sind in sehr gerinsfüsiger Zahl vereinzelt und können als zu-
fällig bei der Fortbewegung der Masse über das Festland hinzugetretene
Elemente angesehen werden. Sehr entschieden bestärkt wird diese Vor-
stellung durch das beigemischte Mausehaar und die blau gefärbte Woll-
faser. Letztere beiden Elemente könnten auch vom Schiffe selbst beim
Einsammeln hinzugekommen sein.
©. Über den am 30. August 1870 auf dem St. Gotthardt gefallenen Salzhagel,
Da sich in der Schweiz eine grofse Theilnahme gewichtiger Aucto-
ritäten an einem Hagel von Steinsalz und erystallisirtem Kochsalz gezeigt
hat und derselbe wieder auf afrikanischen Ursprung zurückgeführt worden
ist, so möge dieser Gegenstand sich hier zu weiterer Erläuterung kurz
anschliefsen. Es ist zuerst von Professor Kenngott in der Züricher
Zeitung vom 25. Sept. 1870 eines bei lebhaftem Nordwind (Bise) in der
Nähe des Gotthardt Hospiz bei bewölktem Himmel gefallenen Salzhagels
Erwähnung geschehen. Die Beobachter waren der Fourgon-Condueteur
970 EHRENBERG:
Pedrina aus Airolo und mehrere seiner Begleiter. Das erregte Interesse
hat auch Professor Escher von der Linth veranlafst, weitere Nachfor-
schungen bei dem Fürsprech Müller in Airolo zu machen. Die Resul-
tate sind in der Vierteljahrsschrift der Naturforsch. Gesellsch. in Zürich
Jahrg. 15. 1870 p. 377 niedergelegt. Daselbst heilst es p. 379: „Die dem
ersten Schreiben des Herrn Müller an mich beigegebenen Stücke, von
denen das eine $ Gramm wiegt, sind Chlornatrium oder Steinsalz, wie es
in Nord-Afrika als sogenanntes Wüsten- oder Steppensalz vorkommt. Es
sind hexaödrische weilse Crystalle oder Bruchstücke solcher Urystalle.
Einzelne Crystalle sind an den Ecken und Kanten abgerundet, an ein-
zelnen sind die Kanten und Eeken ziemlich scharf, auch zeigt sich zum
Theil treppenförmige Bildung. Kein Crystall ist rundum ausgebildet, son-
dern man sieht deutlich, dafs sie von einer Fundstätte herkommen, wo
sie aufgewachsen waren, doch sind fremde Mineraltheile nicht zu bemer-
ken. was auch bei einem Salz nicht zu erwarten ist, welches auf einer
Bodenoberfläche als lockerer Überzug vorkommt, als so lockerer, dals die
einzelnen Individuen durch starken Sturm aufgehoben und fortgetragen
werden können.“ —
Rücksichtlich dieser auffälligen Nachrichten finde ich mehrere grolse
Schwierigkeiten, deren Erwähnung bei Besprechung des Passatstaubes an
ihrer Stelle ist. Eine dieser Schwierigkeiten besteht darin, dafs ungeachtet
meiner eigenen vielfachen Kenntnifs der Sahara-Wüste in den sechs von
mir in ihr und neben ihr mit Dr. Hemprich zugebrachten Jahren bei
vielen Stürmen und erlebten Typhonen niemals ein Salzhagel oder Salz-
staub, auch niemals eine mit Chlornatrium -Crystallen bedeckte Oberfläche
in Erfahrung gebracht worden ist. Auch sind die vielseitigen, aus zahlreichen
Schriftstellern als Reisenden von mir im Jahre 1868 in der Abhandlung
„über die rothen Erden als Speise der Guinea-Neger“ in Übersicht gebrach-
ten Nachrichten ohne jede Spur von Salz-Crystallen als Oberfläche der
Wüstenebenen geblieben. Zwar giebt es im Westen der Sahara Steinsalz-
lager (Kochsalz) mit Tagebau, aber auch diese haben durch Wirbelstürme
bisher nicht einmal ihre Existenz erkennen lassen, aber am Küstensaume
giebt es Seesalz-Fabricationen.
Das seit ältester Zeit schon Plinius bekannte und als Nitrum lapt-
descens zu vielfachem Seifen- und Waschgebrauch verwendete Wüstensalz
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 271
der Sahara ist kein Kochsalz (Chlornatrium) sondern das natürliche strah-
lige Natron (Soda), welches Klaproth (Beiträge z. chem. Kenntn. d. Mi-
neralkörper 1802) p. 81 nach den vom schwedischen Consul Bagge aus
Tripolis mitgebrachten Proben der Oase Fezzan specieller analysirt hat.
Die von mir selbst vielgekannten weifsen Überzüge der ausgetrockneten
Sumpferden in den Oasen waren immer nur staubige oder dendritisch
wollige Effloreseirungen solchen Natrons mit stumpfem Salz-Geschmack, das
nicht selten, wie im Thale der Natronseen und auch in Fezzan, zu jenen
zolldieken strahligen Krusten erhärtet, welche die Ägyptier als Naschwerk
kauen und deren Bruchstücke eine grofse Ausfuhr von Fezzan nach Tri-
polis bilden. Über die Salzerden von Fezzan habe ich in der Mikrogeologie
1854 p. 198 kurze Mittheilungen gemacht und ihre organischen feinen Ele-
mente, deren mehrere auch im Passatstaube gefunden sind, verzeichnet.
Diese Erden sind von Farbe lichtgrau oder gelblich grau, gehören nur
den localen ausgetrockneten Sümpfen der Oasen an und würden, vom
Winde bewegt, niemals einen Blutregen oder rothen Schnee veranlassen
können, so wie auch ıhr Massenverhältnifs ein kleineres ist. Eine andere
Schwierigkeit für den obigen Hagel wird auch immer bleiben, dafs der-
gleichen grobe Theile als Oberflächensand der Sahara nicht, dem unfühl-
baren feinen Staube gleich, durch geringe Bewegungskraft des gewöhn-
lichen Luftzuges fortgetragen werden könnten, sondern stets eines starken
und andauernden Sturmes bedürften, um nicht rasch zu Boden zu sinken,
auch würden solche Sande nothwendig Quarzsand, Kalksand und andere
sröbere Stoffe beigemischt enthalten.
Betrachte ich diese Gründe meiner Vorstellungen, so würde ich
weit wahrscheinlicher finden, dafs der aus Norden kommende Sturm (Bise)
aus irgend einem Salzdepot in der Schweiz durch einen plötzlichen star-
ken Wirbel das reine aufgehäufte Salz fortgeführt haben möge, zumal
die grofsen Steinsalz- und Salzgebirgs-Lager im Osten und Westen der
Schweiz nicht fehlen, wie sie nach Charpentier durch Heer 1865 in
der „Urwelt der Schweiz“ p. 40 u. s. f. übersichtlich geschildert worden
sind. Dasselbe Buch wird auch die früher in der Schweiz für afrikanısch
gehaltenen Gypstheile des Schweizer Sciroceo-Staubes nicht als afrika-
nisch sondern durch den Umstand, dafs der Gyps als Dungmittel auf die
272 EHRENBERG:
Culturflächen häufig in der Schweiz verbreitet wird, als Local -Erschei-
nungen, (s. p. 60) erläutern.
Mögen diese objeetiven Betrachtungen die so verdienstlichen Be-
mühungen localer Naturforschung nicht zu schmälern scheinen, vielmehr
anschaulich machen, dafs noch immer die vielseitigste Beachtung des Sci-
rocco und jeder ähnlichen Erscheinung, welche sich näher oder ferner
auf kosmische Verhältnisse beziehen könnten, weiterer intensiver Pflege
bedürftig und werth sind.
D. Nachtrag zur Diagnostik.
1. Difflugia hrspantca. Lorica ovata, frontem truncatam versus
breviter attenuata. Aperturae frontis dentes conspieu 4 (8?) acuti.
Superticies irregulariter reticulata, cellulis diseretis in linea transversa
media fere 9. Longit. „5 latit. 2;". Ex Hispaniae Sierra Nevada. In
Alsa Nostochinea a Boissier sub aqua lecta. Kuntze Lipsiensis Algam
sieccam mihi misit, in qua hanc speciem nidulantem inveni. Icon in
Tab. II ı Fig. 23.
2. Arcella rostrata. Lorica oblonga in rostrum acutum frontale
prolongata. Apertura sub fronte cucullari retracta subtriquetra. Super-
ficies laevis. Longit. „4 latit. -4", rostrum fere 4 totius. E Nilgherry
Indiae. Icon in Tab. III ır Fig. 2.
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 273
Erklärung der Abbildungen.
(Vergröfserung 300 Mal im Durchmesser, Maafsstab nach Paris. Linien, wie auf Taf. I.)
Diese Tafel betrifft die Ergänzung der auf Taf. II im Januar in Über-
sicht gebrachten Arcellinen und stellt alle besonders in der Mikrogeologie zahl-
reich genannten Gestalten zu weiterer Vergleichung dar. Zu den 40 neueren
Abbildungen auf Taf. II kommen hier noch 47 Arten hinzu, wodurch, sammt den
in der Mikrogeologie, in den Abhandlungen und Monatsberichten gegebenen (wie
es auf der geographischen Tabelle ausführlich verzeichnet ist) auch das bis jetzt
vorhandene Material der über die Erdoberfläche aller Zonen verbreiteten Formen
erschöpft ist.
Mehrere der Abbildungen auf Taf. III sind in früherer Zeit von mir selbst,
viele neuerlich unter meiner Leitung nach aufbewahrten, oft schon 30 Jahre alten,
gut erhaltenen Präparaten gefertigt und mithin weiterer Vergleichung zugänglich.
Die Abbildung der lebenden Difflugia spiralis ist bereits im Jahre 1840 gefertigt
und zeigt die Verästelung und mannigfache Veränderung der Pseudopodien.
Auf Taf. II des ersten Vortrages wurden die Abbildungen meist nach dem
geographischen Zusammenleben neben einander gehalten. Auf dieser Tafel ist die
systematische Verwandtschaft in den Vordergrund gestellt. Selbstverständlich ist
auf diese Systematik, als eine stets mit neuem Material veränderliche, kein Ton
gelegt. Da aus einer der vorn mitgetheilten Abtheilungen (Setigerella der Dif-
flugien) kein neuer Repräsentant vorgefunden worden, so ist diese Abtheilung
deshalb hier übergangen. f
Das am Schlusse zugefügte Cyrtidium antediluvianum aus Bacillarien -
Kieselguhr unter der Blätterkohle von Pfannenschoppen im Siebengebirge (Mo-
natsbericht 1846 p. 170 Tabelle) gehört nicht sicher zu den Arcellinen, allein sein
Fragment Fig. 18 wird leicht irgend einen Beobachter veranlassen, diese Form zu
Lirella zu ziehen.
Der bei jedem Namen stehende Welttheil bezieht sich auf den Fundort
des abgebildeten Exemplares.
Phys. Kl. 1871. 35
274
>
SR
b.
D.
EHRENBERG:
Il. Difflugia.
Exassula.
odentatae. Lagynis.
membranacea. Davisstralse.
Asien.
Stid-Amerika.
spönigera. Buropa.
Nord-Amerika.
Europa.
Süd-Amerika.
Arctiscon.
hyalina.
laevis.
granulata.
pacifiea.
Assulina.
Hologlypha.
odentatne,
adunca. Asien.
adunca (im Umrisse). Ilimalaya.
alabamensis. Nord-Amerika.
Ampulla. Wuropa.
Sitd-Amerika.
Nord-Amerika.
Nord-Amerika.
Süd-Amerika.
Macrolepis.
uncinata.
carolinensis.
Leptolepis.
dentatao. ‚Euglypha.
rectangularis. Central-Amerika.
Amphora. Asien.
Homoeochlamys.
orbioulares.
discordes. Australien.
oblongae.
rostrata. Asien.
lunata. Nord-Amerika.
Sticholepis.
oblongae.
retteulate. Australien.
serrata. Australien.
Centropywis.
Diadema. Asien.
Diadema? (A. ecornis?) Asien.
eirrhosa . A {rika.
Reticella.
edentatae. Allodietya.
18. D.? asterophora. Süd-Amerika.
19. — annulata. Central-Amerika.
20. — Bructeri. Juropa.
21. — collaris. Nord-Amerika.
22. — lawa. Oentral-Amerika.
dentatae. Odontodietya.
23. — hispanica. Buropa.
24. — globularis. Süd-Amerika.
Corticella.
odentatne. Lecquereusia.
25—27. .D. spüralis. Europa.
dentatae.
28. D. caucasica. Asien.
Lirella.
edentatae. Cadium.
29. — Baileyi. Davisstrafse.
dentatae. Kucadium.
30. — seriata. Asien.
Arcella.
Ileterocosmia.
orbiculares.
10. 4A. stellata. Afvıka.
11.12. A. peristieta. Süd-Amerika.
13. — mierostoma. Australien.
14. cellulosa. Asien.
oblongae.
ikay Pyrum. Afrika.
16. guatimalensis. Süd-Amerika.
17. — Arctiscon. Asien.
18— 20. Oyrtidium antediluvianum. Eu-
ropa.
Fig. 19. 20
(Fig. 18 Fragment,
ganze Formen.)
Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 275
Die Abbildungen dieser nachträglichen dritten Tafel sowohl als sämmt-
licher Arcellinen, wie sie in ihrer Verbreitung über die ganze Erdoberfläche nun
vorgelegt sind, lassen erkennen, dafs weder eine Selbsttheilung der Schalen, wie
sie bei Bacillarien gewöhnlich ist, noch auch eine Knospenbildung oder Ver-
schmelzung anschaulich geworden ist. Dagegen ist die schon 1838 („Infusions-
thierchen“ p. 130) als wahrscheinlich angedeutete Selbsttheilung der inneren
weichen Körper, wie sie bei den panzerführenden Vorticellinen, Vaginicola,
Ophrydium u. A., erwiesen worden und bei den panzerlosen Amöbeen erkannt ist,
höchst wahrscheinlich. Wirklich beobachtet ist sie noch nicht.
Die Frage ob die Arcellinen wohl ein Jugendzustand der Difflugien sind
und ob es eine nachweisliche Umwandlung der Formen irgend einer Art giebt,
scheint durch die vorliegende Menge und Vielartigkeit constanter Grestaltungen
negativ erledigt. Spirillina vivipara Abh. 1841 p. 412 Taf. III vu Fig. 41 zeigt
innere Junge.
Auffällig bleibt, dafs die Gestalten so sehr übereinstimmend überall in
ausgewachsenen Gröfsen entgegengetreten sind, so dafs die kleinen Jugendzu-
stände vermilst werden. Dieser Umstand läfst fast nothwendig erscheinen anzu-
nehmen, dafs die Vermehrung vorherrschend durch Selbsttheilung und also der
inneren Weichtheile vor sich gehe, deren schalenloser Zwischenzustand durch
seine leichte Zerstörbarkeit sich der Nachforschung bisher entzog.
Durch die zerstreuten Bacillarien im Innern mehrerer der abgebildeten
Arten als aufgenommene Nahrung (wie Taf. III m Fig. 1 aus Australien) läfst
sich der Mangel eines schlauchartigen Nahrungs-Canales und mithin die An-
wesenheit des polygastrischen Baues auch im todten Zustande selbst aus anderen
Welttheilen erkennen.
Dafs aufser dem fraglichen Cyrtidium der Tertiärzeit unter den vielen
Bacillarien - Lagern der Urwelt keine fossile ähnliche Gestaltung bisher vorge-
kommen, dürfte der Bemerkung werth sein.
Auf diese beseelten, aus dem Humus der Oberflächen und den Nebeln
der Atmosphäre der Erde hervortretenden selbstständigen Lebensfunken wird die
Naturforschung ihr Auge zu richten künftig immer mehr Veranlassung haben.
Die Mikrogeologie hat seit 1854 der ruhigen Forschung noch mannigfache ähn-
liche Übersichten schon vorbereitet.
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1.Difflugia.
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1-7. Exassula, 8-17. Assulina. 18-24. Reticella. 25-28. Corlieella. 2330. Lirella.
U.
1-4. HHomoeochlamvs.5 6. Sticholepis. 7-9. Centropwsiis. 1017. Heterovosmia,
e 27/2
(vrtidium antediluwianuım.
Gustechm » CE.Wiben
RE Den
MATHEMATISCHE
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
1571.
)UL'D af
BERLIN.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
(G. VOGT)
UNIVERSITÄTSSTR. 8.
1872.
IS COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG
HARRWITZ UND GOSSMANN.)
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Inhalt.
Seite
HAGEN: Seitendruck der. Erde, u
Hasen: Über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des strömenden Wassers
mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert . . . .... 21
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Seitendruck der Erde.
Von
H” HAGEN.
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 16. März 1871.]
D. Bestimmung des Drucks, den eine Sand- oder Erdschüttung gegen
eine Mauer ausübt, an welche sie sich lehnt, ıst für die Technik von
srolser Bedeutung, und man findet daher in allen betreffenden Lehr-
büchern die Lösung dieser Aufgabe. Nichts desto weniger giebt die da-
bei gewählte Zerlegung der Kräfte zu wesentlichen Bedenken Veranlassung,
und es ist bisher noch nicht geglückt, durch Experimente nachzuweisen,
ob die Resultate jener Rechnung richtig oder falsch sind. Eine Reihe
Versuche dieser Art, die, wie sich im Folgenden ergeben wird, ganz
besondere Vorsicht erfordern, habe ich in neuster Zeit angestellt. Sie
zeigen aber, dafs die allgemein übliche Auffassung der Aufgabe nicht
richtig ist, vielmehr diejenige Änderung eingeführt werden mufs, die ich
schon im Jahr 1833 empfohlen hatte 1).
Historisch mag bemerkt werden, dafs die erwähnte Theorie von
Coulomb herrührt, der sie 1773 der Pariser Akademie vorleste. Eytel-
wein, wie auch Prony nahmen dieselbe als richtig an, während Letz-
terer sie in mancher Beziehung erweiterte, und zugleich den betreffenden
analytischen Ausdrücken, zu denen sie führte, möglichst elegante Formen
gab. Dasselbe ist auch später und namentlich in der Anwendung auf
fortificatorische Anlagen durch Poncelet geschehen.
Indem ich von dem einfachsten Falle ausgehe und annehme, dafs
die Schüttung horizontal abgeglichen ist und sich gegen eine lothrecht
stehende, ebene Wand lehnt, so können sich in der Schüttung wegen des
fehlenden Zusammenhanges der Masse unendlich viele Bruchflächen bilden,
sobald die Wand dem Drucke nachgiebt. Coulomb nimmt an, dafs die
1) Poggendorff’s Annalen. Bd. 28.
Math. Kl. 1871. 1
>) HAGEn:
Trennungen in Ebenen erfolgen, also dreiseitige Prismen sich lösen, deren
untere Kanten in den Fufs der Wand fallen, da nur in diesem Falle der
stärkste Druck eintritt.
Die Höhe der Wand bis zur Oberfläche der Schüttung sei h, die
Breite d, das Gewicht der Raumeinheit der Schüttung y und der Winkel,
den die Bruchebene gegen die lothrechte Wand bildet $, alsdann ist das
(rewicht des gelösten Prismas
Irby.tgto
Wenn aufserdem der Reibungs-Coefficient der Schüttung CotgY genannt
wird, so ist der Druck, mit welchem das Prisma herabzugleiten strebt,
Der gegen die Wand ausgeübte Horizontal-Druck, dem der nöthige
Widerstand entgegengesetzt werden mufs, würde in einfachster Weise sich
hieraus ergeben, wenn man diesen Ausdruck mit Sin 9 multiplieirte. Cou-
lomb wählt dafür aber einen andern Weg. Den sesuchten Horizontal-
Druck zerlegt er in eine Kraft parallel zur Bruchebene und in eine normal
gegen diese, er nimmt an, dafs letztere aufs Nene eine gewisse Reibung
veranlafst, die er von der ersten Kraft abzieht, während er den Rest dem
schräge abwärts gerichteten Drucke des Prismas gleich setzt. Dieses Ver-
fahren würde sich ungefähr rechtfertigen, wenn man die Kraft suchte,
welche das gelöste Prisma auf der Bruchebene aufwärts zu schieben im
Stande wäre, aber auch in diesem Falle dürfte man die Reibung nicht
zweimal in Rechnung stellen.
Nach vorstehender Auffassung findet man den gesuchten Hori-
zontal - Druck
H=!bh’y.tet (d—9) tst ®
Der Winkel X, der die Reibung bezeichnet, läfst sich durch einen leicht
anzustellenden Versuch bestimmen, man schütte nämlich den Sand oder
die sonst benutzte Erdart auf und bemühe sich, ihr die möglichst steilste
Böschung zu geben. Diese steilste Böschung, gegen das Loth gemessen,
ist der Winkel &, weil für sie das Gleichgewicht zwischen dem schräge
abwärts gerichteten Druck und der Reibung eintritt.
Seitendruck der Erde. 3
Der Winkel $ bestimmt sich aber dadurch, dafs H ein Maximum
sein muls. Wenn nämlich die Wand stabil genug ist, um dasjenige Prisma
zurückzuhalten, welches den stärksten Horizontal-Druck ausübt, so wird
sie auch allen übrigen den nöthigen Widerstand leisten. Dieser Druck
wird aber am grölsten, wenn die Bruch-Ebene sich unter dem Winkel
P—=4\ bildet.
Gegen die vorstehende Behandlung der Aufgabe läfst sich zunächst
das Bedenken anregen, ob die Trennung wirklich in einer Ebene er-
folst. Coulomb war hierüber schon zweifelhaft, erklärte aber, es sei
ıhm nicht geglückt, den Beweis dafür zu geben. Prony stellte bei seiner
Untersuchung einen solchen Beweis in Aussicht, doch hat er, soviel mir
bekannt, denselben nicht geliefert. Meines Erachtens rechtfertigt sich die
Voraussetzung, dafs beim Eintritt der ersten Bewegung, auf welche es
hier allein ankommt, da nur sie den Druck bedingt, ein in sich zusammen-
hängender Theil der Masse sich trennen wird. Sollte dieser schon im
ersten Momente der Bewegung in Unterabtheilungen zerfallen, so würde
dadurch die Reibung vermehrt oder der Druck gegen die Wand vermin-
dert werden. Der stärkste Druck bildet sich also nur, wenn die gelöste
Masse im Zusammenhange bleibt, und da diese in allen Theilen der Tren-
nungsfläche Unterstützung finden mufs, weil jene Bedingung sonst nicht
erfüllt würde, so ergiebt sich, dafs die Trennung nur in einer Ebene oder
in einer eylindrischen Fläche erfolgen kann. Die Entscheidung zwischen
beiden ist aber wesentlich durch die Art der Befestigung der auswei-
chenden Wand bedingt. Nimmt diese beim Vorrücken eine geneigte Stel-
lung an, oder dreht sie sich um eine horizontale Achse, so mufs die ge-
löste Sandmasse in den verschiedenen Höhen verschiedene Bewegungen
machen und dieses ist nur beim Herabgleiten von cylindrischen Flächen
möglich. Entfernt sich dagegen die Wand, ohne ihre Neigung zu ver-
ändern, so verschwindet diese Ungleichmäfsigkeit und die Trennung ge-
schieht in einer Ebene. Man darf auch annehmen, dafs im letzten Falle
die Trennung leichter, als im ersten erfolgt, weil dabei die Neigung und
sonach auch die Reibung überall dieselbe bleibt, während im ersten Falle
ein Theil der Masse sich nur in Folge des Impulses, den er von einem
andern erhält, sich über eine flachere Dossirung fortschieben mülste. Ob-
wohl unter diesem Gesichtspunkte die Trennung in eylindrischen Flächen
1*
4 HAGEN:
möglich bleibt und auch wahrscheinlich eintritt, sobald die Wand sich
überneigt, oder auch die Schüttung in mäfsiger Entfernung von der Wand
partiell stark belastet ist, so ergiebt sich hieraus dennoch, dafs der stärkste
Seitendruck bei der Trennung in einer Ebene erfolgt, und man sonach in
der Bestimmung der nöthigen Stabilität der Wand sicher geht, wenn man
diese voraussetzt.
Wichtiger ist das andere bereits erwähnte Bedenken, welches sich
auf die Herleitung des Horizontal-Druckes aus dem schräge abwärts ge-
richteten bezieht. Unbedingt ist es wohl unstatthaft, aufser der Reibung,
die das herabgleitende Prisma erfährt, noch vorauszusetzen, dals der ge-
suchte Horizontaldruck durch eine zweite Reibung in seiner Wirksamkeit
geschwächt wird. Was aber die Zerlegung des schräge abwärts gerich-
teten Druckes betrifft, so ist die Richtung der zweiten Kraft, die in Ver-
bindung mit dem Horizontaldruck das Gleichgewicht darstellen soll, so
zu wählen, dafs letzterer dadurch nicht verstärkt wird. Dieses mülste
freilich geschehen, wenn in lothrechter Richtung keine genügende Unter-
stützung sich finden liefse. Hier ist eme solche aber vollständig vor-
handen, indem die Schüttung dieselbe bildet, die überall sicher aufliegt.
Es ist daher kein Grund vorhanden, die zweite Kraft normal gegen die
Bruchebene zu richten, wobei sie dem gesuchten Horizontaldruck ent-
gegenwirken und für ihn einen gröfsern Werth bedingen würde, als zur
Darstellung des Gleichgewichts nöthig wäre. Wenn P den schrägen Druck
und // den horizontalen bezeichnet, so genügt für den Zustand der Ruhe
HZ Pr SnG
wogegen Coulomb annimmt
met:
Sin ®
Aus Vorstehendem ergiebt sich also in beiden Beziehungen für 4
ein bedeutend gröfserer Werth, als das Gleichgewicht erfordert und es
muls befremden, dafs diese unrichtige Auffassung nahe ein volles Jahr-
hundert hindurch als richtig angesehen ist. Ein Zweifel dagegen wurde
freilich schon im Jahre 1794 durch Woltman angeregt. Als derselbe
sich mit dieser Aufgabe beschäftigte, fragte er seinen Lehrer Kästner in
Göttingen, in welcher Weise wohl in diesem Falle die Kräfte zerlegt werden
Seitendruck der Erde. >
mülsten. Kästner sprach sich unbedingt für die Form H = P. Sin
aus, und liefs durch Brandes hiernach die Rechnung ausführen. Woltman
nahm indessen Anstand, der von Coulomb gegebenen Herleitung, der
sich auch bereits Prony angeschlossen hatte, entgegenzutreten und bat
daher noch seinen Freund, den bekannten Niederländischen Ingenieur
Ö. L. Brünings um dessen Urtheil. Dieser antwortete, dafs Coulomb
unbedingt Recht habe, und es sei unbegreiflich, wie „der verehrungs-
würdige Kästner ein Resultat nicht anerkenne, welches in allen stati-
schen Theorien von Archimedes bis zu de la Grange seine Begrün-
dung fände.“
Woltman versuchte nun durch Messung des Seitendrucks, wel-
chen Sand, Erde und Getreide ausüben, die Entscheidung herbeizuführen,
doch auch dieser Weg blieb erfolglos, weil die Resultate der Beobach-
tungen sowol gegen beide Theorien, also auch unter sich zu grolse Ab-
weichungen zeigten, doch schlossen sie sich etwas besser an Kästner’s,
als an Coulomb’s Theorie an.
Verschiedentlich hat man seitdem in gröfserem Maalsstabe Beob-
achtungen dieser Art angestellt und m ihnen anscheinend Coulomb’s
Theorie sehr befriedigend bestätigt gefunden. Abgesehen von manchen
willkürlichen Auslassungen, wodurch diese Übereinstimmung dargestellt
wurde, und die sich namentlich in den Wiener Beobachtungen nachweisen
lassen, liegt der Grund dafür darin, dafs bei höheren oder auch bei an-
gestampften Schüttungen ein sehr bedeutender Seitendruck aus der
Compression des Bodens entsteht. Die lockere Masse behält ihre
ursprüngliche Ablagerung nicht bei, sondern die einzelnen Körnchen drän-
gen sich unter der stärkeren Belastung, und namentlich wenn Erschütte-
rungen stattfinden, fester gegen einander und veranlassen hierdurch einen
sehr starken Seitendruck, den die in Rede stehende Theorie gar nicht
berücksichtigt. In der so comprimirten Masse tritt sogar eine stärkere
Reibung ein, der Seitendruck sollte also geringer werden, während er in
Wirklichkeit sich in hohem Grade vergröfsert, wie ich dieses aus meinen
Beobachtungen nachweisen werde. Hierin liegt die Erklärung, weshalb
die Theorie von Coulomb, die für lose Schüttungen einen zu grolsen
Seitendruck ergiebt, sich an die Beobachtungen mit comprimirten Schüt-
tungen besser anschliefst, als die richtige Zerlegung der Kräfte, wobei
6 HAGEN:
gleichfalls auf die Compression nicht Rücksicht genommen wird. Eine
Vervollständigung in dieser Beziehung würde für die Technik gewils nütz-
lich, aber insofern auch sehr schwierig sein, als ein Maafls für die Com-
pression sich kaum bezeichnen läfst. Die Vergröfserung des specifischen
(Gewichtes entspricht nicht entfernt der Verstärkung des Seitendruckes.
Aufserdem würde auch der Erfolg für jede Erdart und für jeden ver-
schiedenen Wassergehalt in derselben ein anderer sein. Zur Zeit fehlt es
hierüber noch vollständig an Erfahrungen, doch gewils ist es von Nutzen,
in solehen eomplieirten Erscheinungen die einzelnen Umstände, die darauf
!influls haben, von einander zu trennen, und in diesem Sinne habe ich
die Beobachtungen in der Art anzustellen mich bemüht, dafs darin nur
diejenigen Kräfte wirksam sind, welche die vorliegenden Theorien berück-
sichtigen.
Ich mufs zunächst erwähnen, dafs, wenn man die schon oben er-
wähnte richtige Zerlegung der Kräfte wählt, und den Horizontaldruck
H=P.Sin
oder
Sin p.tetp. Sin (db —p)
Sin’
H=!bh’y
setzt, dafs alsdann die Bedingungs-Gleichung für den gröfsten Werth
von MH sich nicht so einfach, wie im ersten Falle, herausstellt. Die Be-
dingung
0 [Sin 9 .tgt $ . Sn P —p)] = 0
führt nämlich zu einer Gleichung dritten Grades
0=tatp’ +3. —2.tgtV
woraus sich ergiebt
3 3,
tst ® = Ytgt (45°+ 4 V) — Y Cotg (45° +4)
Indem man den Winkel W durch directe Messung, wie bereits erwähnt
worden, finden kann, und daraus $ zu berechnen ist, so hat der Factor
Sinp.tstp.SinY—d) __ N
Sin’ Zu:
für jedes W einen bestimmten Werth. Ich habe diese Werthe A für
die verschiedenen Y von 0 bis 90° berechnet und in jenem Aufsatze in
Seitendruck der Erde. 7
Poggendorff’s Annalen mitgetheilt. Mit Benutzung dieser Tabelle ist
die Ermittelung des Horizontaldruckes nicht mühsamer als nach Cou-
lomb’s Methode.
Indem ich nunmehr zu den von mir angestellten Versuchen über-
gehe, bemerke ich zunächst, dafs ich zu den Schüttungen feinen Kies
benutzte, wie die Ostsee solchen an manchen Stellen der Pommerschen
Küste sehr rein und gleichmäfsig auswirft. Nachdem durch Sieben sowol
die gröberen, wie die feineren Körnchen daraus entfernt waren, fanden
auf 1 Zoll Länge nach mehrfachen Messungen 15 derselben Platz, wenn
sie sich unmittelbar berührten. Der Durchmesser jedes einzelnen beträgt
also 0,8 Linien. Sie bestanden grofsentheils aus reinem (Quarz und waren
mehr oder weniger abgerundet, während einzelne auch scharfe Kanten
und Ecken hatten. Bei möglichst vorsichtiger Schüttung, wie solche bei
den Versuchen jedesmal ausgeführt wurde, wog der Gubikzoll 1,944 Loth.
Das specifische Gewicht der Körner fand ich aber gleich 2,626. Es er-
siebt sich hieraus, dafs die Zwischenräume zwischen den Körnern mehr
als den dritten Theil des ganzen Raumes einnahmen.
Um die gegenseitige Reibung der Masse zu bestimmen, mafs ich
wiederholentlich die steilste Böschung, welche sich bei freier Schüttung
darstellen liefs. Dieselbe betrug gegen das Loth 54°. Dieses war also die
Gröfse des Winkels X, und hieraus ergab sich der Reibungs-Coefficient
Cotg Y = 0,7265
Die Schüttungen mufsten bei jedem Versuche mit gröfster Vorsicht
ausgeführt werden, um jedesmal eine gleiche Dichtigkeit der Ablagerung
und zwar eine möglichst lockere darzustellen, wobei also durch das Zu-
sammendrängen der Körnchen nicht schon ein merklicher Seitendruck ver-
anlafst wird. Beim freien Einschütten des Kieses war es unmöglich, über-
einstimmende Resultate zu erhalten, wenn dieselbe Messung wiederholt
wurde. Als ich dagegen mit einem kleinen Becher, aus welchem der
Kies nur etwa 1 Zoll tief herabflofs, den Kasten füllte, war der beob-
achtete Seitendruck merklich geringer und die Übereinstimmung besser.
Dabei war jedoch augenscheinlich noch nicht die lockerste Ablagerung
erreicht, diese liefs sich nur darstellen, wenn die Kieskörnchen einzeln
und zwar aus sehr geringer Höhe herabfielen. Zu diesem Zweck benutzte
8 Hasen:
ich einen Trichter, dessen Ausflufsöffnung 24 Linien im Durchmesser hielt.
Durch diese trat continuirlich ein feiner Kiesstrahl aus, doch traf der-
selbe nicht unmittelbar die bereits dargestellte Schüttung, vielmehr eme
Scheibe von 7 Linien Durchmesser, die mittelst dreier feinen Drähte
4 Linien tief unter dem Triehter schwebte. Indem der Strahl auf diese
fiel, vertheilten sich die Körnchen nach allen Seiten und sprangen einzeln
herab. Indem aber der Trichter stets so niedrig gehalten wurde, dafs
die Scheibe nur etwa einen halben Zoll von der jedesmaligen Oberfläche
der Schüttung entfernt war, so wurde der Stofs, den die einzelnen Körn-
chen ausübten, so geringe, dafs sie die bereits erfolgte Ablagerung nicht
weiter affıeirten. Dafs die Schüttung immer möglichst horizontal gehalten
wurde, um das Abstürzen steilerer Böschungen zu vermeiden, darf kaum
erwähnt werden, ich überzeugte mich aber auch bald, dafs selbst das
schliefsliche Ausebnen der Oberfläche durch Abstreichen schon eine merk-
liche Compression veranlafste, und daher unterbleiben mufste. Die Schüt-
tung mit dem Trichter durfte daher nur so weit fortgesetzt werden, dafs
sie noch überall unter den Rändern des Kastens blieb. Alsdann wurde
über die letzteren ein Lineal gehalten und der dazwischen befindliche
Raum durch sehr geringe Quantitäten Kies mittelst eines kleinen un-
mittelbar darüber gehaltenen Löffels ausgefüllt und in dieser Weise die
oanze Oberfläche in der angemessenen Höhe ungefähr ausgeebnet. In
grolser Schärfe war dieses unmöglich, aber die dabei noch bleibenden
Abweichungen von etwa 1 Linie Höhe waren vergleichungsweise gegen die
sonstigen unvermeidlichen Beobachtungsfehler ohne Bedeutung. Es mag
erwähnt werden, dals der Seitendruck solcher mit aller Vorsicht darge-
stellten Schüttungen sich durchschnittlich um den dritten Theil geringer
herausstellte, als früher beobachtet war, während der Kies noch mit
Bechern eingefüllt und in der Oberfläche abgestrichen wurde. Die Beob-
achtungen ergaben sogar schon eine merkliche Zunahme des Seitendruckes,
wenn die Scheibe unter dem Trichter zufällig den Kies berührt hatte.
Es wurde daher die Schüttung sogleich unterbrochen und beseitigt, wenn
irgend eine Berührung oder Erschütterung vorgekommen war.
Woltman hatte die bewegliche Wand an eine horizontale Achse
befestigt, um welche sie sich drehte, sobald sie durch den Druck der
Erde zurückgedrängt wurde, da aber, wie bereits erwähnt, in diesem
Seitendruck der Erde. 9
Falle das Prisma über eine Bruchfläche nicht herabgleiten kann, ohne
sich in verschiedene Theile aufzulösen, so stellte ich die Wand auf einen
leichten Wagen. Ein starker Seidenfaden drückte sie vermöge des ange-
hängten Gewichtes gegen den Kasten, und indem dieses Gewicht sich
nach und nach verminderte, so trat endlich der Moment ein, in welchem
es dem Seitendrucke nicht mehr das Gleichgewicht hielt und der Wagen
zurückwich.
Der Druck bestimmte sich durch das alsdann anhängende Gewicht,
doch mufste dabei noch die Reibung des Wagens berücksichtigt werden.
Der Faden, der über zwei feste Rollen geführt war, liefs sich sowol mit
der vorderen, wie mit der hinteren Seite des Wagens verbinden, und so-
nach liels sich auch mittelst angehängter Gewichte, während die beweg-
liche Wand dem Druck der Schüttung nicht ausgesetzt war, die Reibung
des Wagens sowol in der einen, wie in der andern Richtung bestimmen,
und wenn beide nicht gleich waren, so wurde die Platte, auf welcher
der Wagen stand, mittelst einer Schraube an einem Ende so lange ge-
hoben oder gesenkt, bis die Reibung in beiden Richtungen gleichen Werth
annahm. In dieser Weise fand ich die Reibung gleich 0,47 Loth, und
zwar konnte ich keine Vergröfserung derselben bemerken, wenn ich auch
den Wagen etwas und zwar bis nahe mit 1 Pfund belastete.
Zur Ermittelung dieser Reibung war an den Faden ein leichtes
(refäfs aus Papier gehängt, in welches ich einen Strahl sehr feinen, trocke-
nen Sandes einfliefsen liefs. Letzterer fiel aus einem Trichter herab, dessen
Ausfluls- Öffnung 4 Linie im Durchmesser hielt. Der Strahl, der durch
dieselbe ausflofs, gab in der Seeunde 0,01 Loth, das Gewicht vergröfserte
sich also so langsam, dafs es sich sehr genau bestimmen liefs, indem der
Triehter fortgezogen wurde, sobald der Wagen in Bewegung kam.
Die Schüttung, deren Seitendruck gemessen wurde, befand sieh in
einem hölzernen Kasten, dessen eine Seite die bewegliche Wand bildete.
Dieselbe liefs sich scharf schliefsend gegen beide Seitenwände stellen, in-
dem der Wagen nicht auf einer Bahn, sondern frei auf der Bodenplatte
stand. Er wurde während der Füllung des Kastens und bis zum Beginn
der Beobachtung durch eine Schraube gehalten. Die freie Öffnung des
Kastens war ungefähr 94 Zoll breit und 43 Zoll hoch.
Math. Kl. 1871. 9
10 HAGEN:
Es ist bereits erwähnt, dafs der Seitendruck der Kies-Schüttung
dureh die Spannung eines Fadens gemessen wurde, der die bewegliche
Wand mit dem Wagen gegen den Kasten drückte. Dieser Faden bestand
aus ecordonnirter Seide und war so leieht, dafs 10 Fufs desselben nur
0,04 Loth wogen, während er mit Sicherheit 5 Pfund tragen konnte. Sein
Gewicht durfte daher gar nicht berücksichtigt werdeu. Derselbe trug am
[reien Ende eine Messing-Scheibe, worauf die gröfsern Gewichte gestellt
wurden, die jedoch um einige Lothe geringer waren, als der jedesmalige
Seitendruck. An der untern Fläche der Scheibe befand sich eine Öse
und hieran wurde ein Triehter gehängt, dessen Mündung 1 Linie im
Durchmesser hielt. Indem dieser Trichter vor dem Lösen der Schraube
mit feinem Sande gefüllt wurde, so flofs letzterer ohne irgend eine Er-
sehütterung zu veranlassen, ab, und zwar ergaben wiederholte Messun-
ven, dafs in 2 Minuten 3,43 Loth, also in der Secunde nahe 0,03 Loth
austraten.
Indem es nur darauf ankam, die erste Bewegung des Wagens zu
beobachten, so entfernte ich die Schraube jedesmal nur um 14; Linien,
oder beschränkte auf diesen kurzen Weg die Bewegung des Wagens, so-
bald aber diese Bewegung eintrat, zog ich mittelst eines Fadens einen
kleinen Kasten unter den Triehter, der nunmehr den noch weiter aus-
Hiefsenden Sand aufnahm. Der hier aufgefangene Sand im Verbindung
mit den aufgestellten Gewichten, sowie mit dem Gewichte der Scheibe
und des Trichters und der erwähnten Reibung ergab sonach den Seiten-
druck, den die Schüttung ausgeübt hatte.
Die Bewegung des Wagens mit der Wand trat indessen so langsam
ein, dals der Beeinn derselben sich nicht scharf beobachten liels, der
Druck der Schüttung war also wirklich etwas gröfser, als jene Gewichte.
Unter Berücksichtigung der in Bewegung gesetzten Massen, der Reibung
und der Verminderung des Gewichtes ergab sich, dals der Wagen 6,3 Se-
eunden nach dem Beginn seiner Bewegung den Weg von 14 Linien zurück-
gelest hatte, es wurden daher jenen Gewichten noch 0,18 Loth zugesetzt.
Der mit diesem Apparate gemessene Seitendruck der Schüttung ist
noch von der Reibung derselben gegen die festen Seitenwände abhängig.
Man hat bei allen Messungen dieser Art hierauf nicht Rücksicht genom-
men, auch bei den in Osterreich angestellten Beobachtungen ist dieses nicht
Seitendruck der Erde. 11
geschehen, wiewohl nach den Zeichnungen, die Martony de Köszegh
mittheilt, neben den Seitenwänden meist gröfsere Massen zurückgeblieben
waren, woraus sich also augenscheinlich ergab, dafs an beiden Enden
das abbrechende Prisma sich nicht in seiner vollständigen Ausdehnung
löste. Um den Einflufs dieser Reibung aus den Messungen mit Sicher-
heit herleiten und darnach das Resultat berichtigen zu können, wurden
Zwischenwände vorbereitet, durch welche ich der Schüttung verschiedene
Längen geben und dieselbe von 94 auf 6% und 44 Zoll reduciren konnte.
Aufserdem wurden die Beobachtungen noch insofern verändert, als ich
in den Kasten noch einen Zwischenboden einleste und die Höhe der
Schüttung von 43 auf 34, Zoll verminderte.
Es bleibt fraglich, ob die Schüttung auch gegen die bewegliche
Wand eine gewisse Reibung ausübt, oder ob solche nicht eintritt. Cou-
lomb, sowie auch Prony und Eytelwein, haben das Letzte voraus-
gesetzt, dagegen hat man in neuerer Zeit die Theorie wesentlich dadurch
zu verbessern gemeint, dafs man diese Reibung berücksichtigte. Gewils
bleibt es schwierig, sie mit ihrem richtigen Werthe einzuführen, da der
Sand, sobald die Bewegung eintritt, nicht parallel zur Wand fortrückt.
Wenn die Schüttung sackt oder angestampft wird, so stützt sie sich
sewils nicht nur horizontal, sondern auch vertikal gegen die Wand, ein
Theil ihres Gewichtes überträgt sich daher auf diese, und ohne Zweifel
tritt alsdann die Reibung ein. Wenn dagegen, wie in meinen Beobach-
tungen, die Kieskörnchen beim sanften Herabfallen sich nur in horizon-
taler Richtung gegen die Wand lehnen, so ist wohl nicht anzunehmen,
dafs das horizontale Fortschieben der Wand, womit die Bewegung beginnt,
durch Reibung gegen diese Wand gehemmt werden sollte.
Nachdem eine grofse Anzahl von Beobachtungen gemacht war, die
nur dazu dienten, die Methode nach und nach zu verbessern und eine
sröfsere Übereinstimmung der Resultate herbeizuführen, wurden schliefs-
lich die folgenden Messungen gemacht. 5 bedeutet die Breite, h die Höhe
der Schüttung, G@ die Summe der auf die Scheibe gestellten Gewichte
mit Einschlufs des aufgefangenen Sandes und D das arithmetische Mittel
aus den je drei Gewichten mit Einschlufs der vorerwähnten sonstigen
Üorrectionen.
y%
p
12 Hagen:
BLEI. am tue | Bemerkungen
4,667 9,335
9299
23,58
28,17
4,667 | 6,675 | 14,32 | 19,20
14,61
15,78
4,667 |4,117 | 5,72 |10,6:
5,6!
5,61
3,500 | 9,333 | 10,69 | 15,32
10,16
10,22
3.500 | 6,675 | 6,40 | 10,99
5,78
5,92
3,500 | 4,117 5,82 6,02 | bei dieser letzten Mes-
5,55 sung mulste die Scheibe
5,32 beseitigt werden.
Dürfte man voraussetzen, dals die Seitenwände keinen Einfluls auf
den Druck der Schüttung ausüben, so würden die beobachteten Pressun-
sen D den Breiten b proportional sein. Dieses ist indessen nicht der
all. Man kann aber mit Sicherheit annehmen, dals bei gleicher Höhe
der Schüttung jener Binflufs der Seitenwände bei allen Breiten d derselbe
bleibt. KHliernach rechtfertigt sich der Ausdruck
D — Dr —s
wo r den Druck auf die Breite von 1 Zoll und zwar unabhängig
gig von der
Wirkung der Seitenwände bezeichnet. Aus den drei ersten Beobachtungen
ergeben sich die wahrscheinlichsten Werthe
3,3792
Y
und S==.8,3012
Führt man dieselben in die vorstehende Formel ein, so findet man die
Pressungen D gleich
28,24 ... 19,25 ... und 10,61
Seitendruck der Erde. 13
Die wahrscheinlichen Fehler sind
für D gleich 0,0416
für r gleich 0,0112
für s gleich 0,0793
Aus den drei letzten Beobachtungen findet man dagegen die wahrschein-
lichsten Werthe
r = 1,1835
und
s = 1,1871
Hieraus ergeben sich die betreffenden D gleich
15,45 2.107200 , und. 615
und die wahrscheinlichen Fehler
für D gleich 0,2203
für r gleich 0,0597
für s gleich 0,4203
Die letzten Beobachtungen sind sonach auffallend weniger genau, als
die ersten, was vielleicht davon herrührt, dafs der Zwischenboden etwas
nachgab.
Zunächst kommt es auf die Untersuchung der Constante 7 an.
Vergleicht man die beiden vorstehenden Werthe derselben, so bemerkt
man, dafs sie nahe den @Quadraten der Höhen Ah proportional sind. Die
r CP : N - ö
Gröfse ; ist also constant und bezeichnet den Druck, den eine Schüttung
t
von 1 Zoll Breite und 1 Zoll Höhe auf die bewegliche Wand ausübt. Da
indessen der wahrscheinliche Fehler der zweiten Bestimmung ungefähr 5mal
so grols, als der der ersten ist, so gebe ich der ersten das dreifache Gewicht
der andern und finde
Aus den Beobachtungen bestätigt sich aber auch die Annahme, dals, ab-
sesehen von der Einwirkung der Seitenwände, der Druck dem Produete bh?
ie} Do ’
proportional ist. Für das zur Schüttung benutzte Material ist sonach der
gesuchte Druck gleich
0,15275 . bh?
14 Haıern:
Vergleicht man dieses Resultat mit dem der obigen Herleitung
D— 1, inp Beatake Bin Ge)
a
Sin
=4y.bh’.A
indem man für y den durch direete Messung gefundenen Werth 1,944 Loth
einführt, so ergiebt sich
A = 0,1640
Nach der von mir berechneten Tabelle ist für
w=5°... 8 =a9 532... A —10,14938
V = 53° $ = 36° 43}8 A == 0,15655
L = 54° $ = 37° 29,5 A = 0,16399
558 $ = 38° 15/6 A = 0,17171
Aus vorstehendem Werthe von A ergiebt sich also
P = 36° 47,6
und
V = 53° 51
Die direete Messung des Reibungswinkels hatte ergeben
V = 54°
Die Differenz beträgt also nahe 1 Grad, doch darf nicht unbeachtet blei-
ben, dals die direete Messung niemals mit grolser Schärfe ausgeführt wer-
den kann, auch in der freien Oberfläche durch die wiederholte Aufbrin-
sung kleiner Massen eine vollständigere Ausebnung, als im Innern der
Schüttung erfolgt und sonach die Reibung geringer oder der Winkel X
oröfser gefunden wird, als er in der Bruchebene wirklich ıst. Hiernach
dürfte die Übereinstimmung als befriedigend angesehen werden.
Vergleicht man dagegen das Resultat der Messung mit Coulomb’s
Aullassung, wonach
D—=4ybh’tgt4Y?
so ergiebt sich
YV —= 42° 14,9
oder 11:5; Grade kleiner, als nach der direeten Messung.
Auch der Winkel 9, unter dem der Bruch erfolgt, bietet Gelegen-
heit zur Vergleichung beider Auflassungen. Obwohl bei dem beschriebe-
nen Verfahren die Trennung der Oberfläche sich nicht deutlich erkennen
oO
Seitendruck der Erde. 15
liefs, so stellte sich solche doch schärfer dar, wenn die bewegliche Wand
plötzlich etwas zurückgeschoben wurde. In dieser Art ergab sich $
gleich 38 Grad, also um 14 Grad von dem Resultate der Rechnung ver-
schieden, während nach Coulomb’s Theorie der Winkel um 164 Grad
kleiner gewesen wäre.
Die zweite Constante s bezeichnet augenscheinlich die Reibung,
welche an beiden Enden des sich ablösenden Prismas gegen die festen
Seitenwände stattfindet. Die Reibung von jeder Seite ist also gleich %s,
und diese berechnet sich aus dem Druck, den die Schüttung gegen die
Wand ausübt, da jedoch wegen der schrägen Richtung der Bruchebene
die Höhen verschieden sind, so mufs man die Pressungen berücksichtigen,
welche unendlich schmale Vertikalschichten ausüben. Bezeichnet f den
Reibungs-Üoefficient des Kieses gegen die Wand, so hat man
ls == EV h tgt { A h her
Vergleicht man die beiden für die verschiedenen A gefundenen Werthe
von s mit einander, so bemerkt man, dafs sie annähernd den dritten Po-
tenzen von Ah proportional sind, wie dieses auch der vorstehende Aus-
druck fordert. Der wahrscheinliche Fehler der zweiten Bestimmung ist
an sich so grofs, dafs die Abweichung nicht befremden kann. Aus den
drei ersten Beobachtungen ergiebt sich f == 0,4086, aus den letzten da-
gegen f = 0,3483, also ist die Reibung des Kieses gegen die ziemlich
ebene Wand viel geringer, als im Innern des Kieses.
Aulser den erwähnten Beobachtungen stellte ich mit demselben
Apparat noch eine andere Reihe Messungen an, die sich von jenen
dadurch unterschieden, dafs die Schüttung nicht horizontal abgeglichen
war, vielmehr von der Wand ab unter dem Winkel von 25 Graden gegen
den Horizont anstieg. Durch Einfügen von Zwischenwänden liefsen sich
auch hierbei die Breiten verändern, doch mufs ich bemerken, dafs diese
Versuche unter einander weniger übereinstimmten, als die frühern, was
vielleicht davon herrührte, dafs auf der stark geneigten Oberfläche das
Herabfallen kleinerer Kiesmassen sich nicht immer verhindern liefs, und
diese geringe Bewegung schon eine festere Ablagerung veranlalste.
Die Resultate waren, wenn die frühere Bezeichnung beibehal-
ten wird
16 HAGEN:
| h b G | D
1. 14,667 |8,942 | 33,50 | 38,00
32,57
9. |4,667 | 6,333 | 19,39 | 23,68
18,06
3..|4,667 |3,833 | 6,08 | 11,07
6,13
Indem sich aus der ersten Beobachtungsreihe schon ergiebt, in
welcher Weise die Gröfsen h und b in die beiden Glieder des Ausdrucks
für D eintreten, so setze ich
D=bh’.r—#.s
wodurch 7 und s eine andere Bedeutung erhalten, als sie früher hatten.
Es ergiebt sich daraus
r = 0,24194
und
s — 0,09162
Auch in diesem Falle trennt sich ein dreiseitiges Prisma und gleitet auf
der Bruchebene herab, die unter dem noch unbekannten Winkel $ gegen
das Loth geneigt ist. Wenn die Schüttung in ihrer Oberfläche unter dem
Winkel $ gegen den Horizont ansteigt, so ist der Querschnitt des Prismas
192 Cos >. Sin $
2 Cos(P +7)
und man findet den Horizontal-Druck, den es gegen die bewegliche
Wand ausübt,
Cos S' Sin $p? . Sin (dv — P)
Cos(p+°).Sin J
D=}bh:y
wobei, ebenso wie früher, der Reibungs-Coeffieient durch Cotg W aus-
gedrückt ist. Setzt man den letzten Factor, der die trigonometrischen
Funetionen enthält, gleich B, so hat man
2 2
D=!bh’y.B
Unter allen Prismen übt dasjenige den stärksten Druck aus, für welches
B ein Maximum ist, da aber Y und $ constant sind, so kommt es darauf
an, dasjenige $ zu bestimmen, für welches
Seitendruck der Erde. 17
Sinp?.Sin(b —p)
Cos (+7)
den gröfsten Werth annimmt. Dieses geschieht, wenn
2Cotg — Otg Y—P)+t +9) = 0
Der Winkel $ läfst sich hieraus nicht direct berechnen, wenn man aber
dafür willkürliche Werthe einführt, so sind dieselben leicht zu berichtigen,
und nach drei oder vier Proben gelingt es immer, diesen Winkel mit hin-
reichender Genauigkeit zu bestimmen. In dieser Weise fand ich für
. A sl. = 3803115, 258 BD 012199
ap & = 39° 31,9 B = 0,2340
UV = 53° & — 40° 34/2 B = 0,2498
V = 54° 6, —- 41213816 B = 0,2670
Der aus den Beobachtungen gefundene Werth r = 0,24194 ist nichts
anders, als 4y. >, und hieraus ergiebt sich
B = 0,2484
woraus man nach vorstehender Tabelle findet
52507
und
Dr 400 .98,7
Der Winkel V stimmt bis auf 10 Minuten mit demjenigen überein, der
aus den Beobachtungen mit horizontal abgeglichenen Schüttungen her-
geleitet wurde, und ist nur um 65 Minuten kleiner, als die direete Mes-
sung ergeben hatte. Wenn man dagegen in diesem Falle die Kräfte in
der Art zerlegt, wie Coulomb gethan hat, und in gleicher Weise die
Reibung zweimal einführt, so findet man Y gleich 47° 16,7, also nahe um
7 Grade kleiner, als nach der direeten Messung. Dieser Winkel stimmt
aber auch nicht mit demjenigen überein, der nach gleicher Methode aus
den Beobachtungen mit horizontalen Schüttungen hergeleitet wurde, son-
dern ist um 5 Grade gröfser.
Beide Beobachtungsreihen schliefsen sich also nicht an die von
Coulomb gewählte und allgemein als richtig angenommene Zerlegung
der Kräfte an, wohl aber zeigen sie hinreichende Übereinstimmung mit
derjenigen Auffassung, die zuerst Kästner empfohlen hatte. Das Experi-
ment hat also gleichfalls für die letzte entschieden.
Math. Kl. 1871.
oo
18 Hacken:
Bisher war nur von dem Druck gegen vertikale Wände die Rede,
man giebt den Wänden aber vielfach, und namentlich wenn es hölzerne
sind, eine gewisse Neigung und zwar so, dals sie auf der innern Seite,
oder der Schüttung zugekehrt, mehr oder weniger überhängen. Dieses
geschieht, um den Erddruck zu vermindern, also um die Wand zu sichern.
Es fragt sich, in wie weit diese Absicht hierdurch erreicht wird.
Die Neigung der Wand gegen das Loth sei «, während die übrigen
früher gewählten Bezeichnungen ihre Bedeutung behalten. Der Druck,
den das abbrechende Prisma normal gegen die Wand ausübt, ist in
diesem Falle y
zei)
2 Cos p. Cos«. Sin
—= }bh’y.C
Dieser Druck wird aber ein Maximum, sobald
2 .tstW . Cos 9° — Sin 29 — tgt (P —a) — 0
Aus nachstehender Tabelle ergiebt sich, wie sehr die schräge
Stellung der Wand zur Verminderung des normal gegen sie gerichteten
Druckes beiträgt. Dabei ist der Reibungswinkel, oder X gleich 53 Grade
angenommen, weil diese Grölse sich sowol aus den vorstehenden Rech-
nungen ergiebt, als auch aus manchen Erfahrungen, die an Steinschüttun-
gen und zwar eben sowol über, wie unter Wasser gemacht sind. Es muls
aber bemerkt werden, dals die vorliegende Aufgabe besonders beim Hafen-
bau von grolser Bedeutung ist, wenn eine Steinschüttung, die den Hafen-
damm bildet, von zwei Pfahlwänden eingeschlossen ist.
6
) (6 -
[03 | d | A
0° | 36° a3!s | 0,15655 | 1,00000
5° | 38° 21,8 | 0,12251 | 0,78253
10° | 399 56.5 | 0,09334 | 0,59620
15° | 41° 28!1 | 0,06870 | 0,43882
20° | 42° 57.9 | 0,04830 | 0,30852
235° | 44° 26,6 | 0,03190 | 0,20378
30° | 45° 55/2 | 0,01927 | 0,12311
35° | 47° 23!6 | 0,01016 | 0,06491
40° | 48° 53’6 | 0,00426 | 0,02718
45° | 50° 25/7 | 0,00112 | 0,00713
50° | 52° 0,9 | 0,00007 | 0,00043
Seitendruck der Erde. 19
Es ergiebt sich aus der letzten Spalte, dafs allerdings eine sehr
bedeutende Verminderung des Drucks auf diesem Wege erreicht werden
kann, wenn zum Beispiel die Wand nur in dem Verhältnifs von 1 zu 12
geneigt ist, so vermindert sich der Normaldruck gegen dieselbe schon um
den fünften Theil, und entspricht die Neigung dem Verhältnifs 1:4, was
ohne Unbequemlichkeit in der Ausführung sich darstellen läfst, so redu-
eirt sich der Druck schon auf weniger, als auf die Hälfte desjenigen
Werthes, den er gegen eine vertikale Wand ausübt.
Schliefslich mag noch eine Erscheinung erwähnt werden, die bei
oberflächlicher Auffassung der Verhältnisse in hohem Grade überraschend
ist, und bei Ausführungen im Grolsen vielfach sehr unangenehm sich zu
erkennen gegeben hat. Wenn nämlich die Rückwand so nahe an der
vordern oder der beweglichen Wand steht, dafs das dreiseitige Prisma des
stärksten Druckes sich dazwischen nicht vollständig ausbilden kann, so
bleibt dennoch der Druck auf die letztere beinahe ebenso grols, als wenn
beide Wände viel weiter von einander entfernt wären. Nach meinen Beob-
achtungen betrug der Druck der horizontal abgeglichenen Schüttung bei
der Höhe von 4,667 Zoll und der Breite von 9,533 Zoll, während die
Rückwand weit entfernt blieb 28,27 Loth. Sobald ich die beiden Wände
aber einander bis auf 2,24 Zoll näherte, wobei schon ein bedeutender
Theil des frühern Prismas fehlte, so blieb der gemessene Druck unver-
ändert derselbe, er stellte sich sogar zufällig um einige Hunderttheile
eines Lothes gröfser als früher dar. Verminderte ich die Entfernung der
Wände auf 0,754 Zoll, so verminderte der Druck sich allerdings um einige
Lothe, doch nicht entfernt in demselben Verhältnifs, wie das Gewicht des
Prismas geringer wurde. Er betrug noch 25,19 Loth. Unter der gün-
stigsten Annahme des Trennungswinkels ® konnte in diesem Falle der
Seitendruck nur 13,50 Loth sein, falls das gelöste vierseitige Prisma
noch ebenso, wie früher das dreiseitige, ohne weitere Formveränderung
der ausweichenden Wand folgte. Diese Bedingung kann aber augenschein-
lich nicht erfüllt werden, denn beim Abgleiten des Prismas würde zwi-
schen diesem und der Rückwand ein leerer Raum bleiben, was bei dem
vorausgesetzten Mangel an Zusammenhang in der Masse der Schüttung
undenkbar ist. Sobald daher das ganze Prisma der ausweichenden Wand
folgt, so löst sich davon gleichzeitig ein anderes Prisma ab, welches den
DE;
>
90 Hasen: Seitendruck der Erde.
Yo
Horizontal-Druck gegen die Rückwand ausübt. Indem letztere aber als
absolut fest gedacht wird, so ist die Wirkung dieses Druckes keine andere,
als dafs die Schüttung von der Rückwand fortgedrängt, oder der Druck
auf die bewegliche Wand verstärkt wird. Sollte die zweite Bruchebene
noch nicht die freie Oberfläche der Schüttung, sondern wieder die beweg-
liche Wand treffen, so löst sich ein drittes Prisma, welches aufs Neue
diesen Druch verstärkt. In dieser Weise kann es geschehen, dafs die
Bruchfläche vielfach ım Ziekzack von einer Wand zur andern übergeht,
bis sie endlich die freie Oberfläche trifft. Der durch diese sämmtlichen
Prismen veranlafste Druck stellt sich aber, wenn man von der vergrölser-
ten Reibung gegen die Wände absieht, ebenso grols heraus, als wenn in
einer weiteren Schüttung das dreiseitige Prisma sich vollständig ausge-
bildet hätte. Dieser Auffassung liegt die Voraussetzung zum Grunde, dafs
derselbe Theil der Schüttung in Bezug auf die verschiedenen Prismen,
denen er angehört, auch ebenso viele verschiedene Pressungen ausüben
soll. Diese Annahme widerspricht aber nicht den Gesetzen der Mechanik,
insofern bei jeder dieser Wirkungen eine entsprechende Senkung des
Schwerpunktes erfolgt. Aus diesem Grunde zeigt sich auch in dem Ver-
halten der freien Oberfläche eine wesentliche Verschiedenheit von dem-
jenigen bei breiteren Schüttungen. Während bei letzteren das geringe
Ausweichen der Wand kaum die Senkung der Oberfläche bemerken liels,
so sank dieselbe nunmehr um einige Linien herab, wie dieses mit Rück-
sieht auf die räumlichen Verhältnisse auch nicht anders sein konnte.
Uber das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
strömenden Wassers mit der Entfernung vom
Boden sich vergröfsert.
a
Von
H" HAGEN.
[Gelesen in der Klassen-Sitzung am 27. November 1871.)
I: einer früheren Untersuchung über die Bewegung des Wassers in
Strömen (mathematische Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissen-
schaften 1868) hatte ich mich bereits bemüht, das Gesetz zu bezeichnen,
nach welchem in derselben Lothlinie die Geschwindigkeit des Wassers
von der Oberfläche nach dem Boden sich vermindert. Ich gelangte dabei
zu einem Ausdruck, der zwar an die aus der Erfahrung hergeleiteten
Bedingungen sich anschlofs, der jedoch nicht weiter begründet war. Bei
näherer Untersuchung der Verhältnisse ergab sich aber, dafs dieser Aus-
druck aus einem allgemein als richtig angenommenen Lehrsatz der ange-
wandten Hydraulik sich erweisen läfst, auch dafs er durch die zuver-
lässigsten bekannt gewordenen Geschwindigkeits-Messungen bestätigt wird.
Die Kenntnils dieses Gesetzes ist für den Wasserbau von grofser Wich-
tigkeit, da Projeete zu Strom-ÜÖorrectionen und Entsumpfungen von
Niederungen sich nur aufstellen lassen, wenn man weils, welche Wasser-
mengen die betreffenden Ströme und Flüsse bei verschiedenen Wasser-
ständen abführen. Zu diesem Zweck pflegt man in mehreren Lothlinien
desselben @Querprofils eine grolse Anzahl von Geschwindigkeiten unter
einander zu messen, und aus diesen die mittlere jeder einzelnen Lothlinie
zu berechnen, Bei der bekannten Tiefe der letzteren ergiebt sich alsdann
die durch sie abgeführte Wassermenge. Dieses Verfahren würde sich
wesentlich erleichtern, wenn das ın Rede stehende Gesetz bekannt wäre,
und man unter Zugrundelesung desselben vielleicht aus einer einzigen
Geschwindigkeits - Messung in bestimmter Tiefe die mittlere finden
könnte.
22 HaGen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Trägt man die Geschwindigkeiten und zugehörigen Tiefen als
ÖOrdinaten und Abseissen auf, so stellen die äulseren Punkte der Ge-
schwindigkeiten Curven dar, die man in der Technik Geschwindigkeits-
Scalen nennt. Legt man dabei den Anfangspunkt der mit A bezeichneten
Abseissen in den Fufspunkt des Perpendikels, also in die Sohle des Flufs-
bettes, so darf man voraussetzen, dafs die Abnahme der Geschwindigkeit v
in gröfserer Tiefe durch die Annäherung an die Sohle veranlalst wird,
also im umgekehrten Verhältnifs zu einer noch unbekannten Potenz des
Abstandes h steht. Man hat alsdann
dv k
dh m
wo %k einen oleichfalls unbekannten constanten Factor bezeichnet. Ich
war zu dem Resnltat gelangt, dafs die verschiedenen maafsgebenden Be-
dingungen am einfachsten erfüllt werden, wenn x = 4 gesetzt wird.
Hieraus ergiebt sich, dafs die Geschwindigkeits-Scale eine gewöhnliche Pa-
rabel ist, deren Axe jedoch nicht in diejenige Lothlinie zu fallen braucht,
von welcher ab die Geschwindigkeiten aufgetragen sind. Die in der Höhe %
über dem Boden gemessene Geschwindigkeit » wäre also
v—=C-+yp.yh
wenn ( die Geschwindigkeit an der Sohle des Flufsbettes und 2p den
Parameter der Parabel bezeichnet.
Dieser Ausdruck lälst sich indessen, wie erwähnt, auch aus dem
bekannten Gesetz über die gleichförmige Bewegung des Wassers in Strö-
men herleiten, wonach bei gleichem relativen Gefälle, wie solches unbe-
dinet in allen Tiefen jedes einzelnen Querprofiles und jeder einzelnen
Lothlinie in demselben stets stattfindet, die mittlere Geschwindigkeit der
(Juadratwurzel aus der mittleren Tiefe des Flufsbettes an der untersuchten
Stelle proportional ist. Dieses Gesetz ist seit seiner ersten Aufstellung
durch den Oldenburgschen Hydroteeten Brahms vor 120 Jahren immer
als richtig angesehn, bis vor Kurzem ein französischer Ingenieur es dahin
abzuändern versuchte, dafs er statt der Quadratwurzel die Oubikwurzel
einführte. Ich habe indessen bereits anderweitig nachgewiesen, dafs
selbst die zur Begründung dieser neuen Theorie benutzten Beobachtungen
>)
er
bei Vergleichung der Summen der Quadrate der übrig bleibenden Fehler
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 23
sich besser an denjenigen Ausdruck anschliefsen, der die Quadratwurzel
enthält, als an den vorgeschlagenen.
Ist der Strom so breit, dafs die Einwirkung der Seitenwände auf
die Bewegung des Wassers vergleichungsweise gegen diejenige der Sohle
als verschwindend klein angesehn, oder der benetzte Umfang des Quer-
profils mit der Breite desselben verwechselt werden darf, so findet das
Gesetz, welches für das ganze Querprofil gilt, auch auf jeden durch senk-
rechte Linien begrenzten Theil desselben und sonach auch auf jede ein-
zelne Lothlinie Anwendung.
Die mittlere Geschwindigkeit c aller Wasserfäden, die unter ein-
ander und zwar in der ganzen Tiefe ? sich befinden, ist nach meiner
früheren Untersuchung, wenn Rheinländisches Fulsmaafs zum Grunde
gelegt wird,
6
e=433.ye.yt
wobei « das relative Gefälle des Stroms an dieser Stelle bezeichnet.
In Bezug auf diesen Ausdruck mufs ich erwähnen, dafs ich später
noch Gelegenheit hatte, denselben mit andern Beobachtungen zu ver-
gleichen. Diese wurden im vorigen Jahre an der Elbe unterhalb Arne-
burg bei drei verschiedenen Wasserständen ausgeführt. Sie zeichnen sich
vor den meisten übrigen dadurch aus, dafs die Gefälle des Stroms an
dieser Stelle jedesmal mit Sorgfalt gemessen sind. Aus diesen ergab sich
bei Einführung verschiedener Potenzen von «, wie auch schon in einigen
der früher benutzten Beobachtungen sich gezeigt hatte, dafs für die
Tte Wurzel des Gefälles die Summe der Fehlerquadrate zwar am klein-
sten wurde, dafs jedoch der Unterschied gegen diejenigen der 6ten Wurzel
nur sehr geringe blieb. Wenn mit Rücksicht auf andre Messungen die
sechste Wurzel gewählt wurde, so ergah sich aus diesen Messungen der
wahrscheinlichste Werth des constanten Factors sehr nahe eben so srols,
gr
wie der vorstehend bezeichnete, nämlich 4,314.
Endlich verglich ich auch noch mehrere an kleinen Entwässerungs-
Gräben ausgeführte Messungen unter einander. Indem dieselben jedoch
sehr steile und zum Theil sogar senkrechte Seitenwände hatten, so durfte
nicht mehr der benetzte Umfang des Querprofils der Breite desselben
gleich gesetzt werden, vielmehr schien es angemessen, statt der mittleren
34 Haczn über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Tiefe den Quotient aus der Profil-Fläche dividirt durch den benetzten
Umfang einzuführen. Auch hier trat die gröfste Übereinstimmung der
Messungen ein, wenn der Exponent von « zwischen } und 4 war. Der
constante Factor wurde in diesem Falle aber ansehnlich gröfser als früher,
und sein wahrscheinlicher Werth stellte sich auf 5,14. Dieses erklärt
sich wohl dadurch, dafs der benetzte Umfang in den tiefen Kanten zwi-
schen den Seitenwänden und Sohlflächen nicht in gleichem Maafse die
Verzögerung des Wassers veranlassen konnte, wie ım Querprofil eines
Strombettes, wo nur flache Krümmungen vorkommen. Hiernach bestä-
tigen auch diese neueren Beobachtungen den früher gefundenen Ausdruck
für die mittlere Geschwindigkeit, und derselbe darf daher mit um so
gröfserer Sicherheit in der vorliegenden Untersuchung benutzt werden.
Die mittlere Geschwindigkeit ce der sämmtlichen Wasserfäden in
einer Lothlinie von der Tiefe t ist eine constante Grölse, so lange man
allein diese einzelne Geschwindigkeits-Curve betrachtet. Eben so ist in
diesem Falle auch die an der Sohle des Flufsbettes stattfindende Ge-
schwindigkeit Ü und folglich auch der Quotient
ARE
[4
constant. Multiplicirt man die vorstehende Gleichung mit ı — ß so
erhält man
ce=Ü-+ 43 G—O)ya.yt
e=C+kyt
wenn man die Factoren, die für diese Curve constant sind, zusammen-
oder
falst und mit %k bezeichnet.
Die in der Höhe A über dem Boden stattfindende Geschwindigkeit v
setzt sich zusammen aus Ü und einem von A abhängigen Theile, der
gleich x sei. Also
v=Üe+r
Der mittlere Werth der sämmtlichen zwischen A = o und h=!E vor-
kommenden Geschwindigkeiten ist sonach
Sa dh
ce=C0-+ :
strömenden Wassers mit der Entfermung vom Boden sich vergröfsert. 25
Vergleicht man diesen Ausdruck für e mit dem vorstehenden, so ergiebt sich
adh
t
kyi=!
Wenn man die Differenziation ausführt, wobei das constante f in das
variable h übergeht, und dh auf beiden Seiten fortfällt, so findet man
3kyh=&
folglich
v=Ü+2kyh
6
=(0+65(1— P)ye.yt
Die im obigen Ausdruck
v=(C-+yp.Yyt
mit Yp bezeichnete Constante ist sonach
Vp = 6555 (: — ) Va
Bevor dieses Resultat mit den Beobachtungen verglichen und der
Nachweis geführt wird, dafs dasselbe in diesen seine Bestätigung findet,
müssen zunächst einige Bedenken beseitigt werden, welche nach manchen
Erfahrungen dagegen erhoben werden könnten.
Der Umstand, dafs unmittelbar über der Sohle des Bettes die
Geschwindigkeit schon eine ansehnliche Gröfse hat, kann nicht befremden,
da im entgegengesetzten Falle eine Einwirkung des Stromes auf das Bette,
wie solche fast immer, und oft sogar sehr auffallend sich zu erkennen
giebt, unerklärlich wäre. Man sieht nämlich, dafs nicht nur Sand, son-
dern bei heftiger Strömung auch gröbere Kiesel in Bewegung gesetzt
werden, während bei sehr starkem Gefälle sogar Felsblöcke forttreiben.
Diese letzte Erscheinung gehört freilich nicht hieher, weil sie nicht allein
von der Einwirkung der untersten Wasserschichten herrührt. Von der
ununterbrochenen Bewegung des gröberen Kieses kann man sich aber
leicht überzeugen, wenn man auf Strömen, die solche führen und grölsere
Geschwindigkeit haben, das Boot, auf dem man sich befindet, ohne An-
wendung der Ruder frei treiben läfst. Man hört alsdann deutlich das
Rollen der kleineren Steine auf dem Grunde. Ich habe dieses namentlich
auf dem Oberrhein unterhalb Stralsburg bemerkt.
Math. Kl. 1871. 4
% Hack über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Bedenklicher könnte es erscheinen, dafs nach vorstehender Ent-
wieckelung die Geschwindiskeiten mit der weitern Entfernung vom Grunde
stets zunehmen, und bei unendlich grofser Wassertiefe, in den obern
Schichten sogar unendlich grofs werden sollen. Hiermit tritt zunächst
die vielfach gemachte Erfahrung in Widerspruch, dafs die Geschwindigkeit
im Wasserspiegel selbst und nahe darunter geringer ist, als in gröfserer
Tiefe. Die Veranlassung dieser Erscheinung beruht indessen allein in
dem Verfahren bei Anstellung der Beobachtungen, und namentlich in dem
Umstande, dafs man auf einem vor Anker liegenden Boote in unmittel-
barer Nähe desselben die Messungen ausführt. Die Oberfläche des Was-
sers besitzt nämlich, wie sich vielfach und besonders in den sogenannten
Capillar-Erscheinungen zeigt, nicht die Beweglichkeit der darunter befind-
lichen Masse, sie bildet vielmehr eine festere Decke, die an allen Gegen-
ständen, die sie berührt, mit einer gewissen Kraft haftet, und deshalb
nicht frei sich bewegen kann. Die Verzögerung, die sie erfährt, überträgt
sich aber auch auf die nächst darunter belegenen Schichten, indem sie
selbst, und eben so auch das Boot oder der Brückenpfeiler in ähnlicher
Art, wie das Ufer und die Sohle des Flufsbettes wirkt, und die Geschwin-
diekeit der nächst vorbeiströmenden Masse vermindert. Brünings, der
bei seinen vielfachen Messungen, von denen im Folgenden ausführlich die
Rede sein wird, die Abnahme der Geschwindigkeit in der Nähe der Ober-
fläche beinahe jedesmal bemerkte, erklärte sie durch die Adhäsion der
Luft. Dieser Ansicht haben sich in neuerer Zeit auch Humphreys und
Abbot angeschlossen, wiewohl solche Einwirkung an sich kaum denkbar
ist, und aufhören mülste, sobald die Richtung des Windes mit derjenigen
der Strömung zusammenfällt, was nicht geschieht. Aufserdem aber geben
flache Schwimmer, die auf der Oberfläche treiben, im freien Strome dieses
nicht zu erkennen, so lange nicht etwa ein stärkerer Gegenwind sie trifft,
oder sie in der Nähe der Ufer oder neben festliegenden Fahrzeugen sich
befinden. Auch mufs der Wasserlauf eine gewisse Breite haben (bei
langsamer Bewegung wohl von etwa 2 Ruthen), weil sonst die Einwirkung
der beiderseitigen Ufer sich über die ganze Oberfläche ausdehnt, während
bei frischer Strömung diese schon in geringeren Abständen aufgehoben
wird. Sehr deutlich kann man in kleinen Canälen, die mit Glaswänden
versehn und nur wenige Zolle breit sind, die Verzögerung der Oberfläche
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert, 27
bemerken, wenn man einen mit Tusche gefüllten Pinsel momentan ein-
taucht. Es bildet sich alsdann ein gefärbter Wasserfaden, der sich lang-
sam herabzieht, und sich im Allgemeinen in der Richtung der Strömung
fortbewegt. Man sieht aber, dafs er bis zur Tiefe von einigen Linien
der Oberfläche voraneilt, im obern Theile also von dieser zurückgehalten
wird, während er weiter abwärts die entgegengesetzte Neigung annimmt
und dadurch zu erkennen giebt, dals die Geschwindigkeit der Wasser-
schichten bei gröfserer Annäherung an die Sohle sich vermindert. Bei
gröfserer Breite des Wasserlaufes verschwindet dagegen in einiger Ent-
fernung von den Ufern die Wirkung derselben vollständig und es ist
alsdann undenkbar, dafs die obern Schichten nicht wenigstens die Gre-
schwindigkeit der darunter befindlichen annehmen sollten, auf welchen
sie aufliegen. Durch Versuche, die ich mit einem zu diesem Zweck be-
sonders eingerichteten Apparat auf mehreren gröfsern Stömen und Flüssen
angestellt habe, überzeugte ich mich auch, dafs solche Verzögerung der
Oberfläche im freien Strome niemals stattfindet.
Die Vorrichtung bestand in einer dünnen Latte von etwa 3 Fuls
Länge, welche auf dem Wasser frei schwamm. An ihren beiden Enden
befanden sich je zwei sich kreuzweise überschneidende hochkantig ge-
stellte Flächen, die bei jeder Richtung der Latte den Stofs des Wassers
aufnahmen. Das eine Paar derselben reichte bis zur Oberfläche herauf,
während das andre beliebig 1 bis 2 Fuls tiefer gestellt werden konnte.
Augenscheinlich bewegt sich der Apparat mit der mittleren Geschwindigkeit
derjenigen beiden Wasserschichten, welche die beiden Flächen-Paare treffen,
die gröfsere Geschwindigkeit treibt ihn voran, während die geringere ihn
zurüickhält. Aus seiner Richtung lälst sich also sicher entnehmen, welche
der beiden Geschwindigkeiten die gröfsere ist. Um dieses aber aus wei-
terer Entfernung, wie etwa vom Ufer aus, sicher wahrnehmen zu können,
war in der Mitte der Latte noch ein aufrecht stehender dünner Arm an-
gebracht, der nach demjenigen Ende sich neigte, wo der Stols der obern
Wasserschichten aufgefangen wurde. Das Resultat war nun, dafs bei
mälsigen Tiefen, etwa bis zu 12 Fufs, die Geschwindigkeit der Oberfläche
entschieden die gröfsere blieb. Sobald die Tiefe bedeutender wurde, wo-
bei nach der obigen Entwickelung die Zunahme der Geschwindigkeit ge-
ringer wird, übte in Folge der innern Bewegungen bald die obere, bald
4*
28 Hacun über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
die tiefer belegene Schicht den stärkeren Stofs aus und der Apparat nahm
eine drehende Bewegung an. Nur beim Vorbeitreiben neben einem fest-
liegenden Flofs gab er die Verzögerung der Oberfläche zu erkennen und
dieses war augenschemlich derselbe Fall, der beim Messen der Geschwin-
diekeiten auf einem vor Anker liegenden Boote sich wiederholt.
Endlich dürfte es auch zweifelhaft erscheinen, dafs die Geschwin-
dickeit bei zunehmender Tiefe sich fortwährend vergröfsern, und bei
unendlicher Tiefe, wenn auch das Gefälle nur mäfsig ist, in den obern
Schichten sogar unendlich grofs werden soll. Man muls indessen darauf
Rücksicht nehmen, dafs das in Rede stehende Gesetz sich nur auf die
sleichförmige Bewegung bezieht, also auf eine solche, wobei das
Wasser seine Geschwindigkeit nicht ändert, vielmehr nur die dem Gefälle
entsprechende Beschleunigung so eben durch die Widerstände aufgehoben
wird. Hiernach wird an der untersuchten Stelle des Stromes keineswegs
die Geschwindigkeit erzeugt oder vermehrt, sondern nur unverändert er-
halten. Wenn sie also bei einer Wasser-Tiefe, die in der Wirklichkeit
niemals vorkommt, schon überaus grofs und selbst unendlich grofs wäre,
so würde sie, da die störende Einwirkung des Bettes in den höheren
Schichten immer geringer wird, und endlich ganz aufhört, hier auch eben
so grofs bleiben, wie sie war.
Indem es nunmehr darauf ankommt, das entwickelte Gesetz mit
zuverlässigen Geschwindigkeits-Messungen zu vergleichen, so eignen sich
hierzu vorzugsweise die zahlreichen Beobachtungen, die in den Jahren
1789 bis 1792 theils von Brünings selbst, theils unter seiner Leitung
von andern namhaften Niederländischen Hydrotecten, am Rhein, an der
Waal, am Leck und an der Yssel angestellt sind. Diese Messungen
wurden ausgeführt, um ein sicheres Urtheil darüber zu gewinnen, wie
die Wassermenge des Rheins bei verschiedenen Wasserständen auf die
benannten Flüsse sich vertheilt. Die Beantwortung dieser Frage war aber
zur Bestimmung der erforderlichen Höhe und Stärke der betreffenden
Deiche, so wie auch zur richtigen Behandlung der Flüsse selbst noth-
wendig, um einen grofsen Theil der Niederlande gegen Inundationen
sicher zu stellen. Bei der Wichtigkeit dieses Zweckes begründet sich die
ungewöhnliche Ausdehnung, die man diesen Messungen gab, so wie die
Sorgfalt, mit der sie angestellt wurden.
te)
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 29
An 9 verschiedenen Stellen in den benannten Strömen, so wie
auch im ungetheilten Rhein wurden bei hohem, bei mittlerem und bei
niedrigem Wasserstande in 17 Querprofilen die durchfliefsenden Wasser-
mengen ermittelt. Dieses geschah, indem in jedem dieser Profile in
Abständen von 2 bis 3 Rnthen Lothlinien ausgewählt, und in jeder der
letzteren von 6 Zoll unter der Oberfläche bis etwa 1 Fufs über der Sohle
in Abständen von 6 Zoll die Geschwindigkeiten gemessen wurden. Es
ergaben sich hieraus 117 Beobachtungs-Reihen, von denen mehrere einige
vierzig einzelne Messungen enthalten.
Brünings bediente sich dabei eines von ihm angegebenen Instru-
mentes, welches er Tachometer nannte, das aber nicht wie der Wolt-
mansche Flügel unmittelbar die Geschwindigkeiten erkennen liefs, vielmehr
nur den Druck angab, den eine quadratische Metall-Scheibe von 6 Zoll
Seite erfuhr, die dem Strom entgegengekehrt war. Die vorhergehende
Vergleichung der abgelesenen Pressungen mit den Geschwindigkeiten,
welche Schwimmer in gleichen Tiefen annahmen, dienten zur Aufstellung
od
von Tabellen, die für jeden gemessenen Druck die entsprechende Ge-
schwindigkeit entnehmen liefsen. Nach der Beschreibung des ganzen
Verfahrens, welche Brünings zugleich mit den sämmtlichen Messungen
im Jahre 1794 den General-Staaten vorleste, begründet sich kein Zweifel
gegen die gefundenen Resultate, und dieses um so weniger, als die Ab-
weichungen und Fehler, die bei diesen Beobachtungen unvermeidlich sind,
deutlich hervortreten. Man ersieht also hieraus, dafs willkürliche Cor-
rectionen, wie solche in ähnlichen Fällen zum grofsen Nachtheil der
Sicherheit nicht selten vorkommen, hier unterblieben sind. Wiebeking
hat die erwähnte Denkschrift sehr vollständig in seine Wasserbaukunst
(I. Band, erste Ausgabe 1798. Seite 331 bis 382) aufgenommen, und seine
Mittheilung liegt der nachstehenden Untersuchung zum Grunde. Wolt-
man hat gleichfalls einen Theil dieser Messungen veröffentlicht (Theorie
und Gebrauch des hydrometrischen Flügels. 1790), derselbe konnte in-
dessen nur die im ersten Jahre angestellten Beobachtungen angeben.
Die in Rede stehenden 17 Profile befinden sich in der Reihenfolge,
wie sie gemessen wurden:
oO
I. im ungetheilten Rhein, und zwar bei höherem Wasser, In den
5 Perpendikeln waren die Tiefen 8 bis 15 Fuls.
30
Hacan über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Il. in der Yssel. Bei dem höheren Wasser waren die Tiefen der
3 Perpendikel 104 Fuls.
III. im Rhein unterhalb der Ysselmündung. Die Tiefen der 4 Per-
pendikel betrugen bei gleichem Wasserstande 9 bis 14 Fufs.
IV. im ungetheilten Rhein. 12 Perpendikel bei kleinem Wasser 7 bis
16 Fuls tief,
V. in der Waal. 8 Perpendikel bei kleinem Wasser, 63 bis 164 Fuls
tief.
VI. im Pannerdenschen Canale. 5 Perpendikel bei kleinem Wasser
84 bis 10 Fuls tief.
Vll. an derselben Stelle, wie Profil I. 7 Perpendikel bei kleinem
Wasser 84 bis 11 Fuls tief.
VIll. an derselben Stelle, wie Profil 1. 4 Perpendikel bei kleinem
Wasser 33 bis 44 Fuls tief.
IN. nahe oberhalb Profil Il, jedoch noch hinter der Ysselmündung.
6 Perpendikel bei kleinem Wasser 7 bis 9 Fuls tief.
X. an derselben Stelle, wie Profil IV. 14 Perpendikel bei Mittel-
Wasser 12 bis 23 Fuls tief.
Xl. an derselben Stelle, wie Profil V. 10 Perpendikel bei höherem
Wasserstande 124 bis 204 Fuls tief.
Xll. im Pannerdenschen Canal, etwas unterhalb Profil VI. Nachdem
die Messung einiger von den 7 Perpendikeln ausgeführt war,
sank das Wasser von einem höheren zum mittleren Stande, was
jedoch auf die einzelnen Beobachtungsreihen keinen störenden
Kinflufs hatte. Die Tiefen waren 10 bis 14 Fuls.
XIII. an derselben Stelle, wie Profile I und VIl. 7 Perpendikel bei
mittlerem Stande 10 bis 134 Fuls tief.
XIV. im Rhein zwischen den Abzweigungen der Waal und Yssel.
S Perpendikel bei hohem Wasserstande 15 bis 20 Fuls tief.
XV. an derselben Stelle, wie die Profile Il und Vlll. Die Tiefen der
5 Perpendikel waren bei dem höheren Wasserstande 10+ bis 11 Fuls.
XVI. an gleicher Stelle, wie vorstehendes Profil bei Mittel-Wasser.
5 Perpendikel von 7 bis 74 Fuls Tiefe, endlich
XVII. an derselben Stelle, wie Profil IN. 7 Perpendikel bei höherem
Wasser 104 bis 21 Fuls tief.
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 31
Zunächst stellte ich diese 117 in den einzelnen Perpendikeln aus-
geführten Beobachtungsreihen graphisch dar. Einige derselben liefsen
regelmäfsig gekrümmte Linien deutlich erkennen, die sich parabolischen
Formen ungefähr anschlossen. In der Nähe der Oberfläche zeigten sich
jedoch mit wenig Ausnahmen sehr auffallende Abweichungen, indem aus
dem bereits angeführten Grunde die Geschwindigkeiten sich hier vermin-
derten. Auch in der Nähe der Sohle wiederholte sich vielfach dieselbe
Erscheinung, so dafs der Scheitel der Parabel nicht in den Fufs der
Lothlinie oder in die Sohle des Strombettes zu fallen schien. Brünings
erwähnt, dafs in den untern Wasserschichten das Sandtreiben zuweilen
so stark gewesen, dafs man die Messungen in der Tiefe nicht habe aus-
führen können. Ich mufs bemerken, dafs dieselbe Wahrnehmung auch
an der Elbe gemacht ist, es erklärt sich aber, dafs der Sand, der in die
Führung drang, welche den Stiel der Scheibe umfalste, die Beweglichkeit
der letztern vermindern und sonach zu falschen Resultaten Veranlassung
geben mulste.
Die grofse Mehrzahl der Reihen stellte sich in der Zeichnung so
unregelmäfsig dar, dafs der Versuch, sie an gewisse Ourven anzuschliefsen
zwecklos erschien, doch ist zu erwähnen, dafs sie ohne Ausnahme er-
kennen liefsen, wie die Geschwindigkeit im Allgemeinen bei zunehmendem
Abstande von der Sohle gröfser wird. Abweichungen, denjenigen ähnlich,
welche die Amerikanischen Messungen mehrfach zeigen, kommen hier
nicht vor. Das Maals der Zunahme der Geschwindiskeiten, oder der
Parameter der Parabel, war indessen überaus verschieden, indem die
zwischen den Beobachtungs-Punkten hindurch gezogenen Mittellinien bald
steil anstiegen, bald aber in sehr flacher Neigung sich erhoben. Besonders
auffallend war es, dafs diese Verschiedenheit zuweilen zwischen zwei
Beobachtungs-Reihen sich zeigte, in welchen sowol die mittleren Ge-
schwindigkeiten, wie auch die Tiefen nahe dieselben waren. Man dürfte
vermuthen, dafs die Verschiedenheit des Gefälles dieses veranlafst hätte,
in diesen sämmtlichen Beobachtungen waren die Gefälle indessen nur
wenig verschieden, indem sie zwischen 0,0001008 und 0,0001308 fielen.
Die sechsten Wurzeln derselben verhalten sich also zu einander, wie 22
zu 23, und dieser geringe Unterschied konnte unmöglich so starke Ab-
weichungen veranlassen.
32 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Bei der auffallenden Verschiedenheit der Curven in ihrem ganzen
Zuge darf man auch nicht annehmen, dafs die unvermeidlichen Beobach-
tungs-Fehler dieses verursacht hätten, obwohl dieselben bei diesen Mes-
sungen immer so grols zu sein pflegen, dafs man bei Wiederholung der-
selben Beobachtung meist ein merklich abweichendes Resultat findet.
Diese Verschiedenheit rührt ohne Zweifel von den stets wechselnden
innern Bewegungen her. Wenn aber die Neigung der ganzen Curve unter
scheinbar gleichen Verhältnissen sich wesentlich anders darstellt, so muls
man den Grund dafür in andern Umständen suchen und dieses sind
wahrscheinlich die Unregelmäfsigkeiten des Strombettes, welche bald
grölsere bald kleinere Wassermengen den untern Schichten zuweisen.
Steigt nämlich das Bette an, so vergrölsert sich die Geschwindigkeit, senkt
es sich, so erfolgt das Gegentheil. Die Curve wird also aus diesem
Grunde in beiden Fällen sich ganz verschieden gestalten, indem die plötzlich
veränderte Geschwindigkeit unmittelbar über dem Boden zunächst den
untern Schichten sich mittheilt. Es war indessen nicht möglich, diese
Verhältnisse näher aufzuklären, und die Beobachtungen mulsten benutzt
werden, wie sie vorlagen.
Unter diesen in der Zeichnung dargestellten Beobacbtungs-Reihen
suchte ich diejenigen aus, in welchen die einzelnen Geschwindigkeiten
sich ziemlich übereinstimmend gruppirten und eine möglichst zusammen-
hängende und regelmäfsig gekrümmte Linie bildeten. Dieses waren
24 Reihen, für welche die beiden Constanten Ü und yp, also die Ge-
schwindigkeiten unmittelbar über dem Boden und die Parameter der
Parabeln zu bestimmen waren. Von dem Versuche, diese Aufgabe aus
der Zeichnung zu lösen, mulste ich absehn, weil dieses Verfahren zu
unsicher, und dabei auch einige Willkühr nicht zu vermeiden war. Auf
durchsichtiges Papier hatte ich nämlich in demselben Maafsstabe, in wel-
chem die Beobachtungen aufgetragen waren, verschiedene zu derselben
Axe gehörige Parabeln gezeichnet, denen die Werthe Yp=?2...2,5...
3... 0.8 w. bis = 9 zum Grunde lagen. Indem ich dieses Papier über
die Zeichnungen der Beobachtungs-Reihen legte und es unter Innehaltung
der Höhe des Scheitelpunktes soweit verschob, bis die Übereinstimmung
mit einer von diesen Parabeln anscheinend am größten wurde, so lielsen
sich die Werthe beider Constanten unmittelbar ablesen. Die Unsicherheit
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 33
war dabei indessen so grofs, dafs ich gewöhnlich zweifelhaft blieb, ob
der Werth von Yp um eine Einheit vermehrt oder vermindert werden
solle. Ich entschlofs mich daher, für jede dieser keihen die Oonstanten
nach der Methode der kleinsten Quadrate zu berechnen. Die wahrschein-
lichen Fehler blieben dabei freilich noch sehr bedeutend, da beide Gröfsen
in solcher Beziehung zu einander stehn, dafs für dieselbe Beobachtungs-
reihe, eine sich zu grofs darstellt, sobald der Werth der andern zu klein
angenommen wird, doch wurde bei diesem Verfahren wenigstens jede
Willkühr vermieden.
In der am Schlusse beigefügten Tabelle A sind neben der in Rhein-
ländischem Fulsmaafs angegebenen Tiefe t jedes Perpendikels und der in
Zollen ausgedrückten mittleren Geschwindigkeit ce, die Werthe dieser
Constanten in den mit C und yp überschriebenen Spalten mitgetheilt,
wie sich dieselben aus der Rechnung ergaben. Dabei mufs jedoch er-
wähnt werden, dafs die in die Nähe der Oberfläche fallenden Messungen,
sobald sie merklich kleinere Geschwindigkeiten, als weiter abwärts ergaben,
nicht in Rechnung gestellt sind. Eben so sind auch die nahe über der
Sohle gefundenen Geschwindigkeiten verworfen, wenn sie plötzlich un-
verhältnifsmäfsig grofs oder klein wurden. Die früher angegebenen Gründe
dürften Beides rechtfertigen. Die dazwischen liegenden Beobachtungen
sind jedoch sämmtlich und zwar jedesmal mit gleichem Gewichte in Rech-
nung gestellt, wenn sie sich auch von den zunächst darunter und darüber
befindlichen weit entfernten.
Die mittleren Geschwindigkeiten c, die bei dieser Untersuchung
von grolser Bedeutung sind, hat Brünings für jede Beobachtungsreihe
berechnet, doch stimmen die dafür angegebenen Werthe nicht genau mit
den arithmetischen Mitteln aus den einzelnen Beobachtungen, die bis auf
Hunderttheile von Zollen mitgetheilt werden, überein. Woher diese Ab-
weichungen entstanden sind, die mehrfach 0,2 und selbst 0,3 Zoll betra-
gen, ist nicht ersichtlich, da ich jedoch die einzelnen Beobachtungen, wie
sie vorliegen, benutzen mufste, so schien es auch angemessen, die aus
ihnen hergeleiteten Mittelwerthe e in Rechnung zu stellen, und dieses ist
in der Tabelle geschehn.
Es war nunmehr zu untersuchen, ob die vorausgesetzten Be-
ziehungen zwischen den Geschwindigkeiten, den Tiefen und den Gefällen
Math. Kl. 1871. 5
34 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
wirklich stattfinden. Aus der Formel für die gleichförmige Be-
wegung
6
0433. V@. yet
ergiebt sich, wenn man den Zahlen-Coeffieient auf %* verändert und ihn
auf Zollmaafs redueirt, während ? im Fufsmaafs ausgedrückt bleibt,
SEEN &
vi EEG
Ve
Führt man diesen Werth in die Gleichung
c=ÜC-+ 3Yyp.Yt
ein, so erhält man
Ce ge Salt Yp
Oleh ieh USE. 68
y«
Die Tabelle enthält in der mit 8 überschriebenen Spalte die Werthe von
5
in der mit 2’ bezeichneten, Spalte die Resultate der Rechnung nach vor-
stehender Formel angegeben. Dabei zeigen sich freilich sehr bedeutende
,‚ wie sie sich durch unmittelbare Division ergeben, und daneben sind
Abweichungen, doch ist in der grofsen Mehrzahl die Übereinstimmung so
befriedigend, wie man sie bei der Unsicherheit dieser Messungen nur
erwarten durfte, und unbedingt ergiebt sich hieraus der innige Zusam-
menhang zwischen den Constanten der Parabeln und der in ganz ver-
schiedener Weise hergeleiteten Constante der mittleren Geschwindigkeit
bei gleichförmiger Bewegung. Die wahrscheinliche Abweichung zwischen
ß und ®' stellt sich auf 0,071 oder auf 10% Procent des mittleren Wer-
thes von £, der gleich 0,665 ist. Die gröfsten Differenzen, die sämmt-
lich negativ sind, würden sich etwas kleiner herausstellen, wenn man den
constanten Factor im Ausdruck für die gleichförmige Bewegung vergröfsern
könnte. Dieses ist jedoch nicht statthaft, da derselbe nicht nur aus den
vorliegenden Messungen, sondern auch aus mehreren andern hergeleitet
wurde, die eben so zuverlässig sind, wie diese.
Nichts desto weniger schien es wichtig, denjenigen Werth des
constanten Factors zu kennen, der diesen Beobachtungs-Reihen am meisten
entspricht. Aus den so eben angeführten Bedingungs-Gleichungen er-
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 835
giebt sich dieser Factor k, für den bisher der Zahlenwerth 4,33 unter
Zugrundelegung des Fulsmaalses angenommen war
k— ii sn 3 yr)
Unter Benutzung der in der Tabelle A angegebenen Werthe von «a, Ü, t
und yp erhält man für % diejenigen Zahlen, die in der mit demselben
Buchstaben überschriebenen Spalte der Tabelle B angegeben sind. Durch-
schnittlich stellt es sich auf 56,12 und weicht von dem früher gefun-
denen Factor, der auf Zolle reducirt, gleich 52 ist, um 4,12 oder um
8 Procent ab.
Von besonderer Wichtigkeit ist noch die Frage, in welcher Be-
ziehung die Geschwindigkeiten am Boden zu den Parametern der Para-
beln, und beide zu den mittleren Geschwindigkeiten stehn. Man darf im
Allgemeinen annehmen, dals bei Vergröfserung einer derselben auch die
beiden andern gröfser werden. Durch einfache Zahlen-Verhältnisse lassen
sich jedoch diese Beziehungen nicht vollständig ausdrücken, da bei grö-
(serer Tiefe die mittlere Geschwindigkeit zunimmt, wenn auch die beiden
ersten Gröfsen, nämlich © und yYp gleiche Werthe behalten. Dafs yp
von den Geschwindigkeiten e und Ü abhängig, oder dals der Parameter
der Parabel nicht in allen Fällen dieselbe Gröfse hat, bedarf keines wei-
tern Beweises, weil sonst in tiefen Strömen niemals kleine Geschwindig-
keiten vorkommen könnten. Solche stellen sich aber wirklich, besonders
ohnfern der Mündungen in die See, sehr häufig ein, indem die Strömung
daselbst sogar oft rückläufig wird. In dem Pregel unterhalb Königsberg
maals ich einst die Geschwindigkeit. Ich fand dieselbe nahe unter der
Oberfläche gleich 2 Zoll. Diese Gröfse behielt sie aber soweit ich die
Messung fortsetzen konnte, nämlich bis zur Tiefe von 15 Fufs, während
die ganze Tiefe 25 Fuls betrug. Hätte sie sich in gleichem Maafse, wie
sonst, vermindert, so wäre sie bald negativ geworden.
Aus dem vorstehend entwickelten Gesetz der Curve lälst sich
die Beziehung zwischen dem Parameter und der Geschwindiskeit am
Boden nicht herleiten. Weils man, wie grofs die mittlere Geschwin-
digkeit in einer Lothlinie ist, und kennt man auch die Länge der letz-
teren oder f, so ist dadurch freilich ein Punkt in der Curve
I”
gegeben,
36 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
weil die mittlere Geschwindigkeit, wie später gezeigt werden wird, in
der Höhe
h=atL
sich darstellt. Aufserdem trifft auch der Scheitel der Parabel in die
Sohle des Flufsbettes und ihre Axe ist lothrecht gerichtet. Hierdurch
ist aber keineswegs die Curve vollständig gegeben, vielmehr kann Ü noch
jeden beliebigen Werth zwischen Null und der mittleren Geschwindigkeit
annehmen, wobei sich der Parameter stets passend anschlielsen läfst.
Letzterer wird gleich Null, oder die Parabel geht in eine gerade Linie
über, sobald Ü = e wird.
Die Beziehung zwischen Ü und yYp ist ohne Zweifel durch die
Einwirkung bedingt, welche die Sohle des Flufsbettes auf die darüber
befindlichen Wasserschichten ausübt. Es ist mir indessen nicht geglückt,
hierüber zu einem sichern Resultat zu gelangen. Man darf wohl voraus-
setzen, dals wenn die Sohle weder ansteigt, noch sich senkt, und über-
haupt alle Wasserfäden sich parallel zu einander bewegen, dafs alsdann
bei gleichen Geschwindigkeiten am Grunde auch jene Einwirkungen, also
die Parameter der Parabeln dieselben bleiben, und von den verschiedenen
Tiefen ganz unabhängig sein werden. Aufserdem liest die Vermuthung
nahe, dafs bei der Zunahme von. Ü auch Yp in entsprechender Weise
sich vergrölsert, und dafs Beide in constantem Verhältnifs zu einander
stehn. Es schien wichtig zu untersuchen, ob die Beobachtungen solcher
Voraussetzung widersprechen.
In der Tabelle Litt. 3 sind die aus jenen 24 Beobachtungs-Reihen
berechneten Werthe von z zusammengestellt. Sie weichen allerdings
sehr bedeutend von einander ab und ergeben sich keineswegs als con-
stant, die Abweichungen vom arithmetischen Mittel, welches sich auf
0,225 stellt, betragen sogar in ihrem wahrscheinlichen Werthe 0,048,
also etwa 22 Procent. Der wahrscheinliche Fehler des Mittelwerthes ist
sehr nahe 0,01.
17
Ich untersuchte ferner, ob die gefundenen Quotienten z vielleicht
von den Tiefen £, oder den mittleren Geschwindigkeiten c abhängig
wären. Eine Beziehung zu £ gab sich dabei gar nicht zu erkennen, da-
even schienen die Quotienten bei erölseren ec etwas zu wachsen, und
folk >) u > )
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 37
mit Berücksichtigung dieser unbedeutenden Änderungen ergab sich der
Ausdruck
= 0,0393 + 0,00426 . €
Der wahrscheinliche Fehler blieb indessen noch sehr grofs, nämlich
0,0432 oder relativ 19 Procent. Diese Verbesserung schien so gering-
fügig, dals sie keine weitere Beachtung verdient. Die unmittelbar aus
den berechneten C und Yp hergeleiteten Werthe zeigen ohne Zweifel
aus dem Grunde so grolse Abweichungen, weil selbst geringe Fehler in
einzelnen Messungen das Verhältnifs dieser beiden Gröfsen zu einander
leicht wesentlich ändern. Sobald die eine zu grofs angenommen wird,
ergiebt sich für die andre ein um so geringerer Werth, und in beiden
Beziehungen wird der Quotient in gleichem Sinne entstellt.
Wie wenig indessen diese Vergleichung mit den Beobachtungen
auch befriedigt, so schliefsen sich dennoch die Folgerungen, die man aus
vorstehender Untersuchung in Betreff der Eingangs angeresten Frage
ziehn kann, sehr vollständig und zum Theil sogar in überraschender
Weise den ausgeführten Messungen an. Der Grund dieser Übereinstim-
mung beruht in dem Umstande, dafs dabei die vorstehenden, durch un-
vermeidliche Beobachtungsfehler entstellten Resultate nicht mehr an sich
betrachtet werden, sondern nur zur Berichtigung derjenigen Geschwindig-
keiten dienen, welche aus mehreren Messungen hergeleitet sind.
Die Bestimmung der Wassermenge, welche ein Strom abführt,
würde wesentlich erleichtert werden, wenn man aus einer einzigen Ge-
schwindigkeits-Messung in einer Lothlinie, deren Tiefe man kennt, unmit-
telbar die mittlere Geschwindigkeit in dieser Linie finden könnte. Indem
die Geschwindigkeit von der Sohle des Flufsbettes bis zum Wasserspiegel
stätig zunimmt, und die mittlere Geschwindigkeit zwischen beiden Grenzen
liest, so mufs in irgend einer Tiefe diese sich schon darstellen, so dafs
sie hier unmittelbar gemessen werden kann. Die Entfernung dieser
Stelle von der Sohle des Flufsbettes ergiebt sich leicht aus der para-
bolischen Form der Curven. #4 sei diese gesuchte Höhe, so wird in der
Gleichung
v—= (| + vr . yh
38 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
die variable Geschwindigkeit v sich in die mittlere c verwandeln, und
man hat
C+3yp:Yt=C-+yp.yHR
woraus sich ergiebt
"= #t
Nachdem für jene 24 Beobachtungen die Constanten C und Yp
gefunden, und dadurch die Parabeln gegeben waren, welche sich den
einzelnen Beobachtungen am besten anschliefsen, war es leicht, für jedes
gegebene A das zugehörige » zu berechnen. Indem ich A=#t setzte,
fand ich die in der Tabell 3 in der mit c’ überschriebenen Spalte ange-
gebenen Werthe. Vergleicht man diese mit den aus allen Beobachtungen
jeder Reihe unmittelbar berechneten arithmetischen Mitteln ce, die zur
leichteren Übersicht in der folgenden Spalte wiederholt sind, so über-
zeugt man sich, dafs sie mit diesen bis auf Theile eines Zolles überein-
stimmen. Obgleich die Geschwindigkeiten zwischen 28 und 56 Zoll betra-
gen, so erreicht die Abweichung doch nur einmal die Gröfse von 1 Zoll. Die
wahrscheinliche Abweichung (dem wahrscheinlichen Fehler entsprechend)
beträgt aber nur 0,272 Zoll.
Ich untersuchte in dieser Beziehung auch die übrigen 93 Beob-
achtungs-Reihen von Brünings, die so unregelmäfsig ausgefallen waren,
dals der Zug der ganzen Curve sich daraus nicht sicher erkennen lief,
doch war es möglich, in der graphischen Darstellung der einzelnen Ge-
schwindigkeiten, und zwar im mittlern Theile derselben, Linien zu ziehn,
die nach dem Augenschein sich den zunächst liegenden gemessenen Punk-
ten ungefähr anschlossen. Die Abweichung der unmittelbar berechneten
mittleren Geschwindigkeit gegen die in der angegebenen Höhe aus den
Zeichnungen entnommene betrug in einem Falle nahe 3 Zoll, während
sie 22mal gröfser als 1 Zoll war. Die wahrscheinliche Abweichung stellte
sich aber nur auf 0,645 Zoll.
Endlich prüfte ich in derselben Art auch die im vorigen Jahre an
der Elbe ausgeführten, bereits oben erwähnten Geschwindigkeits-Messungen.
Dieselben sind in weiteren Abständen unter einander, nämlich von 1 zu
1 Fufs, und zum Theil von 2 zu 2 Fufs gemacht, und lassen daher den
Zug der Mittellinie weniger scharf erkennen. Es waren, abgesehn von
den in sehr geringen Tiefen angestellten Messungen, 18 Beobachtungs-
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 39
reihen vorhanden. In denselben betrugen die mittleren Geschwindigkeiten
einmal 6 und einmal 8 Zoll, im Übrigen stellten sie sich auf 22 bis
50 Zoll, und die Abweichungen waren dreimal gröfser als 2 Zoll, während
sie einmal sogar 3 Zoll überschritten. Ihr wahrscheinlicher Werth stellte
sich aber auf 0,937 Zoll.
Bei allen diesen Versuchen, die aufgestellte Regel an wirklichen
Messungen zu prüfen, waren die Abweichungen bald positiv und bald
negativ, sie erregten also kein Bedenken gegen das Prineip, und hier-
nach dürfte es sich empfehlen, statt der vielen Beobachtungen, die man
bisher zur Affindung der mittleren Geschwindigkeit in verschiedenen
Tiefen auszuführen pflegte, nur eine einzige mit möglichster Sorgfalt in
der bezeichneten Tiefe anzustellen, diese aber der Sicherheit wegen noch
einmal zu wiederholen. Dabei würde nicht nur die Operation wesentlich
erleichtert, sondern auch der Einflufs der Verzögerung in den obern
Wasserschichten beseitigt, und zugleich diejenigen Fehler vermieden
werden, welche bei den Messungen in der Nähe des Grundes vor-
kommen.
Die Beobachtungen in einer gewissen Tiefe bieten indessen immer
einige Schwierigkeiten. Zunächst mufs man mit einem dazu geeigneten
Instrument, also vorzugsweise mit dem Woltmanschen Flügel versehn
sein, für den man den Werth der Umdrehung sicher bestimmt hat.
Aufserdem erfordert die Anstellung der Messung auch grofse Vorsicht,
und das Boot, von dem aus diese ausgeführt wird, mufs nicht nur fest
verankert, sondern auch gegen das Seitwärts- Treiben gesichert sein. Man
kann sich dabei freilich auch eines Schwimmers bedienen, an welchem
in der gehörigen Tiefe ein gröfserer Körper hängt, der den Stofs des
Wassers in höherem Maafse aufnimmt, als der Schwimmer selbst, doch
darf dabei der Einflufs des letzteren nicht unberücksichtigt bleiben, viel-
mehr mufs von diesem noch Rechnung getragen werden. Viel leich-
ter würde die Bestimmung der mittleren Geschwindigkeit sein, wenn
man sie aus der an der Oberfläche mittelst eines einfachen Schwim-
mers zu messenden Geschwindigkeit sicher herleiten könnte. Nach
den vorstehenden Untersuchungen bietet sich hierzu in der That Ge-
legenheit.
40 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Die Geschwindigkeit in der Oberfläche sei «, alsdann hat man,
. I . . .
wenn die Constante Y? mit a bezeichnet wird,
C
u=(1+ay)C
und die gesuchte mittlere Geschwindigkeit
c=(i+2ayt)C
Die Constante © fällt bei der Division fort, und man erhält
1+ 2a yt
ek
l+ayt
Führt man für « den oben gefundenen mittleren Werth 0,225 ein, so
ergiebt sich
1 + 0,15. yt
ER
Um diesen Ausdruck an jenen 24 Beobachtungs-Reihen zu prüfen,
habe ich zunächst für jede derselben unter Zugrundelegung der gefun-
denen Constanten Ü und yYp die Geschwindigkeiten in der Oberfläche
berechnet. Diese sind in der mit u überschriebenen Spalte der Tabelle 5
angegeben. Die folgende mit c" bezeichnete Spalte enthält aber die nach
vorstehender Gleichung hieraus hergeleiteten mittleren Geschwindigkeiten.
Diese schliefsen sich wieder sehr befriedigend an die unmittelbar berech-
neten Werthe von ce an. Aus der Summe der Quadrate der Differenzen
zwischen beiden ergiebt sich der wahrscheinliche Fehler gleich 0,801 Zoll.
Diese Übereinstimmung ist um so bemerkenswerther, als in der Ober-
fläche selbst gar keine Geschwindigkeiten gemessen waren, und die
nächst darunter gefundenen als unbrauchbar verworfen werden mulsten,
so dafs die Werthe von vu nur aus dem Zuge der Curve in den tiefer
belegenen Schichten hergeleitet werden konnten.
Zur Erleichterung der Rechnung ist die mit Litt. C bezeichnete
Tabelle beigefügt, woraus für die verschiedenen Tiefen von 1 bis 40 Fuls
die Zahlenwerthe des Bruches
1 + 0,15. yt
10,225... yR
unmittelbar entnommen werden können. Es ergiebt sich aus derselben,
dals diese Werthe ziemlich constant sind, wenn die Tiefen sich nicht
’
strömenden Wassers mit der Entferming vom Boden sich vergröfsert. 41
bedeutend ändern, und hiermit hängt die Erfahrung zusammen, die man
sowol an der Elbe wie auch am Ober-Rhein gemacht hat, dafs bei den
dort ausgeführten Messungen die nächst unter der Oberfläche beobachtete
Geschwindigkeit in constantem Verhältnifs zu der mittleren der ganzen
Lothlinie steht. Bei unendlich grofser Tiefe würde dieses Verhältnifs sich
auf 3 zu 2 stellen.
Über die Anstellung der Geschwindigkeits-Messungen in der Ober-
fläche wäre noch zu erwähnen, dafs der Schwimmer, dessen man sich
dabei bedient, möglichst wenig Masse, aber dagegen grofse räumliche
Ausdehnung haben mufs. Die Kugel, die man gewöhnlich anwendet, ist
in beiden Beziehungen nicht vortheilhaft, weit mehr eignet sich hierzu
ein Apparat, der aus zwei etwa 2 Fufs langen und 6 Zoll hohen recht
dünnen Brettchen besteht. Letztere werden in ihrer Mitte zur Hälfte
eingeschnitten und in einander geschoben, während ein kreuzweise ein-
geschnittener Stiel sie umfalst und der Verbindung die nöthige Festigkeit
giebt. Der Stiel, der über die Ränder der Bretter etwa neun Zoll vor-
ragt, ist in weiter Entfernung sichtbar und giebt Gelegenheit, den Durch-
gang des Schwimmers durch die abgesteckten Visirlinien genau zu beob-
achten. Die vier Arme des Kreuzes, deren jeder eine Fläche von einem
halben Quadratfuls dem Stofse darbietet, nehmen in jeder Stellung des
Apparates die Geschwindigkeit des Wassers sehr schnell an, so dafs es
nicht erforderlich ist, den Schwimmer weit oberhalb der ersten Visirlinie
auszulegen, man darf ihn vielmehr nahe vor derselben aussetzen, wodurch
noch der wichtige Vortheil erreicht wird, dafs er diejenige Linie durch-
läuft, in welcher man die Messung anstellen will. Aufserdem glaubt man
mehrfach bemerkt zu haben, dafs sowol die Kugel, wie auch der Cabeo-
sche Stab nicht die wirkliche Geschwindigkeit des Wassers angeben,
sondern mit einer etwas gröfseren herabtreiben. Bei sehr grofsen schwim-
menden Massen findet dieses gewils statt. Schiffe, welche ohne Segel
und Ruder den Strom herabfahren, eilen, wie man bei frischer Strömung
jedesmal bemerken kann, dem Wasser etwas voran, und folgen daher
auch in gleicher Art dem Steuer, als wenn sie durch Wind, oder in
andrer Weise getrieben würden. Die Veranlassung zu dieser Erscheinung
liegt ohne Zweifel in den innern Bewegungen des Wassers, die einen
Theil der aus dem Gefälle entspringenden Beschleunigung aufheben.
Math. Kl. 1871. 6
42 HAGEN über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Betrachtet man eine Wassermasse, die in ihrer Form und räumlichen
Ausdehnung dem eintauchenden Theile des Schiffes gleich ist, so zerstört
sich in dieser durch die innern Bewegungen ein Theil der Beschleunigung,
während im Schiffe dieses nicht geschieht, woher letzteres eine gröfsere
Geschwindigkeit annimmt, die ihre Grenze findet, sobald der Widerstand
den es in Folge der schnelleren Bewegung erfährt, den Überschufs der
Beschleunigung aufhebt. Wenn in der kleinen Kugel, die gewöhnlich nur
6 Zoll Durchmesser hat, die aber bemahe vollständig eintaucht, ein sol-
cher Erfolg sich auch nur in beschränktem Maalse zeigen kann, so wird
er bei dem beschriebenen Apparate wegen des geringeren Gewichtes und
der viel grölseren Ausdehnung der Flächen, die dem Stols des Wassers
ausgesetzt sind, unbedingt noch mehr vermindert.
strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert.
Tabelle 4.
43
| E | c. | @. | (68 | Vp- B= @ ß'
IVRARS 13 44.52 | 0,000 1030 | 32,10 5,017 0,720 0,703
Vera 16 40,40 | 0,000 1219 | 23,89 6,285 0,585 0,638
va ısi 10 39,34 | 0,000 1033 | 28,35 4,969 0,719 0,706
VI 5 9,5 42,11 26,02 7,536 0,615 0,554
Ver 11 28,37 | 0,000 1198 | 22,29 2,586 0,784 0,851
vauß 8,5 32,11 21,90 5,228 0,681 0,698
VITA 10 37,67 25,83 5,545 0,684 0,680
VIT@r7 11 38,25 21,82 6,956 0,568 0,598
VII. 4 4 31,12 | 0,000 1010 | 24,07 5,182 0,769 0,692
18:72! 8,5 40,78 | 0,000 1198 | 30,29 5,362 0,742 0,690
IX 7,5 40,03 30,52 5,241 0,758 0,697
Ro kl7 12 50,23 | 0,000 1136 | 27,14 9,787 0,537 0,430
Krug 13 48,48 27,30 8,620 0,559 0,498
XE012 20,5 55,57 31,50 7,985 0,565 0,535
X. 14 23 55,77 28,74 8,351 0,513 0,513
X 18 41,39 | 0,000 1308 | 32,59 3,141 0,786 0,821
XI 2 19 49,12 29,95 6,456 0,608 0,633
XI 4 20 53,52 31,39 7,377 0,583 0,580
XI. 6 17 49,04 32,19 6,040 0,654 0,656
KIT. 077 12 49,70 | 0,000 1100 | 33,49 6,808 0,671 0,601
XI. 23 12,5 48,14 | 0,000 1253 | 30,06 7,553 0,621 0,567
XIII. A6 11 45,42 25,32 8,855 0,554 0,493
ERTIT Br 7 || 210 46,22 32,88 6,396 0,708 0,634
XVD. 6 a 37,94 | 0,000 1233 | 23,24 4,673 0,968 0,725
Die 1te Spalte bezeichnet die Nummern der Quer-Profile und der in denselben
gemessenen Lothlinien, die 2te die Tiefen in Rheinländischen Fufsen, die 3te die mittleren
Geschwindigkeiten in Zollen, die 4te die relativen Gefälle, die öte und 6te die aus jeder
Beobachtungs-Reihe berechneten Geschwindigkeiten am Boden und die Wurzeln der halben
Parameter, die 7te die Quotienten der Geschwindigkeiten am Boden dividirt durch die
mittleren Geschwindigkeiten, und die $te Spalte dieselben Quotienten, wie sie sich aus
den Parametern und den relativen Gefällen ergeben.
[oz]
E
44 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des
Tabelle 2.
| k. Re | Eile, zLUR Sch ME Ce
TV@2.08 56,6 0,156 44,16 44,52 50,19 42,71
Wo 45,6 0,263 40,65 40,40 | 49,03 41,29
organ 5 Jo,lTs 38,7 39,34 44,06 37,93
vo 5 | eı | 028 | 4,sı | azı1 | 4995: | 4351
VIE 38,0 0,116 28,01 | 28,37 30,87 26,48
vIv2 49,5 0,239 32,06 32,11 | 37,14 32,22
VIR2 4 534 | 0215 37,52 37,67 43,37 37,35
VIR‘ 7 505 | 0,319 37,20 38,25 44,89 38,49
VII. 4 | 71,8 | 0,215 30,97 31,12 34,42 30,85
IX 6 | WATT || 0A0,TL 40,78 45,92 39,85
IX%s1 5 659 | 0,172 40,09 40,03 44,87 39,17
Rum 652 | 0861 ! 49,74 50,23 61,04 52,14
X. 9 | 605 0,316 48,03 48,48 58,39 | 49,68
Rue | 55,8 0,253 55,61 55,57 | 67,66 | 56,26
REESIH I 1585 0,291 | 55,45 55,77 68,80 56,90
XEra 43,4 0,096 | 41,47 | 41,39 | 45,91 | 38,42
XI9.,2 49,6 0,216 48,70 49,12 | 58,08 48,49
RIRAM 53,0 0,235 | 53,38 | 53,52 | 64,38 | 53,64
AI 6 52,5 0,188 | 48,79 | 49,04 | 57,09 | 47,90
XI:9:7 || 649 0,208 | 49,21 | 49,70 | 5zor | 48,75
XIM. 3 605 | 0251 47,37 || 48,14 | 56,78 48,38
RIM. ‘6 60,5 0,350 44,90 | 4542 | 34
5 0,194 | 46,37
‚o 0,127 °10037,
56,12 0,2257 | |
|
|
|
|
|
|
|
Die 2te Spalte enthält den constanten Factor im Ausdruck für die mittlere Ge-
schwindigkeit bei gleichförmiger Bewegung, wie sich derselbe aus jeder Beobachtungs-
Reihe ergiebt, die Ste den Quotient aus der Wurzel des halben Parameters dividirt durch
die Geschwindigkeit am Boden, die 4te die für $ der Tiefe berechneten Geschwindigkeiten.
In die öte Spalte sind zur bequemeren Vergleichung die aus den einzelnen Messungen
sich ergebenden mittleren Geschwindigkeiten nochmals aufgenommen, die 6te enthält die
berechneten Geschwindigkeiten in der Oberfläche und die 7te die aus diesen hergeleiteten
mittleren Geschwindigkeiten.
strömenden Wassers mit der Entfernung vom boden sich vergröfsert. 45
Dabelle ‘GC.
t | n. t n.
1 0,939 21 0,831
2 0,920 22 0,829
3 0,907 23 0,827
4 0,896 24 0,825
5 0,888 25 0,823
6 0,881 26 0,822
7 0,876 27 0,820
8 0,870 28 0,819
0,866 29 0,817
10 0,861 30 0,816
11 | 0,858 31 0,814
12 0,3854 32 0,813
13 0,851 33 0,812
14 0,348 34 0,811
15 0,845 35 0,810
16 0,842 36 0,808
17 0,839 37 0,807
18 0,837 38 10,806
19 0,835 39 | 0,805
20 0,833 40 0,804
n ist der Factor, womit bei der gemessenen Tiefe t die Geschwindigkeit in der
Oberfläche zu multiplieiren ist, um die mittlere Geschwindigkeit darzustellen.
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Hal lee u arten ee
Benachrichtigung: Die an der Akademie enthalten
in den Jahrgängen 1852, 1853, 1862, 1864, 1870 keine mathematischen
Klasssen.
.
In
nalen imma, nayaulianndk a) HULPT nlahılsaaah i Y
san AUTENIT IA ITAN) u mn Ya EI erringen
scale in ) Ka van ee
MWERTEN
PHILOLOGISCHE UND HISTORISCHE
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
1871.
BERLIN.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
(G. VOGT)
UNIVERSITÄTSSTR. 8.
1872.
IH COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER'E VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
(HARRWITZ USD GOBSMASM.)
nk US
ara Wit AUA
‚ITal
Alle
ET RUE
Inhartt.
Lersius: Über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwiekelung
Lersıus: Die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. (Mit 2 Tafeln)
Zweite Abtheilung.
ScHorE:, Altajische Studien. aan RER
Kırcnuorr: Nachträgliche Bemerkungen zu der Abhandiune über die Altassunge
zeit des Herodotischen Geschichtswerkes :
WEBER: Über ein zum weissen Yajus gehöriges phonetisches Compendiai, ae
pratijndsütra
Seite
47
69
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als ‚ulm di Aue Ar Pe | Bun; op WulA rein ae ir rl
u 3 6 x Der a a kabalaihi
Über
einige Aegyptische Kunstformen und
ihre Entwickelung.
Von
al PSIUS.
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. December 1868.]
D.: Kunst der Griechen, welche für immer den Mittelpunkt und Mals-
stab für Kunstgeschichte und Kunstbetrachtung abgeben wird, sprang
nicht fertig und vollkommen, als ihre Zeit gekommen, aus einem dazu
prädisponirten Volksgeiste hervor, so wenig wie ihre Wissenschaft oder
irgend ein andrer Theil ihrer Geistesbildung. Ihre Entwicklung würde
nie in so raschen Schritten sich zu ihrem Gipfelpunkte erhoben haben,
wenn ihr nicht andre Völker Jahrtausende lang vorgearbeitet und ihr
die Vorstufen dadurch erspart hätten. Unsere weit fortgeschrittene Kennt-
nils der alten Völkergeschichten hat in neuerer Zeit auch den Griechen
einen richtigeren Standpunkt in der erweiterten Weltgeschichte angewiesen.
Wir können jetzt weit über sie zurückschauen und ihre Verbindung mit
den früheren und den Nebengliedern in dem Strome der menschlichen
Volksbildungen deutlicher erkennen. Die alte Welt in ihren frühen Asia-
tischen Kulturstätten und an den Küsten des Mittelmeeres erweist sich
schliefslich als ein Ganzes, dessen einzelne Glieder eng unter einander
verbunden waren, volle gegenseitige Kenntnils von einander besaflsen und
sich daher auch den gegenseitigen Einwirkungen nicht entziehen konnten,
soweit ein jedes Volk nach seinem Standpunkte, seinen geschichtlichen
Bedingungen, und seiner angestammten Eigenart denselben überhaupt zu-
gänglich war.
Philos.-histor. Kl. 1871. j
2 LEPSIUS:
Die Griechen namentlich, dieses bewegliche, seekundige, wilsbegie-
vige Volk, hatten lange vor der Blüthezeit ihrer einzelnen Stämme auch
die südlichen Küstenländer befahren und ihre Vorposten in das Innere
jener hochgebildeten Staaten gesendet. Herodot fand nicht nur im Delta
sondern auch in Oberägypten und in den Oasen bereits griechische An-
siedelungen und auf den altägyptischen Denkmälern der grofsen Theba-
nischen Dynastieen wird schon der Name der Ionier d.ı. der Griechen,
häufig genug als der eines wohlbekannten wenn auch noch nicht von
ihren Nachbarn klar ausgeschiedenen Volkes genannt.
Wie wäre es daher denkbar, dafs die Griechen nicht auch die
uralten Kunstschöpfungen der Aesypter gekannt und bewundert haben
sollten, und, wenn dies der Fall war, dafs sie ihre ersten Kunstversuche
von dem Einflufse dieser imponirenden Anschauungen hätten frei halten
können. Dieser Einflufs ist aber auch jetzt noch überall zu erkennen und
nachzuweisen. Es ist nur nöthig jene Quellen selbst genauer als bisher
und in ihrem eigenen Organismus kennen zu lernen. Wenn es daher von
Interesse ist in der ägyptischen Kunst eine Vorstufe der Griechischen Kunst
wiederzufinden, so hat sie doch einen noch begründeteren Anspruch auf
nähere Betrachtung, der in ihr selbst, in ihrem eigenen Werthe liest. Denn
wir besitzen in ihr ein eigenthümliches scharf ausgeprägtes Bild von der
künstlerischen Entwickelung eines Volkes, welches Jahrtausende hindurch
an der Spitze der civilisirten Welt stand oder diesen Vorrang doch nur
mit wenigen Asiatischen Völkern theilte, deren Kultur wir zum Theil
selbst erst im Spiegel der Aegyptischen Geschichte einigermalsen zu er-
kennen vermögen.
Allerdings hatte sich auf den alten Kulturstätten von Babylon und
Ninive gleichfalls eine Kunst ausgebildet, die den Griechen wohl bekannt
war und nicht ohne Eimflufs auf sie geblieben ist. Aber das Wenige was
uns von dieser Kunst übrig ist, zeigt sie auf einem wesentlich niedrigeren
Standpunkte als die Aegyptische, obgleich sie in den verhältnilsmäfsig
späten aber glänzenden Zeiten, in welche uns die erhaltenen Reste zurück-
führen, ohne Zweifel ihre höchste Ausbildung erreicht hatte.
Denn das ist ein anderer unschätzbarer Vorzug der Aegyptischen
Kunst, dafs wir ihre Entwickelung weit über die frühesten Spuren aller
übrigen Civilisationen, mit voller geschichtlicher Sicherheit bis über 3000
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehung. 3
Jahre vor Chr., zurückverfolgen können, in eine Zeit, in welcher das
Aesyptische Volk, wie räumlich, so auch zeitlich als eine einsame Oase
in der Weltgeschichte erscheint, ohne Rivalen und ohne Nachbarn, von
denen uns irgend eine Kunde geblieben wäre, aufser soweit es durch
die Aesypter selbst geschieht.
Und zwar bricht der Strom lehrreicher Zeugnisse von der Kunst-
thätigkeit dieses Volkes gleich von Anfang an, so reich und manigfaltig
hervor, als ständen wir uicht im Beginn, sondern bereits am Ende einer
langen Entwickelung, die diesen Zuständen vorausgegangen sein mulste.
Und so war es in der That. Eine unberechenbar lange Zeit intensiver
Volksbildung ging ohne Zweifel derjenigen voraus, die wir zuerst in ihren
Monumenten geschichtlich bestimmen können. Manches Denkmal ist uns
vielleicht aus noch früheren Zeiten übrig geblieben und mag einst auch
für uns noch bestimmbar werden. Aber schon die jetzige Grenze unsrer
Kenntnils setzt es aulser Zweifel, dafs die ägyptische Kunst für immer
die weitaus älteste bleiben wird, die unserer Forschung zugänglich ist.
Damit ist nicht gesagt, dals Aegypten die Wiege höherer Geistesbildung
überhaupt unter allen Ländern gewesen sein müsse. Vielmehr geht schon
aus der Betrachtung der ägyptischen Sprache mit Sicherheit hervor, dafs
das ägyptische Volk einem der drei unter sich näher verwandten Sprach-
kreise angehörte, deren gemeinschaftlicher Ursprung auf Asien zurück-
weist; und es ist daher anzunehmen, dals das Nilvolk sein ursprüngliches
Erbtheil einer urgeschichtlichen Kultur bereits aus Asien mitbrachte. Ob
aber zu diesem Erbtheile schon eine irgend wie organisirte Kunstübung
gehörte, bleibt ungewils, ja es ist sehr unwahrscheinlich. Die durch-
gängige Eigenartigkeit der ägyptischen Kunst, die in allen Theilen auf
das engste mit der besondern Natur des Landes und seines Stromes ver-
webt ist, würde wenigstens eine gänzliche Umbildung jener mit dem Volks-
stamme selbst eingewanderten Kunstelemente in dem Nilthale voraus-
setzen. Auch wird diese Frage nie thatsächlich gelöst werden können.
weil, wenn je eine solche urasiatische Civilisation sich in Kunstgebilden
ausgeprägt hätte, doch alle Reste derselben für immer untergegangen sind
und wegen der klimatischen und andern lokalen Verhältnisse in Asıen
untergehen mulsten. Nur in Aegypten waren alle äufseren und inneren
Bedingungen zugleich vorhanden, welche nicht nur zur frühen Entstehung
1*
4 Lersıvs:
und glücklichen Entwickelung der Kunst, sondern auch zu einer fast un-
vergänglichen Dauer ihrer Schöpfungen die geeignetsten waren. Dazu ge-
hörte einerseits eine Fülle des manigfaltigsten und vorzüglichsten Mate-
vials für Denkmäler jeder Art an Stein, Erde, Holz, Papyrus, andrerseits
(das conservativste Klima, welches irgend ein fruchtbares und bewohntes
Land auf der Brde besitzen kann, nämlich das einer gänzlich regenlosen
Zone, in welcher eine völlig trockne Luft und, soweit nicht das Nilwasser
künstlich verbreitet wird, auch ein eben so trockner Boden alle Stoffe,
sogar die vegetabilischen geschweige die mineralischen unverändert er-
hält; denn es ist bekannt, dafs es vor allem die Feuchtigkeit der Luft
und des Bodens ist, welcher auf die Länge keim Körper zu widerstehen
vermag. Dazu kam aber eine ursprüngliche innere Befähigung des ägyp-
tischen Volkes zur Kunst, die aus keinen äufserlichen Verhältnissen ab-
seleitet werden kann, sondern welche dem Volkstamme als solchem von
Anlange an innewohnte.
Von den drei grolsen weltgeschichtlich bevorzugten Völkerstämmen,
dem Semitischen, Hamitischen und Japhetischen oder Indogermanischen,
welche vor ihrer Trennung als ein neuer Keim, ja wie eine neue Schöpfung,
aus dem ältesten breiten aber geschichtslosen Völkerstratum hervorgingen,
und dureh ein höheres Volksbewulstsein gehoben, den ersten Faden wirk-
licher Menschengeschichte spannen, den sie nachher abwechselnd in ihren
Händen hielten, — von diesen drei Völkerstämmen sehen wir den Se-
mitischen am wenigsten zu höherer Kunstthätigkeit geneigt und ange-
lest; er giebt sich mehr theils dem praktisch zweckvollen, theils dem ab-
strakten Gedanken hin. Der Hamitische Stamm, der sich am voll-
kommensten im Nilthale entfaltete, zeigt daneben, schon in frühester Zeit,
ein stätiges Bestreben, seine Gedanken und Gefühle in einer entsprechen-
len äufseren Form auszuprägen und zu vereinigen, was ihn mit innerer
Nothwendigkeit zu einer frühen Ausbildung der Kunst führte; während
erst der dritte Stamm, der unsrige, beides zu vereinigen und durch die
innioste gegenseitige Durchdringung von Idee und Form, durch die volle
Versinnlichung des Gedankens und Vergeistisung der Form, die Kunst
zu ihrer höchsten Blüthe zu führen vermochte.
Es ist nicht zu verkennen, dals im Vergleich mit der Griechischen
Kunst die Aegyptische eme noch vielfach gebundene war. Sie war ge-
>
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. y
bunden durch die Technik, trotz der hohen Meisterschaft, die sie gerade
darin erreicht hatte, gebunden durch die Tradition des Bedürfnisses, der
sich der Einzelne nicht entziehen durfte, gebunden durch die Unterord-
nung der einzelnen Künste unter einander, welche nicht einer jeden sich
in voller Selbständigkeit zu entwickeln erlaubte, vor Allem aber gebun-
den durch die Volksanschauung selbst, welche sich der ganzen Würde
der Kunst noch nieht bewulst geworden war, welche noch keinen schär-
feren Werthunterschied machte zwischen Kunst und Handwerk, zwischen
Nachahmung und Idealisirung der Natur, welche zu Gunsten untergeord-
neter Prineipien in der Darstellungsweise wesentlichere Forderungen eines
höheren Kunstgefühls aufopfern konnte, wie z.B. der Verständlichkeit
die Harmonie der einzelnen Theile; der Symbolik die Naturwahrheit; eine
Darstellungsweise, die sie auch dann noch im Wesentlichen unverändert
beibehielt, nachdem sie längst die ersten Stufen der Entwickelung, denen
jene Art angemessen und Bedürfnifs gewesen war, überschritten hatte.
Von allen diesen Banden, von diesen Urreminiscenzen die der
ägyptischen Kunst von ihrer Geburt her noch anklebten, müssen wir ab-
sehen, wenn wir die Kunststufe richtig würdigen wollen, welche trotzdem
in Aegypten erreicht wurde. Wie in einem fremden Lande, wenn wir
seine Sprache zuerst um uns herum sprechen hören, anfangs gewisse unge-
wohnte Laute und die gleichklingenden Endungen der Worte unser Ohr ge-
fangen nehmen, so dafs sie die viel wesentlicheren Unterschiede der Wort-
stämme zu verdunkeln vermögen, so erscheinen dem unerfahrenen Auge, dem
zum erstenmale Aegyptische Darstellungen begegnen, alle Menschengestalten
der ägyptischen Kunst gleich seltsam und unbeholfen. Es ist nicht zu
verwundern, wenn unser gewöhnliches, künstlerisch gar nicht oder höch-
stens modern gebildetes Publikum, bei der Betrachtung einer ägyptischen
Statue nichts als kindische Unvollkommenheiten, die steife Haltung, die
anliegenden Arme, die parallelen Füfse sieht und sich von einem Bas-
relief oder einer Zeichnung abwendet, wo ihn das langgezogene Auge
und die breiten Schultern, zwischen denen der Kopf rechtwinklig im
strengen Profile sitzt, abwendet. Schlimmer ist es, wenn selbst Kunst-
literaten, die sich zu Führern und Lehrern des Publikums berufen fühlen,
den ägyptischen Künstler nur zu bemitleiden wissen, der die wahren
Naturverhältnisse nicht besser sehen und richtiger wiedergeben konnte,
6 LEePpsıus:
die Hauptsache aber schweigend übergehen, weil sie eben selbst nichts
davon sehen. In einem der Leitfaden, dıe an der Thüre des Berliner
Museums den Eintretenden zu ihrer Belehrung verkauft werden, besinnt
ein Hauptabschnitt mit den Worten: „Wenn wir das alte Aegypten ver-
lassen, so haben wir nur den Vorsaal zu überschreiten und wir sind im
Bereiche des alten Nordens, der skandinavischen Götterlehre. Wir ver-
tauschen also ein Reich der Häfslichkeit mit dem andern. Nur dafs
das uralte Aeeypten in der Bildung seiner unförmlichen Gestalten die
Anciennetät für sich hat.“ Aber auch von den höher und klassischer
gebildeten Schriftstellern wird nicht viel Richtigeres gesagt. Man stellt
sich auf den Standpunkt der Griechischen Kunst, und sucht die Klimax
der Vorstufen nicht nach dem zu bestimmen, was auf diesen erreicht,
sondern was auf ihnen nicht erreicht wurde, und es ist bemerkenswerth,
dafs die Kunstgelehrten für das Positive in der Aegyptischen Kunst meist
noch weniger richtige Auffassung zeigen, als bedeutende Künstler, von
denen hier nur der feinsinnige und kunsterfahrene Rauch als eine hervor-
ragende Ausnahme aufgeführt sein mag, der mit vollem Verständnils und
gröfster Bewunderung die ausgezeichneteren ägyptischen Kunstdenkmäler
zu beurtheilen pflegte.
Die Vertreter jener rohen Betrachtungsweise, welche in der Aegyp-
tischen Kunst nur das Abweichende von unserer Kunstgewöhnung sieht
und dann das Ganze verurtheilt, würde man vielleicht mit einigem Erfolg
daran erinnern können, dafs wir auch noch in unsrer Zeit die Unnatur
in der Darstellung unter Umständen erlaubt, ja gefordert finden. Denn
woher kommt es, dafs niemand den heraldischen Künstler für einen kennt-
nifslosen Barbaren hält, der seinem Adler Kopf, Schwanz und Flügel giebt,
wie sie kein Sterblicher je lebendig gesehen, oder seinen Löwen gegen
alle Natur auf zwei Beinen einherschreiten läfst? Der einfachste Mann
ist darüber nicht verwundert, und der Kenner würde im Gegentheil ge-
rechten Anstofs daran nehmen, wenn der Künstler statt dessen emen
Adler aus dem zoologischen Garten oder einen Canova’schen Löwen in
das Wappenschild gesetzt hätte. Er würde einen ungeschickten Rebus,
kein heraldisches Emblem zu sehen glauben, wenn diese von Alters her
ererbten Unnatürlichkeiten nicht beibehalten worden wären. Denn auch
der heraldische Stil hat jetzt seine Berechtigung und ist eine con-
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 7
ventionelle, aber nicht unverständige oder barbarische Auffassung von
der sich der Einzelne beliebig lossagen dürfte. Auch diesen Stil würde
der wahre Künstler an der rechten Stelle nicht verschmähen, sondern
auch ihm vielmehr seinen für den wahren Kenner verständlichen Kunst-
stempel aufdrücken. Das Conventionelle, wenn auch nicht immer so
greifbar wie hier, war zu allen Zeiten und ist noch heutzutage ein wich-
tiges, ja unentbehrliches Element in der Kunst. In der Gegenwart mei-
stens ganz unerkannt, je ferner um so deutlicher hervortretend, ist es
doch so wenig unverträglich mit der ächten Kunst, dafs es nicht selten
zu einer wesentlichen Anregung oder zu einem liebgewordenen Hintergrunde
für sie geworden ist. Wie wenig oft das künstlerische Auge treuer Natur-
nachahmung bedarf, und wie selbst in den Naturwidrigkeiten der Dar-
stellung Gesetz und Regel Platz greifen können, das lehrt uns nicht nur
die Schaubühne des Theaters, sondern auch der ächte Kunstzweig des
Basreliefs, das, obgleich körperlich hervortretend, doch in keinem Punkte
den natürlichen Erhebungsflächen der Körper entspricht und nach unserm
Kunstgefühl entsprechen darf.
Ähnlich, aber im ungleich gröfseren Zusammenhange der allge-
meinen Kunstentwickelung, verhält es sich mit den conventionell festge-
haltenen Abweichungen von der Natur in der Aegyptischen Zeichnung.
Sie sind aus der Kindheit der Kunst, wo sie ihre volle unmittelbare Berech-
tigung hatten, in die späteren immer höheren Entwicklungsphasen mit
herüber genommen, ohne diese Entwickelung selbst aufzuhalten.
Wenn der Anfänger im Zeichnen, der schon den Griffel zu führen
und vorgezeichnete Linien nachzuziehen versteht, sich zum erstenmale der
lebendigen Natur gegenüber sieht und sie auf der Fläche nachzuahmen
strebt, wird er zunächst durch die unendliche Manisfaltigkeit und Ver-
wobenheit der Conturen verwirrt. Um sie für die Reproduktion zu ver-
einfachen und sie zu beherrschen wendet er sich dem Einzelnen zu und
sucht jedes Ding in seiner möglichst erkennbaren und charakteristischen
Lage zu sehen und wiederzugeben. Die meisten Gegenstände, nament-
lich die Thiere, wird er im Profil nehmen. Bei der menschlichen Figur
unterscheidet er die einzelnen Glieder. Der Kopf wird natürlich im
Profil aufgefalst, ebenso Beine und Füfse. Die charakteristische Form
des Auges aber ist von vorn; ebenso bietet sich die Brust zunächst in
s LEpsıvus:
ihrer Breite von vorn dar; ebenso die Hand um die 5 Finger sichtbar
zu machen. Das ist der Grund warum von den Aegyptern auf die
Beine im Profil der Oberkörper en face mit beiden Schultern, und
auf diese wieder der Kopf ım Profil, innerhalb desselben aber das volle
Auge en face gesetzt wird. Diese für die einzelnen Theile natürlichste,
in ihrer Verbindung aber unnatürliche Darstellung, welche was na-
mentlich die Stellung des Auges betrifft — ebenso auf den Münzen,
Vasen und Basreliefs der ältesten Griechischen Kunst, wie in allen
übrigen Kunstanfängen wiederkehrt, darf uns daher in der ägyptischen
Kunst, dieser erstgebornen unter den Künsten des Alterthums, nur inso-
fern auffallen, als sie, selbst bis in die höchsten Phasen ihrer Entwicke-
lung, mit unwandelbarer Zähigkeit festgehalten und mit den vollendetsten
Formen wahrer Kunst zu einem test geregelten und allmählich unauflös-
lich gewordenen Ganzen verschmolzen wurde.
Gerade in diesem zähen Festhalten so primitiver Unvollkommen-
heiten, das weder in der Griechischen noch in irgend einer späteren Kunst
so auffallend wiederkehrt, müssen wir aber zugleich den stärksten Beweis
dafür finden, dafs die Aesyptische Kunst allein unter allen eine ursprüng-
liche, nur aus ihrer eigensten Wurzel hervorgegangene war. Denn nur
deshalb, weil diese kindliche Anschauung beim ersten Erwachen des Kunst-
triebes gleichsam selbst noch mitwirkte, blieb sie für alle Zeiten unver-
tilgbar. Erst die Griechen vermochten sie abzuschütteln, als sie mit
Überspringung der ersten Entwickelungsstufen ein neues Prineip an die
Stelle des alten ägyptischen setzten.
Der Gegensatz dieser beiden Principe läfst sich, zunächst für die
Zeichnung, die Grundlage der bildenden Künste, am kürzesten vielleicht
so bezeichnen, dafs es die Aufgabe der Aegyptischen, als der zuerst aus
dem angeborenen Geistesbedürfnils der Völker aufkeimenden Kunst, war,
die in ihrer eonereten Überfülle der künstlerischen Nachahmung spottende
und sie verwirrende Natur der Sonderung und Vereinfachung zu unter-
werfen. Die Aufgabe der Griechischen, die sich als reiche Erbin
bewährter Kunstwaffen bald nach ihren ersten Schritten in sicherem Macht-
besitze der Natur gegenüber fand, die unterworfene wieder zu befreien.
Der ägyptische Künstler begann damit, dals er jeden Gegenstand,
dessen er sich für die Darstellung bemächtigen wollte, mit einem Netz
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 9
von Quadraten überzog. Die Durchsehnittspunkte der Haupteonturen
trug er auf dem gleichen, vor ihm auf die Tafel gezeichneten, Netze ein,
und gewann so durch eine fliefsende Verbindung dieser Punkte einer
Durchschnitts-Contur, der ihn sogleich der unendlichen Detaillirung
überhob, und ihm das einfachste und zugleich charaktertreueste Abbild
des Gegenstandes verschaffte. Jede Stellung des menschlichen Körpers
und seiner Theile, jedes Thier bis zu den Insekten und Gewürm herab,
jede Pflanze oder andrer Gegenstand, erhielt in dieser Weise von den be-
deutendsten Künstlern ihrer Zeit, seinen besondern in diese (Juadrate ein-
gezeichneten Kanon der Proportionen. Ebenso wurde jede runde
Skulptur, Statuen, Thiere, selbst Säulenkapitäle, nach Quadraten gear-
beitet, von denen uns viele halbfertige Proben noch vorliegen. Wir
sehen diesen Kanon der Proportionen für die menschliche Gestalt, von
kleineren Abweichungen abgesehen, im Laufe der ägyptischen Kunst-
geschichte zweimal erheblich sich verändern, je nach den veränderten An-
sichten der ihren Zeitgenossen das Gesetz vorschreibenden Künstlerautori-
täten, einmal im Beginn der zweiten, dann der vierten Kunstblüthe.
Dieser Kanon, von dem sich nur die ersten Meister ihrer Kunst Ab-
weichungen erlauben durften, und Portraitkünstler ihrer Aufgabe nach er-
lauben mufsten, diente doch dem übrigen überaus zahlreichen Künstler-
trols, der sich kaum über das Handwerk erhob, als Norm und Anhalt.
Daher die ziemlich durchgängige Correktheit der Zeichnung auch in
untergeordneten und Dutzend-Arbeiten. Portraitdarstellungen, die
man früher für eine Erfindung der Griechen hielt, finden wir in Aegypten,
in Folge ihrer Vorliebe und scharfen Beobachtungsgabe für alles Charak-
terische in der Natur, in überraschender Vollendung bis in die frühsten
Zeiten ihrer Geschichte zurück. Man betrachte nur die Reihe der Por-
traitköpfe alter und ältester Pharaonen und vornehmer Privatleute, die
unser Museum in Abgüssen, zum Theil auch in Originalen, in gröfserer
Fülle als irgend ein andres Museum besitzt.
In dieser früh und viel geübten Kunst des Protraitirens in Zeich-
nung, Basrelief und runder Skulptur, liegt aber schon allein ein voll-
wichtiges Zeugnils, dals die Aegypter über die technische und conven-
tionelle Kunstübung hinaus, einem höheren idealeren Ziele nachzustreben
suchten und vermochten. Man betrachte die Portraitköpfe des Königs
Philos.-histor. Kl. 1871. 2
10 LEPSIUS:
Chephren, der um 3000 vor Chr. die zweitgrölste Pyramide sich zum
Grabe erbaute, und die ganze Reihe der Pharaonen aus den mächtigen
Thebanischen Dynastieen, die Büsten der Amenophns, Tuthmosis, Horus,
Sethos, Ramses, u. a., die wir in Stein oder Gyps besitzen, und man wird
abgesehen von der bewunderungswürdigen Technik, anerkennen müssen,
dafs sie die Werke ächter, hochausgebildeter Kunst sind. Die Züge, in-
dividuell und lebensvoll, sind über die blofs naturalistische Behandlung
hinausgerückt und tragen bei aller persönlichen Verschiedenheit nur den
gemeinschaftlichen Ausdruck wohlthuender Hoheit und Milde. Selbst
göttlicher Verehrung theilhaftig und in oder vor Tempeln an architekto-
nisch gewählter Stelle thronend oder aus Pfeilern sei es aus wirklich tra-
genden, sei es aus losgelösten Rückenpfeilern hervortretend, und meistens
in übergrofsen Proportionen, trägt ihre Gesichtsbildung mit richtigem Ver-
ständnifs den Charakter derselben monumentalen Ruhe wie die der Tempel-
götter selbst, unter denen sie wohnen, ohne dafs gleichwohl ihre mensch-
liche Individualität mit den allgemeinen typischen Zügen der Götter-
bildung verwechselt werden könnte. In wie ächt künstlerischer Weise
die Aegypter individuelle Naturtreue mit dem richtigen Mafs von Ideali-
sirung zu vereinigen wulsten, dafür bietet eine kleine meisterhaft gear-
beitete sitzende Statue des Königs Amenophis IV, jenes merkwürdigen zum
Throne berufenen Sonnenpriesters der die ganze ägyptische Religion auf
den Sonnenkultus zurückführen wollte und seinen eigenen Namen in
Chu-en-aten, Diskusverherrlicher, veränderte, einen augenfälligen Beweis.
Das Original im Louvre ist von ägyptischem Alabaster; und hatte ur-
sprünglich, aus demselben Blocke gearbeitet, seine Gemahlin neben sich,
von welcher jetzt nur noch der den Leib des Königs umfassende Arm
erhalten ist. Die Statue ist ohne Inschrift; vergleicht man aber in unserer
Gypssammlung den unberührt erhaltenen Kopf derselben mit den ver-
schiedenen in den Felsengräbern von Tel-el-Amarna abgegossenen Relief-
portraits des Königs Chu-en-aten, so bedarf es deren nicht, umsogleich
denselben König wieder zu erkennen, obgleich er in den Darstellungen
jener Privatgräber durchgängig eine abschreckend häfsliche Kopf- und
Gresichtsform, wie sie von untergeordneten Künstlern wahrscheinlich
nur zu realistisch treu der Natur nachgeahmt war, in der Statue aber
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehing. 11
weiche und wohlgefällige, ja geistreich veredelte Züge darbietet, welche gleich-
wohl unverkennbar von derselben lebenden Person hergenommen wurden.
Aber nicht blofs auf diesem einzelnen Kunstfelde der Portraitirung
tritt in der ägyptischen Kunst die Seite hervor, welche sie zur wahren
Kunst erst macht, nämlich die scharfe Auffassung des Charakteristischen
in der realen Natur und seine Wiedergabe in idealer Form. Vielmehr
entwickelten die Aegypter zuerst unter den Völkern in allen Zweigen
der verschiedenen Künste den Stil im engern und höheren Sinne, dieses
sicherste Kennzeichen wahrer Kunstentwickelung bei einem Volke, zu
einer oder zu mehreren Zeiten seiner Geschichte. Sie kannten und be-
achteten bei ihrer Kunstübung die Eigenthümlichkeiten und Forderungen
der Stoffe, die sie anwendeten, sie blieben den historisch vorgezeichneten
Wegen ihrer Kunstentwickelung treuer als vielleicht irgend ein andres
Volk, und sie wufsten auf den Höhepunkten ihres Kunstlebens eine Ob-
jeetivität, eine Grofsartigkeit und Würde in der Conception und Ausfüh-
rung grofser Kunstschöpfungen zu erreichen, welche uns berechtigen ihnen
eine vorzugsweise stilvolle Kunst im besten Sinne des Wortes zuzu-
schreiben.
Je höher sich aber der Genius der wahren Kunst in Aegypten zu
erheben strebte, um so schwerer trug er an den von ihm selbst geschmie-
deten erst nothgedrungen dann conventionell der Natur auferlesten und
nie gelockerten Fesseln, die schliefslich zu seiner eignen Fessel wurden.
Es war den Griechen vorbehalten, diese zu sprengen und dadurch einen
neuen Anfang zu gewinnen. Was die Aegypter durch ihre strengen Kunst-
gesetze sich allmählig in Jahrtausenden mühsam errungen hatten, nahmen
die Griechen sobald sie sich tüchtig und aufgelegt fühlten aus dem Hand-
werk herauszutreten, unmittelbar und mühelos von ihnen durch die le-
bendige Anschauung in ihr Kunstgefühl auf. Die rhythmische Hal-
tung, der geläuterte Stil gewann in ihnen auch ohne die beschränkende
Stütze des quadratischen Kanons, unmittelbares Leben. Mit sicherem,
unverwirrtem Auge konnten sie sich nun von neuem der Natur bis in
ihre individuellsten Züge zuwenden, und durften es unternehmen, statt
sie zu fesseln, ihr entgegenzukommen und sie in eine höhere Ordnung
der Dinge, in das Reich des Idealen, emporzuheben. So entstand mit der
unentbehrlichen Hülfe, und doch im Gegensatze, zu der beı aller Ent-
I*
-
12 LeErpsıus:
wickelung noch gebundenen Kunst der Aegypter, die wahrhaft freie
Kunst der Griechen.
Von den verschiedenen Künsten ist die Architektur die unab-
hängigste, die Urkunst gleichsam, an welcher sich die übrigen heranbilden,
der sie sich unterordnen und von der sie sich in Aegypten niemals zu
voller Selbständigkeit gelöst haben. Die Skulptur namentlich bildete ur-
sprünglich gewissermalsen nur einen Theil der Architektur, fand nur in
Verbindung mit ihr ihre eigentliche Stelle und nahm deshalb von Anfang
an selbst eine gewisse architektonische Haltung an, die dann auch da wo
sie etwa getrennt von ihr erschien, nie ganz aufgegeben wurde. Ebenso
und in noch engerem Verhältnifs standen die Wandbilder zur Architektur.
Auch in dieser Kunst waren die Aegypter nicht nur Meister und Lehrer
für alle mit ihnen in Berührung kommenden Völker, sondern wir dürfen
sie noch bestimmter geradezu ihre Erfinder nennen. Dafür spricht nicht
allein der äufsere Umstand laut genug, dals wir in Aegypten mächtige
Architekturwerke und fast schon alle wesentlichen Architekturglieder aus-
gebildet zu einer Zeit vorfinden die an 2000 Jahre jenseit der ältesten
Baureste aller andern Völker zurückliegt, sondern es zeugt dafür vornehm-
lich auch wieder die Art der ägyptischen Architekturentwicklung selbst.
Denn, während wir in allen andern Architekturen entweder den
fremden Ursprung im Ganzen erkennen, oder doch im Einzelnen auswär-
tige Einflüsse und überkommene Elemente vielfach nachweisen können,
weist in der ägyptischen nichts nach aufserhalb des Landes, und während
bei allen andern die eigentlichen Anfänge fehlen, und wir durch Umbil-
dung und Verschmelzung einheimischer und eingewanderter Typen all-
mählig ein neues Ganzes entstehen sehen, welches erst nach völliger Assi-
milirung des fremdartigen durch die Macht eines neuen eigenen Prineipes
zu der Einheit und Vollendung gelangt, deren es fähig ist, sehen wir
hier von Anfang an eine durchaus einheitliche nationale Entwicklung, die
an Durchsichtigkeit bis zu den ersten Wurzeln hinab nichts zu wünschen
übrig lälst.
Versuchen wir dies durch den Nachweis der genetischen Entwicke-
lung einiger der wichtigsten Glieder und Formen derAegyptischen Archi-
tektur in ihren Hauptrichtungen deutlich zu machen.
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 13
Die Stilunterschiede innerhalb der Architektur, wie noch ebenso
in der griechischen, finden ihren prägnantesten Ausdruck in der Form
der Säule.
Bleiben wir bei diesem in vieler Hinsicht wichtigsten Archektur-
gliede zunächst stehen, so finden wir in Aegypten zwei von einander
scharf getrennte Säulenordnungen. Diese unterscheiden sich in ihrer
Anwendung nicht landschaftlich, so dals die eine etwa in Oberägypten,
die andere in Unterägypten vorgewaltet hätte, ähnlich wie sich die grie-
chischen Säulenordnungen nach den Volksstämmen unterscheiden. Denn
beide wurden gleichzeitig in ganz Aegypten gebraucht, und erscheinen
sogar nicht selten in ein und demselben Tempel. Ihre zu allen Zeiten fest-
gehaltene Trennung beruht vielmehr in ihrer verschiedenen Genesis. Sie
gehören zwei gesonderten von Anfang an neben einander herlaufenden
Bauweisen an, die eine dem Felsenbau, die andere dem Quaderbau;
die eine hat kanelirten Stamm ohne Schwellung, ohne Kapitäl und ohne
Bänder, auf keiner oder einer sehr niedrigen Basis stehend, die andere
ist nie kanelirt, sondern im Gegentheil aus convexen Säulchen zu einem
Stamme verbunden, der auch glatt sein kann, mit einer Schwellung am
untern Theile, oben in ein Blüthenkapitäl auslaufend, unter welchem
5 Bänder um den Stamm laufen, auf einer engen dicken Basis stehend,
das ganze ein Bündel Papyrusstengel darstellend, das unter den Köpfen
zusammengebunden ist.
Sehen wir, wie sich diese durchgängige Verschiedenheit aus der
beiderseitigen Bauweise erklärt, der diese zwei Säulenordnungen ursprüng-
lich ganz ausschlielslich angehörten.
Felsbau ist in Aegypten fast gleichbedeutend mit Gräberbau.
Die Ausnahmen von Bedeutung sind fünf mächtige Felsentempel, die in
den Sandfels von. Unternubien eingehauen sind, alle durch Ramses 1.
Miamun, hergestellt. Daran schliefsen sich noch einige andre geringere
Ausnahmen, die ich hier nicht aufzuführen brauche. Alle übrigen Fels-
bauten in Oberägypten, wie in Unterägypten, im Alten wie im Neuen
Reiche, von der einfachen kleinen Kammer bis zu den unterirdischen ko-
lossalen Todtenpalästen der Thebanischen Könige und der Millionäre der
Psametichzeit, und bis zu den mächtigen Katakomben der Apissarkophage
bei Memphis, gehörten dem Gräberbau an.
14 Leprsıus:
Seine einfachsten Formen finden wir im Alten Reiche und seine
lehrreichsten Beispiele in den Gräberreihen von Benthassan aus der zwölften
Manethonischen Dynastie. Die Sarkophagkammern der Pyramiden, soweit
sie uns zugänglich geworden sind, waren in der Regel mit einigen be-
kannten Ausnahmen, in den Fels gehauen, über dem sich die künstlichen
Berge des Mauerwerks, erhoben. Ebenso besals fast jedes bedeutendere
Privatgrab in den ausgedehnten Metropolen von Memphis eine Felsen-
kammer für den Sarkophag. Sehr häufig waren aber auch die für den
Todtenkult der nachgelassenen Familie bestimmten, von der Sarkophag-
kammer getrennten Räume in den Fels gehauen, wurden nicht wie jene
für immer geschlossen, sondern blieben zugänglich. Sie sind daher meist
mit Bildern und Inschriften auf den Wänden geschmückt, die der Besitzer
auf dessen Lebensverhältnisse sie sich bezogen bei seinen Lebzeiten aus-
führen hiels. Diese Räume waren es auch, für welche allmählig von den
reicheren Leuten das Bedürfnis nach gröfserer Ausdehnung und dem
gemäls nach einer reicheren Entfaltung der Architektur empfunden ward.
Hier können wir diese nun Schritt vor Schritt verfolgen, und in einer
grolsen Auswahl von den frühesten bis zu den spätesten und unter den
gleichzeitigen von den einfachsten und ärmlichsten bis zu den durchge-
bildesten Formen in der lehrreichsten Weise zu einem besondern Bau-
stile sich entwickeln sehen.
Den Anfang bildet eine kleine viereckige Kammer, die in eine frei-
seleste Felswand führt, mit niedrigem Eingange, dessen Thür von innen
an den die Öffnung oben abschlielsenden runden Thürbalken schlug. An
der Westwand der Kammer befindet sich eine Blendthüre, welche sym-
bolisch die Grabesthür vorstellt, und vor welcher, das Gesicht nach
Westen, in der Richtung der ägyptischen Unterwelt, gerichtet, die Todten-
opfer gebracht wurden. Der Raum ist oft so klein, dals sich kaum mehr
als zwei Personen darin bewegen können. Er wird aber gröfßser und
wächst namentlich, wenn sich mehrere Blendthüren darin befinden, ein
Zeichen dals auch mehrere Verstorbene darin verehrt werden sollten.
Wenn ein Raum zu wenig schien, wurde, ‚durch eine Thür verbunden,
ein zweiter dahinter angelegt, auch ein dritter und mehr. Die Ausdeh-
nung der einzelnen Räume, die nun auch an Höhe zunahmen, hatte ihr
Mails zum Theil in der Gefahr, dafs, falls die Qualität des Felsens nicht
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehung. 15
sehr fest und gleichmäfsig war, zu weit gedehnte Decken leichter durch-
brechen oder sich theilweise ablösen und herabstürzen konnten. Selbst
in Steinbrüchen läfst man deshalb von Zeit zu Zeit Wände oder Pfeiler
stehen. Aber nur der vorderste Raum hatte den Vortheil des durch die
Thür einfallenden Tagesliehts, von dem nur wenig durch die zweite Thür
in den folgenden Raum nachdringen konnte. Um diesem Nachtheile mög-
lichst zu begegnen, kam man bald darauf, die Hinterwand mehrmals zu
durchbrechen und aus der Wand schliefslich eine Pfeilerreihe zu machen,
welche den Raum noch immer absonderte, wenn dies aus Kultus- oder
andern Rücksichten erfordert wurde, aber auch als Erweiterung des ersten
taumes gelten konnte, und seine Beleuchtung theilte, ohne doch der
Decke ihre Unterstützung zu entziehen; dem Auge aber mulste das Ganze
nur um so reicher und gefälliger erscheinen durch den Zuwachs der neuen
Gliederung statt eines grolsen einförmigen Saales. Das Wandstück tiber
der Thür bis zur Decke, das sich bei jedem neuen Durchbruche wieder-
holte, blieb stehen, und wurde in seiner Continuität unmittelbar zum
Architrav, der sich nun in gleicher Höhe über den Pfeilern unter der
Decke hinzog, in der Dicke der früheren Wand, die dadurch dem am
Gewohnten gern haftenden Blicke, trotz der Neuerung, völlig erkennbar
blieb. Zugleich vermehrte der durchgehende Steinbalken die Unterstützung
der Decke, und bildete endlich für das symmetrische Bedürfnifs des Be-
schauers die natürlichste Formvermittelung zwischen dem viereckig auf-
steigenden Pfeiler und der in doppelter Richtung sich ausspannenden Decke,
deren eine der Richtung des Architravs entspricht. Dafs dies die Ent-
stehung des Architravs in dieser Felsenarchitektur ist wird dadurch augen-
fällig bestätigt dafs die Pfeiler ohne jede Ausdehnung oder Einziehung
unmittelbar und glatt in den Architrav übergehen, so dafs das Ganze
noch immer wie eine ausgeschnittene Wand aufgefalst werden kann.
Das Bedürfnifs nach möglichst viel Licht für den Raum hinter den
Pfeilern führte dann aber weiter zur Abstumpfung der 4 Ecken des Pfei-
lers. Das ergab die achtseitige Säule, wie sie im ersten Grabe von
Benihassan erscheint. Auch hier befolgte man aber dasselbe Princip wie
bei der Durchbrechung der Wand. Man führte die vier hinzukommen-
den Seiten des veränderten Pfeilers nicht bis zum Architrave fort, sondern
wahrte den ursprünglichen Charakter desselben dadurch dafs man zu
16 LEPSıus:
oberst ein Stück des vierseitigen Pfeilers stehen liefs. Dadurch erhielt
man wieder, aufser der Reminiszenz, den Vortheil eines durchaus sach-
gemälsen, daher bedeutungsvollen und zugleich formgefälligen, den Orga-
nismus bereichernden Verbindungsgliedes, den Abakus. Dieser bleibt
zum Architrav in demselben Verhältnils wie früher der vierseitige Pfeiler;
die Vorderseiten gehen glatt in den Architrav über. Dagegen trennt sich
nun die beginnende Säule als eine neue Form dadurch noch bestimmter
vom Abakus, dafs unter ihm sämmtliche Flächen leicht eingezogen werden,
ein Fall der vereinzelt auch beim Pfeiler sich schon findet.
Der nächste Schritt war die nochmalige Abschneidung der acht
Ecken, wodurch eine sechszehnseitige Säule entstand, wie sie das zweite
Grab von Dbenthassan zeigt.
Schon die technische Schwierigkeit sechszehn Seiten in so stumpfen
Winkeln mit einander scharf und regelmäfsig zu verbinden, noch mehr
aber der Wunsch diese feine sechszehnseitige Gliederung des Säulenstammes
für das Auge schärfer hervorzuheben, und diesem immer bedeutender
sich gestaltenden Architekturgliede ein lebendigeres Spiel von Licht und
Schatten zu verleihen, führen nun darauf, die einzelnen Seiten leicht
auszuhöhlen, sie zu kaneliren, und aus den stumpfen Ecken scharfe Gräten
zu machen. Die Ähnlichkeit die der Stamm dadureh mit der Dorischen
Säule erhält, veranlafste Champollion, als ihm diese Form zuerst be-
gegnete, sie protodorische Säulen zu nennen.
T
Die Entstehung aus dem viereckigen Pfeiler blieb aber auch hier
noch immer, offenbar absichtlich, angedeutet, dadurch dafs man von den
sechszehn glatten oder ausgehöhlten Seiten stets vier mit den vier Seiten
des Abakus parallel laufen, nie Kanten auf die Mitten der Abakus Seiten
stolsen liels, und ferner dadurch, dals man alle vier parallelen Streifen,
oder die beiden der Vorder- und der Hinter-Seite oder zum wenigsten
den der Vorderseite, nicht aushöhlte, sondern als gerade Flächen, die als
solche gleichsam noch ungeänderte Theile des früheren Pfeilers selber
waren, bestehen liefs. Diese flachen Streifen gewährten zugleich will-
kommenen Raum für hieroglyphische Inschriftenkolumnen, die mit ihren
bunten Farben und bedeutsamen Zeichen ein neuer Schmuck der Säulen
wurden; daher sie auch nicht selten über das ursprüngliche Breitenmals
der übrigen kaneliren verbreitet wurden.
über einige Aegyptische Kumstformen und ihre Entwickelung. 17
Mit der Hervorbildung der Säule aus dem Pfeiler erscheint endlich
in richtig empfundener Weise zugleich die runde Basis, welche sie mit
dem Fufsboden vermittelt. Der viereckige Pfeiler bedurfte so wenig wie
die Wand einer Vermittelung mit dem viereckigen Boden des Zimmers.
Die für sich bestehende immer feiner gegliederte runde Säule aber er-
schien nach unten zu kahl wenn sie unvermittelt, und zu sehr einer un-
vorsichtigen Berührung exponirt ohne Schutz mit ihren zarten leicht ver-
letzten Kanten der Kaneliren unmittelbar aus dem Fufsboden aufstieg.
Die ziemlich weit aber niedrig vorspringende am Rande abgeschrägte,
runde Basis schützte sie zugleich und leitete sie zum Fufsboden über.
Auch hier war die Bedeutung der Basis als Vermittelungsglied nach beiden
Seiten hin in ihrer Gestalt ausgedrückt. Ihre wesentlichere Beziehung
war die zur Säule, von der sie die runde Peripherie annahm. Das Motiv
der niedrigen Erhebung über den Fulsboden war aber von diesem letz-
teren hergenommen; denn sie wurde der Höhe der Schwellen gleich-
gesetzt), welche des Thüranschlags wegen die einzelnen Räume von ein-
ander schieden. Wie man nämlich die niedrigen Basreliefs der Wände
von jeher dadurch über die Grundfläche erhob, dafs man die vorher bis
zu den Höhepunkten der Figuren hervortrende glatte Wand in ihrer
ganzen Ausdehnung, so weit sie als Fond dienen sollte, abarbeitete und
in eine tiefere Fläche verwandelte, so höhlte man den ursprünglichen
Fulsboden, um die Erhebung für die Schwellen und Basen zu gewinnen,
um so viel aus, als jene an Höhe gewinnen sollten. Von dieser architek-
tonischen Anschauung aus, waren nicht nur die Schwellen, sondern auch
die Basen stehen gebliebene Theile des ursprünglichen Fufsbodens, wie
er in dem gröfsten Theile der einfachen Felskammern erscheint, die noch
keine Schwellen zeigen.
Hiermit sind alle einzelnen Momente, die bei der ägyptischen Felsen-
säule in Betracht kommen, erschöpft. Die Entwickelung ist so durch-
sichtig und unmifsverständlich, und kann bei jedem Schritt so vollstän-
dig durch die vorhandenen Beispiele belegt werden, dafs wir an ihr zu-
gleich einen festen Anhaltspunkt für fernere Vergleichungen finden, und
!) Denkmäler I, 59, Durchschnitt nach c d.
Philos.-histor. Kl. 1871. 3
18 Lersıus:
z. B. gelegentliches Vermischen mit fremden Elementen mit Leichtigkeit
erkennen und diese ausscheiden können.
Wir gehen zu der zweiten complieirteren Säulenordnung über, die
wir bereits, im Gegensatz zum Felsenbau, dem Quaderbau zugewiesen
haben.
Während im Fels- oder Gräberbau die einfachsten mathematischen
Linien fast allein dominiren, und ihr trockner Ernst nur durch die un-
melsbaren Abwägungen eines ausgebildeten Sinnes für die Symmetrie in
der Gliederung gemildert wird, begegnen wir hier in dem freien, über-
irdischen, dem Leben gewidmeten Quaderbau einer Säulenordnung, welche
ihre bewegteren, weniger nach dem Richtscheit als nach der freien Ent-
scheidung des Auges gezogenen Linien dem Wuchs und der Gliederung
der lebendigen Pflanze entnimmt.
Sehen wir von den symbolisirten Säulenformen ab, wo Pflanzen-
schafte Götterköpfe statt der Kelche als Kapitäle tragen, wie auch von
der grolsen Manigfaltiskeit der Pflanzenkapitäle, die in Ptolemäischer Zeit
auftreten, so bleiben uns für das ganze Neue Reich nur zwei Pflanzen,
deren Formen in den Säulen nachgeahmt wurden, die Palme, deren
Stamm nach oben in eine regelmäfsig geordnete Blätterkrone ausläuft,
unter welcher sich fünf Bänder finden, aus denen zuweilen aulser
den genannten Blättern auch flachgehaltene Dattelbüschel hervorquellen,
und die Papyruspflanze, welche als ein starkes Bündel von Stengeln
dargestellt wird, deren oberster Theil mit fünf Bändern zusammengebun-
den ist, über welchen die blüthentragenden Haarköpfe als Kapitäle hervor-
treten. Die letzteren aus unzähligen feinen Stengelchen bestehend er-
scheinen dann entweder nochmals besonders eingebunden in Form von
grofsen Blüthenknospen, oder auseinander gefaltet, als ob sie einen einzi-
sen grolsen Kelch bildeten. Die geschlossene und die oflene Form wer-
den nicht unmittelbar mit einander verbunden, aber doch gleichzeitig in
verschiedenen Räumen ein und desselben Tempels angewendet, die erstere
sern in geschlofsneren die andre in offneren Räumen. An den Stämmen
treten entweder die einzelnen Stengel, meist acht an Zahl, aus der Run-
dung hervor, und ahmen dann auch die eigenthümliche Form der drei-
kantıgen Papyrusstengel nach, oder sie werden alle in eine einzige glatte
Säule verbunden gedacht, deren fünf Bänder allein das Bündel verrathen;
über einige Aegyptische Kumstformen und ihre Entwickelung. 19
denn die Oberflächen der runden Säulen pflegen mit Darstellungen ver-
schen zu sein, welche die Stengel auch nicht gemalt sichtbar werden
lassen, während da, wo die Stengel körperlich heraustreten, nur klirzere
Inschrifttafeln einen Theil der geschwungenen Flächen bedecken. Der
untere Theil des Schaftes wird, unmittelbar über der Basis, stark eingezogen,
so dals dieser im untern Viertel eine starke Schwellung erfährt, und sich
dann nach oben bis zu den Bändern allmählich verjüngt. An die sich
ausdehnende unterste Rundung legen sich grofse spitze Blätter an, ein
Motiv das gleichfalls den lebendigen Pflanzen entnommen ist.
Aus dem Alten Reiche sind uns überaus wenig Reste von freiste-
henden Säulen erhalten, weil sich kein einziger Tempel auch nur in an-
sehnlicheren Bruchstücken aus der Zeit vor dem Einfalle der Hyksos
erhalten hat. Um so sorgfältiger habe ich einige Fragmente kolossaler
Säulen untersucht und zeichnen lassen, die sich vor der Labyrinth-Pyra-
mide des Königs Amenemha IH. im Schutte zerstreut fanden. Ihre Zu-
sammenstellung ergab die sichere Form einer geschlossenen Papyrussäule
mit vorspringenden Stengeln, genau so, wie sie im Neuen Reiche erscheint.
Auch die offene Papyrusform kann ich wenigstens aus einem Wandbilde
der Felsengräber von Berscheh nachweisen, von wo ich ihren Papierab-
druck mitgebracht habe. Ebenso ist mir eine Darstellung mit Palmen-
kapitäl vorgekommen.!)
Dagegen findet sich im Alten Reiche auch eine im Neuen Reiche
meines Wissens nicht mehr vorhandene Form, nämlich die Lotussäule.
Sie erscheint mit Knospenkapitäl aus Stein gehauen in einem der Gräber
von Bemihassan?) in schlanker überaus gefälliger Form. Unter dem Ka-
pitäl die fünf bunten Bänder. Der Stamm wird aus vier gekuppelten
runden Stielen gebildet, die sich durch ihre genau runde Form von den
mit einer nur abgerundeten Ecke vortretenden Papyrusstengeln unverkenn-
bar unterscheiden. Sie treten als in beliebiger Länge abgeschnittene Stiele
der Lotusblume ohne Schwellung, doch nach oben sich verjüngend, aus
der niedrigen, schon oben beschriebenen Basis heraus. Über dem abge-
stumpften Knospenkapitäl liegt der wenig übergreifende Abacus. Der
) Denkm. II, 127.
?) Denkm. I, 60.
1
20 Lersıvs:
über dieser und zwei andern gleichen, jetzt ausgebrochenen, Säulen hin-
laufende Architrav ist nach unten geradlinig, nach oben folgt er der
Decke, die sich dachförmig ein wenig nach der Mitte zu erhebt, so dafs
der Architrav selbst eine leise ansteigende Giebelform erhält.
Mit dieser Säule sind andere Beispiele in Wanddarstellungen leich-
ter aus Holz gezimmerter Gartenarchitektur zusammenzustellen, welche
das Lotuskapitäl theils wie in Benihassan knospenförmig, auch mit einge-
bundenen jungen Knöspchen zeigen, theils mit offenem in viele Spitzen
auslaufendem Lotuskelche, auf deren mittelster Spitze der Abacus aufge-
setzt ist. Auch hier fehlen die Bänder nicht und der gekuppelten Stiele
sind wieder 4, von denen aber nur 2 sichtbar werden.
Es ist ohne Weiteres klar, dafs die Lotussäule von Benthassan der
Felsarchitektur, der sie hier einverleibt ist, nicht organisch angehört. Sie
ist einfach aus der Quaderarchitektur herüber genommen; das Grab ist
in dieser Beziehung wie ein freier Tempelraum behandelt. Eine solche
Verbindung beider Stile erscheint auch sonst, und zwar begreiflicher
Weise noch leichter, in dem ebenso weit verbreiteten Quaderbau der Grä-
ber, der sich einerseits dem den Gräbern eigenthümlichen Felsbau, ande-
rerseits dem Quaderbau der Tempel anschliefsen konnte. Ebenso finden
wir aber auch nicht selten die kanelirte Säule des Felsbaus in den Tem-
peln angewendet, wovon der Grund lediglich das Gefallen an der einmal
gewonnenen in sich ausgebildeten Form sein konnte,
Dagegen findet sich nie eine Vermischung der einzelnen in ihrer
nothwendigen Entwickelung nachgewiesenen verschiedenen Glieder der
beiden Säulenordnungen. Das Gefühl für die Bedeutung und Genesis des
hier Zusammengehörigen ging zu keiner Zeit verloren.
° Anders in Griechenland, wo wir die einzelnen Elemente der
ägyptischen Säule sämmtlich wiederfinden, Basis, Stamm, Kapitäl, Aba-
kus; der Stamm $seitig, auch 16seitig; mit 16, auch 20 Kaneliren —
diese Zahl kommt auch in Aegypten vor — oder endlich ganz rund;
dazu die Schwellung gewisser Dorischer Säulen, und was besonders be-
zeichnend ist, selbst die Bänder unter dem Kapitäl kehren wieder, theils
als annuli am Anfange der Ausladung, theils als Einschnitte am obersten
Theile des Stammes, in der Anzahl von 3, aber auch, wie in Aegypten,
von 5. Es kann also nicht zweifelhaft sein, dals wir hier dieselben Ele-
über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 21
mente wie in Aegypten vor uns haben, und dafs hier nicht von einer
neuen zweiten Schöpfung die Rede sein kann, sondern von einer Kennt-
nils der in Aegypten vorhandenen Formen und Übernahme derselben sei-
tens der Griechen, wobei nicht zu vergessen ist, dafs die kanelirten Säu-
len von Benihassan aus dem ten Jahrtausend v. Chr. herrühren.
Aber in welcher Verbindung treffen wir einzelne dieser Elemente
in der griechischen Säule. Es ist gerade die kanelirte Dorische Säule,
welche nicht nur zuweilen die Schwellung zeigt, sondern auch einen Hals
mit Bändern und einen das Kapitäl vertretenden Wulst. In Aegypten
war dies unvereinbar. Die Kaneliren gehören ausschliefslich der aus-
höhlenden, abschneidenden Felsarchitektur an, der Kopf, auf dem der
Abakus aufliest, ausschliefslich der Pflanzensäule; noch entschiedener die
Halsbänder, deren Motiv nur in dem unter dem Kelch zusammengeschnür-
ten Bündel von Stengeln liegt, von dem die griechische Säule nie eine
Andeutung hat; und ebenso die Schwellung, die nur von der Pflanze,
nicht vom Pfeiler herrühren kann.
Ebensowenig zeigen die übrigen griechischen Säulenordnungen eine
Anordnung der Elemente, wie sie nach ihrem Ursprunge in Aegypten
(der auch den lonischen Voluten zuzusprechen ist) und nach ihrer dort
klar vorliegenden genetischen Bedeutung, zu erwarten wäre. Die griechi-
sche Säule ist eben durchweg ein ganz neues Gebilde geworden, von
einem eigenen neuen Prinzipe beseelt, welches die Heterogenität der von
aufsen überkommenen Elemente vollständig überwunden, und zu einer
neuen Einheit verbunden hat.
Wenden wir uns nun aber zurück zu der Ordnung der Pflanzen-
säule auf ihrem heimischen, dem ägyptischen, Boden, um zu sehen, ob
wir auch diese Form, ähnlich wie die Felsensäule, höher zurück nach
ihrem Ursprunge verfolgen können, so steht uns hier zunächst der schon
erwähnte Mangel an erhaltenen Beispielen, die uns in der Felsenarchitek-
tur so vollständig vorlagen, hindernd entgegen. Doch wird dieser Man-
gel einigermafsen durch die Wandbilder ersetzt, aus denen wir überhaupt
auch im Neuen Reiche, eine ganze Seite der ägyptischen Architektur al-
lein kennen lernen, nämlich die Profanarchitektur.
Wir besitzen aus dem alten Aegypten, mit Ausnahme einiger
Grundmauern und Häuserpläne, keine Reste der Profanarchitectur,
9 LEPSIUS:
-.-
selbst nicht von den Palästen der Könige, wenn ich von dem Vorderge-
bäude des Tempels von Medinet Habu zu 'Theben absehe, das allerdings
gegen alle sonstige Sitte, zu einer Privatwohnung des Königs eingerichtet
war. Es ist unrichtig, wenn man so oft von den Tempeln und Palästen
der ägyptischen Könige redet; Alles was von grolsen massiven Gebäuden
erhalten ist, war nur zu Wohnungen für die Götter, nicht für die Men-
schen, bestimmt.
Und doch hatten die Könige ohne Zweifel ihre Paläste ebenso
nothwendig,
Sitte gewesen zu sein, dals nur die Tempel massiv aus Steinquadern auf-
wie jeder Privatmann sein Haus. Es scheint aber allgemeine
geführt wurden; die Wohnungen der Menschen waren wesentlich Ziegel-
und Holz-Bau, dessen Wände, wo Luxus entfaltet werden sollte, mit auf-
selesten Steinplatten bekleidet und mit reichen Darstellungen versehen
wurden, so wie uns dies z. B. von dem Palaste des Labyrinthes aus-
drücklich berichtet wird. Daher der gründliche Untergang dieser Profan-
architektur. Von der alten Berırsıa zu Memphis, von dem Palaste der
Dodekarchen, von den gewils kostbaren Wohnungen der Thebanischen
Könige und ihrer Aristokratie, sind nichts als Schuttberge von Nilziegeln
noch vorhanden. Die leicht beweglichen Steinplatten wurden weggetra-
sen, anderwärts verbaut oder zerschlagen; wir finden von ihnen nur
noch den Abfall, kenntlich an der Manigfaltiskeit und Kostbarkeit der
Stemarten; das Holzwerk ist verbrannt und verwest.
Bei der grofsen Ausdehnung und Ausbildung, welche die Profan-
architektur ohne Zweifel in Aegypten neben der Tempelarchitektur erlangt
hatte, ist es natürlich anzunehmen, dafs auch die gegenseitige Einwirkung
eine erolse und durchgängige war; ja sie mulste, wiederum im Gegen-
satze zur Felsenarchitektur, offenbar einen gemeinschaftlichen Ursprung
gehabt haben. Erst die verschiedenen Zwecke der Götterhäuser und der
Menschenhäuser schieden die beiden Architekturen und verlangten z. B.
verschiedene Dispositionen der Räume. Dies hatte aber auf die Archi-
tekturformen selber weniger Einfluls. Entscheidender würde in einer ge-
wissen Zeit der Entwickelung die Verschiedenheit des Materials, welches
eine verschiedene Technik verlangte, gewesen sein. Aber auch hierbei
wog die, bei einer ungestörten Entwickelung aus eigenen Elementen, sehr
über eimge Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 23
natürliche Neigung zu geschichtlicher Continuität in der Entwickelung der
einzelnen Architekturtheile entschieden vor.
In der That lassen sich fast alle einzelnen Architekturformen und
Vieles in ihrer Verbindung mit Evidenz auf den Holzbau, der dem
Steinbau auch zeitlich vorausgehen mulfste, zurückführen. Von diesem
Holzbau mufs man erst eine genauere Kenntnils haben, ehe man die Glie-
der des Steinbaus in der Bedeutung und den Motiven ihrer Formen rich-
tig beurtheilen kann. Diese Kenntnils können wir aber sehr vollständig
theils aus einzelnen direkten Zeugnissen, theils und vornehmlich aus
Rückschlüssen von der nachahmenden Steinarchitektur, gewinnen.
Der Holzbau der Privathäuser mufste sich von Anfang an mit dem
Ziegelbau verbinden. Das Land war zu holzarm, um etwa ganze
Häuser aus Balken und Bretern zu zimmern. Auch wäre dies in dem
heifsen Lande durchaus unzweckmälsig gewesen. Die allgemeinen Verhält-
nisse eines Landes in Bezug auf Klima, Boden, Baumaterial u. dgl. ver-
ändern sich nicht oder unwesentlich. Dieselben Bedingungen, denen heut-
zutage der Fellah folgt, wenn er sich seine Hütte oder auch sein grölse-
res Haus aus getrockneten Nilziegeln mit Schlamm verbunden aufbaut,
und Thür und Fenster und Decke aus Holz zufügt, hatten sich ebenso
vor 5000 Jahren geltend gemacht und im Wesentlichen dieselbe Bauart
hervorgerufen. Vor der regelmälsigen Ziegelformation baute man die
Wände ohne Zweifel unmittelbar aus dem feuchten zähen Nilschlamm,
etwa mit eingemischtem Stroh, wie es bei unsern Lehmhäusern ge-
schieht.
Aus dieser Urzeit schon scheint die für alle Zeiten festgehaltene
Sitte zu stammen, die Aulsenwände der Häuser, wie aus den Nekropolen
und von den Tempelpylonen bekannt ist, nicht senkrecht, sondern nach
hinten geneigt anzulegen, um ihnen dadurch eine gröfsere Festigkeit zu
geben.
Die 4 schiefen Wände des einfachsten Wohnungsraums wurden an
der Vorderseite durch die Thür unterbrochen, deren Flügel in der Flucht
der inneren senkrechten Wand lagen. Ihr oberer Anschlag wurde durch
einen in die Seitenwände gebetteten Palmenstamm gebildet, dessen Ober-
seite bis zur Höhe der Wände reichte. Dadurch wurde die Oberseite der
4 Wände wieder vollständig, so dafs die aus Palmstämmen gebildete
24 LEPsıvs:
Decke von hinten nach vorn über die schmale Seite der Kammer gelest,
überall aufliegen konnte, ganz so wie wir die Decken in einigen Felsen-
gräbern nachgebildet sehen.) Die Decke wurde dann mit Sand und
Erde bedeckt, auch die Vorderseite der Balkenköpfe gegen die Witterung
verkleidet. Dadurch erschien die vorspringende Decke von vorn als eine
rundum laufende Bekrönung, die jedoch auch auf einem mauerbekrönen-
den Balken aufliegen konnte. Aber auch die unbedeckten runden Bal-
kenköpfe finden sich gelegentlich als Ornament wieder.?)
Wollte man dann die Decke im Innern höher haben, ohne die
Thür unverhältnifsmäfsig und unnöthig hoch zu ziehen, so mufste man
den Thürsturz von der Mauerbekrönung trennen und die Mauern höher
führen.
Hob man das Gebälk noch höher, so konnte man zwischen Thür-
wulst und Mauerkrönungsbalken noch ein schmales Fenster über der
Thür, zum Vortheil der Helligkeit im Innern, gewinnen, das wir zuweilen
in den Blendthüren der Grabkammern angedeutet finden; oder, was der
gewöhnlichen Bildung der Blendthüren noch näher entspricht, man be-
hielt die alte Thürbekrönung bei, d. h. den alten Mauerabschlufs durch
einen Balken über dem Thürwulst, welcher Balken die ursprüngliche Lage
der Decke anzeigt, und hob nun die Decke um einen ganzen Dachstuhl
in die Höhe, wodurch man zwischen der Höhe der ursprünglichen und
und der gehobenen wirklichen Decke einen breiten Fensterraum erhielt,
welcher dem Thürfelde der Blendthüre entspricht.
Dies war der Typus des einfachen Zimmerbaues in Ziegel und
Holz.
Daneben aber bildete sich ein reiner Holzbau aus, ganz frei und
ohne Verbindung mit dem Ziegelbau, in Landhäusern und Gärten, wo
man nur luftige, aber beschattete Räume, Lauben und Veranden suchte.
Auch diesen Bau lernen wir aus zahlreichen Abbildungen kennen.
Hierher gehören namentlich leichte Bedachungen, die auf schlan-
ken Säulen ruhen, und unter welchen die Besitzer auf Stühlen auszuru-
hen pflegen. Die Säulen tragen z. B. in der Abbildung eines Grabes
1) Denkm. I,
2) Denkm. III, 208.
über ewige ägyptische Kunstformen und ıhre Entwickelung. 25
von Kafr el Batraän (n. 16. Denkm. II, 52) als Kapitäle offene Lotusblü-
then und die dünnen Schafte, einfach oder vierfach gekuppelt, ruhen auf
einem Fulse. Unter dem Kelch liegt ein einfaches Band; auf den Spitzen
des Kelches ruht der niedrige Abacus; dieser trägt unmittelbar die Decke in
Gestalt eines flachen Balkens, den man sich zur Fläche fortgesetzt den-
ken muls. In derselben Darstellung bilden 4, aber verdoppelt zu den-
kende Säulen eine Art Gartenhaus. Die letzte Abtheilung rechts, in wel-
cher der Herr desselben, eine Lotusblume in der Hand haltend, sitzt,
enthält auch eine Andeutung von 3 Wänden (die vierte ist für den Beschauer
vorn weggenommen) und von der darüber liegenden Deckenfläche. Zwei
Lotussäulen mit Abacus und verstärktem Fulse tragen aufserdem die Decke.
Zweı Fenster in der Hinterwand scheinen durch Gitterwerk verschlossen
zu sein,
Aus dem hier in einigen Hauptzügen geschilderten Hausbau
einerseits und Laubenbau andrerseits entwickelte sich nun ohne Zweifel
der immer weiter fortschreitende Palast- und Tempelbau, sowie der Grä-
berbau, soweit er im Quaderbau nicht den Stil des Felsbaus annahm.
Alle bedeutsamen Motive des Quaderbaus finden hier ihre Erklärung. Na-
mentlich ist die Form der Pflanzensäule ersichtlich aus der leichten, hei-
tern Holzarchitektur der sich der ländlichen Natur anschmiegenden
Land- und Gartenhäuser entlehnt, auf welche ihre Symbolik unmittelbar
hinweist.
Zu weit aber würde man ohne Zweifel gehen, wenn man nun des-
halb voraussetzen wollte, dafs ın jenen prototypischen Construktionen
etwa auch Papyrusstengel, in Bündel vereint, zu Stützen wirklich irgendwo
angewendet worden wären, die man dann in Holz und Stein nachgebildet
hätte. Dem würde, wenn es dessen bedürfte, schon die älteste Form
dieser Säulenbündel, die aus 4 Lotusblumenstengeln gekoppelten Säulen,
entgegenzuhalten sein, da sich offenbar auch die leichteste Last nicht auf
Blumenstile stützen konnte. Vielmehr ist die Blumensäule, auch in die-
ser Beziehung gegensätzlich zur kanelirten Säule, nicht allmählich, son-
dern gleich als Ganzes ın die architektonische formbelebende und bedeut-
same Symbolik aufgenommen worden. Nur Basıs und Abakus sind hier
unverhüllte reine Architekturglieder, zwischen welche die eigentliche Säule
als nur in der Ausdehnung den Pfeilern analoge, gefällige Naturform ein-
Phrlos.-histor, Kl. 1871. 4
26 Lersıus: über einige ägyptische Kunstformen etc.
geschoben wurde. Hier entschied aufserdem nur noch das symmetrische
Gefühl. Daher wurde der Blüthenstengel, da seine wirkliche Proportion
nieht unmittelbar beibehalten werden konnte, vervierfacht oder veracht-
facht, um ein richtiges Verhältnils der Dicke zur Höhe zu gewinnen.
Dazu fanden sich dann die das Bündel zusammenhaltenden Bänder von
selbst. Die Gliederung der Pflanzensäule beruht wesentlich auf dem Ge-
fühle für architektonische Gliederungs-Verhältnisse überhaupt. welches von
den Griechen zum eigentlichen Prinzip ihrer Kunstschöpfungen erhoben
wurde, aber auch bei den Aegyptern bereits hoch ausgebildet war. Dieses
näher nachzuweisen, würde uns aber in ein anderes weites Grebiet der
ägytischen Kunstanschauung führen, das wir für diesmal nieht zu be-
treten vorhaben.
Die Metalle
in den Aegyptischen Inschriften.
Von
H" LEPSIUS.
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 23. Januar und 27. April 1871.]
D« edeln Metalle und die edeln Steine standen bei den alten Aegyptern
in grolsem Werth und Ansehn. Die Metallurgie, wie auch die Kunst,
Edelsteine zu schleifen, zu schneiden und zu den mannigfaltigsten Ver-
zierungen anzuwenden, war früh ausgebildet und zu einem hohen Grade
vervollkommnet; ebenso war die Glasbereitung und die Färbung der Glas-
tlüsse zur Nachahmung der Edelsteine in durchscheinenden oder undurch-
sichtigen Massen, zur Herstellung aller Art von Glasarbeiten, zu mannig-
fachem Schmelzwerk und zur Verglasung von Figuren und andern Gegen-
ständen aus Erde oder aus gewissen dazu geeigneten Steinarten, allgemein
verbreitet und beliebt. Um sich davon zu überzeugen, bedarf es nur eines
Blickes auf die Schätze, welche im Tempel von Karnak Thutmosis III
vor Ammon aufgehäuft hat!), oder auf die Reichthümer an Gold und
Silber und kostbaren Mineralien aller Art, welche von den Völkern des
Nordens und des Südens demselben Könige in dem Grabe des Reymara?),
oder auf die, welche dem späteren Könige Tutänyamun von einer nörd-
lichen und südlichen Gesandtschaft überbracht werden, beide in thebani-
schen Gräbern abgebildet?). Die Schätze an Waffen aller Art und kost-
barem Geräth, welche Aamses III, der reiche Rhampsinit des Herodot,
in seinen Schatzhäusern verwahrte, sind in grofser Menge in einem Gemach
?) Von Hoskins, Trav. in Ethiopia p. 328 ff. pl. 46—49. in Farben, von Wil-
kinson Mann. & Cust. vol. I in Zeichnung wiedergegeben.
3) Denkmäler der Preufsischen Expedition III, 115—118.
28 DEPSIUS:
seines Felsengrabes abgebildet !). Was man in Anfertigung von grolsen
kunstreichen Vasen von Gold und Silber mit Schmelzwerk ausgelegt in den
elegantesten Formen, mit Henkeln und Deckeln versehen, mit Menschen-
und Thierfiguren, mit Blumen und Laubwerk verziert, zu leisten vermochte,
zeigt die reiche Zusammenstellung, meist in den Originalfarben, bei Ro-
sellini ?). Einen Besriff von der unermelslichen Kriegsbeute an edeln
Mineralien, in rohem und in verarbeitetem Zustande, welche unter den
mächtigen Pharaonen der grofsen Thebanischen Dynastieen von ihren
Siegeszügen nach Asien und Aethiopien in Aegypten zusammenströmte,
gewähren die Inschriften, welche auf den Wänden um die vordere ÜCella
des Tempels von Karnak die Feldzüge Thutmosıs III vom 22. bis 42. Jahre
seiner Regierung verzeichnen. Aechnliche zum Theil noch erhaltene In-
schriften aus der Zeit Ramses II wurden nach Tacitus Bericht dem Ger-
manicus von den Thebanischen Priestern erklärt. „Legebantur“, heilst es
da, „et indieta gentibus tributa, pondus argenti et auri. numerus armo-
rum equorumque, et dona templis, ebur, atque odores, quasque copias
frumenti et omnium utensilium quaeque natıo penderet, haud minus magnı-
fica, quam nune vi Parthorum aut potentia Romana iubentur.*
Aber auch aus spätern Zeiten besitzen wir Berichte über reiche
Beute an edeln Metallen, z. B. auf den äthiopischen Stelen von Berg Barkal:
und auf den späten Denkmälern der Ptolemäer, und selbst aus Römischer
Zeit werden uns lange Listen der Orte und Länder aufgeführt, welche
sewisse Metalle und andre edle Mineralien, nach ihrem Werthe geordnet,
in die Tempelschätze zu liefern hatten.
Bei so reichem Stoffe für unsre Kenntnifs der von den Aesyptern
gekannten und geschätzten Minerale und bei dem grofsen Fortschritt der
hieroglyphischen Entzifferungen in neuester Zeit ist es auffallend, dafs
gerade über die Bezeichnung nicht nur der Edelsteine, sondern auch der
Metalle noch so viel Ungewifsheit bei den Aegyptologen herrscht.
Die Ungewilsheit ging zunächst von dem Zeichen aus, welches
Champollion und nach ihm Andre, ich weils nicht aus welchem
Grunde, für eimen Schmelztiegel hielt. Er kannte die Aussprache des
!) Champ. Mon. pl. 258—264, Rosellini Mon. Civ. 59. 60. 91.
2) Mon. Civ. tav. 58—62.
die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 29
Zeichens nicht, übersetzte es aber durch Eisen. Jetzt wird es meistens
ba gelesen und von de Rouge für Eisen oder Stahl gehalten; Birch!)
liest ba, wood, iron or brass; Chabas?) giebt keine Aussprache, über-
setzt aber bronze ou fer. Brugsch schwankt gleichfalls zwischen Eisen
und Zrz®); Dümichen *) giebt die Gruppe 92», wieder durch
„schwarzes Metall“.
Dieses Schwanken zwischen zwei so wichtigen Metallen wie Kupfer
und Eisen hatte hauptsächlich darin seinen Grund, dafs man in den In-
schriften eine feststehende Reihe fand, in welcher das zweifelhafte ıdeogra-
phische Zeichen zwischen zwei phonetischen Gruppen stand, von denen die
ihm nachfolgende taht lautete und folglich dem koptischen raor, plum-
bum, entsprach, die ihm vorhergehende mafka-t, für welches sich kein
entsprechendes Wort im Koptischen vorfand. Nahm man nun, wie Cham-
pollion that, mafka-t für Kupfer, das zweifelhafte Zeichen für Eisen.
so schien alles in der Ordnung zu sein; man hatte: Kupfer, Eisen, Blei.
Vom Zinn konnte hier nicht gut die Rede sein. Dieser Ordnung schien
es dann aber nicht zu entsprechen, dafs mafka das Kupfer, nirgends
genannt wird, wenn es sich um Vasen, Waffen und Geräthschaften aller
Art handelt, sondern nur das Zisen, während wir doch aus den Grä-
bern fast ausschliefslich nur kupferne Geräthschaften kennen, eiserne so
gut wie gar nicht. Wollte man aber das unbekannte Zeichen D für Kupfer
nehmen, so fehlte das Eisen in der Reihe gänzlich, und für mafka mulste
eine andre Bedeutung gesucht werden, die sich schwer ermitteln liefs.
Allerdings hatte Brugsch ?) aus dem Umstande, dafs der Engländer Mac-
donald in den Mafka-Minen der Sinai-Halbinsel Türkise in das Gestein
eingesprengt gefunden und sie förmlich ausgebeutet hatte, geschlossen,
dafs diese Türkise das eigentliche Ziel der uralten bergmännisehen Kolo-
nieen der Aegypter auf der Halbinsel gewesen seien, und dafs mafka
daher nicht das Kupfer, sondern den Türkis bedeute; somit wäre das
folgende Zeichen D in der Reihe der Minerale für die Bedeutung Kupfer
1) Bei Bunsen, Egypt., vol. I, 2. ed. p. 555.
?2) Pap. Harris.
3) Wörterb. p. 23. 50. 91. 618. 751.
&) RecueilIV, 99.96. 97. u.a, Text p.7.
>) Wanderung nach den Türkis-Minen und der Sinai-Halbinsel. 1866. p. 80 #.
30 LEPsıvs:
wieder frei gewesen. Die Vermuthung erschien um so annehmlicher, da
in der feststehenden Reihe unmittelbar hinter Gold und Silber und vor
mafka ein Mineral yesbet eingeschoben war, welches gleichfalls nach
allgemeiner Annahme nicht ein Metall, sondern einen edeln Stein, den
/apıs lazuli bedeutete. Dennoch fand diese Vermuthung, dafs mafka der
Türkis sei, die wir weiterhin näher prüfen werden, bei den Aegypto-
logen wenig Eingang, wird aber von Brugsch in seinem Wörterbuche
noch festgehalten.
Es blieben also aus diesen und andern Gründen die Zweifel über
die Bezeichnungen von Kupfer und Eisen in den hieroglyphischen In-
schriften bestehen. Da sich nun auch noch andre Gruppen für Metalle, wie
wir nachweisen werden, nicht selten finden, die bisher allgemein verkannt
worden zu sein scheinen, und bei der Erklärung der ägyptischen Mineral-
reihe auch die wichtige Bereitung ihrer Farben eine grofse Rolle spielt,
so schien es der Mühe werth, alles hierher Eimschlagende einer näheren
Untersuchung im Zusammenhange zu unterziehen. Diese habe ich vorge-
nommen, ohne mich zu weit auszudehnen, und lege die Ergebnisse der-
selben hier vor: zunächst die über die edeln Metalle: Gold, Elektrum
und Silber.
Es existirt eine natürliche Reihenfolge der Hauptmetalle, geordnet
nach ihren Eigenschaften und ihrem nach Seltenheit und Nutzbarkeit be-
stimmten Werthe, die sich daher schon bei den alten Völkern fast überall
gleich bleibt. Wir pflegen die Metalle in edle, zu denen Gold und Silber
gehören, und unedle, wie Kupfer, Eisen, Blei, einzutheilen. Ebenso folg-
ten sich bei den Griechen und Römern die Metalle, und bei den Hebräern
kommt dieselbe Ordnung bereits im 4. Buche Mosis vor (31, 22), wo
auch das Zinn (wenn das Wort bedil so zu übersetzen ist) schon genannt
wird: Gold, Silber, Erz, Eisen, Zinn und Blei. Nur wird nicht selten
das Silber vor das Gold gesetzt.
In einer solchen festen Ordnung erscheinen nun die Metalle, wie
schon erwähnt, auch in den hieroglyphischen Inschriften, jedoch mit einer
auffallenden Abweichung. Hinter Gold und Silber nämlich erscheint regel-
mälsig, und zwar von der alten Zeit bis in die Griechischen und Römi-
schen Zeiten herab, das Mineral yesbet, oder wie es später meist ge-
schrieben wird yesteb, und dann die vorläufig schon erwähnten bestrittenen
die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 31
beiden Gruppen, welche meist, nach Champollion’s Vorgang, durch Kupfer
und Eisen erklärt werden, zuletzt das Blei. Aufserdem erscheinen hin
und wieder noch zwei Gruppen, im asem, und | men, von denen
die erste das Zeichen des Goldes, die zweite das unbekannte Zeichen o
zum Determinativ hat, und die sich daher am natürlichsten diesen beiden
Metallen anschliefsen.
In dieser Ordnung werden wir nun die einzelnen Gruppen erör-
tern und beginnen mit dem Golde.
m, nub, nork, das Gold, xgurcs, aurum.
Das figürliche Zeichen, welches das Gold bedeutet, wurde von
Champollion!) für eine Art von creuset gehalten. Richtiger wurde es
wohl von Rosellini?) erkannt als der längliche Sack oder das zusammen-
gelegte Tuch mit zwei Zipfeln, in welchem die Goldkörner durch Schwen-
ken gewaschen wurden. Es ist dies eine der Manipulationen bei den
Goldarbeiten, welche in Benihassan und in Thebanischen Gräbern abge-
bildet sind. In Benihassan ?) erscheint das Zeichen noch in seiner ur-
sprünglichen Gestalt ; aus dem Sack träufelt das Wasser ab: und in
Theben wird der Sack von zwei Leuten in der Luft geschwenkt #); dar-
über steht Am „Bereitung des Goldes“. (Quod eflossum est, sagt
Plinius °) bei der Beschreibung der Goldgewinnung, tunditur, lavatur,
uritur, molitur in farmam, ac pilis eudunt. Unser Zeichen bedeutet
also die Goldwäsche. Im neuen Reiche scheint die figürliche Bedeutung
dieses, wie so manches andern Zeichens, vergessen worden zu sein; denn
es wird nicht selten wie ein Halsband dargestellt ©). Als Determimativ
des Zeichens erscheinen in der Regel die drei Körner, welche auch hinter
Steinen, Erde, Farben und vielen körnigen Gegenständen auch des Pflan-
zenreichs gebraucht werden. Während aber die Steine statt durch Körner
1) Diet. hierogl. pag. 410.
2) Mon. Civ. tom. II, p. 282.
3) Rosellini, Mon. Civ. tav. 5l, 4.
4) Ibid.> 51,122:
5) H. N. 33,4, 69.
6) De Rouge, Aahmes p. 66 und pl. 11.
32 LEPSIUS:
auch durch den Stein determinirt werden, führen die Metalle ausschliefs-
lich die Körner. In andern Bedeutungen desselben Zeichens mm ohne
die Körner wird das phonetische Complement durchgelegt oder nach-
gesetzt =]. wodurch die Aussprache »ub, die sich unverändert ım
koptischen ıı stov&, erhalten hat, festgestellt ist. Es findet sich gelegent-
lich die rein phonetische Variante ji: Y). In Römischer Zeit wird die
- [eo] -
Kuh mit den Körnern &ne mit der Aussprache neb, nub für das Gold
gesetzt ?).
Auffallender sind noch andre Bezeichnungen des Goldes in später
Zeit, welche auf ganz verschiedene Worte führen, nämlich TINO) saut,
welches gelegentlich auch das Zeichen des Goldes als Determinativ an-
1 . NS Seczapı pe? 2 2 6
nimmt TEN BEN ) und °®), me neb(?) woraus auch 11%) und
SE R h : = R N 3
Ion °) verschrieben zu sein scheinen. Vielleicht ist auch die Gruppe
000
= an 2 1 ketem, nur eine andere Bezeichnung des
Goldes ın den Inschriften von Edfu. Man liebte es seit den Ptolemäi-
schen Zeiten seltene und gesuchte Ausdrücke hervorzuziehen um Gelehr-
samkeit zu zeigen sowohl ın der Wahl der Worte als der Zeichen, was
die Erklärung für uns oft schwierig macht. Wir haben es hier offenbar
nicht mit später allgemein eingeführten Worten zu thun, sondern vielleicht
mit Beiwörtern, die etwa von alten Poeten gebraucht worden waren. So
könnte saur wohl auf den Stamm des koptischen cat, case, caıwor pul-
cher, führen, also „das schöne Metall“. Die zweite Gruppe, deren Aus-
sprache unsicher ist, bedeutet für gewöhnlich 2, und ist nur in der An-
wendung auf das Gold unverständlich.
Das Gold wird in den Abbildungen in verschiedenen Formen dar-
sestellt, kenntlich durch Beischrift und Farbe. Es wird in Haufen dar-
!) Aegypt. Zeitschr. 1870 p. 20.
2) Dümichen, Recueil IV, 75, 2.
3) Düm., Rec. IV, 69, 2. 71, 2. 73, 2 u.a. Tempelinschr. I, 90, 15.
4) Düm., Tempelinschr. II, 24, 3. 42, 39.
5) Düm., Tempelinschr. 73, 2.
6) Düm., Ree. IV, 66, 2.
Dr Tbid. IV, 6972.
») Düm., Kal. Inschr. 119, 4.
9) Ibid. 111, 12. Rec. IV; 69, 2.
10) Ibid. 118, 14.
die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 33
gestellt!). Das sind ohne Zweifel die rohen Goldstückchen, wie sie in
den Bergwerken gewonnen wurden. Ferner in Beuteln ?), welche das
Gold in kleinen Körnern oder in Stückchen, die vom Gestein gesäubert
waren, enthielten, oder auch das Waschgold, welches in kleinen Schüpp-
chen aus dem Sande der Bäche ausgewaschen wurde, wie dies noch
heutzutage von den Negern in Fazoglu am blauen Nile in Federspulen
gesammelt und Tibber genannt wird. Ferner auch häufig in Platten °),
Stangen oder Ziegeln®), in welche das Gold zusammengeschmolzen wurde,
oder endlich in Ringen ?), welches die gewöhnlichste Form ist, namentlich
beim Abwägen des Goldes. In diesen verschiedenen Formen wurde
es dann in Kisten von folgender Gestalt oder verpackt und
im Schatze oder der Silberkammer Ar =), per hat, deponirt.
Die meisten dieser Formen können wir nun auch in den Inschriften
nachweisen.
: er N - N
Gold in Beuteln heilfst —=D1) nub em äref-u,
000 x Ill
000
ne x, Ben zn Ben, ee,
= 8) nub äref-u, vn ss, >Dd, =>%?), äref, kopt. wpty,
A000 x Au u ve
op&, includere, ceonstrietum tenere.
rr AR ö £
Gold in Ringen IN xpo10), nub em ses-u, was mit
F = ooo MNDII ,
dem koptischen worwr, aspicere, fenestra, foramen zusammengebracht
worden ist, dessen Begriff aber vom „Durchsehen“* auszugehen scheint,
oder auch vom „Oeffnen“, was gleichfalls nicht auf.den „Ring“ führt,
der doch als das Determinativ zu sesu erscheint. Es wird dann öfters
noch Gold oder Silber in =, 11), tete-t, erwähnt, wobei man das
1) Dümichen, Histor. Inschr. Taf. 32. 34. — S. unsre Tafel n. 1.
2) Ibid. Taf. 32. — Tafel n. 2.
3) Hoskins, Trav. in Eth. p. 330, Taf.
#) Champ., Not. p. 508.
5) Denkm. III, 39, d.
6) Düm., Histor. Inschr. I, 30.
7) Ibid. XXXIV.
8) Denkm. III, 118.
9) Düm.. Kal. Inschr. 49, b, 3.
10) Auswahl der wicht. Inschr. XII, 31. 51. Denkm. III, 32, 29.
11) Denkm. III, 31, a, 11. 30, a, 14. 32, 28, 29. 34.
Philos.-histor. Kl. 1871. 5
34 LEPsıvus:
koptische rwre, fimbria, brachiale, armilla verglichen hat. Indessen palst
hierzu wenig das Determinativ, welches eher einer niedrigen Tasse mit
einem schmalen Fufse gleicht; auch folgt in der Regel ein andres Gefäls.
a x=_1), nub hi set-f?), „Gold mit seinem Gestein“ sind
die rohen unverhütteten Goldklumpen der Bergwerke, die zu Haufen ge-
schichtet abgebildet werden. Brugsch ?) übersetzt zwar die Phrase „aus
seinem Lande“, und ebenso falst es Gensler*); dafs der Beisatz aber
die Bezeichnung einer bestimmten Form des Metalls ist, geht daraus her-
vor, dafs er nur bei Metallen vorkommt, und zwar nur bei Gold und
Kupfer, welche gediegen gebrochen werden; vom Silber ist er mir noch
nicht vorgekommen. Wenn von der Herkunft eines Minerals aus einem
bestimmten Lande die Rede ist, so wird nicht ® hi gebraucht, sondern
ag) U öl NOS
000, en la
RN IR „Gold aus der Landschaft oder aus den Bergen von
NUMO
a EA R z ve 6 j BE ER N Ex
Koptos*; NS „Gold von Kus“ 6), u. a. Ueberdies gab es kein
besonderes Land, worauf man das Gold oder das Kupfer „seines Landes“
wm Be aus; z. B. „Gold, Geräth aus diesem Lande“ °);
beziehen könnte, da beide Metalle, besonders aber das Gold, aus vielen
verschiedenen Ländern kamen. Dals O4 hier der Fels, das Gestein, heilst,
1) Düm., Tempelinschr. I, 30. 31. 32. Histor. Inschr. II, 47.
2) Die Aussprache set für Sn Berg, Fels, Land scheint noch unbekannt zu sein.
Champollion las xag, das aber mase. ist. Chabas, pap. Harris p. 247: phonet. in-
connn. Bireh hat es unter seine ideographischen Zeichen nicht aufgenommen. Brugsch,
Wörterb. p. 1331 giebt = in der Bedeutung „das untere, unten gelegene Land,
das Grab“ und vergleicht echt, m, pars inferior; p. 154. 1336. 1690 vermuthet er die
IN ER Na BN= v4
Lautung an; aus Varianten wie ur a „ Penkm. II, 143, g, St]
II, 124, 17: mur set-u abt, „Statthalter der Länder des Ostens“ geht Ta ErrtınE SE
en » x —oa | » “11
wsetfür Land, Landstrich, deutlich hervor; daher später auch X a I1ı „die Südländer“
vorkommt. In ältester Zeit wurde &o42 auch selbst als phonetisch angesehn und konnte
Be
Anz FErER
die Aussprache —— vor sich nehmen; daher wechseln S , NY, N“ Denkm. Il, 3.
B Y .n U“ “ N‘ on i
34. In unserem Falle heilst aber I ], set, der Fels, das Gestein; daher die Gruppe
a = 2 r 5 SE 3 5
5» set, Fels (Champ., Gr. 98) auch mit dem Stein determinirt wird.
3) Wörterb. p. 1629.
+) Zeitschr. 1870.
5) Auswahl XII,
6) Chabas, Rev. Arch. 1861, I, 16.
die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 35
nicht das Land, geht ferner daraus hervor, dafs man auch N nub
en set, „Gold des Felsen“, Berggold, allein findet, und zwar im Gegen-
satz, weil unmittelbar daneben MN x, nub en mu, „Gold des Wassers“,
d. i. aus dem Flufssande gewaschenes (old, Tibber steht. Es werden näm-
lich im Tempel Ramses III von Medinet Habu in einem der Zimmer der
Silberkammer auch 8 grofse Beutel abgebildet, von denen die 7 ersten
Gold enthielten, und zwar mit folgenden Aufschriften :
ee nub en Kus, Gold von Aethiopien
m] nub ten 1000, Gold 1000 ten
er nub en set, Gold des Berges
mm mm | mub en mu, ten 1000, Gold des Wassers, 1000 ten
Ä J um nub en Teb, Gold von Apollinopolis magna (Edfu)
DE am I, nub en Nubrit, Gold von Ombos
Er ig nub en Kebt, Gold von Koptos.
Der letzte Beutel enthält ‚resteb.
Wahrscheinlich enthielten alle vier ersten Beutel Aethiopisches Gold,
da in diesem durch seinen Goldreichthum berühmten Lande in der That
das Gold sowohl aus dem Felsen als aus dem Wasser gewonnen wurde.
Die drei folgenden Beutel enthielten Gold aus Oberägypten, nämlich aus
Apollinopolis magna (Edfu), Ombos (Kum Ombo) und Koptos (Quft);
also im Ganzen von Süden nach Norden geordnet. Natürlich wurde das
Gold nicht in oder bei diesen Städten selbst gewonnen, sondern in dem
Arabischen Gebirge in Minen, welche von diesen Orten am nächsten zu-
gänglich waren.
Nach Plinius lag die goldreichste Gegend Aethiopiens zwischen
Napata und dem rothen Meere, eine sehr unbestimmte Angabe, die sich
aber nur auf die Gegenden des Bega-Landes östlich vom Wege von
Assuan oder Korusko nach Abu Hammed beziehen kann, wohin von
Abulfeda die Goldminen von Ollagi gelest werden. Diese wurden nach-
weislich noch im 10. Jahrhundert und noch später von den Arabern aus-
gebeutet, endlich aber, weil sie die Kosten nicht mehr lohnten, verlassen
und vergessen, bis ihre Lage in den Jahren 1831 und 1832 von Linant
m
J
36 Lepsıvs:
Bey und Bonomi wieder aufgefunden wurde!). Ohne Zweifel bezieht
sich auf diese Gegend auch der Inhalt der Stele von Auban, welche von
Birch?) und Chabas®) erklärt worden ist; denn Auban ist, wie bereits
Prisse, der die Stele entdeckt hat, richtig hervorgehoben hat, der Aus-
sangspunkt der bedeutendsten Thäler des Etbaye-Distriktes, in welchem
die Minen liegen. Es wird darin gerühmt, dafs es Aamses II gelungen
sei, was sein Vater Sethos I vergeblich erstrebt habe, nämlich Wasser-
brunnen in dem Lande Akrta auf dem Wege durch die Wüste zu den
Minen herzustellen.
Dagegen kann ich der Meinung nicht beipflichten, dafs auch die
Inschriften des Wüstentempels von Redeszeh sich auf das Aethiopische
Gold bezogen. Ich habe diesen Tempel in den Denkmälern der Preuls.
Expedition nach Redesteh benannt, weil dies jetzt der nächste Ort am
Nile ist, von dem aus man den Tempel zu besuchen pflegt, wie man die
Pyramiden von Gizeh so nennt, weil die Reisenden von Gizeh aus, das
14 Stunden entfernt am Nile liegt, dahin abgehen. Die alte Stralse zum
Tempel ging aber von Apollinopolis magna oder östlich vom Flusse von
Contra Apollonos aus. Diese Stralse führte keineswegs nach den weit
entfernten Aethiopischen Minen, sondern auf dem kürzesten Wege zum
Arabischen Gebirge und in der Nähe des Rothen Meeres zum @ebel Ze-
bara. Man hat hier die alten Smaragdgruben wiederzufinden geglaubt,
welche nach Plinius #) eruuntur circa Copton oppidum Thebaidis, in col-
libus, ex cautibus. Das hat sich nicht bestätigt?). Aber der Berg hat
viele und tiefe meist verschüttete Minengänge, in welchen offenbar ein
kostbares Mineral gewonnen wurde. Da wir nun in den erwähnten In-
schriften unter T’hutmosis III ausdrücklich neben dem Aethiopischen und
1) Die Orte der Goldgruben sind einzeln verzeichnet von Linant auf seiner Carte
de l’Etbaye ou pays habite par des Arabes Bisharis, comprenant les contrees des mines
d’or connues des anciens sous le nom d’Olaki, publiee par le depöt de la guerre 1854.
2) Upon an historical tablet of Ramses 1! relating to the gold mines of Aethiopia
(from the Archeologia vol. NXXIV pp. 357—391.) Lond. 1852.
3) Les inseriptions des mines d’or Chalon s. S. Paris 1862. Die Stele befindet
sich jetzt in dem Schlosse Uriage bei Grenoble, wohin sie der Besitzer Comte St. Ferriol
transportirt hat.
4) H.N. 37, 65.
5) Allgem. Augsb. Zeitung 1844, no. 347 Beilage.
die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 37
anderm Aesyptischen Gold auch „Gold von Apollinopolis magna“
angeführt finden, und da wir in den Inschriften des Tempels von Rede-
steh lesen, dafs dieser von Set! I sesründet wurde, weil er auf dieser
Station des Wüstenwegs zu den Goldminen durch Anlegung eines Brun-
nens Wasser gefunden hatte, so kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dafs
die hier erwähnten Goldbergwerke wirklich in den Bergen, zu welchen
die Strafse über den Tempel führte, lagen, also nicht in Aethiopien, son-
dern auf dem alten Wege nach Gebel Zebära, wenn nicht in diesem viel-
durchhöhlten Berge selber.
Ebenso müssen wir die Minen des Goldes von Ombos, welche
Stadt 8 bis 10 Meilen südlich von Apollinopolis auf dem Ostufer des Nils
lag, gleichfalls in der Richtung der Strafse suchen, welche von hier ihren
Anfang nehmend am direktesten in das Arabische Gebirge führte. In der
That münden bei Ombos die Hauptthäler, welche in wenig südlicher Ab-
weichung gerade auf Berenike und die über demselben gelegenen Berge
zuführen. Spuren von alten Stationen dürften sich bei näherer Nach-
forschung auch auf diesem Wege noch finden.
Endlich kam auch das Gold von Koptos ohne Zweifel aus dem
Theile des Arabischen Gebirges, auf welchen die grofse Karavanenstralse
von Kuft (Koptos) nach Kosser (Leukos hormos), jetzt derb e' Rossafa ge-
nannt, zuführt. Wir kennen jetzt zwar unmittelbar an dieser Strafse nur
die alten Steinbrüche von Granit und Breccia bei Hamamaät mit seinen
zahlreichen Felseninschriften, die bis in die vierte Dynastie unter Yufu
(Cheops) zurückreichen. Indessen finden sich in jener Gegend noch viele
Spuren alter tief eindringender Minen, besonders in dem nahe gelegenen
Wadi Fauayer, deren ursprüngliche Bestimmung noch nicht ermittelt ist,
und welche sehr wohl Goldminen sein konnten 1).
Von hohem Interesse ist der Turiner Papyrus, welcher einen Situa-
tionsplan aus der Zeit Ptamses II, den.ältesten, den wir kennen, enthält,
und den ich deshalb schon in meiner „Auswahl“ 1842 publicirt habe ?).
r rk \YY on a r .
1) Gold von Koptos und zwar u zZ 15 Ja\ „Felsgold von Koptos* wird auch
in dem Papyrus des Mr. Harris auf Ramses III bezüglich erwähnt neben dem Golde von
Kus. S. Chabas, Rev. Arch. 1861, I, 16.
?) 1547. Taf. XXII. Die damit zusammen gefundenen Grundpläne von Königsgräbern
liefsen mich damals vermuthen, dafs die Situation in den Thebanischen Bergen zu suchen sei.
38 LEePpsıus:
Diese mit Farben ausgeführte Zeichnung von Bergen und Wegen, wurde
von Birch!) als ein Terrain von Goldminen erkannt; später wurden sie
nochmals publieirt mit den Originalfarben von Chabas?). Auch diese
Goldminen werden für die Aethiopischen von Gebel Ollaki gehalten. Es
können aber ebenso gut ägyptische Minen sein, und da wir auf dem Plane
eine Stele von Sethos I neben einem Wasserbrunnen verzeichnet finden, so
ist es wahrscheinlicher, dafs es die Minen von Apollinopolis magna waren,
für welche Sethos schon mit glücklichem Erfolg eine Wasserstation, „Brun-
nen des Seti* genannt, angelegt und einen Tempel daneben gebaut hatte,
während der in der Stele von Auban erwähnte Brunnen des Set auf
dem Wege nach den Aethiopischen Goldbergen ein gleich allen frühe-
ren Versuchen verfehltes Unternehmen gewesen zu sein scheint, so dafs
erst seinem Sohne Ramses der Ruhm zufiel, auch dort Wasser geschafft
zu haben.
Während nun aber die Aethiopischen Goldminen noch den Arabern
eine Ausbeute gewährten, müssen die Aegyptischen wohl schon früh er-
schöpft und verlassen worden sein, was sich, auch bei gleicher Ergiebig-
keit, gerade aus der gröfsern Nähe Aesyptens erklärt.
1) Upon an historical tablet of Ramses II p. 26.
?2) Les inscriptions des mines d’or p. 301. Zu diesen Fragmenten gehören noch
andre, die von Lieblein in seiner Schrift: Deux papyrus hieratiques du musee de Turin.
Christiania 1868 pl. V publieirt worden sind. Diese enthalten zwar zu beiden Seiten der
Wege nur schwarze, keine rothen Berge; aber auch das vereinzelte Fragment bei Chabas
enthält ei